„Komm, Heil der Völker“
Liedpredigt zu "Nun komm, der Heiden Heiland" - Wochenlied zum 1. Advent
"Nun komm der Heiden Heiland" - Ev. Gesangbuch Nr. 4
1. Nun komm, der Heiden Heiland, / der Jungfrauen Kind erkannt, / daß sich wunder alle Welt, / Gott solch Geburt ihm bestellt.
2. Er ging aus der Kammer sein, / dem königlichen Saal so rein, / Gott von Art und Mensch, ein Held; / sein' Weg er zu laufen eilt.
3. Sein Lauf kam vom Vater her / und kehrt wieder zum Vater, / fuhr hinunter zu der Höll / und wieder zu Gottes Stuhl.
4. Dein Krippen glänzt hell und klar, / die Nacht gibt ein neu Licht dar. / Dunkel muß nicht kommen drein, / der Glaub bleib immer im Schein.
5. Lob sei Gott dem Vater g'tan; / Lob sei Gott seim ein'gen Sohn, / Lob sei Gott dem Heilgen Geist / immer und in Ewigkeit.
Text: Martin Luther 1524 nach dem Hymnus »Veni redemptor gentium« des Ambrosius von Mailand um 386
Melodie: Einsiedeln 12. Jh., Martin Luther 1524
Versuch einer Neuformulierung nach dem ursprünglichen lateinischen Text
1. Nun komm, Erlöser der Völker,allen Menschen zugewandt,
dass staunt die ganze Welt,
wen Gott ihr zur Seite stellt.
2. Er verließ sein eigen Reich,
wurde so uns Menschen gleich,
wahrer Mensch und lebt in Gott,
gibt uns Hoffnung, teilt das Brot.
3. Kam aus Gottes Ewigkeit,
kehrt zurück in seine Zeit,
nimmt sich an der Toten zuvor,
offen steht das himmlische Tor.
4. Glanz geht von der Krippe aus,
scheint ins Dunkel jedem Haus,
leuchtet auf in tiefster Nacht,
hilf mir glauben, du hast die Macht.
5. Lob und Dank dem ewigen Gott
der uns hilft in jeder Not,
dem einzig geliebten Sohn,
Heil'gem Geist auf e i n e m Thron.
Text: Heinz Janssen, 2013
(Dem "dass" in der 1. Strophe sind die ersten beiden Töne, b und c'', der dritten Liedzeile zugeordnet, dem "du hast" in der 4. Strophe die beiden Achtelnoten, a und g, in der letzten Liedzeile, dem "e i n e n" in der 5. Strophe ebenfalls die beiden Achtelnoten, a und g, in der 4. Liedzeile.)
(Gemeinde singt nach einem Choralvorspiel das ganze Lied)
Die Adventslieder lassen in Melodie und Text die Hoffnung auf Erlösung, die Erwartung auf eine letzte Befreiung, anklingen. „Der kommende Erlöser” ist das Thema des Liedes “Nun komm, der Heiden Heiland”. Das Kommen des Erlösers ist angesagt. Die Verheißung seiner Ankunft, seines Advents, ruft die Menschen auf, ihm in den „Irrungen und Wirrungen“ des Lebens entgegen zu gehen.
„Nun komm, der Heiden Heiland“ – der Text dieses Liedes geht auf den im 4. Jahrhundert (um 386 n. Chr.) in Trier geborenen und späteren Bischof von Mailand, Aurelius Ambrosius, zurück, die Melodie auf Martin Luther, der sie aber nicht neu schuf, sondern auf einen mittelalterlichen Hymnus zurückgriff. Martin Luther war es auch, der den ursprünglich lateinischen Wortlaut („Veni redemptor gentium…“) ins Deutsche übertrug.
1. Liedstrophe “Nun komm”
„Nun komm, der Heiden Heiland…” Der Text der ersten Strophe ist heute schwer verständlich. Eine wörtliche Übersetzung des lateinischen Textes der ersten Liedzeile („Veni redemptor gentium“) ergibt: „Komm, Erlöser der Völker“. Das ist ein Hilferuf, ein Ruf nach Befreiung. Erlösen bedeutet im biblischen Sinn: einen Menschen, der Schulden hatte und wegen Zahlungsunfähigkeit als Sklave genommen wurde, loskaufen, ihn „lösen“.
