„Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen …“

Fluch der bösen Tat

Predigttext: 1. Mose / Genesis 4,1-16
Kirche / Ort: 27624 Geestland-Köhlen
Datum: 29.08.2021
Kirchenjahr: 13. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Christiane Borchers, Dipl. Theol. Pfarrerin i.R.

Predigttext: 1. Mose / Genesis 4,1-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

1Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mithilfe des Herrn. 2Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. 3Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem Herrn Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der Herr sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6Da sprach der Herr zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7Ist’s nicht so: Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9Da sprach der Herr zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13Kain aber sprach zu dem Herrn: Meine Schuld ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15Aber der Herr sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16So ging Kain hinweg von dem Angesicht des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

 

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Geschwisterstreit: Im Zorn streicht die jüngere Schwester den Aufsatz der älteren Schwester durch, den sie mit viel Mühe und letztlich mit Hilfe ihrer Mutter zustande gebracht hat. Aufsatzschreiben ist nicht ihre Sache. Morgen muss sie ihn in der Schule dem Lehrer zeigen. In den 60ziger Jahren bestimmt ein strenger Ton den Unterricht. Mädchen bekommen mit dem Stock eins über die Finger gezogen, wenn sie nicht parieren oder sonst etwas nicht stimmt, Jungen wird der Hintern versohlt. Ursel fühlt sich im Streit mit ihrer älteren Schwester unterlegen. Die hat die Mutter an ihrer Seite, auf deren Unterstützung braucht sie nicht zu bauen. Ursel schleicht sich am frühen Morgen aus dem Bett, nestelt an Margas Schultasche, zieht das Aufsatzheft heraus, streicht die Seiten durch. Unerkannt huscht sie zurück ins Bett. Bald hört sie das verzweifelte Weinen ihrer Schwester, dann die aufgebrachte Mutter. Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Kurzfristig aber hat sie erreicht, was sie erreichen wollte: die Schwester kleinzukriegen.

Geschwisterstreit: Wer Geschwister hat, erinnere sich an eigene Auseinandersetzungen mit der Schwester, mit dem Bruder. In der Bibel eskaliert der Geschwisterstreit. Kain bringt seinen Bruder Abel um. Der Streit unter Geschwistern mündet nicht in einen Mord, obwohl es das auch gibt, z.B. beim Kampf um die Thronfolge, aber der Streit kann sehr heftig sein, sich durch das ganze Leben ziehen. Geschwister pflegen keinen Kontakt miteinander, brechen die Beziehung ab. Harter Streit kann auftreten, wenn es ums Erben geht. Eine Schwester, ein Bruder fühlt sich benachteiligt, der Schmerz und die Enttäuschung sind groß, Aussöhnung und Frieden erscheinen unmöglich.  

Brudermord: Kain erschlägt seinen Bruder Abel. Kain ist tiefbetrübt und gekränkt. Gott sieht auf das Opfer seines Bruders und nicht auf das Seine, obwohl er sich große Mühe gegeben hat: die besten Früchte seines Feldes hat er vor Gott zurechtgelegt, lieblicher Wohlgeruch soll in seine Nase ziehen. Gott scheint sich für sein Opfer nicht zu interessieren. Er interessiert sich ausschließlich für Abel. Hat er ihn lieber? Die Feldfrüchte seines Opfers sind ihm selbst nichts mehr wert, wozu das Feuer noch in Schach halten, Gott blickt auf Abel, nicht auf ihn.

Die Mutter guckt auf die ältere Schwester, nicht auf die jüngere. Egal, wie die Jüngere sich anstrengt, die Mutter sieht es nicht. Sie kann gegen ihre ältere Schwester nicht an, stets wird diese bevorzugt. Marga ist ihr im Alter voraus, zusätzlich hat sie die Mutter noch auf ihrer Seite. Ursel fühlt sich unterlegen. Gegen das  eingeschworene Miteinander kommt sie nicht an. Das kränkt sie und macht sie hilflos. Sie möchte nicht machtlos sein. Wenn sie sich nicht gegen ihre starke Mutter wehren kann, so hat sie doch ab und zu Erfolg bei ihrer Schwester.

