Offener Himmel
Liebe - das Geheimnis unserer Welt, die Wahrheit, welche Jesus Christus bezeugt
Predigttext: Johannes 3,31-36 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
31 Der von oben her kommt, ist über allen. Wer von der Erde ist, der ist von der Erde und redet von der Erde. Der vom Himmel kommt, der ist über allen 32 und bezeugt, was er gesehen und gehört hat; und sein Zeugnis nimmt niemand an. 33 Wer es aber annimmt, der besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist. 34 Denn der, den Gott gesandt hat, redet Gottes Worte; denn Gott gibt den Geist ohne Maß. 35 Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben. 36 Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm.
Exegetische Vorüberlegungen
Die Perikope begegnet im Kontext des Johannesevangeliums als Fortführung der Täuferrede in 3,27ff. Da sie jedoch inhaltlich darüber hinausgeht, lässt sie sich am ehesten als grundlegender Kommentar des Erzählers verstehen (vgl. Schnelle, a.a.O., 81). Der Text ist durchzogen von einer sich steigernden Aussagenreihe über den Offenbarer. Er ist „von oben kommend“ (V.31a), vom „Himmel kommend“ (V.31c). Er ist der, „den Gott gesandt hat“ (V. 34), „Der Vater hat den Sohn lieb“ (V.35). Zunächst wird betont, dass die Herkunft aus dem Göttlichen das Zeugnis Jesu von Gott autorisiert: „Allein der vom Himmel Gekommene gibt authentisches Zeugnis“ (Bultmann, a.a.O., 118). V.34 präzisiert diese Auskunft, in dem er zu verstehen gibt, dass sich im Wort des Offenbarers Gott selbst mitteilt (V.34a), weil Gott ihm in ganzer Fülle den Geist gibt (V.34b). Im folgenden V.35 wird die Aussagenfolge nochmals gesteigert, indem sie die Beziehung zwischen Gott und dem Offenbarer als eine Vater-Sohn-Relation beschreibt. Die Vollmacht des Sohnes hat ihren Grund in der Liebe des Vaters zum Sohn (V.35, vgl. 5,20; 15,9f; 17,23f). So ist nach 3,16a insgesamt „die Sendung des Sohnes Gottes als Ereignis der Liebe Gottes zu verstehen“ (Weder, a.a.O., 452). Dem entsprechen die Aussagen von der Liebe Jesu in 13,1; 14,31. Dieses Geschehen der Sendung ist nicht ergänzungsbedürftig sondern vollständig und definitiv (V.35b vgl. V34b). Mit der Liebe hat der Vater dem Sohn alles gegeben. Der Offenbarer legt also Zeugnis ab vom Ja-Wort der Liebe, in dem sich Gott als Liebender zuspricht. Mehr noch: Er selbst ist dieses Ja-Wort, in dem Gott menschlich zu uns spricht (1,14).
Um so befremdender ist die in V.32b geschilderte Reaktion der Nicht-Annahme dieses Zeugnisses (vgl. 1,10f). Der vorhergehende V.31b unterstrich freilich schon: Von weltlicher Voraussetzung her kann niemand das Zeugnis annehmen. Daher ist, wie schon 3,19 zeigt, „das Nicht-Annehmen dieses Zeugnisses die schlechthinige Regel“ (Barth, a.a.O., 233) Nach diesem Bescheid überrascht der folgende Vers 33. Er zeigt, dass die Feststellung über das Nicht-Annehmen nicht das letzte Wort ist. Weil der Glaube im Zeugnis das Bezeugte angenommen hat, beglaubigt der Glaube die Sache selbst: die Wahrhaftigkeit Gottes. Die unterschiedlichen Tempora in der Rede vom Nicht-Annehmen (Präsens in V.32) und vom Annehmen (Aorist in V.33) weisen darauf hin, dass das Nein und das Ja gegenüber dem Offenbarer nicht auf der gleichen Ebene liegen. „Ist … der Glaube positiv da, so herrscht in ihm eine Vorzeitigkeit des Empfangen-Habens“ (Fuchs, a.a.O., 381). Folgt man dieser Beobachtung, wird erkennbar, dass es nach Joh keinen neutralen Ort gibt, von dem aus sich jemand zum Annehmen oder Nichtannehmen entscheiden kann. Wer sich auf die geschenkte Vorgabe des Offenbarers einlässt, hat den Glauben von diesem schon empfangen. Gott muss alles tun (V. 35b). Der Glaube ist in der Situation, dass er das Wort der Liebe hört (vgl. 10,3.27) weil er die Stimme des Offenbarers kennt (10,4). Die Glaubenden sind hineingenommen in die Kindschaft Gottes (1,12).
