Nicht nachlassen im Beten und dabei wachsam und dankbar sein
Mit dem Gebet und Lesen der Bibel oder der Losungen allein ist es nicht getan – ich bin gesandt, um in meinem Alltag Gott in Wort und Tat zu bezeugen
Predigttext: Kolosser 4,2-4 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! 3 Betet zugleich auch für uns, daß Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir das Geheimnis Christi sagen können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin, 4 damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muß.
(Einheitsübersetzung 1980)
2Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam und dankbar! 3Betet auch für uns, damit Gott uns eine Tür öffnet für das Wort und wir das Geheimnis Christi predigen können, für das ich im Gefängnis bin; 4betet, dass ich es wieder offenbaren und verkündigen kann, wie es meine Pflicht ist.
Exegetische (I.) und homiletische (II.) Vorüberlegungen
I. Der Kolosserbrief ist deuteropaulinisch. Der Predigttext, Kol 4,2-4, ist der Beginn der Schlussparänese des Briefes. Die allgemein gehaltene Paränese enthält typische Elemente paulinischer Schlussparänese: Mahnung zum Gebet (V 2, s. 1 Thess 5,17; Röm 15,30; Phil 4,6), zur Wachsamkeit (V 2, s. 1 Kor 16,13; 1 Thess 5,6) und zur Fürbitte für Paulus (VV 3f., s. Röm 15,30; 1 Thess 5,25). Die Aufforderung zur Wachsamkeit ist nicht mehr wie in 1 Thess 5,6 auf die Parusie bezogen, sondern ist zur „Chiffre für ein bewußtes christliches Leben, zu welchem das Festhalten des Glaubens“, das Beten und die Nüchternheit gehören, geworden (Becker/ Luz, Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, S. 239). Die Metapher von der geöffneten Tür (V 3) ist eine paulinische Redewendung, die „eine Chance geben“ bezeichnet (1 Kor 16,9; 2 Kor 2,12).
Literatur: Jürgen Becker, Ulrich Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 1998, S. 239-240
II. Der Predigtsonntag ist Rogate. Entsprechend lege ich in der Predigt den Schwerpunkt auf das Gebet der Gemeinde. Die Predigt selbst ist aber eingebettet in das Gottesdienstgeschehen, das seinerseits ein großes Gebet ist und zu dem eine Vielzahl genau aufeinander abgestimmter Gebete gehören. Predigt und Gebete im Gottesdienst sollten sich gegenseitig befruchten. Aus diesem Grund greift die Predigt das Bußgebet, das von Dietrich Bonhoeffer stammt, wörtlich auf und deutet es: „Gott, zu Dir rufe ich! In mir ist es finster, aber bei Dir ist das Licht…“ Die Predigt erläutert die gottesdienstlichen Gebete im Rahmen der Gesamtliturgie. Hierbei wird die badische Standardliturgie ohne Abendmahl zugrunde gelegt (sog. Liturgie 3).
Auf dem letzten Konfirmandenwochenende fragte ich: „Was ist das Wichtigste im Gottesdienst?“ Da meldete sich ein Konfirmand und antwortete: „Die Kollekte!“ (Pause – Je nach Reaktion weiter:) Sie lachen über diese pfiffige Antwort! Es lässt sich darüber auf jeden Fall wunderbar mit den Konfirmanden diskutieren… Die Musterantwort wäre gewesen: die Predigt und das Gebet. Rogate, so heißt der heutige Sonntag. Das heißt übersetzt: Betet! Lasst nicht nach im Beten! So ermuntert uns auch der Predigttext aus dem Kolosserbrief. Das Gebet ist ein grundlegender Teil des christlichen Lebens. Aus diesem Grund lasst nicht nach im Beten! Angesprochen ist dabei nicht der Einzelne, sondern die Gemeinde in Kolossäa. Die Gemeinde als Ganze wird zum Gebet aufgefordert. Als ich die Konfirmanden fragte, wo der Ort ist, an dem man betet, kam die Antwort prompt: „In der Kirche!“
Der klassische Ort, an dem die Gemeinde betet, ist der Gottesdienst. Auch wir haben heute schon zusammen gebetet. Der Gottesdienst begann mit einem Gemeindelied. Die Gemeinde hat damit nicht nur das erste Wort, sondern sie eröffnet den Gottesdienst mit einer besonderen Form des Gebetes. Musik ist klanggewordene Schöpfungsordnung. Sie ist eine Form des Gebets, die bis in die Tiefenschichten reicht. Martin Luther sagte: „Wer singt, betet doppelt!“ Im Gemeindelied betet der Mund, betet das Herz und betet der Kopf. Allerdings sind nicht nur die Lieder Gebete der Gemeinde. Es gibt im Gottesdienst noch viel mehr Stellen, an denen wir beten. Jedes dieser Gebete hat eine besondere Ausprägung und einen anderen Sinn. Zugleich ist es eingebettet in einen festen Gottesdienstablauf, die „Liturgie“. Der Sonntagsgottesdienst ist ein hochkomplexes Ritual. Ab und an tut eine kleine Erinnerung gut, welchen Sinn es hat. Oder welcher Gedanke hinter den verschiedenen Gottesdienstgebeten steht.
