“Nun danket alle Gott …”
Erntedank - Zeichen der Solidarität mit den Armen
Predigttext: 2. Korinther 9,6-15 (Übnach Martin Luther, Revision 2017)
6 Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. 7 Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. 8 Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk; 9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.« 10 Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit. 11 So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Lauterkeit, die durch uns wirkt Danksagung an Gott. 12 Denn der Dienst dieser Sammlung füllt nicht allein aus, woran es den Heiligen mangelt, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken. 13 Denn um dieses treuen Dienstes willen preisen sie Gott für euren Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und für die Lauterkeit eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen. 14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwänglichen Gnade Gottes bei euch. 15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!
Exegetische Bemerkungen
Exegetisch gesehen ist der Text relativ unproblematisch. Der 2.Kor als Briefsammlung ist bekannt, worin Kap. 9 ein Kollektenbrief von Zweien (Kap. 8) ist. Zwei Wendungen sind erklärungsbedürftig:
10: „Früchte eurer Gerechtigkeit“: Paulus selbst bezieht sich auf Psalm 112,9. Dann sind die „Früchte eurer Gerechtigkeit“ der Wille und die Kraft, den in Not Geratenen aufzuhelfen. Nach Jes 32,17 sind Friede sowie Ruhe und Sicherheit Ertrag der Gerechtigkeit. Paulus selbst gebraucht den Begriff dann noch einmal später im Philipperbrief 1,11, allerdings auch sehr unbestimmt. In Röm 12,13 bittet er, sich der Nöte der Heiligen anzunehmen. Röm 12,9-21 ist eine Sammlung von Früchten der Gerechtigkeit. Bei Jak 3,18 ist die Frucht der Gerechtigkeit Friede
(Zu Gerechtigkeit bei Paulus im ethischen Sinn vgl. auch U. Schnelle, Wandlungen im paulinischen Denken (SBS 137), Stuttgart 1989, S. 52f).
13: „euer Bekenntnis zum Evangelium Christi“: Gemeint ist in erster Linie Bekenntnis zur Selbsthingabe Christi als Grund des Trostes in aller Not und Bedrängnis (vgl. 2.Kor 1,3-5; Gal 1,1-5.6-9). Paulus denkt wohl nicht an Mk 8,1-9 (Evangelium des Sonntags), wiewohl auch das aus homiletischen Gründen zum Verständnis mit einbezogen werden kann.
Homiletische Bemerkungen
Die Predigt für Erntedankfest 2021 steht vor drei Herausforderungen: dem Kasus Erntedankfest, der Verbindung von Erntedankfest und Tag der Einheit und schließlich dem Predigttext. Der Kasus Erntedankfest erhält in diesem Jahr seine besondere Brisanz durch die Vernichtung von Existenzen durch Hochwasser und Feuer. Diese verstörenden Ereignisse können nicht übergangen werden. Den Tag der deutschen Einheit zu übergehen, zumal er auf einen Sonntag fällt, stieße weitgehend auf Unverständnis. Der Predigttext wirkt gegenüber diesen Fragwürdigkeiten des Zeitlaufs geradezu banal: Aufruf zu einer Spendensammlung. Eine direkte Anwendung des Predigttextes auf die Flut- und Brandopfer droht die Situation der Betroffenen zu banalisieren.
Der Ausweg einer Themenpredigt unter Ausschluss des Predigttextes steht im Raum. Ich habe mich (nach brüderlicher Beratung mit der Redaktion) für eine Verbindung mit dem Predigttext entschlossen. Er eröffnet im Blick auf den besonderen Kasus folgende Chancen:
- „Werke der Gerechtigkeit“ in ihrem Verweischarakter auf Gott darzustellen,
- Das „Bekenntnis zum Evangelium Christi“ auszuführen als Bekenntnis zu dem in der Not den Menschen sich zuwendenden, mit-leidenden Gott
(Das Bild von Kokoschka z.B. im DPfBl 121/2021, S. 408 (Ausg. 7/2021)
Ich gehe nicht in Form einer Homilie vor, bleibe aber immer in der Nähe des Textes. Daher meine Stellenangaben in der Predigt.