Der Name dieses “Heilands”, dieses “Lösers”, ist in dem ganzen Lied nicht ausdrücklich genannt. Dem Zusammenhang nach kann nur Jesus von Nazareth gemeint sein. Schon die 2. Liedzeile deutet auf ihn. Auch die Rede von d e m Heiland weist auf eine bestimmte heilsame Retter- und Erlösergestalt hin. Ich vermute dennoch: Das Nichtaussprechen des Jesusnamens macht Sinn und kann tatsächlich beabsichtigt sein. Vielleicht will damit der Liedverfasser zum Ausdruck bringen, wie die Menschen bereits in vorchristlicher Zeit Orientierung suchten und sich nach heilem Leben sehnten. Ein Blick in das Alte Testament, die Bibel Jesu, erhellt, dass Gott lange Zeit vor Christus auf Hilferufe seines Volkes Heilandsgestalten erweckte (z. B. Richter 3,9), und dass es Israel gut ging, wenn es seine Hoffnung allein auf Gott und in ihm den “Heiland, Retter, Erlöser” suchte. “Tröste uns / richte uns auf, Gott, unser Heiland” (Psalm 85,5).
Wo brauchen wir Menschen heute Befreiung, Lösung aus einer Situation, aus der wir uns selbst nicht helfen können? Worin brauchen die Völker Hilfe für ein gerechtes und friedliches Miteinander, dass z. B. die umstrittene „Globalität“ keinen Anlass für ein Schreckensscenarien bietet, sondern zu einer Chance der Völkergemeinschaft wird für ein menschenwürdiges und schöpfungsgemäßes Leben?
„…der Jungfrauen Kinde erkannt…“ Der Erlöser, der wieder ganz macht, was zerrissen und zerbrochen war, wird in der zweiten Liedzeile mit Maria, der Mutter Jesu, in Verbindung gebracht. Es geht um die Erkenntnis dieser Verbindung. Für Maria steht das Wort „Jungfrau”. Eine alte Verheißung aus der Bibel Israels klingt in diesem Wort an, die Botschaft des Propheten Jesaja: „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen „Immanuel“.
„Ostende partum virginis“, diese zweite Liedzeile gab Martin Luther sehr frei und heute kaum noch verständlich wieder: „der Jungfrauen Kind erkannt”. Wörtlich sagen die drei lateinischen Worte: Zeige (offenbare, erkläre) die Geburt durch die Jungfrau. Unmöglich, dass menschliche Vernunft den ersehnten Erlöser mit einem Menschen verbinden kann. Darum die Bitte: Zeige, erweise dich, du Menschenkind, als der kommende Erlöser. Lass die ach so vernünftigen Menschen an ihrer Vernunft zweifeln und kritisch gegenüber Standpunkten sein, auf denen sie immer nur beharren. Öffne ihre Ohren und Augen, dass sie hören und sehen.
„…daß sich wunder alle Welt…” Mit dieser Übersetzung der dritten Liedzeile hält sich Martin Luther ziemlich wörtlich an den überlieferten Text: „Miretur omne saeculum“. Staunen soll die ganze Welt. Ein „Paradigmawechsel”, eine neue Blickrichtung, ist angesagt, ein Umdenken, das den Menschen auf einen guten Weg bringt.
„…Gott solch Geburt ihm bestellt.” Die vierte Liedzeile lässt sich vom lateinischen Text her heute verständlicher sagen, als sie Martin Luther übersetzte. „Talis partus decet Deum“ heißt: Eine solche Geburt steht Gott gut. Der kommende Erlöser ist der menschlich ganz nahe, nicht der ferne und unerreichbare. Der kommende Erlöser befreit. Sein befreiendes Handeln löst die Menschen von dem Zwang, anderen die Freiheit zu nehmen, und hilft ihnen, einander gerecht werden. Noch gibt es in persönlichen und öffentlichen Bereichen zu viel Unfreiheit. Darum ist es gut, die Bitte wach zu halten: „Komm, Erlöser der Völker“. (Von Nicolaus Bruhns gibt es eine eindrucksvolle Choralphantasie zu den vier Liedzeilen der ersten Strophe, sie kann an dieser Stelle erklingen).
