Bewegende Worte aus der sehr wegweisenden Bergpredigt Jesu sprechen heute zu uns. Vermutlich kennen wir alle diese Worte und haben mit ihnen unsere je eigene persönliche Geschichte und Anfragen. Sie gehören zu den Worten, die wir ein Leben lang immer wieder neu lesen und verinnerlichen dürfen, auch müssen, weil sie uns im Kern unseres Miteinanders in Familie, Freundeskreis, Gemeinde, Gesellschaft und Völkern treffen. Sie sprechen uns so an, dass sie uns provozieren.
Zwei extreme Weisen kenne ich, nicht nur aus der Geschichte der Auslegung dieser so wichtigen Bergpredigt mit ihrer Wirkungsgeschichte, sondern auch aus meinem eigenen Leben. Seit ich diese Worte kenne, kaue ich an ihnen herum und möchte sie nicht nur verstehen, sondern auch leben. So geschieht es manchmal, dass ich mir diese Worte laut vorlese, Wort für Wort, und sehr getröstet bin, weil sie mich in meinem Glauben an Gottes vergebende und aufrichtende Liebe so innig ansprechen, dass ich nur bekennen kann: Es ist gut, im Vertrauen auf Gottes Güte so zu leben. Sie ermutigen mich, immer wieder neu auf diesen Jesus Christus zu hören und mein Vertrauen auf ihn zu setzen. Denn er setzt sich mit seinem Leben, Leiden, Sterben und Auferstehen für die Freiheit der Menschen und aller Geschöpfe ein und damit für einen gerechten Frieden zwischen allen Lebewesen.
Und dann kenne ich eben auch Zeiten, in denen diese Worte mich einfach nur herausfordern und provozieren. Es ist doch unmöglich – auch für einen gut gewillten Menschen –, dass er seinen Feind liebt und Menschen, die an allem herumzunörgeln haben und ihm ständig Prügel in den Weg legen, auch noch freundlich, höflich und liebend entgegenzugehen. Unter diesem Aspekt sind sie nur Überforderung und Ärgernis.
Der große Kanzler des deutschen Reiches, Otto Graf von Bismarck, hat Tag für Tag die Herrnhuter Losungen gelesen und war überzeugter Christ. Er kam zu dem Ergebnis: Mit der Bergpredigt lässt sich nicht regieren. Als ich junger Pfarrer war und wir uns in der Friedensbewegung der 80er Jahre für Abrüstung eingesetzt haben und mit klarer und wichtiger Stimme in Ost und West uns unter dem biblischen Leitwort „Schwerter zu Pflugscharen“ getroffen haben, hat der damalige von mir sehr geschätzte Bundeskanzler Helmut Schmidt Bismarcks Meinung zur Bergpredigt aufgegriffen und uns entgegengehalten: „Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren.“
Und jetzt lesen wir heute nach 40 Jahren wieder die Bergpredigt in einer Zeit, in der die persönlichen Konflikte mit anderen Menschen immer noch da sind und es schon ein Gewinn ist, wenn Menschen sich zugestehen: Ja, es gibt Feinde, ja ich habe auch Feinde, und spiegelbildlich umgedreht: auch ich bin Feind von irgendjemandem, der mit mir nicht klarkommt. Weltpolitisch brauche ich nur aufzuzählen: Krieg in der Ukraine, in Gaza, im Libanon, in Afrika, und es droht, dass die Kriege sich noch mehr ausbreiten und am Ende nur noch verbrannte Erde zurückbleibt.
Überall entdecken wir die Macht des Bösen – brutal wird gebombt, Beziehungen und ganze Landstriche mit Städten und Dörfern werden zerstört, Keime des Guten einfach niedergedrückt. Und wir? Wir sind mitten drin und suchen nach einer Haltung, wie wir uns mit unseren Kräften und Möglichkeiten für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung im Gesellschaftlichen und für ein friedliches und warmes Zusammenleben in Familie und Freundeskreis einsetzen können. Und jetzt, in eine solche angespannte Weltlage hinein, sagt uns Jesus Christus: „Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen, wenn jemand dich nötigt, eine Meile mit ihm zu gehen, so geh gleich zwei mit ihm.“ Und dann noch zugespitzter: „Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.“
Hat Jesus überhaupt noch eine Chance bei uns, mit solchen Worten gehört zu werden? Oder sagen wir gleich ab und machen aus Gott, den wir glauben, eben den lieben Gott, der am Ende alles segnet, und machen um die Worte Jesu in der Bergpredigt einfach einen Bogen, so als stünden sie nicht in der Bibel? Auch diese Haltung kenne ich. Nur ist sie mir viel zu schwach und eben auch unehrlich.
Mir ist wichtiger, dass wir uns ehrlich mit diesen Worten Jesu, auch wenn sie uns provozieren und vielleicht sogar überfordern, auseinandersetzen und zwar so, dass wir sie hören als Worte, die Jesus Christus spricht – eben dieser Christus, der am Kreuz das Leiden, die Schmerzen, die Not, das Elend, ja den Tod auf sich genommen hat und den der barmherzige, einzige Gott in seiner Liebe von den Toten auferweckt hat und damit deutlich gemacht hat, dass der Tod überwunden ist, das Leben siegt. Genau die Macht des Bösen, die nur Zwietracht zwischen Menschen und Völker sät, hat dieser Jesus Christus in seinem Tod überwunden und Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden uns allen verheißen.
