“Mehr als das Herz fassen kann …”
Bildpredigt zum Flügelaltar von Lucas Cranach d.J. (1584)
Flügelaltar in Herzform (1584), von Lukas Cranach d.J. für Colditz bei Grimma auf Lindenholz gemalt, Original heute in Nürnberg, s. Internet.
Der Silvester-Rückblick steht an, mehr als das Herz fassen kann. Die Weltpolitik hat uns einen Globalisierungs-Schub gebracht, von dem auch unsere Gemeinde nicht unberührt geblieben ist. Menschen haben sich aufgemacht als Flüchtlinge und erhoffen sich Freiheit und Frieden. Feudenheim hat deshalb kurzfristig knapp 4000 Bewohner mehr bekommen auf Spinelli, dem ehemaligen Kasernengelände. Diese Epiphaniaskirche hat das wohl spannendste 50. Geburtsjahr erlebt. Vom drohenden Abriss zur Rettung mit Hilfe der Förderer von Epiphanias, vom Betongutachten zu neuer Beleuchtung, deren Installation uns das Nationaltheater geschenkt hat. Es sind viele Kinder getauft und konfirmiert, Menschen beerdigt, aufgenommen oder verheiratet worden. Viele Gottesdienste und Feste und Versammlungen aller Art haben wir gefeiert. Wir alle bringen aber auch persönliche Gedanken, Sorgen und Dank mit: Krankheitsgeschichten, Familienereignisse, Urlaubs-Erlebnisse. Vielleicht schwingt auch noch Weihnachten nach mit seinen Liedern und Lesungen, ein echtes Baby in der Krippe, Engel aus Spinelli, Jungbläser, Konfirmandentaufen im Advent.
Mehr als unser Herz fassen kann, geht uns durch den Sinn, wenn wir zurückblicken, manches bleibt uns verborgen, an uns selbst und an anderen Mitmenschen, fremden und vertrauten. Wir haben nun aber ein Herz in der Hand, das man aufklappen kann, einen Flügelaltar in Herzform, 1584 von Lukas Cranach d.J. für Colditz bei Grimma auf Lindenholz gemalt. Heute kann man das Original in Nürnberg sehen. Das Herz ist voll von Jesus Christus, unserem Herrn. Es ist die ganze Botschaft, eine herzerfüllende Botschaft, die unserem Glauben gleichzeitig Wurzeln und Flügel verleiht. Das ist heilsam bei allem, was unser Herz sonst so umtreibt, sich dessen zu vergewissern, was uns Wurzeln und Flügel verleiht. Und im aufgeklappten Zustand hat dieses Herz tatsächlich Flügel. Die innere Geschichte erzählt von Jesus, seiner Geburt, seinem Sterben, seiner Auferstehung, also allen Ereignissen seines Lebens, die wir in einem Kirchenjahr gemeinsam feiern. Weihnachten, Karfreitag und Ostern.
Ochs und Esel haben Platz gemacht und ihre Futterkrippe umwandeln lassen zu einem Abendmahlstisch, so scheint es. Das Christkind liegt dort nackt und blos auf einem weißen Leinentuch. Die vielen Engel kommen dort zusammen, genau so wie Maria und Josef und drei Hirten, die Hirten nahen sich mit Wurfschaufel und Dudelsack, winterlich gekleidet und mit Fäustlingen, die irdischen Erstlingsboten, während darüber der Engelsgruß der Himmelsboten erscheint, den wir in jedem Gottesdienst singen: Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Im Zentrum ist Christus am Kreuz. Der Gekreuzigte hängt unter einem bedrohlich dunklen Himmel, aber der Horizont ist hell, die Welt steht in Waffen, auch um sein Gewand wird gestritten und gewürfelt, weil selbst die Gottlosen seinen Wert erkennen, ein Hauptmann kommt unter dem Kreuz zum Glauben, die Gemeinde Jesu, mit Maria und Johannes trauern gemeinsam und stützen sich gegenseitig. Ein Verbrecher verbindet sich mit Jesus, indem er zu ihm blickt, der andere wendet sich unbußfertig und verstockt ab und streckt die Zunge heraus. Der Auferstandene verwirrt mit seiner Macht die Mächte, die er überwindet und friedlich besiegt durch Worte des Lebens. Christus steht mit der Siegesfahne auf der Deckplatte, die vom Grab verrückt ist wie eine Brücke über den Tod. Von den schlafenden, stark bewaffneten Grabwächtern fährt einer erschreckt auf. Im Hintergrund nahen die Frauen. Der Zugang zur Grabhöhle ist offen. Jesus macht den Eindruck eines Triumphators. Vom Kreuz zur Krippe ist alles drin in diesem Herz. Geben wir unserem Herzen eine Melodie und eine Mitte und singen gemeinsam:
Lied “Der du die Zeit in Händen hast” (EG 64,1.6)
Wenn wir das Herz von außen betrachten, dann sehen wir den UrBaum der Erkenntnis mit Adam und Eva und die Verkündigung der neuen Erkenntnis mit Gabriel und Maria.
