„Drei Dinge möcht` ich sehn“, dichtete einst der dänische Lyriker Johannes Ewald, „den Tropfen aus Neptuns salz`gem Schoß, den sich die Sonne greift und nicht in Süßwasser verwandelt; die bitt`re Blume, aus der die witz`ge Biene nicht Stoff für ihren Honig saugte; das Gift zuletzt, aus dem des Weisen Brust nicht Tugend oder sel`ge Lust bereitet”. Ich möchte diese Reihe weiterspinnen: die verstockte Härte möchte ich sehen, die Gott nicht in eine Stimme wandeln könnte, welche einmal nur noch seinen Namen preist.
Was Paulus im Predigttext an die Gemeinde in Rom geschrieben hat, hat es fürwahr in sich. Er betritt ein Gelände, in das man sich nur hineinwagen sollte, wenn man einander vorher gut gesichert hat, etwa so wie man es vor einer anspruchsvollen Bergtour tut. Paulus konnte davon ausgehen, dass das zwischen ihm und seinen Briefempfängern in Rom erfolgt war. Denn kurz vorher in seinem Brief hat er davon gehandelt, wie Gott Menschen machtvoll beruft, um sie mit seiner eigenen Herrlichkeit zu verherrlichen. Gott tut das mit Macht, mit einer Macht freilich, die von ganz eigener Art ist. Keine der üblichen Vorstellungen von Macht, wie sie in unserer Welt im Schwange sind, hat sie auf ihren Schirmen. Sie passt auf keine der Skalen, an denen Macht dieser Welt sich gerne mit ihresgleichen vergleicht.
Will man Gottes Macht, in der für uns eintritt, in die Sprache der Machtvorstellungen dieser Welt übersetzen, geht es so ähnlich, wie wenn man eine Sache aus einer höheren Dimension in einer niedrigeren abbildet. Es kommt etwas heraus, was sich verwirrend und paradox ausnimmt. Sie sieht dann einerseits einer puren Selbstpreisgabe ähnlicher als imponierender Stärke. Denn sie gründet darin, wie Gott in Jesus Christus unumstößlich zu uns steht, so dass er jederzeit an unsere Stelle zu treten bereit ist, stehe es um uns wie es wolle. Andererseits baut darauf eine strahlende Gewissheit auf, die allem zu trotzen bereit ist. „Wenn Gott derart für uns ist, wer kann dann gegen uns sein?“, fragt diese Gewissheit in jubelndem Ton. So wahrgenommen stellt sich die Macht, in der Gott uns beruft, in den Dimensionen dieser Welt wie eine Macht dar, die jenseits von deren Reichweite liegt, so als habe Gott alles schon wie im Voraus vorherbestimmt. Auf diese Gewissheit kommt der Apostel ganz am Ende des Predigttextes zurück:
„Gott macht seine reiche Herrlichkeit an den Gefäßen des Erbarmens bekannt, die er zur Herrlichkeit vorherbestimmt hat“, so vernehmen wir da. Mehr noch: Paulus bezieht uns von vornherein in diese strahlende Gewissheit ein. „Zu ihr hat Gott uns berufen“, hören wir. Wir dürfen es für uns so annehmen wie es da steht: Gott hat uns berufen, dass sich seine Herrlichkeit in uns spiegeln wird – so wahr wir als gottesdienstliche Gemeinde diese Worte empfangen wie Paulus sie damals an die Gemeinde in Rom geschrieben hat. Kein Hauch eines Zweifels muss da aufkommen. Kein Wenn und Aber hat da hereinzureden. Wer anfängt, dieses als sein höchstes Glück zu begreifen, wird beginnen, etwas von Gottes Wegen in unserer Geschichte zu ahnen. Mit dieser strahlenden Gewissheit im Rücken können wir uns nun von Paulus mitnehmen lassen auf eine Tour durch ein Gelände, auf dem sich manche Abgründe auftun und auf dem man sich in verzwickten Labyrinthen heillos verirren kann. „So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen. Denn die Schrift sagt zum Pharao: ´Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde`“.
In seinem Roman „Nachtzug nach Lissabon“ lässt Pascal Mercier uns in der Geschichte eines jungen Mannes nachempfinden, wie gefährlich das Terrain werden kann, durch das Paulus uns begleitet, wenn einem die strahlende Gewissheit fehlt, die der Apostel voraussetzt. Amadeu do Prado, so heißt er, ist ein ebenso hochbegabter wie leidenschaftlicher und empfindsamer junger Mensch. Er wird später als Arzt arbeiten und auch im Widerstand gegen die Diktatur aktiv, die in Portugal bis 1974 mit brutaler Gewalt herrschte. Eines Tages nun stößt der noch jugendliche Schüler auf die biblische Geschichte von Pharaos Verstockung. Da ist es um sein Vertrauen zu Gott geschehen. „Gott straft Ägypten mit Plagen“, ruft er empört aus, „weil Pharao in seinem Willen verstockt ist. Aber es war Gott selbst, der ihn so gemacht hat, um dann seine Macht demonstrieren zu können! Was für ein eitler, selbstgefälliger Gott!“
Pascal Merciers Romanfigur ist nicht der Erste und Einzige, der sich flammend über die entsprechenden Passagen in der Bibel empört hat. Ich erteile aber gerne ihm das Wort. Denn Amadeu do Prado ereifert sich nicht nur leidenschaftlich über diese Stelle. Er erleidet auch an eigener Seele die Schattenseiten davon, wenn ein Mensch mit solchen Vorstellungen letzter Machtinstanzen im Kopf aufwächst und niemand ihm beisteht. Er trägt nämlich auch ein sehr fein ausgeprägtes Gewissen in sich. Ja, er lebt von klein auf wie vor einem ständigen inneren Gerichtshof, vor dem ihm eine kaum erfüllbare Erwartung nach der anderen zu Anklage wird. Wo Menschen sich so wie vor einem ständigen inneren Gerichtshof erleben, ist es vollkommen gleich, ob diese Richt- und Urteilsinstanz mit Gott verbunden ist oder ob jemand klagen möchte: „Die Anderen sind mein Gerichtshof“, wie es Pascals Merciers Romanfigur einmal tut.
