Neujahr 2021 – Gott ist größer als diese Pandemie

Zaghaftigkeit fehlt im Wörterbuch der Christinnen und Christen

Predigttext: Philipper 4,10-20 (mit Exegese)
Kirche / Ort: 74834 Elztal- Dallau
Datum: 01.01.2021
Kirchenjahr: Neujahrstag
Autor/in: Pfarrerin i. R. Birgit Lallathin

Predigttext: Philipper 4, 10 – 20 (Übersetzung nach Martin Luther)

Paulus schreibt: 10 Ich bin aber hoch erfreut in dem Herrn, dass ihr wieder eifrig geworden sein, für mich zu sorgen; ihr wart zwar immer darauf bedacht, aber die Zeit hat es nicht zugelassen.
11 Ich sage das nicht, weil ich Mangel leide, denn ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie’s mir auch geht.
12 Ich kann niedrig sein und kann hoch sein, mir ist alles und jedes vertraut: beides: satt sein und hungern, beides, Überfluss haben und Mangel leiden.
13 Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.
14 Doch ihr habt wohl daran getan, dass ihr euch meiner Bedrängnis angenommen habt.
15 Denn ihr Philipper wisst, dass am Anfang meiner Predigt des Evangeliums, als ich auszog aus Mazedonien, keine Gemeinde mit mir Gemeinschaft gehabt hat im Geben und Nehmen als ihr allein.
16 Denn auch nach Thessalonich habt ihr mir etwas gesandt für meinen Bedarf, einmal und danach noch einmal.
17 Nicht, dass ich das Geschenk suche, sondern ich suche die Frucht, damit sie euch reichlich angerechnet wird.
18 Ich habe aber alles erhalten und habe Überfluss. Ich habe in Fülle, nachdem ich durch Epaphroditus empfangen habe, was von euch gekommen ist: Ein liebliches Opfer, Gott gefällig.
19 Mein Gott aber wird all eurem Mangel abhelfen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Jesus Christus.
20 Gott aber, unserem Vater, sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen

Hinführung zum Predigttext

Beim ersten Lesen hinterlässt das Predigtwort bei der Verfasserin eine gewisse Ratlosigkeit. Das große und bestimmende Thema des Philipperbriefes, die Freude und das Leben in Christus tritt in diesen Schlusssentenzen zurück gegenüber dem Dank für erhaltene Gaben und der Botendienst des Mitstreiters Epaphroditus. Fast kann von einer gewissen Phrasenhaftigkeit gesprochen werden, mit denen den Freund*innen gedankt wird. Darüber predigen? Das erscheint wenig spannend.

 

Einzig ein Satz erreicht die Höhe des paulinischen Denkens, wie wir es erwarten dürfen: Vers 13: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht“. Mit einem gewissen Trotz betont Paulus seine Unabhängigkeit von Geschenken, ja, von Materiellem überhaupt. Es ist die Freiheit eines Menschen, der durch Christus befreit wurde, und nicht wieder in Abhängigkeit geraten möchte. (Vgl Gal 5,1: Zur Freiheit hat uns Christus befreit.., vgl auch Gal 2,20: Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir..“ und viele mehr…) Das Evangelium der Predigt wird in diesen Worten, Vers 13, zu finden sein.

 

Das Leben des Christen, der Christin, kann nicht mehr ängstlich sein, da in der paulinischen Paradoxie, der Umkehrung der Werte der säkularen Welt, nicht scheinbare Stärke, das Leben erhält, sondern die Schwäche durch Christus, wie Christus, in seiner Nachfolge zu leben. Die vollständige existenzielle Abhängigkeit von Christus lässt diese scheinbare Schwäche zur wahren Stärke werden. Das betont Paulus.

Selbst wenn Philipper aus mehren „Kurz“briefen  zusammenkomponiert worden sein sollte, wie häufig diskutiert, bildet das Briefkorpus in Endgestalt ein überzeugendes Zeugnis: „Nicht mehr ich, sondern Christus in mir“. Der großartige, vorpaulinische Christushymnus in Phil 2, 6 -11 wird verknüpft mit dem überzeugenden Leben der befreiten Christenmenschen Phil 2,5. „Seid einander so gesinnt, wie es auch der Gemeinschaft in Christus entspricht!“

 

Das Predigtwort für Neujahr bildet sozusagen den Schlusssatz all dieser Aussagen, ihre Zusammenfassung. Der Jahreswechsel 2020/21 ist kein festliches Ereignis, sondern wird von bangen Sorgen überschattet. Umso mehr gilt es, die Freiheit in und durch Christus auch 2021, beim Fortgang der Pandemie, zu bewahren, zu stärken. Dafür wird Phil 4,13 der richtige Ansatzpunkt sein. Keine mahnende, eher eine stärkende, tröstliche Predigt wird den Gemeinden hilfreich sein. Ethische Bestärkungen, aber ohne erhobene Zeigefinder!