Schaut, Jesus Christus selbst ist der Zugang zu diesen seinen Worten. Trennen wir die Worte der Vergeltung und der Feindesliebe von diesem Jesus Christus, so werden sie uns sofort erscheinen, als seien sie für das Leben auf dieser Erde untauglich und unrealistisch, ja sogar uns überfordernd, als müssten wir Menschen, mit unseren Ecken und Kanten, Schwächen und Stärken, mit unseren Verfehlungen und unserer Sünde, aus unseren Kräften die Feinde lieben und das Böse überwinden. Wer sich so auf den Weg macht, der steht vor einem Rätsel, wenn er die Worte Jesu auf sein alltägliches Leben beziehen will. Wer aber diese Worte aus dem Munde Jesu Christi hört, der wird ermutigt, Gottes Liebe anzunehmen und sie dann auch in Wort und Tat zu leben. Gottes Liebe ist groß und stark und mächtig und vermag das Böse mit Liebe zu überwinden.
Die Worte der Bergpredigt dürfen wir nicht vom Bergprediger trennen, von dem Jesus Christus, in dem sich der barmherzige Gott in seiner Fülle gezeigt hat und immer wieder neu zeigt. Dieser Jesus Christus, geboren im Stall unter einfachen Bedingungen, lernte den Beruf des Zimmermanns, war Handwerker und wusste, wo Menschen der Schuh im Alltäglichen drückt. Dieser Jesus Christus hatte die Gabe, Menschen menschlich anzusprechen, sie einzuladen, umzukehren von nichtigen Wegen und sich hinzuwenden zu dem Gott, der „ein glühender Backofen voller Liebe“ ist. Dieser lebendige Gott leidet daran, dass Menschen einander Feind sind und meinen, mit brutalen militärischen Mitteln und mit Gewalt Frieden schaffen zu können. Da wendet Jesus unseren Blick hin zu dem Gott, der einfach Barmherzigkeit ist und der uns seinen Willen in der Thora, in den 10 Geboten gut und klar gegeben hat. Schaut, jetzt sind wir auf dem richtigen Weg die Worte der Bergpredigt zu verstehen, wenn wir genau hinschauen, was Jesus Christus uns zusagt und auch zutraut: aus der Liebe Gottes und seiner Barmherzigkeit zu leben.
Die Bergpredigt als Ganze hat zwei Schlüsselwörter: Vater und Gerechtigkeit. In der Mitte der Bergpredigt steht das Vater unser, das Gebet, also die große Einladung Gottes mit all dem, was uns bewegt, zu ihm zu kommen und zu ihm schlicht „Vater“ zu sagen. Er ist für uns da und rettet uns in diesem Jesus Christus aus Sünde und Tod. Das andere Schlüsselwort ist Gerechtigkeit in dem Sinne, dass wir seinen Willen tun. Es geht darum, dass wir Gottes guten Willen in unserem Alltag leben. Also nicht die Hände in den Schoß legen und sagen, da kann ich doch nichts machen, die Welt ist eben schlecht. Ich sorge für mich und baue mir mein eigenes Schlösschen, in dem ich für mich lebe. Nein, so nicht, sondern genau umgekehrt:
Mein Schlösschen ist schon gebaut, weil Gott selbst mich liebt und nun darf ich aus dieser Liebe Gottes leben in meiner menschlichen Art und Weise. Wo ich scheitere, richtet er mich auf und tröstet mich und weist mir den guten Weg. Dieser Weg ist auf keiner Landkarte verzeichnet, wir dürfen wagen, ihn zu suchen und zu gehen. Jesus Christus ermutigt uns, dass wir in unserem Leben Liebe wagen, Schritte des Friedens gehen, und immer wieder Solidarität mit den Schwachen leben wie er. Darum enden Jesu Worte auch mit dem Ziel, dass wir vollkommen werden, wie auch der himmlische Vater vollkommen ist.
Wir dürfen uns anstrengen, aus seiner Liebe zu leben, weil Gott uns seine Liebe schenkt.
Konkret ist das nicht immer einfach, wir merken es z. B. wenn Konflikte im Freundeskreis oder der Nachbarschaft auftreten. Die Regeln Jesu sind klar: es muss in der Haltung der Ehrlichkeit und der Liebe gehandelt werden. Unrecht muss Unrecht genannt und dann nach einer vernünftigen Lösung gesucht werden.
In ganz kniffligen Situationen hilft mir ein Sprichwort, das mich meine Mutter gelehrt hat: „Einem bissigen Hund wirft man zwei Brocken hin“. Damit ist man auf der Linie Jesu, den anderen mit Gutem zu überraschen. Ich gehe mit ihm gleich zwei Meilen. Keine Überforderung, wohl aber eine Haltung, die mir Freiheit schenkt, das Gute zu wagen. Immer wieder bin ich dankbar, wie Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis das Evangelium klar auf den Punkt gebracht hat, er schrieb seinem Patenkind in der Taufpredigt: „Unser Christsein wird in zweierlei bestehen: im Beten und Tun des Gerechten“. Wenige Sätze weiter fügte er noch hinzu: „und im Warten auf Gott“. So dürfen wir heute aus Gottes ermutigender Liebe leben. Iich wünsche uns, dass wir aus vollem Herzen gleich beten: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden“.