Über die Ambivalenz des Erntedankfestes
Oktober 2021, Erntedankfest 2021. Heute fallen zwei Feste zusammen. Ob der 3. Oktober als Erntedankfest gefeiert werden kann, bleibt angesichts zerbrochener Lebensentwürfe umstritten, und ob wir überhaupt das Erntedankfest 2021 als ein Dankfest begehen können, scheint angesichts der Tausenden von Flutgeschädigten in Belgien, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen höchst problematisch. Betroffen sind wir von den wald- und existenzvernichtenden Feuersbrünsten im gesamten Mittelmeerraum. Erntedankfest?
Ich fahre durchs Alte Land, das große Obstanbaugebiet an der Elbe bei Hamburg, und freue mich über die gute Kirsch- und Apfelernte in diesem Jahr; ich sehe die frischen Kohlfelder in Dithmarschen in saftigem Grün dastehen. Überhaupt: Eine selten dagewesene Blumenpracht in allen Gärten: Tulpen, Rosen, Hortensien, nicht nur in Erfurt, lang anhaltend und in Fülle blühend. Danke, lieber Gott, für diese Fülle an Nahrung und Schönheit!
Raum zum Danken …
Oder klingt er zynisch, egoistisch, dieser Dank – angesichts der Schädigungen und des Leids, das die Natur den Menschen in diesem Jahr zugefügt hat? Nein. Für das Gute, das ich empfangen habe, für die Schönheit, die ich genießen durfte, für die gut stehenden Felder und reich tragenden Bäume darf ich danken. Das will ich auch. Diesen Raum dürfen wir uns nehmen. Das müssen wir sogar, weil wir sonst undankbar, gottvergessen wären. Diesen Raum nehmen wir uns heute, ohne Zynismus und ohne die anderen, die alles verloren haben, zu vergessen.
… ohne die Anderen zu vergessen
Ohne die Anderen, die alles verloren haben, zu vergessen. In der Tat, nur das rechtfertigt unseren Lobpreis Gottes und unser Feiern! Wie aber können wir die, die alles verloren haben, mit einbeziehen in unser Dankfest? Der heutige Predigttext kann uns dafür eine Anleitung geben. Es ist ein Fundraising-Brief des Apostels Paulus an seine Gemeinde in Korinth. Die Korinther sollen Geld sammeln für die Armen in Mazedonien. Paulus schreibt, er werde bald aus Mazedonien kommen und eine Schar Mazedonier mitbringen nach Achaia – Kotinth liegt in der Landschaft Achaia. Und so sollen die Korinther schon mal kräftig Geld sammeln, damit sie sich nicht blamieren, wenn Paulus mit den Brüdern aus Mazedonien kommt. Weiter schreibt er:
(Lesung des Predigttextes)
Nun sagte ich, dieses Schreiben kann eine Anleitung sein, wie wir die, die alles verloren haben, in unsere Dankfeier mit einbeziehen können. „Ach so“, sagen Sie, „das läuft wohl auf eine reichliche Kollekte hinaus.“ – „Läuft das jetzt so ‚bei Kirchens‘: die Predigt als Werbeblock für eine Spende?“ Nein, liebe Gemeinde, so banal läuft es ‚bei Kirchens‘ nicht, auch bei Paulus nicht, wenn er um Geld für die Armen wirbt. Wenn ich behaupte, dass das Schreiben des Paulus eine Anleitung sein kann dafür, wie wir die schwer Geschädigten in unsere Dankfeier mit einbeziehen können, dann deshalb, weil es etwas Besonderes an sich hat; etwas Besonderes, das es von den meisten anderen Sammlungen für einen guten Zweck abhebt.
Die meisten anderen Sammlungen sind ohne Frage – wie auch die des Paulus – ein gutes Werk (9,8). Aber sie haben – gleichsam in der Anmerkung – eine zweite Absicht: auf den Sponsor zu verweisen. Das ist dann das Autohaus Mustermann, die Stiftung Leben für alle, die Stadtsparkasse in Querstadt. Sie alle legen auf ihr Logo wert, darauf, dass sie als Wohltäter beachtet werden nach dem Motto: „Tue Gutes und rede darüber“.
Anders Paulus. Er verweist nicht auf sich selbst; er will auch nicht, dass die Mazedonier die Reichen der Stadt Korinth über alles loben und preisen, sondern er will, dass Gott gepriesen werde, von dem letztlich alles Gute kommt (9,11-13). Er will, dass Gott gepriesen werde, der Menschen zum freien Geben anreizt, jeder, wie er kann, Hauptsache gern (9,7).
