„Liebe, die alles umfängt …“
Einsamkeit überwinden durch Verständigung, Gemeinschaft, Liebe
Predigttext: 1.Korinther 14,1-3. 20-25(26.27), Übersetzung nach Martin Luther
1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!
2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen.
3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung.
20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen.
21 Im Gesetz steht geschrieben (Jesaja 28,11-12): »Ich will in andern Zungen und mit andern Lippen reden zu diesem Volk, und sie werden mich auch so nicht hören, spricht der Herr.«
22 Darum ist die Zungenrede ein Zeichen nicht für die Gläubigen, sondern für die Ungläubigen; die prophetische Rede aber ein Zeichen nicht für die Ungläubigen, sondern für die Gläubigen.
23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?
24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt;
25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, dass Gott wahrhaftig unter euch ist.
( 26 Wie ist es denn nun, liebe Brüder? Wenn ihr zusammenkommt, so hat ein jeder einen Psalm, er hat eine Lehre, er hat eine Offenbarung, er hat eine Zungenrede, er hat eine Auslegung. Lasst es alles geschehen zur Erbauung!
27 Wenn jemand in Zungen redet, so seien es zwei oder höchstens drei und einer nach dem andern; und einer lege es aus.)
Einführung zum Predigttext
Paulus hatte die Gemeinde in der damaligen Weltstadt Korinth in eineinhalb Jahren aufgebaut. Zuerst mit Juden, dann auch mit multikulturellen Heiden. Bald waren gnostische und ekstatische Strömungen mit Zungenreden an der Reihe. Es gab Streit. Paulus war nicht total gegen Zungenreden mit religiöser Verzückung, aber ihm lag an der Verständlichkeit der Verkündigung und der Gemeinschaft. Davon handelt der Predigttext. Er strebt einen Kompromiss an zwischen beiden Glaubenshaltungen. Übrigens betont auch der Theologe Paul Tillich in seiner Systematischen Theologie als einen Pol die ekstatische, transzendente Dimension des Glaubens. Weil Streit durch Zungenreden bei uns heute keine Bedeutung hat, aber Einsamkeit durch Streit aktuell ist, ergibt sich das als Predigtthema. Dazu: Liebe hilft gegen Einsamkeit.
Predigtidee
Diese aktuelle Predigtidee kann man im Dt. Pfarrerblatt, Heft 5, 2018, S.276, begründet finden von Pfarrerin Anja Wessel: Paulus fordert uns auf zur nicht romantischen, christlichen Liebe. Das aktuelle, zu wenig beachtete Problem unserer ganzen Gesellschaft heute ist die Vereinsamung durch die Computer-Kultur und bei alten Menschen und in vielen Single-Haushalten. Prof. Manfred Spitzer hat dazu das aktuelle Buch geschrieben: „Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit“. Noch aktueller für unsere Zeit ist die These des Hamburger Pastoral-Psychologen Pastor i.R. Dr. Gunnar von Schlippe: Alle Fehlverhalten führen in die Einsamkeit. D.h. wer sich unmöglich und bösartig benimmt, wird von allen gemieden. Zu dem Gesellschaftsproblem der Einsamkeit durch Streit und Fehlverhalten bietet die kirchliche Lehre und das Gebet und das Bibellesen und besonders die Gemeinschaft in der Gemeinde die beste Lösung und Heilung. Aus dem Text, ergänzt durch die Verse 26 und 27, ergibt sich dann folgende Gliederung einer Predigt: Gegen die Streitigkeiten, aus denen Einsamkeit folgt, helfen nach Paulus
- liebende Menschen mit verstehbarem, kommunikativem, heiligem Geist.
- Es hilft gegen Einsamkeit , wenn Gottes Wort mit klaren, überzeugenden Worten gepredigt und übertragen und gelebt wird.
- Ein gemeinsamer liebevoller Aufbau der Gemeinde als Leib Christi vertreibt Streit und Einsamkeit.
Von den Bibelübersetzungen des anspruchsvollen Textes empfehle ich die Übertragung von Jörg Zink und die Übersetzung Gute Nachricht.
