Ostern 2020 – Nichts zu lachen?
Auferstehung, social distancing und das Corona-Virus
Predigtext: 1. Korinther 25,19-28 (Über nach Martin Luther)
Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in der für ihn bestimmten Ordnung: als Erstling Christus; danach die Christus angehören, wenn er kommen wird; danach das Ende, wenn er das Reich Gott, dem Vater, übergeben wird, nachdem er vernichtet hat alle Herrschaft und alle Macht und Gewalt. Denn er muss herrschen, bis Gott »alle Feinde unter seine Füße gelegt hat« (Psalm 110,1). Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Denn »alles hat er unter seine Füße getan« (Psalm 8,7). Wenn es aber heißt, alles sei ihm unterworfen, so ist offenbar, dass der ausgenommen ist, der ihm alles unterworfen hat. Wenn aber alles ihm untertan sein wird, dann wird auch der Sohn selbst untertan sein dem, der ihm alles unterworfen hat, auf dass Gott sei alles in allem.“
Vormerkung zur Predigt
Die Predigt enthält Verweise auf den Film „Contagion“ des amerikanischen Regisseurs Steve Soderbergh. Er ist gegenwärtig bei Youtube zu sehen, leider nur hinter einer Bezahlschranke. Aber eigentlich genügt der Trailer, der schon einen Eindruck verschafft. Das Bild „Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes“ vom Meister des Staufener Altars ist normalerweise in der Karlsruher Kunsthalle zu sehen. Die digitale Version findet sich hier.
Unter den selbstgenähten Atemschutzmasken verlieren wir verunsicherten Bürgerinnen und Bürger leicht die notwendige Orientierung. Es droht Sauerstoffmangel, wenn man sich auf Abstandhalten und social distancing konzentrieren muß. Rundfunk und Zeitungen bemühen sich nach Kräften, die allgemeine Unruhe zu dämpfen und den Durst nach Informationen mit Sondersendungen zu befriedigen. Aber manchmal, so werden die Zuschauer den Eindruck nicht los, wirbeln Expertenmeinungen zum Virus und unverbindliche Beteuerungen der Politiker nur den Bodensatz der Befürchtungen hoch. Er hat sich im Bewußtsein festgefressen wie der Bratenfond in der verbeulten Pfanne. Abstandhalten, so notwendig es ist, erzeugt Befürchtungen, Langeweile und Lagerkoller, insgesamt keine guten Voraussetzungen für einen vielstimmigen Chor befreiten Osterlachens.
Die Pandemie hat das öffentliche Leben lahm gelegt: keine Coronaparties, kein Torjubel im Fußballstadion, keine Buhrufe im Theater, kein Ostereiersuchen, keine Kerzen in der Osternacht, keine Ostermärsche, Osterspaziergänge nur zu zweit. Brot und Wein werden nicht österlich geteilt, Segen wird nicht mehr von Angesicht zu Angesicht empfangen. Anwesenheit macht einen Gottesdienst aus, aber Christen singen und beten im Moment nicht mehr gemeinsam: Das Virus macht auch die so wichtige Erfahrung christlicher Ostergemeinschaft zunichte. In Corona-Zeiten braucht es ein wenig Anlauf und Vorbereitung, um Atem holen zu können für ein befreites Osterlachen.
Der Film zum Virus
Virus und Ostererfahrung besitzen die Gemeinsamkeit, daß an ihrem Anfang jeweils eine Person steht: Der erste Mensch – Adam bringt nach Paulus den Tod. Den letzten Menschen – Christus erweckt Gott in der Auferstehung wieder zum Leben. Der Nullpatient bringt ein Virus von tierischen Wirt in die Umlaufbahn zwischenmenschlichen Kontakts.
Viele Kinogänger, die nun vor Ticketschaltern mit heruntergelassenen Jalousien stehen, haben in der Virusisolation den Film „Contagion“ von Steven Soderbergh auf die Leinwand im Wohnzimmer gestreamt. Der Streifen aus dem Jahr 2011 nimmt drastischer und brutaler vorweg, was wir in den vergangenen Wochen erlebt haben: Ein Virus, das durch Husten und Händeschütteln übertragen wird, breitet sich in der ganzen Welt aus. Dazu Kontaktsperren, Hamsterkäufe, die intensive Suche nach einem Impfstoff, plus soziale Unruhen und Plündern, marodierende Diebesbanden in den Reihenhausvierteln der Vorstädte, Beschuldigungen gegen Minderheiten, die als Sündenböcke herhalten müssen.