Manchmal kann man sogar sich selbst zu einem derartigen inneren Gerichtshof werden. Wie auch immer, es ist auf Dauer kaum auszuhalten. Denn aus fast allem, was man tut und erlebt, droht immer nur die Botschaft zu künden: Du kannst dich abstrampeln wie du willst. Am Ende kommt es doch so, wie es woanders beschlossen wurde. Wehe den Menschen, die in solche Abgründe fallen. Wehe denen, die sich in den Labyrinthen solcher inneren Dialoge verirren. Wohl hingegen den Menschen, die ihr Glück erfassen, wie Gott uns mit Macht dazu berufen hat, dass sich seine Herrlichkeit einmal auch in uns wiederspiegeln wird. Mit einer Macht hat Gott uns dazu berufen, wie sie diese Welt auf keinem ihrer Schirme hat und schon gar nicht auf den Skalen ihrer Machtvorstellungen führt. Das ist die Macht, in der er zu uns steht wie jemand, der jederzeit an unsere Stelle zu treten bereit ist. Diese Macht wird sich zuletzt so machtvoll erweisen, dass sie alles, was man bis dahin als Macht anstrebte, in den Schatten stellt, auch wenn sie keines der Merkmale trägt, wie sie Macht normalerweise kennzeichnen.
Um dieses Ziel geht es in dem Konflikt zwischen Pharao und Gott in der biblischen Geschichte. Da ist ein Regime, das wie ein Inbegriff für alle Gewalt- und Schreckensherrschaft stehen kann. Wie Arbeitstiere werden da Menschen massenweise verheizt, so als habe ihr Dasein kaum eine andere Bedeutung. Gedemütigt werden sie obendrein nach Strich und Faden. Das horrende Szenario kann sich noch steigern. Dann kommen Pläne auf, die man als „Endlösung“ entworfen hat. Schon Pharao hat so etwas geplant. Ein ganzes Volk soll ausgerottet werden, so als seien die Menschen bloß wie Ungeziefer zu behandeln. Doch auch damit ist noch nicht genug. Diejenigen, die vollgepumpt sind mit dem Gift entsprechender Parolen und Ideologien, sind meist durch nichts mehr erreichbar, was sie von ihrem Treiben abhalten könnte. Kein Schmerzensschrei dringt an sie. Keine Ton- oder Bildaufzeichnung von dem unsagbaren Leid, das sie angerichtet haben, vermag ihre inneren Panzer zu durchdringen. Kein Argument wird sie überzeugen.
Doch nun stelle ich mir vor, beginne zu träumen: Immer mehr Menschen fangen an, die strahlende Gewissheit als ihr höchstes Glück zu begreifen, dass Gott uns berufen hat, um sich seine Herrlichkeit in uns spiegeln zu lassen. Immer mehr Leute beginnen, sich vor allem darauf mehr als auf jede andere Macht und Stärke zu verlassen. Könnte es darüber nicht auf Dauer immer enger werden für Pharao und seinesgleichen? Ist es nicht tatsächlich immer dann eng geworden für allerlei Pharao ähnliche Potentaten, wo Menschen ernsthaft bereit waren, vor allem aus solcher Gewissheit heraus zu leben und dafür zur Not auch mit ihrem Leben zu bezahlen? Würde nicht eines Tages daraus sogar einmal eine Bewegung entstehen können, auf die hin sogar die Schirme dieser Welt anfangen zu registrieren, dass sich da etwas mit Macht tut? Würde nicht – Schritt für Schritt und Zug um Zug – immer deutlicher, was die Schrift dem Pharao auf den Kopf zugesagt hat: „Darum habe ich dich zum Dasein erweckt, damit ich an dir meine Macht kundtue und damit so mein Name auf der ganzen Erde umso bekannter wird“?
Die Schrift selber deutet jedenfalls eine wundersame Umkehr an. Indem sie uns nämlich ermutigt, uns Pharaos Wollen und Laufen einmal wie ein einziges großes Schattenboxen vorzustellen, weist sie ihm zugleich die Rolle zu, Fackelträger zur Ehre des Namens Gottes geworden zu sein. Noch der, der am Ende wirklich mit seiner Macht nichts mehr ausrichten konnte, schneidet dann zuletzt wie jemand ab, an dem man auch noch etwas vom Widerschein der göttlichen Herrlichkeit findet. Auch er bekommt noch seinen Anteil an ihr. Unfreiwillig zwar, ja gegen seinen erklärten Willen. Aber immerhin: Fackelträger von Gottes Ruhm zu sein, ist ganz unrühmlich nicht. Staunen werden wir darum zuguterletzt gewiss, wie Gottes Wort auch in verstocktester Härte noch etwas finden und aus ihr bilden kann, was einmal für seine Herrlichkeit wirken muss – die Herrlichkeit, die Gott mit uns teilen will.