Was ist Auferstehung für uns heute?
Jesus ist auferstanden. Der Kern der Osterbotschaft. Der Kern des christlichen Glaubens. Das Evangelium, das wir heute zu verkünden haben. Aber was heißt das wirklich? Was ist Auferstehung für uns heute? Sie gehört jedenfalls nicht zu unserem Erfahrungshorizont. Dass jemand tot ist und dann wieder lebendig wird, entzieht sich unserer Vorstellungskraft und widerspricht allem, was wir landläufig denken und erleben. Wenn, dann ist die Auferstehung etwas sehr Fernes: Vor einer Ewigkeit ist Jesus auferstanden. Und wir werden hoffentlich irgendwann, in der Ewigkeit auferstehen - wenn wir gestorben sind und wenn der Jüngste Tag kommt.
Wenn das die ganze Botschaft von Ostern ist, dann ist mir das zu wenig. Dann ist es kein Wunder, wenn die Menschen zu Weihnachten noch in die Kirche kommen, aber zu Ostern lieber ins Grüne fahren. Denn da, in der erwachenden und erblühenden Natur kann man Auferstehung noch erleben. So singen wir in dem Lied (EG 110,3): „Jetzt grünet, was nur grünen kann, Halleluja, Halleluja, die Bäum zu blühen fangen an. Halleluja, Halleluja“.
Auferstehung im Johannesevangelium
Um zu verstehen, blicken wir zurück. Wir folgen dabei dem Bericht des Evangelisten Johannes: Jesus wurde gekreuzigt. Er starb am Kreuz. Und zwar wirklich, er war nicht bloß bewusstlos. So berichtet Johannes von dem Lanzenstich der Soldaten beim Gekreuzigten. Das Austreten von Wasser und Blut aus der Seitenwunde gilt als Beweis, dass Jesus tot war. Josef von Arimathäa und Nikodemus sorgen danach dafür, dass Jesus in eine Grabkammer gelegt wird, in einem Garten ganz in der Nähe von Golgatha.
Am ersten Wochentag nach dem Sabbat, dem Ostersonntag, ist es Maria Magdalena, die sich als erste auf den Weg zum Grab macht und sieht, dass der Stein vor der Grabkammer weggenommen ist. Sofort informiert sie Simon Petrus und den „Lieblingsjünger“, dass Jesus nicht mehr da ist. Die beiden laufen um die Wette zum Grab und finden es ebenfalls leer vor. Zwar scheint der „Lieblingsjünger“ seine Schlüsse daraus zu ziehen, wenn es heißt „er sah und glaubte“, aber im Grunde schließt Johannes den Bericht mit den Worten, dass die Jünger die Heilige Schrift noch nicht verstanden hatten, nach der Jesus von den Toten auferstehen müsse. Um zu verstehen, braucht es nämlich die Begegnung mit Jesus. Aber auch die führt nicht zwangsläufig sofort zum Erkennen. Davon hören wir im Predigttext, im Evangelium nach Johannes, Kapitel 20, die Verse 11-18.
(Lesung des Predigttextes)
Johannes schildert die Begegnung zwischen Jesus und Maria Magdalena sehr eindrücklich. Hier wird sie als Jüngerin von Jesus dargestellt, und wir ahnen, dass Jesus und Maria sich besonders nahegestanden haben. „Maria stand draußen vor dem Grab und weinte“, ihre Verzweiflung ist gut nachzuvollziehen: Jesus ist weg. Irgendjemand muss seinen Leichnam weggenommen haben. Nicht genug, dass er tot ist. Jetzt ist auch die Möglichkeit zum endgültigen Abschiednehmen dahin. Es fällt schwer, mit dem Tod eines geliebten Menschen fertig zu werden, wenn man nicht weiß, wo der Leichnam ist. Das erleben wir immer wieder, wenn Trauernde aus diesem Grund mit dem Verlust nicht abschließen können.
Maria blickt ungläubig in das Grab Jesu und sieht mit tränenverschleierten Augen zwei Engel. Aber auch die können sie nicht beeindrucken. Anscheinend ist Maria noch ganz gefangen von den schrecklichen Ereignissen des Karfreitags. Im Evangelium spiegelt sich das wider durch einen merkwürdigen Wechsel zwischen Vergangenheits- und Gegenwartsformen (Übers. nach Luther): Maria stand und weinte, aber sie sieht zwei Engel, die sprachen zu ihr, sie antwortet ihnen. Die trauernde Maria ist ganz verhaftet in der Vergangenheit. Sie kann den entscheidenden Schritt in die Gegenwart noch nicht tun. Dann aber kommt die erste Wendung im wahrsten Sinn des Wortes: Maria wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Aber trotz der Änderung der Blickrichtung, trotz des Perspektivwechsels erkennt Maria Jesus nicht.