Der Gottesdienst besteht aus drei großen Teilen: dem Eingangsteil, dem Hauptteil und dem Sendungsteil. Im Eingangsteil finde ich mich vor Gott in der Gemeinde ein. Meinen Dank und meine Bitten, alles, was mich in der letzten Woche gefreut oder belastet hat, bringe ich vor Gott. Mit dem, was ich erlebt habe, trete ich vor den Heiligen und rufe ihn an. In Lied, Psalm und Gebet trete ich neu in Beziehung zu Gott. Der Hauptteil umfasst Verkündigung und Bekenntnis. Ich höre auf die Worte der Bibel. Die Auslegung will die Bedeutung des Predigttextes für mein Leben aufzeigen. Ich erinnere mich an die alten Verheißungen, die Gott dem Volk Israel und der Urchristenheit gab. Das Erinnern soll dazu führen, dass ich entdecke, dass Gott auch eine Verheißung für mein Leben hat. Eine Verheißung inmitten der Gemeinde. Dies erschließt mir neu die Gemeinschaft mit Gott und mit der Gemeinde. Der Sendungsteil sendet und segnet mich. Ich werde von Gott gesegnet. Unter dem Segen Gottes werde ich zugleich beauftragt, in der folgenden Woche Liebe und gerechten Frieden zu üben.
Ich habe im Gottesdienst erfahren, dass mein Leben, trotz aller Brüche und Widrigkeiten, einen Sinn hat. Gute Mächte geleiten mich. Diese Gewissheit macht mich fähig, zur Mitarbeit an Gottes gutem Plan mit dieser Welt. Diese Mitarbeit nennt der Römerbrief den Gottesdienst im Alltag der Welt (Römer 12). Mit dem Segen Gottes werde ich hinausgesendet zum Gottesdienst im Alltag der Welt. Genau dies meint die Aufforderung im Predigttext: Lasst nicht nach im Beten; seid dabei wachsam! Die Antwort der Konfirmanden muss man ergänzen: Ich soll nicht nur in der Kirche beten, sondern auch zu Hause. Dabei gibt es keine Form des Gebets, die besser wäre als die andere. Wir dürfen beten, wie uns gerade zumute ist: Schweigend. Oder mit erhobener Stimme. Oder mit Tränen. Es gibt christliche Gruppen, die behaupten, man müsste frei beten können. Doch bei Gott gibt es im Gebet kein Muss. Wer nicht frei beten kann oder möchte, kann ein vorformuliertes Gebet nachsprechen, beispielsweise das Vaterunser oder Psalm 23. Wer nicht laut beten möchte, kann sein Gebet auch still vor Gott bringen. Bei Gott gibt es kein Richtig oder Falsch im Gebet. Freilich, mit dem Gebet und dem Lesen der Bibel oder der Losungen unter der Woche erschöpft sich der Gottesdienst in der Welt nicht. Vielmehr bin ich gesandt, um in meinem Alltag Gott in Liebestaten und Hoffnungsworten zu bezeugen. Meine Taten sollen anderen von der Liebe Gottes erzählen. Kurz zusammengefasst ist der Weg des Gottesdienstes dieser: Ich trete vor Gott – Gott begegnet mir im Wort – ich werde hinaus gesandt in die Welt. Diesem Weg entsprechen die fünf großen Gebete im Gottesdienst.
Der Eingangsteil kennt gleich drei große Gebete. Zunächst ist da das Psalmgebet. Die Psalmen sind das Gebetsbuch Israels. Mit den Psalmen stehe ich auf dem Boden des Volkes Israel. Mein Glaube ist nicht aus der Luft gefallen, sondern da waren andere, die ihn mir übermittelt haben. In diese Kette des Glaubens und des Betens reihe ich mich ein, wenn ich das Psalmgebet mitspreche. Das zweite große Gebet ist das Bußgebet, es endet mit dem griechischen Ruf: Kyrie eleison! Die Gemeinde antwortet darauf singend mit der deutschen Übersetzung des Rufes: Herr, erbarme dich! Im Bußgebet geht es um mich. Ich nehme mich in den Blick, mit allem, was zu mir gehört. Gerade auch mit meinen Schattenseiten und meinen Nöten. Die Belastungen und die Freude der zurückliegenden Woche trage ich vor Gott. Das Bußgebet will mich bereiten auf die Begegnung mit dem Heiligen. Im Predigttext fordert der gefangene Paulus das unermüdliche Gebet ein. Ungewöhnlich, ein Gefangener ruft zum Gebet auf! Das Bußgebet im heutigen Gottesdienst stammt auch von einem Gefangenen. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer hat es im Nazi-Gefängnis für Mitgefangene geschrieben. Als wir vorhin dieses Gebet sprachen, haben wir unsere eigene Finsternis und Bitterkeit in das Gebet eingefügt und sie vor Gott getragen, der allein unsere Hoffnung ist:
„Gott, zu Dir rufe ich!
