Menschenweisheit und Gottes Weisheit
Die Schwachheit der Liebe ist Gottes wunderbare Weisheit
Predigttext: 1. Korinther 2,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther)
1Auch ich, liebe Brüder, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen.
2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.
3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern;
4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft,
5 damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.
6 Wovon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei den Vollkommenen; nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen.
7 Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit,
8 die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, so hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.
9 Sondern es ist gekommen, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.«
10 Uns aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit.
Unsere Weisheit
Als Religionslehrer in der Schule steht man manchmal ganz schön hilflos da. Da kommt man in Versuchung, andere Lehrer zu beneiden: Den Erdkundelehrer, der eine Landkarte mitbringen kann und von schönen Ländern zu erzählen weiß. Den Chemielehrer, der mit spannenden Versuchen die Aufmerksamkeit einer ganzen Klasse gewinnt. Den Mathematiklehrer der mit seinen gekonnten Zahlenspielen sich des Respektes seiner Schüler gewiss sein kann.
Armer Religionslehrer! Keine schönen Länder – keine aufregenden Experimente – keine faszinierenden Zahlen. Da ist nichts, was die Schüler in den Bann schlagen könnte. Mit leeren Händen steht man als Religionslehrer vor der Klasse und zappelt sich ab. Fängt man an, von Christus zu erzählen und seiner Bedeutung für uns, gerät man schnell ins Philosophieren. Gähnendes Desinteresse legt sich auf die Schüler. Wie kann man vom Kreuz so erzählen, dass der Gekreuzigte für die Schüler „lebendig“ wird?
Schon der Apostel Paulus ist sich dessen bewusst: „Auch ich, liebe Geschwister, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkünden. … Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern.”
Selbst der große Apostel Paulus, der die schönen Länder des Mittelmeeres bereist und christliche Gemeinden gegründet hat, dem in Athen das Experiment, den „unbekannten Gott der Athener“ mit der Christusgestalt zu füllen, misslungen ist, der fantastische Zahlen der Statistik in seiner Missionstätigkeit aufweisen kann, selbst er muss sich seine Hilflosigkeit eingestehen.
„Wovon wir reden,… ist nicht eine Weisheit dieser Welt.” An den Gräbern stehen wir und bezeugen angesichts der schmerzlichen Vergänglichkeit, die uns in tiefe Trauer stürzt, das Geheimnis Gottes. Wir sprechen davon, dass Gottes Wege unergründlich sind und sind manchmal ratlos mit den Trauernden. Inwiefern können wir trösten mit der ausgesprochenen Hoffnung, dass unsere Verstorbenen bei Gott geborgen sind. Es ist ja so schwer vorstellbar, dass da noch eine andere Wirklichkeit als unsere sichtbare Realität ist. Wir bezeugen lebhaft, was unsere Vorfahren im Glauben in den heiligen Schriften bezeugt haben. Und doch müssen wir uns mit Paulus eingestehen: „Wovon wir reden,… ist nicht eine Weisheit dieser Welt.” Da ist es schwer, sich verständlich zu machen.
Gottes Weisheit
Was wir aus der Bibel hören, klingt oft wie die Botschaft aus einer fremden Welt: „Wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist.” Normalerweise sind Geheimnisse wie verschlossene Räume. Jemand erzählt uns, was darin verschlossen ist und macht uns neugierig. Wir brennen darauf, den verschlossenen Raum zu öffnen und einzutreten, damit wir sehen, was sich darin verbirgt. Geheimnisse beflügeln unsere Phantasie. Wir entwickeln Vorstellungen von dem, was uns als Geheimnis verborgen bleibt. Ein solches Geheimnis ist das Kreuz Jesu. Vielleicht darf man sagen, dass dieses Kreuz so etwas ist, wie der Schlüssel zu der verschlossenen Welt Gottes. Dieses Kreuz steht gewissermaßen auf der Grenze zwischen unserer erkennbaren Wirklichkeit und der unbegreiflichen Wirklichkeit Gottes. Zum einen lässt es unsere eigene Wirklichkeit deutlich werden:
Das Kreuz ist ein Symbol von Macht und Gewalt. Wer nicht in das Schema dieser Welt passt, wird Opfer der Mächtigen und ihrer Gewalt. Ob in der Schule oder am Arbeitsplatz: Der Stärkere tyrannisiert den Schwachen. Mobbing und Intrigen machen sich breit. Manche gehen über Leichen, wie man sagt, und nutzen alle Mittel, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Ans Kreuz hat man Jesus geschlagen, weil er diese Wirklichkeit in Frage gestellt hat. Diese Wirklichkeit von Macht und Gewalt, vom Recht des Stärkeren. Die grausame Wirklichkeit, die von Rache und Heimzahlung geprägt ist.
