Mut
Dass das Evangelium so gefährlich sein kann …
Predigttext: Philipper 1,12-21 (Übersetzung nach Martin Luther)
Ich lasse euch aber wissen, Brüder und Schwestern: Wie es um mich steht, das ist zur größeren Förderung des Evangeliums geschehen. Denn dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen andern offenbar geworden, und die meisten Brüder in dem Herrn haben durch meine Gefangenschaft Zuversicht gewonnen und sind umso kühner geworden, das Wort zu reden ohne Scheu. Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wirddurch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
Exegetisch-homiletische Vorüberlegung
Ich schlage vor, den Predigttext nicht erst mit V. 15 beginnen zu lassen, sondern mit V. 12. In einem Brief an seine „Lieblingsgemeinde“ drückt Paulus seine Verbundenheit mit den Philippern aus. Es geht ihm darum, dass nur Christus verkündigt wird. Darüber kann er sich freuen, auch wenn die Beweggründe auch so mancher Gegner unterschiedlich, vielleicht sogar unlauter, sind. In einem vertraulichen Kontext müssen auch die Spitzen nicht versteckt werden (vgl. Phil. 3,2).
Paulus spricht davon, dass an seinem Leib Christus verherrlicht werde. Selbst der Tod kann dem keinen Abbruch tun. Paulus ist eingekerkert und wartet auf ein Gerichtsurteil. Sein Schicksal ist (noch) offen, sein Leben aber gefährdet. In seinem Brief lässt er die Gemeinde teilhaben an seiner „Selbstvergewisserung“, an seiner Zwiesprache mit Christus, der ihn berufen hat. Der Philipperbrief ist ein Brief aus der (Gefangenen)Zelle. Anfechtungen, die sich an diesem Ort einstellen, werden von Paulus durchsichtig gemacht. Gerade in seiner biografischen Situation wird Paulus zum Seelsorger. Auffällig ist, wie oft das Wortfeld Freude/freuen dabei dominiert (vgl. auch Phil. 2, 2; 3,1; 4,1 u.ö.).
Der Predigttext ist für den Sonntag Lätare („Freuet euch“, Jes. 66,10f.) ausgesucht, der die Mitte der Passionszeit markiert. Das österliche Weiß mit dem Violett der Passionszeit gemischt, ergibt einen rosa-Ton. Passion und Ostern treffen sich schon einmal; es ist „Halbzeit“.
Lesung und Lieder für diesen Sonntag sind wie ein Innehalten und Aufatmen – auf dem schweren Weg „hinauf nach Jerusalem“. Der Introitus nennt Jerusalem mit Namen. „Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart. Saugt euch satt an ihrer tröstenden Brust, trinkt und labt euch an ihrem mütterlichen Reichtum!“
Heute hängen manche Familien an Lätare als Zeichen der Vorfreude auf Ostern einen aus Buchs gewundenen Kranz an die Tür, der mit zwei violetten und zwei rosafarbenen Schleifen geschmückt ist. Am Karsamstagnachmittag wird der Laetarekranz mit einer weißen Schleife zwischen den rosafarbenen bestückt. So bleibt er an der Tür bis über den Weißen Sonntag.
Gefängnispost
Langsam lesen wir den Brief. Lange haben wir auf ihn gewartet. Jetzt ist er da. Wie es ihm wohl gehen mag? Paulus – sein Name hat in Philippi einen großen Klang – ist inhaftiert worden. Jetzt sitzt er im Kerker. Feucht, dunkel, eingepfercht. Was man ihm vorwirft? Die Anklageschrift hat niemand gesehen. Aber es ist nicht schwer, Vermutungen anzustellen. Paulus hat sich mit seiner Predigt unbeliebt gemacht. Er hat zuviel gesagt. Er hat das Falsche gesagt. Er hat Christus verkündigt. So mancher sah da seine Felle – und seine Fälle – davon schwimmen. Nannte ihn einen Unruhestifter. Wenn nicht gleich auch „Gotteslästerer“. Die Polizei macht dann auch nur, was man ihr sagt. Paulus wird weggesperrt. Dass das Evangelium so gefährlich sein kann! Als so gefährlich wahrgenommen wird! Dass es so gefährlich sein kann, Christ zu sein. In Philippi wartet man sehnsüchtig auf einen Brief. Vielleicht würde er doch mehr erzählen. Ein bisschen neugierig sind wir schon. Jetzt lesen wir den Brief langsam. Lange haben wir auf ihn gewartet. Jetzt ist da.