In mir ist es finster, aber bei Dir ist das Licht;
ich bin einsam, aber Du verlässt mich nicht;
ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist Hilfe;
ich bin unruhig, aber bei Dir ist Friede;
in mir ist Bitterkeit, aber bei Dir ist die Geduld;
ich verstehe Deine Wege nicht, aber Du weißt den Weg für mich.“
Das dritte Gebet ist das Tagesgebet. Es schließt den Eingangsteil ab. Früher nannte man es das „Kollektengebet“. Es endet mit dem trinitarischen Lobpreis Gottes: „Der Du mit dem Sohn und dem Heiligen Geist lebst und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit“. Die Gemeinde reiht sich in diesen Lobpreis ein, indem sie singend bekräftigt: „Amen.“ Dieses hebräische Wort bedeutet auf Deutsch: „So ist es!“ Der Gebetsweg geht also von mir hin zu Gott. Ging es bisher um mich, so geht es nun um Gott. Ich wende mich Gott zu. Ich bete ihn an. Im Kreis der Gemeinde trete ich vor ihn und rufe ihn an. Das Tagesgebet ist ein Dank- und Lobpreisgebet. Seit nun fast drei Jahren bin ich Pfarrer dieser Gemeinde, dabei fiel mir Folgendes auf: Oft genug wird geklagt, oft genug aber auch der Dank vergessen. Daher ist die Aufforderung des Predigttextes keine Selbstverständlichkeit: Lasst nicht nach im Beten; seid dabei dankbar! Das vierte Gebet findet sich erst im Sendungsteil: das Fürbittgebet. Es richtet meinen Blick hin auf die Welt. Ihre Not und ihre Sorgen trage ich vor Gott. Die Welt wird ins Gebet genommen. Der Predigttext skizziert folgende Situation: Der unbekannte und abwesende Apostel und seine Gemeinde sind im wechselseitigen Fürbittgebet eng miteinander verbunden. Der gefangene Paulus klagt nicht über seine persönliche Situation, sondern für ihn steht das Wort Gottes im Vordergrund, das trotz seiner Gefangenschaft reich ergehen soll. In unserem Gruppenpfarramt ist seit beinahe zwei Jahren eine ganze Pfarrstelle unbesetzt. Im Fürbittgebet werden wir um eine gute Besetzung der Stelle beten. Aber auch ihrer Fürbitte zu Hause empfehle ich dieses Anliegen, damit auch in unserer Gemeinde das Wort Gottes wieder reich ergehen möge.
Das letzte Gebet im Gottesdienst ist das Vaterunser. Schon die Kinder lernen es in unserem Kindergarten auswendig oder später dann im Religions- und Konfirmandenunterricht. Es ist wie das Fürbittgebet in Wir-Form abgefasst. Sprach ich zu Beginn im Psalmgebet die Gebete meiner Väter und Mütter im Glauben, so werde ich nun in das ureigene Gebet Jesu hineingenommen. Jesus hat mir gezeigt, wie er selbst betet. Zusammen mit Jesus, zusammen mit unseren Konfirmanden, zusammen mit der ganzen Gemeinde, zusammen mit der weltweiten Christenheit spreche ich:Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name!
Das Wichtigste im Gottesdienst ist das Beten! Das ist das Thema der Predigt von Pfarrer Dr. Petracca. Nach einer pfiffigen Konfirmanden- Einleitung thematisiert der Prediger, dass zum “hochkomplexen Ritual” des Sonntagsgottesdienstes fünf verschiedene Gebetsarten gehören. “Eine kleine Erinnerung tut gut, welchen Sinn” sie haben. Sehr lebendig und anschaulich werden die Gottesdienstteilnehmenden über den Gottesdienst und die verschiedenen Gebete informiert. Sehr eindringlich ist ein Gebet von Dietrich Bonhoeffer in die Predigt eingewoben. “Unter dem Segen Gottes werde ich beauftragt, in der folgenden Woche Liebe und gerechten Frieden zu üben”.