Gibt es ein Leben danach? Gibt es ein Leben nach einer so schrecklichen Katastrophe wie dem Absturz des Germanwings Airbus A 320 – für die Eltern der 16 Schüler, die sich noch vor einigen Tagen auf ihre Söhne und Töchter freuten? Gibt es ein Leben danach für die Familien und Freunde der Passagiere und Flugbegleiter? Gibt es ein Leben danach für die Familie des Co-Piloten, der 150 Menschen in den Tod riss. Gibt es ein Leben nach dem Verlust geliebter Menschen? – Ja, das gibt es … Aber es kommt uns unfassbar vor. Unmöglich erscheint es, wenn wir im Todesdunkel sitzen. Bevor es dieses Leben danach gibt, muss der Stein – dieser große, schwere Stein, der auf unserer Seele lastet, erstmal weg.
Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Er ist so groß. Ein Trauerstein liegt auf der Seele, wenn wir einen Menschen verlieren. Wie können wir diesen Stein wegschaffen? Das fragen sich auch die drei Frauen, als sie im Morgengrauen mit wohlriechendem Salböl zum Grab unterwegs sind. Als sie am Grab ankommen, ist der Stein schon weg. Geht das bei uns auch? Oder ist das nicht ein bisschen zu einfach? Es kann doch nicht so leicht sein?! Wir wollen doch etwas leisten und sind doch angesichts der Verzweiflung so hilflos. In dieser Erfahrung sind uns die Frauen aus dem Markusevangelium ganz nahe: Sie sind auf dem Weg zum Grab. Sie wollen in ihrer hilflosen Trauer etwas tun. Sie wollen dem Schrecken und der Verzweiflung, die ihnen das Herz zerreißt, mit etwas Gutem und Schönem begegnen. Den Geruch des Todes wollen sie mit dem Wohlgeruch der Öle überdecken.
Wie bekommen wir bloß den Stein weg? Zu ihrem Erstaunen ist er schon weg. Da muss von ihnen gar nichts mehr getan werden. Als sie ins Grab hineinsehen, finden sie einen Jüngling in einem weißen – man kann sagen in einem „himmlischen“ – Gewand. Er sitzt – vielleicht nennen wir es besser: er „thront“ – im Grab, auf der rechten, der glückverheißenden Seite. Er sitzt auf der Seite des Lebens. Da ergreift die Frauen Furcht und Zittern. In der Bibel ist das eine ganz typische Reaktion der Menschen auf Gottes Gegenwart. Wir können am Entsetzen der Frauen erkennen, dass sie hier wohl wirklich Gott begegnet sind. Beschrieben wird das nicht. Der Stein, der die Grabkammer verschlossen hat, ist einfach weg. Wir erfahren nicht, wie. Wer ist dieser Jüngling im Grab? Ist es der Auferstandene, den die Frauen nicht erkennen, weil es einfach unglaublich ist, dass er wirklich auferstanden ist? Oder ist es ein Engel, ein Bote Gottes? Markus lässt das offen. Die Frauen entsetzen sich und zittern. Der weiß gekleidete Jüngling spricht: Entsetzt euch nicht! – Das ist ein typischer Engelgruß. – Entsetzt euch nicht! Er ist auferstanden, er ist nicht hier. – Aber die Frauen entsetzen sich und zittern. Es ist kein Leichnam da. Wie das kommt, erfahren wir auch nicht.
Jesu Anhänger sollen nicht einen toten Helden verehren. Daher ist es gut, dass nichts da ist, das man in einer Vitrine stecken und ausstellen kann. Das geht nur mit etwas seelenlosem Totem. Der Herr aber ist auferstanden! Er ist lebendig! Er lebt auf neue Art, die wir nicht recht begreifen können. Auch die drei Frauen verstehen das nicht. Sie fürchten sich. Diese Reaktion ist angemessen, weil ja hier auch wirklich etwas ganz Großes geschehen ist, das alles menschliche Denken übersteigt: Der Tod ist besiegt! Das Leben triumphiert. Der Morgen graut. Die Sonne geht auf. Es ist der 1. Tag der neuen Schöpfung. Das Osterlicht ist schon über den Frauen aufgegangen. Die sind aber noch in den Gedanken an den Tod gefangen – und daher können sie diesen neuen Anfang, das neue Licht, noch gar nicht recht wahrnehmen. Das geht uns Menschen oft so, wenn wir in unserer Trauer eingeschlossen sind. Der Jüngling in den weißen Kleidern, wusste sehr genau, was die Frauen bewegt hat: Ihr sucht Jesus aus Nazareth, der gekreuzigt worden ist. Was er weiter sagt, ist unglaublich: Gott hat ihn vom Tod auferweckt, er ist nicht hier. Wieso ist er nicht hier? Aber wir hätten doch so gerne etwas zum Anfassen, zum dran festhalten. Wir wollen noch nicht loslassen! Aber Gott hat ihn vom Tod auferweckt! Das heißt, wir können ihn nicht festhalten.