Das Gefühl der Einsamkeit begleitet heute viele alte und alleinstehende Menschen bis zum Schluss in ihrer meistens großen Familie. So erging es meiner Großmutter mit ihren neun Kindern, Schwiegerkindern und vielen Enkelkindern. Der Familienzusammenhalt ist heute oft geringer. Wie viele Menschen sitzen heute tagelang einsam und allein vorm Fernseher und lassen sich unterhalten. Und junge Menschen kommunizieren heute mit ihrem Handy oder Smartphone zwar viel leichter. Aber die Kommunikation Auge in Auge und mit warmen Blicken geht verloren. Aus Seelsorge -Gesprächen ergibt sich, dass auch clevere Führungskräfte oft recht einsam sind. Sie fürchten die Konkurrenz und die Indiskretion, wenn sie vertraulich reden mit anderen.
Besonders bitter ist, dass es in fast jeder Familie unversöhnte Konflikte gibt und sogenannte „schwarze Schafe“. Noch bitterer ist es, wenn man entdeckt, dass eigenes Fehlverhalten und schwer verzeihbare Fehler einen selbst in die Einsamkeit geführt haben und man keine Lösung sieht für den unausgegorenen Groll.
Streitigkeiten
In der Gemeinde in Korinth gab es damals bittere Streitigkeiten zwischen zwei Glaubenshaltungen. Die einen glaubten mit den Worten des Alten Testaments und von Jesus ähnlich wie wir heute. Andere lebten einen schwärmerischen, gefühlvollen Glauben mit der Erkenntnis höherer Welten und Verkündigung durch religiöses Stammeln , wilden Gesten und Ekstase. . Dadurch drohte eine Spaltung der jungen Gemeinde und ein Ende der Gemeinschaft, die Zerstörung des einen Leibes Christi und neue Einsamkeit der Christen. Wer ein Streithammel ist oder bösartig, wird gemieden. und gerät in Einsamkeit. Paulus schreibt den Korinthern und bemüht sich um einen Kompromiss: „Müht euch darum, liebende Menschen zu werden. Müht euch darüber hinaus aber auch um die Gabe des Heiligen Geistes und strebt vor allem danach, Gottes Wort und Willen in menschlichen Worten nachzusprechen.“ „Wer Gottes Willen in klare menschliche Worte fasst, wendet sich an Menschen und baut mit seiner Rede am Heiligtum der Kirche. Er hilft den Menschen zu den richtigen Entscheidungen und spricht ihnen Trost zu.“ ( Vv 1-3 Übertragung J. Zink )
Verständigung
Verständlich, klar und gleichzeitig begeisternd zu predigen war damals und ist auch heute eine schwere Aufgabe. Im wissenschaftlichen Zeitalter herrscht viel Verwirrung. Besonders mit den Naturwissenschaften und der Psychologie gibt es viel Streit. Davon kann jeder Seelsorger und jede Seelsorgerin ein Lied singen. Als nebenamtlicher Religionslehrer an der Oberstufe des Gymnasiums Johanneum, wo auch Willi Brandt mal Schüler war und in einem Gesprächskreis auch mit einigen Studierten hat, man damit zu tun, den christlichen Glauben überzeugend zu vermitteln. Mit den Theologen Paul Tillich und Eugen Drewermann habe ich danach gute Erfahrungen gemacht, während ich zuerst im Pfarramt manchmal ausgelacht wurde. Diese Aufgabe aber haben wir als Christen, so gut wir es können, unseren Glauben weiterzusagen. Eine große Hilfe, es zu lernen, sind Bibel- und Gemeindekreise. Alle lernen dazu. In Lübeck gibt es wunderbar einen Bibelkreis für Theologen in jeder Woche seit 60 Jahren, wo Pastoren sich im Bibelgespräch auf die Sonntagspredigt vorbereiten. In diesen Kreisen entsteht meistens eine wunderbare christliche Verbundenheit. Es ist als ob Jesus selbst dabei ist und wir trotz aller persönlichen Unterschiede einen Organismus, den Leib Christi bilden.