Der Wechsel der Blickrichtung: Vom Sehen zum Erkennen
Bis hierhin ist die Geschichte von Maria die Geschichte eines Menschen, der zum Friedhof geht voller Trauer und in dem Wissen, dass die Toten tot sind. So geht es auch uns. Wir hören zwar immer wieder, dass Jesus auferstanden ist und dass unsere Toten auch auferstehen werden. Aber das entzieht sich gänzlich unserer Erfahrung. Unsere Erfahrung lehrt uns, dass die Toten fort sind und es hier auf Erden kein Wiedersehen gibt. Auch Maria macht diese Erfahrung. Jesus ist fort, und sie wüsste so gerne, wo er ist, dabei ist er da. Aber sie hält ihn für jemand anders. Für den Gärtner, der Jesus vielleicht weggebracht hat.
Dann passiert die zweite Wendung in der Geschichte, den endlich in die Zukunft weist. Jesus spricht Maria an. Er ruft sie bei ihrem Namen. Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Maria dreht sich noch einmal um. Eigentlich müsste sie nun nach dieser weiteren Drehung wieder in das Grab hineinschauen, von Jesus weg. In der Darstellung wendet sie sich jetzt aber erst Jesus richtig zu und erkennt ihn endlich als den, der er für sie ist: Ihr Rabbi, ihr Lehrer. Das heißt, sie erinnert sich an das, was Jesus zuvor seine Jünger gelehrt hat: Ich werde sterben und am dritten Tage auferstehen. Da sickert die Erkenntnis endlich durch: Jesus ist nicht tot. Er lebt. Sie hat ihn wieder! Vor lauter Freude will Maria Jesus umarmen. Doch der sagt: Nein! Rühr mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater!
Zwei Schritte hat Maria hinter sich: Der erste Schritt: Die Toten sind tot und kommen nicht wieder. Der zweite Schritt: Die Toten werden auferstehen. Es gibt ein Wiedersehen. Aber es fehlt noch ein dritter Schritt. Deshalb soll Maria Jesus nicht berühren, sie soll ihn nicht festhalten. Denn mit der Auferstehung Jesu ist es noch nicht getan. Wir sollen den Auferstandenen nicht im Irdischen festhalten. Seine Auferstehung bedarf der Transformation: Deshalb lässt Johannes Jesus sagen: Rühr mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater!
Wenn wir die Auferstehung zu einem irdischen Geschehen machen, dann bleibt sie es auch: Etwas, das nach menschlichem Ermessen unmöglich ist. Jesus ist irgendwann auferstanden und seinen Jüngern erschienen, bevor er zum Vater in den Himmel aufgefahren ist. Ein abstrakter Glaubenssatz, ohne Lebensbezug. Wir werden auch irgendwann auferstehen. Unsere Toten werden auferstehen. Irgendwann. Eine zu vage Hoffnung.
Auferstehung mitten im Leben
Denn es fehlt ein wichtiger Schritt. Der dritte Schritt ist: Wir sollen selbst mit unserem ganzen Sein zu Botinnen und Boten der Auferstehung werden. Deshalb sagt Jesus zu Maria: „Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“. Wir werden zu Botinnen und Boten der Auferstehung, wenn wir uns von dieser Botschaft verwandeln lassen. Die Auferstehung ist ein Prozess, den Jesus nur angestoßen hat. Sie geht bei uns weiter, indem die Auferstehung schon hier und jetzt in unserem Leben Gestalt gewinnt.
Auferstehung mitten im Leben bedeutet, sich nicht an ein ständiges Habenwollen zu klammern, sondern jederzeit bereit zu sein, loszulassen. Deshalb vollendet sich das Ostergeschehen der Auferstehung in der Himmelfahrt Christi. Konkret bedeutet das, dass wir uns nicht an das klammern sollen, was vergangen ist oder was wir nie erreichen werden. Wir sollen in der Gegenwart leben und uns nicht immer wieder in den Schatten der Vergangenheit verlieren. So wie die alte Dame, die sagt: „Ich bin dankbar für jeden Tag, den der liebe Gott mir schenkt. Und wenn der letzte Tag kommt, dann kann ich zufrieden sterben“. Zuvor hatte sie mir vom Tod ihres Mannes und ihres Sohnes erzählt. Oder der junge Familienvater, der an einer unheilbaren Krankheit leidet und an den Rollstuhl gefesselt ist. Er sagte zu mir: „Wäre ich nicht krank geworden, hätte ich so viel gearbeitet, dass ich meine Kinder nicht hätte aufwachsen sehen. Ich weiß nicht, ob ich es noch erlebe, wie sie erwachsen werden. Aber ich habe jetzt ganz viel Zeit für sie. Dafür bin ich unendlich dankbar“.
Auferstehung geschieht jetzt. Heute. Mitten im Leben. Und doch nicht erdenschwer, sondern mit einem Herzen, das sich zum Himmel hin öffnet, mit einem Herzen, das leicht ist und voller Licht. Die Dichterin Marie-Luise Kaschnitz beschreibt diese Erfahrung so (in: M.-L.K., Seid nicht so sicher. Geschichten, Gedichte, Gedanken, Gütersloh 1979, 73f.) :
„Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage / Mit unserem lebendigen Haar / Mit unserer atmenden Haut. / Nur das Gewohnte ist um uns. / Keine Fata Morgana von Palmen / Mit weidenden Löwen / Und sanften Wölfen. / Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken / Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus. / Und dennoch leicht / Und dennoch unverwundbar / Geordnet in geheimnisvoller Ordnung / Vorweggenommen in ein Haus aus Licht“.