(Gemeinde singt die 1. Liedstrophe)
Die 2. und 3. Strophe besingen das Woher und Wohin des Gottes- und Menschensohnes.
2. Liedstrophe “Er ging aus der Kammer”
Aus “seiner Kammer” “ging” er, aus “dem königlichen Saal”. Beide Bilder veranschaulichen den vorgeburtlichen Ort des Heilbringers und seine noch vor der menschlichen Empfängnis liegende Zeit. Die nähere Kennzeichnung seiner Kammer, seines Saales, als “königlich” deuten schon seine Mission, seinen Auftrag an: Er wird seinen göttlichen Raum verlassen, um zu den Menschen zu gehen und für sie da zu sein – als ein König, der sie begleitet, für sie sorgt, sie beschützt. Ein König wurde in vorchristlicher Zeit im biblischen Gottesvolk Israel “gesalbt”. Durch diesen Ritus der Salbung des Hauptes der auserwählten Person wurde die göttliche Berufung bestätigt. “Gesalbt” heißt in der Hebräischen Bibel “Meschiach”, gäzisiert: “Messias”, griechisch: “Christos”, lateinisch: “Christus”. Wenn wir also heute von “Jesus Christus” sprechen, stimmen wir in das kürzeste christliche Glaubensbekenntnis ein: Jesus ist der Christus, der König nach dem Herzen Gottes. “Gott von Art und (zugleich) Mensch”, heißt es in der 2. Liedstrophe.
3. Liedstrophe “Sein Lauf”
Die 3. Strophe führt die zweite weiter, und sie bringt Jesu Woher und Wohin auf den Punkt: Jesu “Lauf kam vom Vater”, sein Lebenslauf kam von Gott, und er kehrt von der Erde, der irdischen Welt, wieder zu Gott in die himmlische Welt, nachdem er erfüllt hat, wozu er beauftragt war. Dazu gehörte auch seine Zuwendung zu den Menschen, die verstarben. Denn er vertraute darauf, dass sie alle in Gott leben (Apostelgeschichte 17,28). Dies meint in der 3. Strophe die Rede von seiner “Höllenfahrt”.
(Gemeinde singt die 2. und 3. Liedstrophe)
4. Liedstrophe “Dein Krippen glänzt”
In der 4.Strophe lenkt der Liedverfasser unsere Aufmerksamkeit nocheinmal, wie schon in den ersten beiden Strophen angedeutet, auf die Menschlichkeit Jesu. Jesus – so menschlich, dass man darüber seine Göttlichkeit übersehen könnte.
“Deine Krippe glänzt hell und klar” – dies kann bestimmt nur das “innere Auge”, der Glaube, sehen. Denn Jesu Krippe, das grobe Holz eines Futtertrogs für die Tiere, glänzte bestimmt nicht. Was für ein ärmliches Bett für ein neugeborenes Kind! Wies das harte Holz der Krippe, kaum war das Kind auf der Welt, schon auf das harte Holz des Kreuzes? Wie viele Eltern heute, die für ihr Kind keine würdige “Kammer”, kein schönes Kinderzimmer, haben. Werden sie sich jenem Kind in der Krippe nahe fühlen, vielleicht auch von ihm gestärkt, denn “die Nacht gibt” durch dieses Kind “ein neues Licht dar”: die Mitte der Nacht – Anfang eines neuen Tages”, die Dunkelheit weicht.
Die 4. Strophe mündet in die Worte: “der Glaub bleib immer im Schein”. Es geht hier nicht um den Scheinglauben, als ob der Glaube uns mit einer Scheinwelt umgebe, denn es heißt nicht: “der Glaube
b l e i b t immer im Schein”, sondern er “b l e i b e”. Es ist ein Wunsch, dass Glaube, Gottvertrauen, im Lichtschein, im hellen und klaren Glanz der Krippe bleibe.
(Gemeinde singt die 4. Liedstrophe)
5. Liedstrophe “Lob sei Gott”
Seit das Osterlicht aufleuchtete und scheint, kann und soll uns keine Nacht, kein Dunkel, mehr scheiden “von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn” (Römer 8,39). Darum stimmen wir mit der letzten Liedstrophe in das Lob Gottes ein, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – „immer und in Ewigkeit“.
(Gemeinde singt: dreifaches Amen und stimmt daraufhin in die 5. Liedstrophe ein)