Die interessanteste Filmpassage findet sich am Ende, als das Virus schon besiegt, ein Impfstoff gefunden ist und die Tochter des verzweifelten Ehemanns, dessen Frau das erste Opfer war, endlich ihre Highschool-Liebe in die Arme schließen darf. In einer kurzen Sequenz zeigt der Regisseur, wie sich das Virus von den Tieren auf den Menschen übertragen hat. Eine Managerin in den Dreißigern, gespielt von Gwyneth Paltrow, arbeitet in Südasien für ein Bauunternehmen. Auf einer Baustelle schreckt ein Bulldozer dieses Unternehmens eine Fledermaus auf. Diese flattert hoch und flieht, sie hat noch ein Stück Banane im Mund, das sie über einem Schweinstall fallen läßt. Ein Ferkel frißt wiederum, was ihm vor den Rüssel gefallen ist. Der Küchenchef eines Casinos kauft Tage später das Ferkel. In der Casino-Küche brät er das Spanferkel. Eine Stunde später kommt die erwähnte Managerin, um sich in beim Küchenchef für das tolle Essen zu bedanken. Beide geben sich die Hand. Aber das ist der entscheidende Fehler. Denn der Küchenchef hat sich die Hände vorher nicht gewaschen. Er steckt die Frau mit dem Virus an. Sie geht in ihr Hotel, fliegt zurück in die USA, legt einen Zwischenstop in Chicago ein. Auf ihrem Weg hat sie Hotelangestellte, Stewardessen, ihren Liebhaber, Flughafenmitarbeiter und vor allem ihren kleinen Sohn angesteckt. Dann stirbt sie selbst an der Virusinfektion.
Diese einfache und doch komplizierte Kette von belanglosen Zufällen, so die drastische Botschaft des Films, konnte solch eine globale Epidemie auslösen. Die Managerin war die Patientin Null, die erste Infizierte nach Fledermaus und Schwein. Sie hat ohne böse Absicht, das Virus in die Gesellschaft hineingetragen. Und das Virus breitete sich zufällig aus, es kennt keine nationalen Grenzen und keine Moral.
Eine Patientin, ein Toter, ein Auferstandener
Für Paulus hat Adam, der Mensch, den Tod in die Welt gebracht. Deswegen, um Adams und der Menschen willen starb Jesus von Nazareth an einem Karfreitag am Kreuz. Ich will ein Bild eines unbekannten Malers aus dem frühen 15. Jahrhundert eingehen. Mit einem Notnamen heißt er der Meister des Staufener Altars. Das Geschehen der Kreuzigung ist auf drei Personen verdichtet. Am T-förmigen Kreuz hängt mit langen Armen und angewinkelten Beinen der bereits verstorbene Christus, dessen Haupt zur Seite gefallen ist. Links im weißen langen Mantel steht seine Mutter Maria, die Hände zum Gebet gefaltet, den Blick auf den leblosen Körper gerichtet. Zur Rechten steht barfuß der Lieblingsjünger Johannes. Die rechte Hand hält er sich vor das Gesicht, als ob er den Tod Jesu nicht begreifen könne. Er ist von Trauer überwältigt. Hinter den Köpfen von Maria und Johannes schweben vergoldete Heiligenscheine. Jesu Heiligenschein ist kreuzförmig und besteht aus zwei Bündeln dünner Strahlen. Der Hintergrund des Bildes ist in tiefem, dunklem Blau gehalten; auf ihm glänzen einfach stilisierte goldene Sterne. Ich lese daraus, daß klare, dunkle Nacht herrschte. Was geschehen ist an Karfreitag, ist mehr als die Hinrichtung eines jüdischen Predigers, der den herrschenden Römern aufgefallen war und störte.
Entscheidend scheint mir an diesem Bild: Das Geschehen wird in seiner kosmischen Dimension verdeutlicht. Das Kreuz trifft alle Menschen ohne Ausnahme. Das gilt genauso für Ostern, und darüber spricht Paulus im 1.Korintherbrief. Ein Mensch, der Mensch Jesus Christus ist am Kreuz gestorben. Ein Mensch, der Mensch Jesus Christus ist auferstanden. Und in beidem steckt kosmische Bedeutung.
Königreich im Himmel
Paulus entfaltet in dieser kurzen Briefpassage ein ebenso apokalyptisches wie kosmisches Szenario. Er hat sich nicht zur Aufgabe gestellt, die Pläne Gottes mit der Welt vorherzusagen. Er will statt dessen eine evangelische Hoffnung begründen. Sie reicht über den Tod hinaus und tröstet. Diese Hoffnung gewinnt Gestalt in plastisch gezeichneten Bildern, die an eine feierliche Krönung oder an eine Thronübergabe erinnern. So tief greift die Veränderung von Ostern auf, weil sie die Grundbedingungen von Gesellschaft, Staat und Erdenleben neu definiert.