 

Lieder

 

Jochen Kleppers großartiges Gebet von 1938 (EG 64) spricht in den Tagen der Pandemie eine besonders intensive Sprache

Auch Dietrich Bonhoeffers Vermächtnis (EG 65) ist kein billiger Trost, sondern wird Vielen ein wichtiger Wegbegleiter sein. Aber bitte nur in der Melodiefassung von Otto Abel, wie im EG vorgesehen! „Freut euch, wir sind Gottes Volk“ (EG, Bad. Anhang 611), betont das Thema des Philipper: Freude, trotz allem!

 

Liturgische Texte

 

Wer Frieden sucht,

  • Wird den anderen suchen.
  • Wird zuhören lernen
  • Wird das Vergeben üben
  • Wird das Verdammen aufgeben.
  • Wird vorgefasste Meinungen zurücklassen.
  • Wird das Wagnis eingehen
  • Wird an die Änderung des Menschen glauben.
  • Wird Hoffnung wecken.
  • Wird dem anderen entgegen gehen.
  • Wird zu seiner eigenen Schuld stehen.
  • Wird geduldig dranbleiben.
  • Wird selber den Frieden leben.

Suchen wir Frieden?  (Schalom Ben Chorin)

 

Das will ich mir schreiben in Herz und Sinn,

dass ich nicht für mich auf Erden bin.

Dass ich die Liebe, von der ich leb,

liebend an andere weitergeb.  (Anonym, volkstümlich)

 

zurück zum Textanfang

Nach Weihnachten hieß es früher bei uns immer: Briefe schreiben! Dankbriefe. Als Kinder hatten wir uns gefreut, freie Tage zu erleben, und dann kam wieder die Ermahnung von Papa oder Mama: „Hast Du Oma schon geschrieben? Hast Du Dich bei Onkel Walter bedankt? Du weißt doch, deine Patentante wartet auf deinen Dankbrief für ihr liebes Päckchen. Nun mach schon!  Setz dich hin! Schreib! Wer ein Geschenk bekommen hat, muss sich auch anständig bedanken!“  „Ist ja schon gut! Mach ich gleich.“ „Nicht gleich, jetzt!“ Der Ton der Aufforderung wurde dringlicher. Manchmal gelang es mir aber doch, noch einmal auszuweichen und mich noch ganz schnell mit den Freunden und Freundinnen in unserer Straße – wir waren viele Kinder damals in unserer Straße – zu treffen. Mit schlechtem Gewissen saß ich danach also abends und zerkaute meinen Füller.

I.

Kommt Ihnen das auch bekannt vor? Dankbriefe schreiben ist gar nicht einfach. Zu schnell wird das Geschenkte bereits als selbstverständlich angesehen. Die Freude an Heiligabend war riesengroß, die Überraschung vielleicht auch. Aber dann… gehört das Geschenkte bereits mir, und ich denke nicht mehr an den lieben Spender. Ging es Paulus damals ähnlich?

Ich vermute, Paulus war ein wirklich dankbarer Empfänger von Geld, Lebensmitteln, vermutlich auch Kleidung, alles das, was Epaphroditus ihm aus Philippi mitgebracht hatte. Hören wir doch seinen Dankbrief an die vertrauten Freunde und Freundinnen in Philippi, in denen er sich dafür bedankt, was sie für seinen Lebensunterhalt haben spenden können. Freude, Vertrautheit, Dankbarkeit und auch Unabhängigkeit klingen in seinen wohlgesetzten Worten bis heute nach.

(Lesung des Predigttextes)

Was fällt auf in seinem Brief? Ich erinnere mich, wenn ich „Bedank-mich-schön-Briefe“ an die Verwandtschaft schreiben musste, dass ich mich genötigt fühlte, etwas mehr Freude zu zeigen, als ich tatsächlich empfand. „Undankbares Kind!“ mag man jetzt denken. Aber fragen wir uns auch: Erwarten wir nicht selber eine gewisse Unterwürfigkeit, wenn jemand uns gegenüber dankbar sein soll? Ganz ehrlich?