Doch lässt das Kreuz zum anderen Gottes Wirklichkeit erkennen. Die Wirklichkeit der Barmherzigkeit. Das Kreuz ist so zum Symbol von Vergebung und Versöhnung geworden. Daraus erwächst uns eine wunderbare Kraft, die unsere natürlichen Kräfte übersteigt. Die Kraft, geschehenes Unrecht zu überwinden und hinter uns zu lassen. Die Kraft, auf andere zuzugehen und ihnen die Hand zu reichen. Die Kraft, barmherzig statt angemessen, liebevoll statt in gleicher Weise, zärtlich statt gewaltig zu reagieren. Darin wird Christus gepredigt: In der Schwachheit der Liebe, die weiser ist als alle Macht dieser Welt. In der Schwachheit der Liebe, die uns wunderbare Kräfte schenkt.
So steht das Kreuz an der Schwelle zweier ganz unterschiedlicher Wirklichkeiten und hat ein doppeltes Gesicht. Einerseits als Symbol von Macht und Gewalt, Vernichtung und Tod, Symbol unserer Welt. Andererseits als Symbol der Barmherzigkeit, von Vergebung und Versöhnung. Symbol der geheimnisvollen Welt Gottes, einer wunderbaren Weisheit. Weil das Leben Geschichten schreibt – und Geschichten vom Leben erzählen, möge uns die folgende Geschichte verdeutlichen, wie diese beiden Wirklichkeiten einander begegnen. Die Wirklichkeit der „Macht und Gewalt“ auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Wirklichkeit von „Barmherzigkeit und Vergebung.“
>Don Bosco (gest. 1888), der begnadete Erzieher, Priester und Schriftsteller, kümmerte sich im 19. Jahrhundert um die vielen verwahrlosten Jungen in Turin und Umgebung. Immer wieder fehlten die dazu notwendigen Mittel. In seiner Not bat er seine verwitwete Mutter, zu ihm zu kommen und ihm zu helfen. Der Dienst an den Jungen war eine harte Geduldsprobe für die alte Mutter. Als die Kinder ihr eines Tages den Gemüsegarten beim Spielen zertrampelt hatten, war ihre Geduld erschöpft. Sie packte ihre Sachen zusammen und wollte das Haus verlassen, um in ihre Heimat zurückzukehren. An der Haustüre begegnete sie ihrem Sohn. Dieser erfasste sofort die Situation. Er führte die Mutter unter ein großes Kreuz in seinem Haus. Da standen sie nun – die Mutter und ihr Sohn. Nach einigen Minuten des Schweigens sagte die Mutter mit dem Blick auf den Gekreuzigten: „Ich hatte ihn vergessen.“ Daraufhin packte sie ihre Sachen wieder aus und ging zurück an ihre Arbeit.<
Wie schön, wenn Gottes Weisheit stärker ist als unsere. Wie schön, wenn die Barmherzigkeit das letzte Wort behält.
Über das schwierige Thema : das Kreuz und die Weisheit dieser Welt, spricht Pfarrer Klein sehr anrührend und überzeugend. Das Problem ist wirklich schlimm im Religionsunterricht. Bei dreißig Jahren Religionsunterrivcht am Gymnasium wurde ich anfangs selbst mit Tillich kopfschüttelnd ausgelacht. Teilhard de Chardins Kombination von Heilsgeschichte und Evolution und dem kosmischen Christus fanden auch ursprüngliche Atheisten überzeugend. Pfarrer Klein überzeugt erstens durch die Hoffnung aufs ewige Leben. Zweitens zeigt er überzeugend an dem gekreuzigten Christus, dass sich dort zwei Wirklichkeiten treffen. Die anrührende Beispielgeschichte am Schluss schließt diese bewegende Predigt intensiv ab. .