Wer von uns kann sich der Magie eines Jahresanfangs entziehen? Es ist ja ein ganz normaler Tag, dem ganz normale Tage folgen werden. Aber vielleicht brauchen wir Menschen derartige Einschnitte, damit wir ein Gefühl für Zeit haben. So feiern viele von uns Geburtstage, um einen „Abschnitt“ in der Zeit zu spüren. Aber was sagt man an einem Tag wie dem heutigen? Viele wünschen sich Glück und Segen für das neue Jahr. Andere tanzen in das neue Jahr hinein. Manche sind aber auch zuhause und genießen das Feuerwerk, die Farben, die Ruhe. Wir sind heute Abend in einem Gottesdienst zusammengekommen. Was wollen, was suchen wir? Welcher biblische Text ist heute Abend der richtige? Die Kirche hat uns seit ca. 1000 Jahren für heute einen Text empfohlen, der nur einen Vers umfasst: Lukas 2, Vers 21:
Als 8 Tage erfüllt waren, um ihn zu beschneiden, da wurde sein Name genannt: Jesus, so genannt von dem Engel vor seiner Empfängnis im Mutterleib (Uterus).
I
Wenn wir uns mit diesem Vers beschäftigen, dann werden wir zuallererst von der Beschneidung Jesu sprechen. Ja, er ist beschnitten worden wie jeder Jude - und auch Muslim - bis heute beschnitten wird. Und wenn keine gesundheitlichen Probleme dazwischenkommen, dann ist der 8. Tag der richtige und im jüdischen Gesetz vorgeschriebene Termin, an dem die Vorhaut des Penis abgeschnitten wird. Bei Mädchen wird dies nicht praktiziert, wenn sie von einer jüdischen Mutter geboren werden. Aber die Jungens werden mit diesem Gotteszeichen versehen. Und damit wird ein für allemal gezeigt, dass Gott diesen Jungen annimmt, ja, dass Gott sich an diesen (kleinen) Menschen bindet.
Am Anfang des Lebens steht mit der Beschneidung also eine Beschädigung, ine Verletzung. Was mag der Sinn der Beschneidung sein? Der Mann soll sich nicht allmächtig gegenüber Gott vorkommen? Darum trägt er ein Zeichen an seinem Potenzorgan. Vielleicht ist für die Frauen die Menstruation mit ihren Schmerzen und Beeinträchtigungen auch ein Hinweis auf eine „Beschädigung“ (s. Gn 3,16). Gott steht eindeutig auf der Seite der Beschädigten, der Verletzten, der „Impotenten“, der Verlierer. Warum? Vielleicht weil diese Menschen mit ihrer Versehrtheit eine Referenz haben und Heilsein, Gesundheit, Kraft, Hoffnung, Liebe anders empfinden als die Potenten, die Starken, die Unversehrten. Vielleicht ist die Beschneidung auch ein Zeichen für die Dankbarkeit dem Leben, den Menschen und dann auch Gott gegenüber. Diese Dankbarkeit von uns Versehrten steht am Beginn dieses neuen Jahres, und dass wir getragen sind bis hierher - sicherlich auch mit unseren Kräften, Gedanken und Fähigkeiten. Und doch bleibt es auch ein Wunder, dass wir bewahrt sind und den Schritt in ein neues Jahr 2025 gehen können.
II
Das Zweite: Wir Menschen sind schon vor unserer Empfängnis gewusst. Von wem? Von den Eltern? Ist es die Liebe zwischen Mann und Frau, die in die Zeugung eines Kindes münden kann? „Jetzt müssen wir mit Allem rechnen.“ Damit ist die Freude am Sex nicht minder bewertet. Aber der (unbewusste) Wunsch nach neuem Leben ist doch ein nicht unbedeutender Teil der Erotik. Noch etwas anderes mag deutlich werden: Wir Menschen sind in einen Zeitrahmen eingefasst, der die Zeit sprengt. Außerhalb unserer chronometrischen Strukturierungen gibt es eine Zeit, die wir nicht erfassen können. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von der Erschaffung der Welt in sieben Tagen. Hier versagt jede Uhr-Zeit gegenüber einer Zeit, die wir weder beeinflussen noch verstehen können.