Die Erkenntnis des Guten und Bösen wird nicht nur beim ersten Menschenpaar, sondern bis heute durch Neugier, Verführung und Ungehorsam errungen. Der Hirsch schreit nach frischem Wasser, Fuchs und Hase sind paarweise beisammen, aber Adam und Eva, das Urbild der Menschheit kann nicht friedlich zusammen bleiben, jedenfalls nicht im paradiesischen Frieden. Zwar können wir auf dem Weg Jesu die Sehnsucht nach Frieden und Ruhe wachhalten. Aber wir werden in diesem Leben die Erkenntnis nicht mehr los, dass wir sterblich und begrenzt sind und fehlerhaft und unvollkommen durch diese schöne Welt kommen und gehen. So kommt und geht ein Lebensjahr nach dem anderen, prall gefüllt mit geglückten und missglückten Versuchen, dem Frieden nachzujagen.
Wenn wir nicht nur auf uns schauen, sondern uns Jesus als Spiegel und Maßstab der Menschlichkeit vorhalten, dann werden wir über die Spuren des Paradieses, über die Zeichen seiner Treue, Gerechtigkeit und Freude nicht achtlos hinwegsehen, sondern staunen, wie tief sich Jesus in unsere Welt hineingegeben hat. Denn er ist trotz aller Hindernisse und Hürden zur Welt gekommen. Die Erkenntnis des Heiligen Geistes kommt durch die Schrift, das Bibelstudium und das Gebet. Der Erzengel Gabriel verkündigt Maria die Geburt des Herrn. Sie kniet an einem Bet- und Lesepult. Von den aufgeschlagenen Büchern ist eines auf den Bildbetrachter ausgerichtet. Maria hat gerade Ps 117 aufgeschlagen, den kürzesten Lobpreis der Bibel, der auf eine Seite passt: Lobet den Herrn, alle Heiden. Preiset ihn alle Völker. Denn seine Gnade und Wahrheit waltet über uns in Ewigkeit, Halleluja! Die Lilien sind mit Akelei und Maiglöckchen aufgeblüht, hinter der Brüstung ein Himmelbett, der Vorhang ist aufgetan, der Heilige Geist schwebt in Form einer Friedenstaube über Maria, und sie bewegt alle diese Worte in ihrem Herzen! Unser Herz wird genährt, wenn wir es ihr nachmachen.
Gebet
Lebendiger und beständiger Gott, wie schnell die Zeit verfliegt. Zum Jahresende wird es uns besonders deutlich. Was eben noch vor uns lag, ist jetzt schon Geschichte. Wir rufen uns in Erinnerung, was gewesen ist, was uns beschäftigt hat, worüber wir uns gefreut haben und freuen, was uns bedrückt hat und bedrückt. Wir suchen, was uns befreit von aller Last, die wir mit uns herumtragen und bitten dich: lass unser Suchen nicht vergeblich sein. Komm zu uns an der Schwelle zum neuen Jahr. Stärke uns, erleuchte uns und bewahre uns! An vieles erinnern wir uns besonders deutlich: Erlebtes, Einschnitte, Abschiede, Neuanfänge in unserer Lebensgeschichte, die bewegenden Ereignisse, die uns in den Nachrichten begegneten. Aber da waren auch versäumte Gelegenheiten, unnötige Streitereien, nicht abgeschickte Briefe, unterlassene Anrufe, vergebliches Warten auf eine versöhnliche Geste. Deshalb bitten wir dich: Prüfe mich und erfahre, wie ichs meine, und sieh, ob ich auf falschem Wege bin, und leite mich auf beständigem Weg.
Kyrie eleison …
Zuspruch aus Gottes Wort:
Barmherzig und gnädig ist der Herr, geduldig und von großer Güte.
Ehre sei Gott in der Höhe …