Jesus lässt sich nicht konservieren. Er lässt sich nicht von uns einsperren. Jesus geht euch nach Galiläa voraus, fährt der junge Mann in den weißen Kleidern fort. Dort werdet ihr ihn sehen! Geht zu den andern. Das bedeutet: Bleibt nicht allein, sondern tut euch zusammen! Alle, die ihr zu Jesus gehört, geht ins Leben, denn da ist er. Jesus wird euch vorangehen. Ausgrabungen in den Grabkammern von Trauer, Schmerz und Schuld oder aber die Verehrung von Totem – das bringt nur Furcht und Zittern. Bleibt nicht beim Grab stehen. Geht nach Galiläa. Galiläa ist die Alltagswelt im Evangelium. Jerusalem ist der Ort der Feste. Da kann man nicht immer bleiben. In Galiläa ist Jesus mit seinen Freunden gewandert. Dort hat er Vergebung zugesprochen und geheilt. In unserem jeweiligen Galiläa, in unserer Alltagswelt, dürfen wir genau das von ihm erwarten. Jesus geht alltäglich mit uns und steht uns zur Seite in unserem ganz normalen Dasein.
Der Trauerstein schließt unser Herz ab wie ein dunkles Grab. Für uns allein ist er viel zu schwer. Wegwälzen kann ihn nur ein anderer. Er geht euch voran in den neuen Morgen, wo das Osterlicht, ein Licht der Hoffnung, in die dunklen Niederungen unseres Alltags hineinleuchtet. Geht und sagt euch genau das gegenseitig. Ein Bote Gottes oder sogar der Auferstandene selbst sagt dir: Bleib nicht im Dunkeln zurück. Das Osterlicht scheint schon. Geh in deinen Alltag, ER wird dir vorangehen und dir den Weg zeigen. Dieses Wort richtet dich auf, du kannst nicht sagen, wie, aber dein Herz wird leichter. Furcht und Zittern soll nicht das Letzte bleiben. Die gute Botschaft soll in die Welt getragen werden, in unser Leben. Jesus hatte bei Wundern Schweigen geboten, aber keiner hatte sich daran gehalten, sie haben geredet. Jetzt wird ihnen geboten zu reden, aber sie fürchten sich und schweigen. Das Auferstehungswunder macht sie einfach sprachlos. Irgendwann werden wir aber auch wir genug geschwiegen haben. Das Entsetzen wird weichen. Irgendwann. Dann werden wir reden können.
Es wird Morgen werden, wir werden einen Weg erkennen. Irgendwann. Wir werden gehen und reden. Deshalb lässt Markus das Ende offen. Er kann es nicht für uns schreiben. Keiner kann das für den anderen vorschreiben. Das Evangelium bekommt viele persönliche Schlüsse – deinen und meinen. Jeder hat seinen ganz persönlichen Ausgang aus dem Grab. Mit jedem findet Gott einen ganz eigenen Weg ins Osterlicht. Es dauert eine ganze Zeit lang, bis wir wirklich begreifen, dass ein geliebter Mensch nicht mehr lebt. Um wieviel länger muss es brauchen, bis wir eine Ahnung davon bekommen, dass Gott uns nicht dem Tode überlässt, sondern uns das Leben schenkt. Der konkrete Tod wiegt mehr als die Verheißung der Auferstehung.
Gibt es ein Leben danach? Ja, das gibt es…. Aber es kommt uns unfassbar vor. Unmöglich erscheint es, wenn wir im Todesdunkel sitzen. Der Trauerstein… er wird fortgewälzt werden. Die Ostersonne wird aufgehen und unsere Geschichte wird weitergeschrieben werden. Wir sollen das Evangelium nicht zuklappen und sagen: Unglaublich war das damals. Wir schreiben es gegenwärtig fort. In unserem eigenen, ganz normalen Leben findet das Evangelium seine Fortsetzung. Die drucken wir nicht in die Bibel, wie es vor langer Zeit die Menschen mit dem Markusevangelium getan haben. Das Evangelium hat einen offenen Schluss. Offen für Gottes Weg mit jedem einzelnen. Der Herr ist auferstanden! Es gibt ein Leben danach!