Predigt

Mitverantwortung für die Schöpfung

Zur Frage nach unserer eigenen Bestimmung und Aufgabe

PredigttextGenesis 1, 1-4a. 26-28. 31a; 2, 1-4a (mit Einführung)
Kirche / Ort:Evangelische Margarethenkirche / Mediasch (Mediaş), Rumänien
Datum:08.05.2022
Kirchenjahr:Jubilate (3. Sonntag nach Ostern)
Autor:Pfarrrer Gerhard Servatius-Depner

Predigttext: Genesis 1, 1-4a. 26-28. 31a; 2, 1-4a

Übersetzung des hebräischen Textes, Gerhard Servatius-Depner:

1,1 Im Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer und Dunkelheit lag über der Tiefe und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. 3 Und es sprach Gott: Es werde Licht. Und es wurde Licht. 4a Und es sah Gott, dass das Licht gut war.

26 Gott es sprach Gott: Lasst uns Menschen machen, nach unserem Bild, uns gleich. Sie sollen herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel am Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde, und über alles Kriechende, das auf dem Boden kriecht. 27 Und Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. 28 Und es segnete sie Gott und es sprach zu ihnen Gott: Seid fruchtbar und vermehrt euch und füllt die Erde und unterwerft sie und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel am Himmel und über alles Lebendige, das sich auf dem Boden bewegt!

31a Und es sah Gott auf alles, was er gemacht hatte – und siehe, es war sehr gut.

2, 1 So wurden die Himmel und die Erde vollendet und alles, was in ihnen ist. 2 Und Gott vollendete am siebten Tag sein Werk, das er gemacht hatte und er ruhte am siebten Tag (aus) von all seinem Werk, das er getan hatte. 3 Und es segnete Gott den siebenten Tag heiligte ihn, weil er an ihm geruht hatte von all seinem Werk, das er geschaffen hatte. 4 Das ist die Entstehungsgeschichte der Himmel und der Erde mit ihrem ganzen Heer.

Hinführende Gedanken zum Predigttext und zur Predigt

Die naturwissenschaftlichen Angaben des ersten Bibelkapitels stimmen selbstverständlich nicht mit der heutigen modernen Naturwissenschaft überein. So muss gleich zu Beginn klar gemacht werden: Die biblische Urgeschichte über die Entstehung der Welt und des Menschen ist ein Ausdruck der Grundüberzeugung, die in antiken Kulturen nach dem damaligen naturkundlichen Kenntnisstand verbreitet war.

Der Schöpfungsbericht ist keine Erklärung der Entstehung unserer Welt. Er ist vor allem, wie der Theologe Jan Christian Gertz schreibt, „ein Versuch, die Erfahrung des Menschen mit sich und seiner Umwelt deutend zu verstehen.“ Dieser Versuch bleibt, ja m.E. intensiviert er sich. Menschen, die glauben, wollen immer wieder auch verstehen (können).

Es gibt Momente im Leben, da bieten wir dem blinden Vertrauen weiten Raum. Oft aber nehmen wir nicht alles einfach so hin und bemühen uns ums Verstehen. Wir fragen nach dem „Woher“ und vor allem nach dem „Warum“. Es mag auch sein, dass wir – oder immer? – die Erfahrung dabei machen, dass nach dem Verstehen neue Fragen entstehen.

Im Zentrum des Nachdenkens über die Entstehung der Welt – oder wie es das alte Israel zu nennen pflegt: des Himmels und der Erde – steht der Mensch, in seinen Beziehungen zu den Mitmenschen, zu der Schöpfung und nicht zuletzt zu Gott. Für moderne Menschen und für christliche Ausleger*innen mag es schwer begreiflich sein, dass im ersten Kapitel der Bibel theologisches und naturwissenschaftliches Erkennen so spannungslos ineinander ruhen.

Gerhard von Rad schreibt, dass sich diese beiden Aussagen derart verschlingen, dass man „an keiner Stelle von Genesis 1 sagen kann, eine Aussage sei rein naturwissenschaftlich (und deshalb für uns bedeutungslos) gegenüber einer anderen, die nur theologisch sei“. Die Theologie – die Rede über Gott – hat in der damaligen Naturerkenntnis eine Möglichkeit gefunden, den Schöpfungsglauben sachgemäß zu entfalten.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, sich dessen bewusst zu werden, dass diese Worte aus dem Genesisbuch reine Priesterlehre sind. Sie enthalten, wie Gerhard von Rad schreibt, „die Essenz priesterlichen Wissens in einer äußerst konzentrierten Form“.