Im Gegensatz vom Glaubenden und Ungehorsamen in V.36 wird die Antithese aus V.32b.33 chiastisch wieder aufgenonmmen. Wiederum wird kein symmetrischer Dualismus beschrieben. Vielmehr wird eine „Asymmetrie des Rettenden“ (Hans Weder) ausgedrückt. Sie besteht darin, „dass der Sohn gekommen ist, um der ganzen Welt den Glauben zu entlocken“ (Weder, a.a.O., 460). Eigentlich kommt es zu der „Möglichkeit des Unglaubens erst dadurch, dass die Sendung des Sohnes die Menschen zum Glauben bewegt“ (Weder, a.a.O., 459 A61). Im Nicht-Glauben vollzieht sich das Gericht darin, dass die Ungehorsamen – also die, die nicht auf Wort der Liebe hören – unter dem Zorn Gottes bleiben. Während nach V.36b diese nicht das Leben sehen werden, wird dem Glauben das ewige Leben zugesprochen V.36a. Denn der Glaube freut sich an der Liebe (vgl. 15,9ff).
Literatur: Karl Barth, Erklärung des Johannes-Evangeliums (Kapitel 1-8), GA II. Akademische Werke 1925 /1926, hrsg. v. W.Fürst, Zürich 1976. - Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes, KEK, Göttingen 161959. - Ernst Fuchs, Die Theologie des Neuen Testaments und der historische Jesus, in: Ders, Zur Frage nach dem historischen Jesus GA I, Tübingen 21965, 377-404. - Hans Weder, die Asymmetrie des Rettenden. Überlegungen zu Joh 3,14-21 im Rahmen johanneischer Theologie, in: Ders, Einblicke ins Evangelium. Exegetische Beiträge zur neutestamentlichen Hermeneutik, Göttingen 1992, 435-456.
Unerreichbar fern ist der Himmel. Unerreichbar für alle auf Erden. Auf einmal entsteht eine Verbindung zwischen Himmel und Erde. So malt uns der Evangelist das Weihnachtsfest vor Augen. Das Kind, das in einem Stall zu Welt kommt, der junge, sanftmütigen Lehrer, der am Ende seines Lebens brutal hingerichtet wird, ist der Bote des Himmels. Nun kommt er zur Erde. Was bekommt er zu sehen, wenn er unsere Welt mit Abstand betrachtet? Sieht er nicht vieles, was unsere Welt dunkel und traurig macht? Er nimmt wohl wahr, wie viele von uns in diesen Tagen gefangen sind in der Trauer um liebe Menschen. Gerade an Weihnachten fehlen sie uns, sehen wir ihren leeren Platz. Er erkennt gewiss manche Angst in uns. Angst, die Menschen drängt, sich gegen andere zu behaupten, um nicht als Verlierer dazustehen. Angst, die Menschen sich an Dinge klammern lässt, weil sie fürchten, dass ihr Leben verrinnt. Angst, die Menschen nach Erlebnissen hungern lässt, weil sie sich darum sorgen, das eigentliche Leben zu verpassen. Er sieht unsere Schuld. Vielleicht sieht der Bote in all dem auch, wie sehr wir uns nach dieser Liebe sehnen, die uns tröstend wie ein Mantel birgt, die den Raum unseres Lebens weitet und uns die schweren Lasten der Schuld von den Schultern nimmt. Aber gerade dazu kommt er ja zu uns, um uns diese Liebe zu bringen und uns froh und lebendig zu machen. Uns steht der Himmel offen.
Das ist eine Freude, die wir nur ganz unzureichend mit hektischen Vorbereitungen, Lichterbändern, Weihnachtsmärkten, Geschenken, die man kaufen kann, in unsere Fröhlichkeit übersetzen. Denn wem in diesen Tagen das Herz ängstlich oder schwer ist, der wird durch die Fröhlichkeit um ihn herum vielleicht noch trauriger. Aus meinem eigenen Herzen komme ich nicht zur Weihnachtsfreude. Da hilft kein Tannenduft. Aber vielleicht keimt in mir der Wunsch nach dieser Freude. Vielleicht erreicht mich die Sehnsucht, dass mein Herz fröhlich sein soll. Der Wunsch, es möge in mitten von Traurigkeiten, die mich umgeben, eine Freude geben, die mich mit dem Himmel und dem Grund und Ziel meines Lebens verbindet. Das wäre eine Lebensfreude, die der Dunkelheit standhält. Vielleicht folge ich dieser Sehnsucht, in dem ich einstimme: „Fröhlich soll mein Herze springen“. (Lied „Fröhlich soll mein Herze springen“, EG 36,1-2)