Kain lässt seine Aggression an seinem Bruder aus. Bei ihm traut er sich, Gott fühlt er sich nicht gewachsen, obwohl der doch Ursache seines Unmutes ist. Abel hat nichts Schlimmes getan, er hat genauso liebevoll wie Kain sein Opfer dargebracht. Kain fühlt sich ungerecht behandelt, nimmt sich den Schwächeren vor, rächt sich an ihm, weil er gegen den Starken nicht ankommt. Das ist ungerecht, ebenso ungerecht ist, dass Gott nicht auf ihn blickt. Ungerechtigkeiten will niemand ausgesetzt sein, das ist verständlich, es ist jedoch kein Freibrief, selbst ungerecht zu handeln.

Warum macht Gott Unterschiede? Warum sieht er gnädig auf Abels Opfer und nicht auf Kains? Er hätte auf beide Opfer blicken können. Was als ungerecht empfunden wird, muss nicht eine Ungerechtigkeit sein. Vielleicht glaubt Kain, dass Gott nur auf Abel schaut. Vielleicht war er gerade mit seinen Früchten beschäftigt, als Gott auf ihn und sein Opfer sah. Vielleicht kann er den Blick Gottes nicht einfangen, weil der gerade mit Abels Opfer beschäftigt ist, ähnlich einem Kellner, der zu einem anderem Tisch eilt, um dann später auch zu uns zu kommen.

Kain hat jedenfalls das Gefühl, dass Gott ihn nicht sieht, das kränkt und verletzt. Geschwister haben manchmal das Gefühl, die Mutter, der Vater habe die Schwester, den Bruder lieber als sie, kämpfen um die Anerkennung und die Liebe der Eltern. Geschwisterstreit: Verletzung, Kränkung, Neid, Ohnmacht, Zorn.

Kains Gesicht verdunkelt sich. Gott sieht seinen finsteren Blick, er blickt also doch auf  Kain, aber der kann das nicht wahrnehmen, so verhärtet ist sein Herz. Gott sieht ihn nicht nur, er spricht ihn an: „Warum ergrimmst du und warum senkst du deinen Blick?“  Gott nimmt wahr, wie es Kain geht. Fast seelsorgerlich fragt er: Warum bist du zornig, erzähl mir, was los ist?“  Kain hört nicht, dass Gott mit ihm spricht. Er hört auch die Frage nicht. Er ist zu sehr mit sich selbst und seinem Vorhaben beschäftigt, als dass er seine Umwelt wahrnimmt. Er hört nichts und sieht nichts, er ist taub gegen Fragen, die ein Gespräch eröffnen könnten. Gott fragt nach seinen Gefühlen: Warum bist du so böse, erzähl es mir, vielleicht kann ich dein Unglück wenden. Wenn es sich nicht wenden lässt, zumindest im Moment nicht, so tut es dir vielleicht gut, wenn du mit mir darüber redest.“

Kain geht auf Gottes Angebot nicht ein, ist gefangen in seinen Gefühlen. In seiner Wut und in seinem Zorn verzerrt sich sein Gesicht. Gott merkt das, warnt ihn, sich nicht von seinen bösen Gedanken beherrschen zu lassen und ihnen Raum zu geben: Warum senkst du deinen Blick? Wenn du ein reines Gewissen hast, kannst du deinen Blick  frei erheben. Wenn du kein reines Gewissen hast, ist es ein leichtes, dass die Sünde nach dir verlangt. Sie lauert vor deiner Tür und wartet nur darauf, dass du schwach wirst. Bezwinge das Böse anstatt sich vom Bösen beherrschen zu lassen.“

Gottes Gesprächsversuche, ob einfühlsam oder warnend, sind vergeblich. Kain muss seinen Gedanken Einhalt gebieten, wenn er ihnen keine Grenze setzt, werden sie sich verstärken und ausbreiten, gar am Ende noch etwas anrichten. Dem Bösen sind Tür und Tor geöffnet. Die Bibel nennt das Sünde. Kain verweigert die Kommunikation mit Gott. Dem Abbruch der Kommunikation mit Gott folgt dem radikalen Bruch mit seinem Bruder. Er lockt ihn auf‘s Feld und schlägt ihn tot.