Wenn der Beter in Ps 31 sagt: „Meine Zeit steht in deinen Händen“, dann spricht er von seinem Leben, seinem „Schicksal“, von seinen Gedanken, Gefühlen und Vorhaben. All dies weiß er in Gottes Hände gelegt. Es ist ein großes Vertrauen des Betenden. „Alles wird gut“, sagen wir. Manche mögen hier auch von Resistenz sprechen, wieder andere von Heiterkeit: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen. Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf um Stufe heben, weiten“. So schrieb der Dichter Hermann Hesse im Mai 1941 nach schwerer Krankheit. Wenn wir schon vor unserer Zeugung gewusst sind, mag in uns eingelegt sein der Ansatz von Vertrauen, Hoffnung und - Heiterkeit. Und dies dürfen wir in der Zeit unseres Lebens leben - im Bewusstsein, „von guten Mächten wunderbar geborgen“ (D. Bonhoeffer) zu sein. Mit diesem Glauben ins neue Jahr zu gehen, ist doch ein schöner Anfang!
III
In einem dritten Teil wollen wir uns mit dem Namen befassen. Der kleine Junge aus der Krippe in Bethlehem erhält bei der Beschneidung seinen Namen. Was ist er vorher? Ein Mensch, der schon vor seiner Geburt gewusst war - vielleicht von seinen Eltern, vielleicht von Gott. Er war schon Teil des Lebens, Teil der Welt, war Hoffnung für die Menschen - für manche vielleicht das Ziel ihres Lebens. Das Neugeborene ist das Zeichen für Leben an sich. Darum ist es so furchtbar, wenn z.B. im Krieg Säuglinge und Kinder sterben. Damit ist das Leben an sich gefährdet. Wer freut sich nicht, wenn er im Kinderwagen ein Kind sieht, das ihn anblickt, anlächelt und vielleicht ein paar Töne macht?
Das Kind erhält einen Namen. Es erhält ein Zeichen seiner Einzigartigkeit inmitten von 8Md. Menschen auf dieser Erde. Wenn ich den Namen eines Menschen kenne und ihn anrufe, dann wird er sich melden, weil er sich angesprochen fühlt. Viele Eltern machen sich Gedanken über den Namen: „Wie wollen wir unser Kind nennen?“ In früheren Zeiten wurden Heiligen-Namen genommen, die etwas von ihrer Kraft abgeben sollten. Manchmal sollte es auch ein Auftrag an das Kind sein, wenn es etwa Christoph genannt wurde: Christus-Träger. In unserem Predigttext wird ein Mensch „Jesus“ genannt - auf deutsch „Gotthilf“. Und dieser Name sollte Programm für diesen Menschen werden und sein. „Dieser Name Jesus war in der jüdischen Geschichte vor allem in den Familien der Priester und Leviten üblich, insbesondere in Erinnerung an Jeschua, den Sohn Jozadaks, den Stammvater des nachexilischen Priestertums (vgl. Haggai 1+2; Sacharja 6,11; Esra 6,15)“ (Ch. Ottemann).
Der Name „Jesus“ erinnert an „Josua“. Wie Josua hat Jesus Menschen ins Gelobte Land geführt: Er hat ihnen Geschichten erzählt, die sie satt gemacht haben an Leib und Seele. Er hat sie körperlich und seelisch geheilt, sodass sie wieder ins Leben gehen konnten als Gewandelte, neu Geschaffene, neu Geborene.
Wir müssen auch an die Worte des Jüngers Petrus vor dem Hohen Rat denken, wo Petrus die Bedeutung dieses Namens in aller Klarheit und bis heute gültig ausruft: „Es ist in keinem anderen das Heil, auch ist kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir selig werden“ (Apg 4,12). Im Namen Jesu werden Menschen getauft. In seinem Namen werden Menschen gesegnet und in die Welt gesandt. In Jesu Namen wird diese Welt neu. Hat nicht Johann Sebastian Bach den Namen Jesus in seinem Weihnachtsoratorium gepriesen und göttlich vertont: „Jesus bleibet meine Freude, meines Herzens Trost und Saft, Jesus wehret allem Leide, er ist meines Lebens Kraft, meiner Augen Lust und Sonne, meiner Seele Schatz und Wonne, darum lass ich Jesus nicht aus dem Herzen und Gesicht“. In dem Namen Jesus wird diese unsere Welt gerettet.
Wenn wir jetzt ins neue Jahr gehen, können wir uns an diesen Jesus halten. Er hat sich mit den Beschädigten befasst, hat zugehört, Bilder vom Leben erzählt und sie in ein Gelobtes Land geführt, in dem die Menschen wieder atmen, wieder leben, lieben und lachen konnten. Sie haben wieder ihre Kraft gespürt, ihre Freude an der Welt und an den Menschen. Vielleicht können wir auch mit dieser Freude ins neue Jahr gehen, heiter und beschwingt. Es ist unser Gelobtes Land, das auf uns wartet - mit seinen Menschen, Aufgaben, Problemen und Herausforderungen. Denken wir daran: Es fließt auch Milch und Honig. Und das stärkt uns bei allem, was uns widerfährt. Gott sei Dank!