So ist die Gabe für Paulus in keinem Fall Werbung für den Sponsor. Sie ist dann schon eher ein Zeichen der Solidarität mit den Armen (9,13b), vor allem aber ist sie ein Hinweis auf Gott, der in, mit und unter der Gabe gleichsam zu den Armen herabkommt.
So interpretiere ich Paulus: Die reichliche Gabe an die Armen, ein Zeichen von Gottes Nähe und vielleicht sogar ein Zeichen seiner Empathie, seines Mit-Leidens. Wenn die menschlichen Geber den himmlischen mit-leidenden Geber durch ihre Gabe hindurchscheinen lassen, auf ihn mit ihrer Spende verweisen, ihn in, mit und unter ihrer Kollekte verkündigen, dann ist das Ziel erreicht: nämlich dass die, die alles verloren hatten, nun einstimmen können in das Lob eines Gottes, der seine Augen nie von ihnen genommen hat.
Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das bekannte Christus-Bild von Oskar Kokoschka: Christus am Kreuz, der einen Arm vom Balken löst, sich mit-leidend den hungernden Nachkriegskindern zuwendet und ihnen Brot und Segen spendet. Den zu verkündigen und den zu erkennen ist das Ziel der Spendenaktion – so Paulus. Ihm zu danken ist die Frucht allen Rechttuns und aller Solidarität (9,10f).
Die Spende als Verkündigung des Herrn
Was Paulus hier zu seiner Geldsammlung in Korinth schreibt, kann auch für uns Anleitung sein, die schwer Geschädigten in unser Dankfest einzubeziehen, so sagte ich. Ich glaube, das fällt nun nicht mehr schwer. Dass eine Geldgabe für die Flut- und Brandopfer auf ein Konto die beste Hilfe zurzeit ist, besser als Berge von Sachspenden, ist uns hinreichend deutlich geworden. Ich füge hinzu: Sie ist mehr noch als nur Linderung von Mangel und Not, sie ist ein Stück Verkündigung, das wir alle von Herzen gern und im Glauben an den wieder aufhelfenden Gott geben. Der Glaube springt über. Meine Amtsbrüder und –schwestern vor Ort werden das Ihrige dazu beitragen. Die Einstellung ist wichtig. Sie entscheidet über den materiellen und den geistlichen Erfolg (9,6).
So lassen Sie uns nun, liebe Gemeinde, darum beten, dass mit unserer Gabe das Vertrauen wieder wächst: das Vertrauen auf den Gott, der die Welt nicht untergehen lassen will. Lasst uns darum beten, dass mit unserer Gabe die Gewissheit der Nähe Gottes in aller Not wieder wächst, die Nähe dessen, der mit leidet. Lasst uns darum beten, dass mit unserer Gabe die Erkenntnis Gottes wächst: die Erkenntnis, dass er mehr sieht als wir im Moment, dass er für unsere Zukunft mit verantwortlich ist und dass wir mit ihm trotz aller Widerwärtigkeiten „über Mauern springen“ können.
Der 3. Oktober
Hier könnte ich schließen. Wenn heute nicht auch der 3. Oktober wäre. Ich hatte uns eingangs Raum zum Danken eingefordert und reserviert. Den möchte ich an dieser Stelle noch einmal nutzen, um mit einem Gott-sei-Dank auf 31 Jahre deutsche Einheit zu blicken. Am 3. Oktober 1990 haben Menschen von Herzen gedankt dafür, dass die Teilung Deutschlands in zwei Staaten (BRD und DDR) überwunden wurde und wir in einem geeinten Vaterland leben dürfen. Sie sangen – auch in Kirchengemeinden: „Nun danket alle Gott“. Es war eine Art Ernte-Dank. Das Saatkorn zur Einheit war gelegt in der Präambel des Grundgesetzes, die Einheit nie aus dem Auge zu verlieren, ebenso das Streben, diese Einheit in Frieden und Freiheit zu erreichen.
1949 wurde das Saatkorn gelegt, am 3. Oktober 1990 ging es auf. Die Frucht der Einheit ist Frieden und Freiheit für uns und – wie wir uns wünschen – auch für ganz Europa. Wir Christen bleiben uns bewusst, dass diese Einheit in Frieden und Freiheit – bei aller menschlichen Mitwirkung – Gottes Gabe ist. Darum dürfen wir ihm danken für das vereinte Vaterland und ihn um Frieden für Volk und Vaterland bitten.
Lied: „Nun danket alle Gott“ (EG 321)