Was keiner sehen sollte, Gott hat es gesehen, er behaftet ihn auf seine Schuld: „Wo ist dein Bruder Abel?“ Das ist keine echte Frage, Gott weiß längst Bescheid, er hat ihn gewarnt, sich nicht an seinen Bruder zu vergreifen, der Sünde nicht die Oberhand zu geben. Kain hat sich darüber hinweggesetzt, zielstrebig die böse Tat geplant, vorangetrieben und ausgeübt. Er wollte es unbemerkt tun, damit ihn niemand zur Verantwortung zieht. Das Blut Abels schreit zum Himmel. „Wo ist dein Bruder Abel“ ist eine Anklage, deckt die Schuld Kains auf, nimmt ihn in die Verantwortung.

Kain fühlt sich in die Enge getrieben, geht in die Offensive, jetzt fängt er an, mit Gott zu reden, dreist lügt er ihm ins Gesicht: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ meint: Weiß ich doch nicht, soll ich etwa auf ihn aufpassen? Der ist alt genug, soll selber sehn, wie er zurechtkommt. Der Sünde der Tat folgt die Sünde der Lüge. Es ist nicht egal, was in unseren Köpfen vor sich geht, es ist unsere Verantwortung, wie weit wir bösen Gedanken freien Lauf lassen, es ist nicht egal, was wir reden und denken. Gedanken schaffen sich Raum, wollen Wirklichkeit werden. Gott hat uns zu freien Menschen gemacht, wir können unterscheiden zwischen gut und böse, wir müssen uns nicht versündigen.

Kain wird um seiner Tat willen von Gott verflucht. Ihn erwartet eine harte Strafe. Er, der Ackerbauer, soll nicht mehr vom Acker leben können. Der Acker wird ihm seine Frucht verwehren. Er wird ein Getriebener sein, der keine Ruhe und keinen Boden mehr unter den Füßen findet. Kain begreift die Härte seiner Strafe, erfasst, dass er die Zuwendung Gottes verloren hat, erfasst, dass er hinfort keine Heimat mehr hat und sich nicht ernähren kann. Er wird vogelfrei, ist Menschen und der Unbill der Natur ebenso wie den wilden Tieren schutzlos ausgeliefert. Abels Tötung wird seine eigene Tötung nach sich ziehen. Es ist letztlich nicht Gott, der ihn verflucht, es ist der Fluch der bösen Tat, der ihn selber trifft.

Kain nimmt nun selbst das Gespräch mit Gott auf, fleht um Gnade. Gott lässt sich erweichen, erweist sich als barmherzig und gnädig. Kain darf leben. Gott macht ihm ein Schutzmal auf seine Stirn, niemand darf Kain nach dem Leben trachten. Er wird hinfort ein Leben in Rast- und Ruhelosigkeit führen, in Unfrieden wird er sterben. Er hat sein Leben verwirkt, er hätte es anders haben können.

Die Bibel warnt: Von bösen Taten geht ein Fluch aus, der auf den Täter selbst zurückfallen wird. Diese Mahnung ist an alle Kains dieser Welt gerichtet, die Unrecht tun. Wenn sie nicht von den Menschen zur Verantwortung gezogen werden, dann von Gott. Die Bibel tröstet die Abels dieser Welt, die zwar nicht von Gewalt verschont bleiben, die aber von Gott angenommen sind. Gott ahndet Unrecht, vor ihm hat Gewalt keinen Bestand.

Lied

„Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen“ (EG Nr. 675, Anhang des EG der Ev.-ref. Kirche u.a.)      

     

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Ein Kommentar zu “„Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen …“

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Um den Geschwisterneid in den Familien geht es in der Einleitung der Predigt und in der Predigt selbst. Der Theologe Eugen Drewermann hat das Thema übrigens immer wieder tiefenpsychologisch in mehreren Bücher vertieft. Diese Predigt stellt heraus, dass Gott auch manchmal ungerecht ist, wenn er das engagierte Opfer von Kain nicht annimmt. Allerdings spricht Gott dann Kain wegen dessen gefährlichen Blicks an. Kain verweigert das Gespräch mit Gott und mordet seinen Bruder. Danach spricht Gott ihn an. Kain lügt und weiss nichts von seinem Mord. Danach aber fleht er um Gnade . Gott lässt ihn leben. Die Predigt endet tröstlich, weil Gott sich um alle Abels unserer Welt und uns Sünder kümmert. – Die Predigt verkündigt sehr verständlich und überzeugend die zweite Sündenfallgeschichte der Bibel. Nachdenklich und getröstet geht man weiter.

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