Weiterhin freuen
In der Mitte des Briefes fällt ein Satz auf. Wenn, dann muss er auch in der Mitte stehen. Er trennt und er verbindet. Er hält zusammen, was so schnell auseinanderfallen könnte. „Aber ich werde mich weiterhin freuen“. Es ist schön, einen solchen Satz zu lesen! Im Gefängnis geschrieben, fällt er auf. Er fällt sogar aus dem Rahmen. „Aber ich werde mich weiterhin freuen.“ Kann es sein, dass Paulus in seinem ganzen Leben von einer Freude getragen wird, die den Zeitläufen und Erfahrungen zu trotzen vermag? Ist das Wort „freuen“ womöglich der Schlüssel zu dem Brief?
Die Neugierde wird auf eine ganz andere Weise befriedigt als erwartet, als erwünscht. Paulus freut sich darüber, dass sein Geschick, über das er nicht weiter lamentiert, zur Förderung des Evangeliums gerät – und Menschen in der Gemeinde ermutigt, animiert, befreit, „das Wort zu reden ohne Scheu“. Das Gegenteil tritt ein: Nicht Angst greift um sich, sondern Mut. Nicht Zweifel, sondern Gewissheit. Wir verkündigen Christus! Er ist der Herr! Und er hat für uns alles gegeben, was er geben konnte. Sein Leben. Von seiner Liebe können wir nicht schweigen. Auch dann nicht, wenn sein Wort es mit den Mächten dieser Welt aufnimmt. Wenn er das Böse beim Namen nennt. Wenn er sich auf die Seite der Geschundenen und Entrechten stellt. Wenn er dem Kaiser das letzte Wort nimmt.
Was Paulus widerfahren ist, gleicht einem Licht, das immer weiter um sich greift. Ein wenig überrascht bin ich schon. Mit dieser Wendung rechne ich eigentlich nicht. Sollte man nicht lieber vorsichtig sein, schlafende Hunde nicht wecken, sich erst einmal zurückziehen? „Dass ich meine Fesseln für Christus trage, das ist im ganzen Prätorium und bei allen anderen offenbar geworden.“ Hier redet ein Mensch, der sich auch vor dem Kaiser nicht zurücknimmt – nein, der Christus vor dem Kaiser nicht zurücknimmt. Und das in aller Öffentlichkeit. Vor dem Forum der ganzen Welt.
Viele christliche Gemeinden sind heute in einer Situation, die der in Philippi oder des Apostels Paulus doch sehr ähnelt. Jeder Gottesdienstbesuch kann zu einer Mutprobe werden. Jede Predigt mit Steinen beantwortet werden. Jedes Bekenntnis unter ein Blasphemie-Gesetz fallen. Gelegentlich bekommen wir mit, was in entfernten Gegenden passiert. Die Welt ist klein geworden. Es fällt uns schwer, das alles einzuordnen, was berichtet und öffentlich gemacht wird. Dabei bekommen wir wohl nur die Spitzen des Eisberges mit. Was sich alltäglich abspielt, wenn die Umgebung feindlich gegenüber Christen eingestellt ist, rückt uns eigentlich nie auf den Pelz. Doch es werden Gottesdienste gefeiert! Das Evangelium wird verkündigt! Der Glaube wird bekannt! Vielleicht ist Paulus bis weit in unsere Tage Hoffnungszeichen, Ansporn und Mutmacher. „Aber ich werde mich weiterhin freuen“.
Paulus freut sich darüber, dass Christus verkündigt wird. Verkündigt werden wird. Immer wieder neu. Unbeirrt. Es gleicht einem roten Faden, einer großen Klammer, einer festen Brücke, dass Christus nicht verstummt. Er ist von Anfang an Gottes Gesicht und Gottes Wort. Das ist Trost und Halt. Doch auch Anspruch und Lebenselixier. Manchmal reicht ein Brief, in bedrückter Situation Mut zu machen – und das freie Wort. Es ist doch die Freude, die den Worten Glanz verleiht! Es ist Christus – der Grund zur Freude.
