“Lass ihn noch dies Jahr … “
Buße, Besinnung, Umkehr, Änderung zum Guten sind möglich
Pedigttext: Lukas 6,(1-5)6-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Es kamen aber zu der Zeit einige, die berichteten ihm von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. 2 Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr, daß diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle andern Galiläer, weil sie das erlitten haben? 3 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen. 4 Oder meint ihr, daß die achtzehn, auf die der Turm in Siloah fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als alle andern Menschen, die in Jerusalem wohnen? 5 Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle auch so umkommen.
6 Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. 7 Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum, und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? 8 Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, laß ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; 9 vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.
Gedanken zum Predigttext
Der Text ist m.E schwieriger als er mit seinen plastischen Bildern zuerst scheint. Lukas berichtet in seinem Sondergut zuerst über ein Verbrechen des Pilatus und ein Unglück in Jerusalem. Bei beiden Katastrophen finden Unschuldige den Tod. Die indirekte Frage an Jesus ist: Haben die Opfer vorher gesündigt? Nach Klaus Koch, früher Professor für Altes Testament in Hamburg, ist ein ursprünglicher Hauptgedanke der Hebräischen Bibel die schicksalswirkende Tatsphäre, der Tun-Ergehen-Zusammenhang. Der gerechte Gott überwacht nur, daß man sich mit sündigem Verhalten selbst Unheil schafft! Gerechtigkeit und Barmherzigkeit dagegen bewirken beim Gläubigen, dass sein Leben gelingt. Umgekehrt entstand die Auffassung, dass man den Sünder an seinem Unheil und frühen Tod erkennen könne, den Gerechten aber am seinem Lebensglück.
In dem Bericht der Leute in Vers 1 klingt ihre Vermutung an, dass die Opfer gerechte Strafe erleiden für frühere Sünden. Gegen den damaligen Zeitgeist lehnt Jesus das Vergeltungsdogma (vgl Joh 9,1-3) ab. Alles was wir wahrnehmen an eigenem und fremden Leid und was uns Angst macht, will uns nicht zu Theodizee-Grübeleien, sondern zur Buße führen. Das anschließende Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum will uns auf andere Weise bußfertig machen. Es steht in einem Kontrast zum ersten Abschnitt: Der Feigenbaum hat durch seine eigene Schuld eigentlich sein Existenzrecht verloren hat. Hier taucht also wieder der Tun-Ergehen-Zusammenhang auf, den Jesus oben abgelehnt hat. Thema ist aber jetzt, dass der Baum eine letzte Chance bekommt, sich zu bessern. Ganz klar ist Jesus der geduldige Gärtner und Fürsprecher, der den gerechten Besitzer, d.h. Gott, überzeugt, dem Baum noch eine Chance zu geben – trotz seiner Sünde. Zusammengehalten wird der ganze Text dadurch, dass sowohl Angst vor Unglücksfällen und Verbrechen, als auch Jesu Liebe und Geduld uns alle sehr eindringlich zur Umkehr führen wollen.
Homiletische Besinnung
Der Hamburger Dozent für Pastoral-Psychologie und St.Petri-Pastor Dr. Gunnar von Schlippe hat es einmal großartig auf den Punkt gebracht: Wodurch können sich Menschen zum Guten verändern und verwandeln? Eigentlich nur durch Angst oder Liebe! Mit Rauchen oder Alkohol z.B. können unzählige nicht aufhören. Macht aber ein ärztlicher Befund jemandem Angst, dass durch die Suchtmittel der baldige Tod droht, können viele sich ändern. Andererseits: Verliebte stellen viele ihrer Unarten automatisch und gern ab. Aber auch sonst verändert man sich gern zum Guten, damit die Atmosphäre in seiner Familie und Freundschaft alle erfreut.
Am Bußtag, an dem es ja darum geht, dass wir alle anstreben, unser sündiges Verhalten abzulegen und uns zu bessern, sollte man sich an beides erinnern. Der Predigttext hat schon damals die Weisheit der beiden Perspektiven Angst und Liebe thematisiert. Von Gott kennt man die angstmachende, konsequent strafende Gerechtigkeit des Weinbergbesitzers. Bei Jesus steht die geduldige Liebe des Gärtners im Vordergrund. Beim schwierigen Predigtthema Bußtag sollte man beide Aspekte, Umkehr aus Angst und Umkehr aus Liebe, predigen. Der Aspekt Umkehr aus Angst wird in Vers 6-9 ja auch angesprochen. Nach meiner persönlichen Ansicht sind die Verse 1-5 für die ausführliche Auslegung in einer Predigt zu viel.