„Christus ist geboren!“ Können wir in diesem Kind, das in einem Stall zur Welt kommt, in diesem Lehrer, in dem am Kreuz zu Tode Gefolterten Grund und Ziel unseres Lebens erkennen? Dazu müsste Gott selbst uns helfen. Dazu müsste sein Wort uns erreichen. Gott verharrt nicht in herablassender Teilnahmslosigkeit, sondern er selbst kommt herab und setzt sich unserer Wirklichkeit aus. Sein Wort, sagt: „Ich bin bei dir. Auch in deinen Dunkelheiten, in der finstersten Nacht. Ich komme in die Not, die ihr an Leib und Seele empfindet. Ich bin für euch hinabgestiegen in das Reich des Todes“. Wie gut, dass ich mich nicht selbst zum Wort von Weihnachten aufschwingen muss. Es will ja zu mir herabkommen. Es reicht, wenn ich höre. Es genügt, dass ich höre, was uns aus dem Himmel zugerufen wird und höre, was wir uns heute zusingen: „Christus ist geboren!“ (Lied „Fröhlich soll mein Herze springen“, 36,3-5)
„Der Vater hat den Sohn lieb und hat ihm alles in seine Hand gegeben.“ – Der Himmel, das höhere Wesen, das göttliche Geheimnis, das über allem ist: Hier wird es „Vater“ genannt. Nicht ein Vater, der ein Erzeuger seiner Kinder ist und ansonsten abwesend. Nein es ist ein Vater, der seinen Sohn lieb hat: ein Liebender. Von lauter Liebe ist dieser Vater bewegt. Von der Liebe zu seinem Sohn, von der Liebe zu dieser Welt, von der Liebe zu allen Menschen. Liebe soll das das Geheimnis unserer Welt sein. Sie ist der offene Himmel über uns und der tiefste Grund, der unser Leben hält und bewegt – das ist die Wahrheit, die Jesus Christus bezeugt, von der er ganz durchdrungen ist. Er ist von ihr so durchdrungen, dass er selbst dieses Liebeswort Gottes an uns ist. Mit ihm sagt Gott „Ja“ zur Welt und „Ja“ zu einem jedem, einer jeder von uns. „Sollt uns Gott nun können hassen, der uns gibt, was er liebt über alle Maßen?“ Gottes Liebe für seinen Sohn strömt ohne Maß über auf alle, die ihn annehmen. Sie – uns alle will er ja zu Gottes Kindern machen. Wie können wir diese Liebe empfangen? Wohl so, dass wir auf das Wort der Liebe hören und zunächst unsere Hände leer machen.
In Christi Hand liegt alles. In seine Hände können wir alles legen. Alles, was wir mitbringen, wenn wir zu ihm kommen. „Lasset fahrn, o liebe Brüder, was euch quält, was euch fehlt ich bring alles wieder“, sagt Christus. Seltsame Weihnachtsgeschenke mögen das sein, die wir Gottes Sohn bringen: Da trägt jemand Traurigkeiten auf den Schultern und will sie Christus mitbringen. Eine andere legt ihm ihre Lebensängste in die Hände. Der dritte schleppt schwer an den Fehlwegen seines Lebens und lässt die Last der Schuld bei ihm fallen. Die Hände, die das alles festgehalten haben, können sich öffnen. Die Finger dürfen sich lösen und entspannen. Dein Leben, das du nicht mehr krampfhaft festhalten musst, wird ein gelassenes Leben. (Lied „Fröhlich soll mein Herze springen“, 36,6-9)
„Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben“. Das wäre ein Leben, in dem sich die Hände unseres Glauben füllen, die Hände, die frei geworden sind, weil sie Lebensangst und die Lebenslast losgelassen haben. Das wäre ein Leben, in dem ich mich finde, weil ich mich im Vertrauen auf Christus losgelassen habe! Das wäre ein Leben in dem unser belebtes Herz vor Freude springen könnte. Mitten in einer beengenden Welt empfinge ich einen weiten Raum der Freude. Der Himmel käme dort an, wo Liebe nötig ist: bei uns. Denn Gott teilt auch die Finsternis, verborgen in der Armut und Schwachheit Jesu. Auch hier sucht er unsere Nähe, weicht nicht aus, ist bei dir. Das ist es was der vom Himmel Gesandte gesehen und gehört hat. Das sollen wir in dem Kind in der Krippe, in dem sanftmütigen Lehrer, in dem Gekreuzigten erkennen. Er will dir für dein Leben bezeugen: Gott ist der, der schon Ja zu dir gesagt hat. Du kannst als Kind Gottes dir dieses Ja sagen lassen, denn du bist geliebt – mehr geliebt, als du vielleicht jetzt schon ahnst und weißt. Mehr geliebt, als du jetzt vielleicht fühlen und erfahren kannst. Du bist sein geliebtes Kind. Darauf lass alles ankommen. (Lied „Fröhlich soll mein Herze springen“, 36,10-12)
(Vgl. die Predigt von Pastor Dr. Bernd Kuschnerus vom 25.12.2006 im Heidelberger Predigt-Forum, www.predigtforum.de, Predigtarchiv)