Euer Gebet und Christi Beistand
Dass Paulus sich auch weiterhin freuen wird, wirft einen weiten Blick nach vorne. Von einer Zukunft ist die Rede, die im Gefängnis – eigentlich – längst aufzugeben war. In einem Rattenloch stirbt die Hoffnung schnell. Alle Schergen der Welt rechnen damit. Irgendwann bricht jeder Mensch ein. Das ist ihre Hoffnung. Das ist auch die Hoffnung vieler Diktatoren und Halbdiktatoren, die Gewissensfreiheit und Menschenrechte nach ihrem Gutdünken definieren – und wenn es sein muss, über Leichen gehen.
Paulus vertraut den Christen in Philipp an, dass alles, was ihn gerade mitnimmt, in keinem Desaster endet. „Ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi.“ In Philippi lesen die Menschen diesen Brief, diesen Satz. Haben sie für Paulus gebetet? Paulus scheint es zu wissen. Das ist mehr, als es zu vermuten. Er weiß sich von dem Gebet der Philipper getragen. In der Einsamkeit der Zelle ist er nicht alleine, nicht nur, weil viele andere Menschen mit ihm den engen Raum teilen müssen. Die Philipper sind bei ihm – und mit ihnen ist er vor Gott verbunden. Es ist wie ein großes Netz, das birgt und schützt. Paulus ist nicht alleine, die Philipper sind nicht alleine. Ihre Gemeinschaft ist eine Gemeinschaft, die sich um Gott sammelt, ihn in der Mitte weiß und alle Ängste und Sorgen bei ihm lässt. Wie könnte man besser Gebet beschreiben? Ein Bild des Himmels. Gerade da, wo der Himmel entschwunden scheint. Jedes Gebet ist der Ausdruck eines großes Trotzes: Das letzte Wort über unser Leben spricht kein Mensch, wohlgesonnen oder bösartig – das letzte Wort spricht der Herr, spricht Christus.
Paulus schreibt: „In solcher Zuversicht weiß ich, dass ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben“ (Phil. 1,25). Ich weiß. Schreibt Paulus. Er weiß sich nicht nur getragen und angenommen im Gebet, er vertraut dem Geist Jesu Christi. Paulus nennt ihn „Beistand“. Das kann einer sein, der tröstet, das kann aber auch einer sein, der sich zum Anwalt erklärt. Dann ist Christus selbst Verteidiger und – wie es im Schweizerischen heißt – Fürsprecher. Das ist ein schönes Wort. Für-Sprecher. Einer, der für mich spricht. Der sich vor mich stellt. Der mir Worte gibt. Der meine Hoffnung begründet. Paulus erlebt, wie ihm ein Vertrauen zuwächst, dass er sich nicht erklären kann. Doch die Freude, den Geist Christi als Beistand, als Für-Sprecher zu haben, macht ihn stark. Paulus ist nicht fallengelassen. Gott selbst bestellt sich zum Anwalt.
In Philippi hoffen Menschen auf den Beistand des Geistes Christi. Nicht nur für ihren Paulus. Sie hoffen für sich. Dass das in ein Gebet, in viele Gebete mündet, lässt uns über uns hinauswachsen. Paul Gerhardt hat das in einem Lied zu singen versucht. Der 30jährige Krieg war noch allgegenwärtig. Dörfer verödet. Menschen vieler Hoffnungen beraubt. „Sein Geist spricht meinem Geiste manch süßes Trostwort zu: wie Gott dem Hilfe leistet, der bei ihm suchet Ruh, und wie er hab erbauet ein edle neue Stadt, da Aug und Herze schauet, was es geglaubet hat.“
In vielen Situationen brauchen Menschen einen Anwalt. Es muss nicht der sein mit Visitenkarte, Kanzlei und Referenzen – es kann ein Mensch sein, der sich für einen anderen stark macht, ihm hilft, ihm den Rücken stärkt. In seinem Brief hat Paulus in den Christen in Philipp solche Menschen gefunden: Sie teilen mit ihm den Geist Christi – und beten für ihn. Ich kann mich an ein Gespräch erinnern. Damals, als ich einem Stahlwerk ein Praktikum gemacht habe. Ein Arbeiter in der Firma konnte nicht gut von der Kirche sprechen. Nach manchem Gespräch habe ich mich schlecht gefühlt. Aber dann hat er mich einmal gefragt: Hast du schon für mich gebetet? Ich habe es als Provokation gehört – er hat es sehr, sehr ernst gemeint. Hinter der rauen Fassade war die Sehnsucht versteckt, es möge doch einen Menschen geben, der nicht nur gut an ihn denkt – der für ihn betet! Sein Gesicht sehe ich auch nach so langer Zeit immer wieder. Er war, wie man sagt, ein armer Hund.