Gemeinschaft
Nun zum Hauptthema: Überwindung der Einsamkeit. Die Gemeinschaft in der Kirchengemeinde. Bei unzähligen Besuchen in meiner Gemeinde habe ich immer eingeladen in die vielfältigen Gemeindekreise vom Kindergottesdienst bis zum Kirchenchor. Bei meiner Verabschiedung wurde scherzhaft gesagt: „Sie haben immer alle hartnäckig eingeladen – bis zwei Schritte vor der kriminellen Nötigung“. Aber Jesus selbst hat uns aufgefordert, für die Kirche und den Glauben entschieden zu missionieren. Besonders wichtig ist es auch, einsame und trauernde Menschen in die Gemeinde einzuladen. Mancher Trauernde hatte vorher nur noch seinen Ehepartner. Kirchengemeinden nehmen Mitmenschen gewöhnlich offen und gern auf. Es geht aber nicht nur um Gemeinschaft. Der Glaube tröstet Menschen wie sonst nichts. Trauer, Sorgen und die großen Existenzfragen kann man mit Jesus tragen. Jesus ist der ständige Freund und Bruder und Begleiter für uns Christen. Jesus ist der Freund, der uns als Gottes Sohn bis zum ewigen Reich Gottes begleitet. Wir sind mit ihm nie mehr einsam und allein.
Liebe
Die Einsamkeit der Menschheit im Weltall ist schließlich ein modernes Thema: Das Weltbild mit der Erde auf einer Scheibe war übersichtlich und gemütlich. Im heutigen Weltbild ist unsere Erde nur ein Staubkorn und wir sind ein Staubkorn auf diesem Korn. Professor Lesch und Teilhard de Chardin aber haben in der Neuzeit herausgestellt, dass die ganze Entwicklung der Erde, des Lebens und des Weltalls durch Gottes und Jesu Liebes-Programm aufgebaut wurde und zum Ziel des ewigen Lebens in Gottes ewigem Reich führen wird. Weil kleinste Atomteilchen sich lieben, entstehen Atome, dann Moleküle Einzeller. Diese verlieben sich zu und Mehrzellern und Lebewesen und Tiere und Menschen. Daraus entsteht Jesus mit seinem Liebesprogramm bis zum ewigen Reich Gottes. Das wird Einsamkeit bei uns ewig beenden. So besingt es das moderne Kirchenlied von Claus-Peter März:
„Wenn das Leid jedes Armen uns Christus zeigt und die Not, die wir lindern zur Freude wird, dann hat Gott unter uns schon sein Haus gebaut, dann wohnt er schon in unserer Welt. Ja, dann schauen wir heut´schon sein Angesicht, in der Liebe, die alles umfängt“.
Wie gut dass wir beten können gegen alle Einsamkeit: „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe frage ich nicht nach Himmel und Erde. Wenn mir auch Leib und Seele verschmachtet bist du doch allezeit meines Herzens Trost und mein Teil“.
Der Prediger hat ein wichtiges gesellschaftliches Thema aufgegriffen: Die Einsamkeit. Er bezieht in seine Überlegungen Fachleute ein wie Professor Spitzer mit seinem aktuellen Buch „Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit“ und Dr. Gunnar von Schlippe, der die These aufgestellt hat, dass alles Fehlverhalten letztlich in die Einsamkeit führt. Gibt es Hilfe? Ja, die gibt es. Eindrucksvoll und begründet aus eigener Erfahrung empfiehlt Pastor Rußmann die Beschäftigung mit biblischen Texten und die Gemeinschaft mit christlich eingestellten Menschen, besonders in Kirchengemeinden. Schmunzelnd nimmt der Leser und beim Vortrag der Predigt, sicher auch die hörende Gemeinde, zur Kenntnis, wie intensiv, ja hartnäckig er zu seinen Veranstaltungen eingeladen hat „bis zwei Schritte vor der kriminelle Nötigung“. Die humorvolle Selbstkritik gefällt mir und tut dem Anliegen, durch unverdrossenes Einladen Menschen in Gemeinschaft zu bringen, keinen Abbruch. Eine interessante, vielseitige und hilfreiche Predigt, die Leser- und Hörerschaft sehr ansprechen wird.