Vor Weihnachten flatterten unzählige Briefe verschiedenster Hilfsorganisationen ins Haus. Gönnerhaft darf ich auswählen, welche Empfänger meine Euros mehr und dringender benötigen. Die Schule in Afrika? Das Ernährungsprogramm der Vereinten Nationen? Die Obdachlosenhilfe in Mannheim? Halt, nicht die armen Zirkustiere vergessen! Oder spende ich in diesem Jahr eher für Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty, obwohl die gar nicht kirchlich sind? Oder was Ökologisches? Unser Stadtteilverein sollte auch noch etwas bekommen…. Ein mulmiges Gefühl bleibt:

Egal, wem ich spenden kann, es reicht nicht, alle  Bedürfnisse zu befriedigen. Und dann denke ich, dass ich, obwohl ich wirklich keine reiche Frau bin, doch auf jeden Fall unendlich viel reicher bin als die Menschen, die ihr Leben lang unter schlimmen Bedingungen schufteten, dann durch Krieg oder Katastrophen alles verloren haben. Gebe ich dann nicht jenen das, was ihnen einfach zusteht? Vor Gott sind wir alle gleich! Der Empfangende muss sich nicht künstlich klein machen, es ist sein Recht und seine Würde, ein anständiges Leben zu führen.

Und doch ertappe ich mich dabei, mich gönnerhaft zu fühlen und Dankbarkeit zu erwarten. Bei der Spendenbescheinigung soll bitte ein Bild dankbar lächelnder Frauen in Saris liegen, um ein Beispiel zu nennen, mit freundlichen Worten dazu. Ja, und hier antwortet Paulus:

Alles andere als unterwürfig. Dankbar schon, er erinnert sich gern an die Freundschaft, ist aber auch überzeugt, das Empfangene mehr als zu Recht bekommen zu haben. Denn: Nicht er persönlich bekommt ein Geschenk, nein, Paulus benötigt alles Lebensnotwendige, um weiter an seinem großen Werk, der Verkündigung in neu bekehrten Gemeinden zu arbeiten. Er gibt also den Philippern ein gutes Gefühl: Auf Augenhöhe sozusagen: Ihr spendet, ich arbeite, und Epaphroditus macht die Botendienste. Ich merke, das hat etwas mit Würde zu tun. Für beide Seiten, Paulus ist sich dessen bewusst. Paulus wird noch viel deutlicher:

Die Philipper sollen nicht auf die Idee kommen, sie könnten Paulus mit den Gaben einen Auftrag erteilen, er solle in ihrem Sinne arbeiten. Nein, fein theologisch formuliert, betont Paulus seine Unabhängigkeit: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, “ sagt er.

Und durch Gottes Hilfe hätte er es sogar gar nicht so nötig, von den Gemeindegliedern Geld und alles andere anzunehmen. Nein, er kann auch ganz bescheiden leben, wenn es drauf ankommt.  Eigentlich ganz schön frech, was er sich seinen Wohltäterinnen und Wohltätern gegenüber herausnimmt. Vielleicht ist jetzt sogar einer der Großspender leicht verstimmt und denkt: „Etwas mehr Dankbarkeit hätte man ja wohl schon erwarten dürfen, bei meinen hartverdienten Sesterzen…“

II.

„Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“  Mit diesen Worten verschafft sich Paulus die Freiheit von seinen Gönnern.  Paulus versteht es ja wohl so: Alles, was wir zu besitzen meinen, ist Gottes Gabe an uns. Alles, was wir weitergeben, ist sein Geschenk an uns gewesen. Frei und abhängig zugleich sind wir. Unser ganzes Leben können wir frei gestalten. Niemand braucht Angst zu haben vor der Übermacht eines anderen. Auch er lebt und hat nur das, was er durch Gottes Gnade besitzt und ist. Das müssen wir erst mal verstehen, jetzt am Beginn des Jahres 2021.

Im vergangenen Jahr sahen viele sich beraubt. Unsere Pläne, viele Hoffnungen, wurden zerstört. Finanzielle, existenzielle Sorgen plagten viele. Schlaflose Nächte! Wie organisiere ich die nächsten Tage, Wochen?  Und bei allem: eine ungreifbare Gefahr, ein Virus, eine Krankheit ohne Gegenmittel bedrohte und bedroht weiter unsere Gesellschaft. Wir sind in Sorge um Angehörige. Werte scheinen infrage gestellt. Wir spüren die Brüchigkeit unserer Existenz, jetzt, wo Selbstverständliches wie der Neujahrsspaziergang mit der erweiterten Familie schon eine Gefahr bedeuten kann. Unser Leben liegt in Gottes Hand. Erschrecken und Trost zugleich.

„Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“ Gott ist größer als diese Pandemie. Wir werden erschreckt, aber hören, an wen wir uns wenden können. Er gibt Kraft und Zuversicht. Zaghaftigkeit fehlt im Wörterbuch der Christinnen und Christen. Gott hat uns nicht versprochen, dass wir ohne Sorgen und vor allen Krankheiten beschützt durch unser Leben gehen.

III.

Aber Gott hat versprochen, mit uns zu gehen, gerade dann, wenn es besonders schwer wird, ist er an unserer Seite. Gott erwartet dafür keinen „Bedank-mich-schön-Brief“ für alle seine Gaben, die er uns auch für 2021 zugesagt hat. Aber das darf er erwarten: Dass wir seine Gaben sinnvoll einsetzen in dieser Welt. Nicht nur für uns allein, sondern für alle, denen wir zeigen können, aus welcher Kraft ein christlicher Mensch lebt!

Es sind mehr Gaben als die materiellen Güter, die Paulus damals von seinen Freunden und Freundinnen in Philippi erhielt. Über unserem neuen Jahr 2021 könnte in diesem Sinne auch ein anderer Satz der paulinischen Schule stehen: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2.Tim 1,7)

Wie Paulus selber nutzen wir die Gaben am sinnvollsten, indem wir sie einsetzen, dankbar, und mit erhobenem Haupt. Wir werden vielleicht nicht wieder so leben können wie vor der Pandemie. Das war auch nicht immer ein guter Weg, den wir da mit unseren Gaben in dieser Welt gegangen sind.

Vermutlich werden wir bescheidener leben. Die nicht einfachen Zeiten des sogenannten „Shutdown“, der erzwungenen Ruhe bis hin zur Isolation, lassen uns auch wieder bewusst werden, wie zerbrechlich unser Leben ist, wie wenig wir einen Lebensstil erzwingen können, der von Schaden bewahrt.

Unsere Gaben an die Gesellschaft sind jetzt Bescheidenheit, Rücksichtnahme, Vernunft. Aber gerade in diesen zurückgenommenen Zeiten dürfen wir lernen und erleben, dass unser Leben ganz und gar aus Gottes Hand kommt und sorgsamer Pflege bedarf.

Gott verschleudert seine Gaben nicht im Übermaß, aber er gibt jedem und jeder von uns genug, um gut in das neue Jahr 2021 starten zu können. Wie Paulus können wir gestärkt und selbstbewusst auf den verweisen, in dessen Hand unser Leben ist: „Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht.“

 

 

 

 

 

 

zurück zum Textanfang

Ein Kommentar zu “Neujahr 2021 – Gott ist größer als diese Pandemie

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Mit dem Thema: Verpflichtung Dankbriefe zu schreiben nach Weihnachten beginnt die Predigt aktuell. Paulus hat Briefe für seinen Lebensunterhalt geschrieben an die Gemeinde in Philippi. Wir bekommen auch viele Bittbriefe gegen den weltweiten Hunger von den Hilfsorganisationen. Wir erwarten ehrlich nach der Hilfe ein wenig Dankbarkeit. Paulus lehnt das ab. Er meint: Ich arbeite für unsere Mission, ihr spendiert mir den nötigen Lebensunterhalt! Notfalls könnte ich ohne eure Gaben arbeiten.Ich bin frei. Mein Leben liegt in Gottes Hand. Gott befreit uns nicht von unseren Sorgen , aber er ist mit uns und hilft uns dadurch. Mit dieser Botschaft können wir in Zukunft trotz Korona– Wüstenwanderung bescheidener. Gott gibt uns genug, um selbstbewußt in das Jahr 2021 starten zu können und durchzuhalten. – Bei der Korona- Katastrophe sind wir ja wie die Israeliten. Wenn wir der Bibel und Paulus im Vertrauen auf Gott folgen, gibt er uns gewiss genügend Gottvetrauen und Hoffnung. Diese Predigt verbreitet soviel Hoffnung,Freiheit und Selbstbewußtsein, dass man sie immer wieder gern liest !

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.