Am Bußtag steht die Frage im Vordergrund: Wie können wir umkehren von unseren verkehrten Wegen?
I.
Wie können wir uns zum Guten ändern? Die Aufgabe ist ja nicht einfach! Mit dem Kopf können wir uns viel vornehmen. Im Alltag können uns aber schwer trennen von unseren schlechten Gewohnheiten und unserer vielfältigen Sucht. Irgendeine Sucht hat ja wohl jeder: Wer nicht gerade eine Sucht nach Alkohol, Rauchen und Kaffee hat, ist vielleicht arbeitssüchtig, süchtig nach Liebe und Anerkennung, nach Essen und Genuß oder nach seiner Ruhe und Harmonie oder gierig nach Geld und Besitz oder Erfolg. Am Bußtag denken wir daran, dass wir uns durch unsere Süchte bei anderen Menschen unmöglich machen, uns isolieren und so womöglich vereinsamen. Am Bußtag bedenken wir vor Gott, wie wir uns zum Guten ändern können.
Ein kluger Seelsorger hat einmal gesagt: Menschen ändern sich eigentlich nur durch Angst oder Liebe. Mit meinem ungesunden Lebenswandel kann ich aufhören, wenn zum Beispiel der Arzt feststellt, mein Leben ist bedroht, wenn ich so weitermache. Geht es nicht vielen Menschen in vielen ähnlichen Situationen ebenso? Aus wachsender Angst vor der Klimakatastrophe sind viele Menschen heute bereit, ihr Verhalten zu ändern. Andererseits, Verliebte erfüllen dem geliebten Menschen gern und mit Freude das Abstellen ihrer schlechten Gewohnheiten. Der geliebte Mensch verabscheut Rauchen? Kein Problem, um das abzustellen. Für ein erfreuliches Miteinander in der Familie oder Freunden bin ich gern bereit, mich zu ändern. Was opfern viele Eltern nicht alles gern für Ihre Kinder!
II.
Um die beiden Aspekte der Motivation zur Umkehr, Angst und Liebe, geht es in unserem Predigttext über den Feigenbaum. Das Bild vom Baum ist ein Spiegel für jeden von uns: Wie ein Baum bin ich auch einmal ins Leben eingepflanzt worden. Das Programm wurde mir mitgegeben, zu wachsen und zu reifen und Früchte der Liebe hervorzubringen. Jeder Mensch kann sich in dem Spiegelbild Baum fragen: Bin ich ein junger Baum mit schlanken Ästen? Bin ich ein inzwischen knorriger Baum mit einigen abgestorbenen Zweigen? Wäre ich gern eingepflanzt in einen anderen Boden, in eine andere Umgebung? Wie viele Blitze sind schon im Laufe der Zeit eingeschlagen? Tragen meine Zweige so viele Früchte, dass die Äste sich biegen? Sind meine Früchte wohlschmeckend oder eigentlich ungenießbar? Bin ich womöglich ein nutzloser Baum ohne Früchte? Wer hat daran schuld? Bin ich zu faul gewesen, als dass mein Leben gelingen konnte? Haben die Umstände und der Boden daran schuld? Den Besitzer des Gartens kann ich verstehen, wenn er plant, mich abzuhauen. Ich nehme ja anderen nützlichen Pflanzen Licht und Kraft.