Philippi, erster Bezirk von Mazedonien, eine römische Kolonie (wie der Ort in der Apostelgeschichte genannt wird), ist so weit nicht weg wie eine Landkarte suggeriert. Paulus konnte sich darüber freuen, einen „Beistand“ zu haben, Paulus konnte sich darüber freuen, von Gebeten getragen und geborgen zu sein – viele Menschen sehnen sich danach, haben aber keine Worte dafür.
Christus ist mein Leben, Sterben mein Gewinn
In Philippi hat Paulus die erste christliche Gemeinde auf europäischem Boden gegründet. In Philippi hat er gelitten und wurde misshandelt (1. Thess. 2,2). In seinem Brief an die Gemeinde schreibt Paulus: „Ich erwarte und hoffe sehnlich, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.“
Es ist ein vertrauter Brief geworden, ein vertraulicher. Ich wüsste gerne, wie Paulus das angestellt hat, in seiner Einsamkeit (so es denn eine war) Worte zu finden, die sich schreiben ließen. Dass es immer nur um Christus geht, hat Paulus nicht nur überall gepredigt, er ist bereit, dafür auch zu sterben. Christus ist mein Leben, ich gehöre ganz zu ihm. Ohne ihn kann ich nicht leben. Gegen ihn auch nicht. Nicht einmal der Tod kann diese Gemeinschaft zerstören. Ja, Sterben um seinetwillen wird zum Gewinn. Furchtlosigkeit drückt sich so aus. Christus hat dem Tode die Macht genommen und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht – so Paulus in einem anderen Brief. Paulus weiß nicht, wie es mit ihm weitergeht. Aber er wird sich weiterhin freuen.
Wenn wir in unseren Gottesdiensten auch der Menschen gedenken, die gestorben sind, steht so manches Mal über ihren Namen, über ihre Wohnungen und Lebensalter die Gewissheit, die Paulus für sich gefunden hat: Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn. Oft wissen Menschen nicht, wo sie dieses Zitat hintun sollen. Es klingt sehr fromm. Aber auch sehr abgehoben. Wenn wir aber die vielen Geschichten erzählen, die sich hinter Namen und Daten verstecken, wird oft eine große Zuversicht sichtbar, die im Gottesdienst eigentlich gefeiert werden müsste. Wie einst in Philippi.
Lätare
Der Sonntag heute trägt den schönen Namen „Lätare“ – „Freuet euch“. Es ist ein Aufruf, den der Prophet Jesaja formuliert hat. In schwerer Zeit. „Jubelt in der Stadt, alle, die ihr sie liebt. Seid fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie traurig wart.“ Vielleicht kann uns die liturgische Farbe dabei helfen, diesen Sonntag zu entdecken. Wir nehmen das österliche Weiß, mischen es unter das Violett der Passionszeit und bekommen einen wunderschönen Rosa-Farbton. Mitten in der Passionszeit – wir haben die Höhe schon erklommen – sehen wir Ostern. Vielleicht ist der Brief, den Paulus schreibt, schon ein Ostergruß? Langsam haben wir den Brief gelesen. Lange haben wir auf ihn gewartet. Jetzt ist er da. In der Mitte, wo sich die Sätze verketten und ein Wort das andere gibt, bleibt für uns: „Ich werde mich auch weiterhin freuen“.
Diese Predigt ist bemerkenswert tröstlich. Sie erzählt vom Leiden des Paulus und von seiner Christus -Freude selbst im Gefängnis . Sie schlägt einen aktuellen Bogen zu den Leiden der Christen heute und zu ihrer Freude. Die Predigt ist so anregend, dass ich schon auf die nächste Predigt von Pfarrer Wussow warte.