Die Worte des ersten Bibelkapitels, die wir als Predigtperikope schnell lesen, sind keineswegs in einem Zug oder an nur einem einzigen Tag geschrieben worden. Es ist eine Lehre, die sehr, sehr langsam, jahrhundertelang gewachsen ist und sich behutsam angereichert hat. Diese Worte sind primär Glaubensaussagen und betreffen die Existenz des Menschen, also Deine und meine, hier und jetzt!

Das hebräische Wort, das im Urtext, im allerersten Vers der Bibel für „schaffen“ (oder „hervorbringen“) benutzt wird, lautet "bara". Es ist ein Fachwort der theologischen Priestersprache und wird ausschließlich für das göttliche Schaffen verwendet. Dieses Wort kommt auch später, etwa bei Deuterojesaja, vor. Gott hat die Welt und alles was in ihr ist, geschaffen, aber sie ist nicht eins mit Gott (wie der Pantheismus lehrt, Gott sei mit der Welt identisch).

Die Verbindung, die Kontinuität zwischen Gott und seinem Schöpfungswerk, ist das Wort. Dieses ist so mächtig, dass es ohne jegliche Mühe eine Welt hervorbringen kann. Die Welt, die aus dem freien Willen Gottes hervorgerufen wurde, ist und bleibt Gottes Besitz. Der Mensch darf, ja er soll sogar über die Erde herrschen. Im Urtext steht an dieser Stelle ein ausdrucksstarkes Verb "kabasch", das mit „unterwerfen“, „unterjochen“ oder gar „niedertreten“ übersetzt werden kann.

Der Mensch muss in Verbindung, im Dialog mit Gott bleiben und mit ihm leben. Die Schöpfung erhält durch die Ebenbildlichkeit des Menschen eine besondere Zuordnung: von der Ausrichtung von Gott zu Gott hin! Ebenbildlichkeit wird auch dadurch erklärt, dass der Mensch - als der Empfänger des Segens Gottes - sich vermehren, die Erde füllen, sie in Besitz nehmen und die Tierwelt wie ein guter Hirte hegen soll. Aber die Qualitäten, die ihn dazu befähigen, machen den Menschen nicht gottgleich, sondern erheben ihn zu Gottes Partner.

In Mesopotamien und in Ägypten wurden die Könige als „Ebenbild Gottes“ bezeichnet. Ihre Gottebenbildlichkeit meinte konkret Stellvertretung. In Genesis 1 passiert dabei Erstaunliches: nicht Könige, sondern (alle) Menschen sollen Gottes Stellvertreter sein. Das bewegt und verpflichtet uns zugleich!

Die „Krone der Schöpfung“ ist nicht der Mensch, sondern die Ruhe. Gott ruht, er braucht „einen sehr langen Atem im Umgang mit uns Menschengeschöpfen“ (K. Marti). Das ist in allem eine gute Botschaft, denn Gott will uns und gibt uns nicht auf.

Gebet & Liedvorschläge

Gebet (Kurt Marti, 9.01.1983)

Du hast alles geschaffen, o Gott, Du hast Dich mit Deiner Schöpfung verbunden in Jesus, Deinem Christus, Du leidest, Du arbeitest an uns mit Deinem langen Atem, durch Deinen heiligen Geist. Zeige uns, wie wir unsere wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse ändern müssen zugunsten von mehr Menschlichkeit, von mehr Tierlichkeit, von mehr Pflanzlichkeit. Vor allem bitten wir Dich um den Fortbestand dieser Welt auch für unsere Kinder und Kindeskinder, damit Du mit ihnen und sie mit Dir werden leben können.men

Lieder

EG 504 (Himmel, Erde, Luft und Meer) EG 501 (Wie lieblich ist der maien)

Eingesehene Literatur

Reiner Friedemann Edel, „Hebräisch-Deutsche Präparation zu Genesis 1-25“, Verlag R.F. Edel, Marburg an der Lahn, 1959

Stuttgarter Erklärungsbibel, 2. Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1992

Kurt Marti, „Schöpfungsglaube – die Ökologie Gottes“, 2. Auflage Radius-Verlag, Stuttgart 1983

Gerhard von Rad, „Theologie des Alten Testaments“, Band I (Die Theologie der geschichtlichen Überlieferungen Israels), Evangelische Verlagsanstalt, Berlin 1963

Horst Dietrich Preuss, „Theologie des Alten Testaments“, Band 2 (Israels Weg mit JHWH) Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1992

Jan Christian Gertz, „Das erste Buch Mose – Genesis“, 2. Auflage, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2021

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Heinz Janssen
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