Als Predigthörer/in kann man sich nicht nur mit dem Baum, sondern auch mit dem Gartenbesitzer identifizieren: Es ist nur gerecht, wenn ich den Baum absäge. Der hat es sich selbst zuzuschreiben. Ich habe damals eine recht gute und teure Sorte gekauft und eingepflanzt. Der Pflänzling hat sich von der Sonne reichlich bescheinen lassen und Wasser und Nährstoffe aus dem Boden gezogen. Er hat sein Leben ganz egoistisch genossen, aber keinen Gedanken verwendet, anderen Früchte zu schenken. Er muß die Konsequenzen jetzt tragen, dass ihn die gerechte Strafe für seinen Egoismus trifft und er beseitigt wird und andere an seiner Stelle eine Chance zum Gedeihen bekommen. Er hat es sich alles selbst zuzuschreiben. So ist es nun mal in dieser Welt: Sünde bringt den Untergang. Als Predigthörer/in kann man sich auch mit dem bittenden Gärtner identifizieren. Dem Weinbergbesitzer möchte ich gern sagen: Hau ihn noch nicht um! Gib ihm noch eine Chance bis zum nächsten Jahr! Meine Güte! Wir kommen doch alle mal ihn Krisen, ob durch eigene oder fremde Schuld! Ja, wir bringen manchmal keine Frucht, weil wir so ausgebrannt sind. Weil wir eine Depression wie einen bleiernen Schlaf erleben. Weil gerade alle Umstände sich so gegen uns zu verschwören scheinen, dass wir in Panik erstarren. Nach der Krise wird er wieder mit ganz neuen Erfahrungen Früchte bringen!
III.
Jesus hat uns diese Geschichte erzählt. Die ganz harte Anfrage an jeden von uns am Bußtag ist, ob wir nicht womöglich ein unfruchtbarer Feigenbaum sind, der vom gerechten Entfernen bedroht ist? Deutlich ist mit dem Weinbergbesitzer Gott, der Schöpfer, gemeint. Er gibt dem Feigenbaum und allen Kreaturen und uns Raum und Zeit zu leben. Er möchte, dass das Leben in Vielfalt und Fülle gelingt. Auf seinem Weg zur Vollendung der Welt verurteilt er offensichtlich Leben, das sich fruchtlos und lebensfeindlich verhält. Unser christlicher Glaube an den Schöpfer wird heute häufig lächerlich gemacht durch Atheisten wie Richard Dawkins, welche höhnen, wie ein gütiger Schöpfer sich mit dem Kampf um das Überleben des Tüchtigsten während der Evolution verträgt. Mit Jesus beginnt ein neuer Abschnitt der Evolution und Menschheitsgeschichte! Jesus erzählt uns vom gütigen Gärtner. Er malt uns indirekt damit seine eigene Rolle vor Augen! Gott sei Dank gibt es Geduld und Liebe durch Jesus! Durch Jesus verschieben sich die Schwerpunkte des Glaubens. Während im Judentum, der Wurzel unseres Glaubens, und auch im Islam Gott in erster Linie gerecht ist, aber daneben auch sehr barmherzig, ist für Jesus Gott in erster Linie liebevoll wie der Vater gegenüber dem Verlorenen Sohn. Gott ist aber auch für Jesus gerecht. Der Feigenbaum bekommt seine Chance, wird liebevoll umsorgt mit allem, was sein Wachstum fördert. Wenn er dann immer noch keine Frucht bringt wird er auch nach Jesu Glauben entfernt. Jesus hat den Spaten des Gärtners in der Hand, aber er kennt auch wie Johannes der Täufer Gottes Axt.
Mit Jesus und seiner Rede vom gütigen und geduldigen Gott beginnt für die Menschheit ein neuer Abschnitt in der Heilsgeschichte. Auf dem Weg Gottes mit der Menschheit wird seit Jesu Geburt ein neues Kapitel aufgeschlagen. Gott ist nicht so sehr auf Gerechtigkeit aus, sondern, wie Jesus es als Gottes Sohn und Gärtner zeigt, auf Geduld und Barmherzigkeit. Nicht mit unbarmherziger, kalter Gerechtigkeit und Attentaten und Vergeltung hat die Menschheit eine Chance für die Zukunft. Es gibt heute wie in Lessings Ringparabel einen Wettbewerb der größten Menschlichkeit in allen Staaten auf der ganzen Welt. Nur mit Jesu Geduld und Barmherzigkeit, seiner Nächsten- und Feindesliebe, ist die Menschheit auf dem Weg zu Gottes Reich!
IV.
Am Bußtag sollte sich jeder Mensch fragen, ob er schon auf Jesu Weg der Barmherzigkeit ist, auf dem einzigen Weg für die Zukunft der Menschheit? Wenn Du Dich im Alltag fragst: Was würde Jesus jetzt tun?, fällt Dir sicher das Rechte ein! Dorothee Sölle hat es einmal ungefähr so gesagt: Du kannst Jesus gern vergleichen mit allen Vorbildern und Hoffnungsträgern der Menschheit! Am besten Du vergleichst ihn mit Dir!
Amen.
1984)