Der Auferstandene übergibt seinem Vater die Welt. Alle Formen von Ordnung und Herrschaft, Macht und Gewalt sind vernichtet. Schon hier erreicht die menschliche Vorstellungskraft ihre Grenzen, denn niemand kann sich richtig vorstellen, daß Eigennutz und Eigeninteresse, Selbstverwirklichung, Gier und die Maximierung von Gewinn nicht mehr das Leben der Menschen bestimmen. Die Welt des Reiches Gottes muß, so die Schlußfolgerung, eine Welt von Liebe, Empathie, Verständnis und Trost sein. Anklänge und Andeutungen davon finden sich in den Evangelien. Jesus hat Kranke geheilt, Weisheit gelehrt, Sachzwänge durchbrochen. Er war ein guter Arzt, der zuhören konnte, und ein Lehrer, der seine Zuhörer zu verblüffen wußte. Die Menschenmengen, die sich oft um ihn herum versammelten, sahen in ihm den Narren, der sich um die Schwerkraft normaler Verhältnisse nicht mehr scherte. Das macht den entscheidenden Unterschied zwischen dieser gegenwärtigen und der zukünftigen Welt des Reiches Jesu aus. Dieses zukünftige Reich, das mit der Auferstehung an Ostern begonnen hat, lebt von der unverstellten Gegenwart Gottes, die dann niemand mehr leugnen kann.
Dieses kommende Reich, das der Auferstandene in Paulus‘ Vision errichten wird, duldet keine Widersprüche mehr: Jeder wird dann um die Gegenwart Gottes wissen, niemand ist mehr auf das vertrauende Glauben angewiesen. Feinde haben dann ihre Bosheit verloren. Als letzter und wichtigster Feind kämpft bis zum Umfallen der Tod. Der Tod jedes Menschen, egal ob er am Virus gestorben ist, ob er im hohen Alter einer Schwäche erlag oder ob bei ihm mit dreißig Jahren ein unheilbarer Tumor diagnostiziert wurde, ist ein einziger Widerspruch gegen den lebendigen Gott, der den Menschen tröstend und barmherzig entgegenkommen will. Wieso müssen Menschen sterben? Wieso stirbt eine Dreijährige bei einem Verkehrsunfall, den ein betrunkener Autofahrer verschuldet hat? Wieso stirbt ein Embryo, kurz bevor er geboren werden soll? Solche Fragen sind schwer auszuhalten, aber sie müssen gestellt werden, obwohl sie mit Vernunft und Kalkül nicht beantwortet werden können.
Gott – alles in allem
Liebe Schwestern und Brüder, Christen können auf solche Fragen auch nur eine vorläufige Antwort geben. Und diese Antwort nimmt ihren Anfang von der Hoffnung auf die Auferstehung. Deswegen feiern wir gemeinsam, als Gemeinde Ostern. Und diese Hoffnung ist nicht unbegründet. Ein Mensch hat den Tod gebracht. Aber Gott hat dafür gesorgt, daß ein Mensch den Tod überwunden hat. Seine Auferstehung läßt uns auf die Auferstehung aller Menschen hoffen.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mir das vorstellen kann. Ich bin mir auch nicht sicher, ob Gott den Regieanweisungen des Paulus folgt, die der Apostel im 1.Korintherbrief gegeben hat. Ich kann aber den Glauben nicht aufgeben, daß diese Hoffnung sich einmal verwirklicht, daß es einmal so wird, wie Paulus das schreibt, vielleicht nicht als göttliche Monarchie, wohl aber als der Zustand, den Paulus auf die Formel bringt: Gott wird sein alles in allem.
Es lohnt sich, diesem Bild genauer nachzudenken. Im wahren Sinne des Wortes werden dann alle Abstände und Grenzen aufgehoben sein. Die Auferstehung Christi, die wir an Ostern feiern, ist der Anfang der neuen Welt Gottes: Die Wirklichkeit der Sachzwänge, der Nüchternheit, der Lasten, der Schulden, der Krankheiten und Plagen, des Sterbens und des Todes, sie wird noch nicht aufgehoben. Aber Auferstehung heißt: Gott hat den ersten Schritt getan. Weitere Schritte werden folgen. Das Geheimnis Gottes und das Geheimnis der Wirklichkeit sind damit noch nicht aufgehoben. Nur im Glauben kann es aufgehoben werden. Aber der erste Schritt ist getan.
Osterlachen
Ein Zeichen dafür ist das Lachen. An Ostern wird der Tod verlacht, weil Gott ihm in der Auferstehung eine Grenze gesetzt hat. Die Macht des Todes ist begrenzt. Sie wird einmal endgültig aufgehoben werden. Deswegen lachen Christen an Ostern. Und dieses Lachen ist ansteckend. Niemand kann sich ihm entziehen. Es klingt sogar schöner als die Glocken, die die Gemeinde jeden Tag an Gebet und Gottes Wort erinnern. Dieses Osterlachen besitzt eine besondere Ansteckungskraft. Es befreit die Menschen vom Mief unter der Sauerstoffmaske. Lachen hilft zu tieferen Atem und zu einer Zusatzportion Sauerstoff in den Lungen – genau wie Jesu Auferstehung den Glauben auffrischt. Ich bin gewiß: An diesem Ostersonntag wird sich das Osterlachen – real und digital – schneller ausbreiten als alle Viren. Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Halleluja.