Predigt

Passion

Berufen, einander zu helfen, mit den schwierigen Lebenssituationen umzugehen

PredigttextJesaja 50,4-9
Kirche / Ort:Trinitatiskirche / Berlin Charlottenburg
Datum:01.04.2012
Kirchenjahr:Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor:Pfarrer Mag. theol. Ulrich Hutter-Wolandt

Predigttext: Jesaja 50,4-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir. 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.

Exegetische (I.) und homiletische (II.) Hinweise zum Predigttext

I.

Die neue Jesaja-Forschung geht davon aus, dass die Drei-Buch-Hypothese ad acta gelegt werden kann. Gegenwärtig gibt es eine Hauptline in der Jesaja-Interpretation. Die Forschung favorisiert dabei zwei unterschiedliche Prophetengestalten: den ersten Jesaja (Kap. 1-39), der im 8. Jh. v. Chr. gelebt hat, und einen zweiten Jesaja, der ins 6. Jh. v. Chr. einzuordnen ist (Jes. 40-66). Die Perikope ist Teil der vier Gottesknechtslieder, die sich im zweiten Teil des Jesajabuches (42,1–4; 49,1–6; 50,4–9; 52,13–53,12) finden. Im Gegensatz zu den drei anderen Gottesknechtsliedern ist in Jes 50, 4-9 nicht vom „aebaed jhwh“ die Rede, sondern vom „limmud jhwh“, vom Schüler Jahwes. Die Zuordnung „Lehrer – Schüler“ ist auch aus der Weisheitsliteratur bekannt. Während im Alten Testament der Begriff „limmud“ als Ausdruck eines Zuordnungsverhältnisses zu verstehen ist, wird in der Perikope Jes 50, 4-9 Jahwe als Lehrer bezeichnet, der sich dem Schüler verpflichtet weiß. Die Forschung ist sich nicht ganz sicher, ob die Gottesknechtslieder ursprünglich zum Jesajabuch gehörten oder zu späterer Zeit durch einen Redaktor in das Jesajabuch aufgenommen wurden.

Ältere Exegeten verstehen Jes 50, 4–9 als Klagelied eines Einzelnen. Heute sind viele Ausleger der Ansicht, dass die Verse einen Vertrauenspsalm darstellen, der mit den Konfessionen Jeremias verglichen werden kann (so Claus Westermann und Hans-Jürgen Hermisson). Diese Erklärung scheint nachvollziehbar, denn in den Versen 5b–6 kann keinesfalls von einer Klage gesprochen werden: „ich bin nicht ungehorsam ... meinen Rücken bot ich dar denen, die mich schlugen". Eine Klage würde doch eher so formuliert werden: „sie haben mich auf den Rücken geschlagen, mich geschmäht und bespuckt!“ Spannend bleibt die Frage, wer hier spricht, ein Einzelner oder ein Kollektiv (das Volk Israel?). Oder können nicht alle Gottesknechtslieder als „eine Summe des prophetischen Amtes“ verstanden werden, wie es Gerhard von Rad in seiner alttestamentlichen Theologie formuliert hat. Der Prophet Jesaja versteht sich selbst als Knecht Gottes, die Lieder wollen das prophetische Amt beschreiben.

Im Text Jes 50, 4-9 wird ein neues Verständnis des prophetischen Amtes angesprochen. Die Verse 4–5b handeln zunächst vom „Wortamt“ des Propheten. Er hört auf Jahwes Wort, und die Antwort richtet sich an die „Müden“. Mit den „Müden“ ist (vgl. Jes 40,29–31) das müde Volk Israel im Exil gemeint; dieses am Boden liegende Volk soll der Prophet aufrichten. In unserem Abschnitt wird ein Richtungswechsel im prophetischen Reden deutlich. In der älteren Prophetie standen Themen wie soziale Gerechtigkeit/oder Ungerechtigkeit oder die Sozial- und Herrscherkritik im Vordergrund prophetisches Redens. Weitere Themen der prophetischen Anklagen waren die Verurteilung des Götzendienstes und die Gerichtsansage. In Jes 50, 4-9 geht es Jesaja um ein Aufrichten, um Trösten, um Mitleiden. Ein weiterer Unterschied zur älteren Prophetie zeigt sich darin, dass der Prophet ständig im Dialog mit Gott steht. Zum Wortamt tritt ein weiterer Gedanke hinzu: Der mit Gott verbundene Mensch muss leiden (V.5b–6).

Im Vergleich zur älteren Prophetie ist nach Hans-Jürgen Hermisson die Verkündigung Jesajas „zu einem integrierenden Bestandteil des prophetischen Amtes geworden“. Damit zeigt das Leiden eine neue Qualität: Es trennt nicht mehr von Gott, sondern zeichnet den mit Gott verbundenen Menschen aus. Der Knecht Gottes ist überzeugt, dass Gott ihm Recht verschafft, weil er um Gottes willen leidet. In V. 7 wird die Hoffnung ausgesprochen, dass Gott hilft. Der Prophet wird nicht zuschanden und muss sich nicht schämen. Aus der Idylle der prophetischen Gottesbeziehung ist eine radikale Gerichtssituation geworden, in der nur noch Gott helfen kann. Der Prophet ist seinen Weg gegangen – die Gegner verändern sich bis zur Selbstauflösung, ohne Gegengewalt des Propheten. V. 8 zeigt, dass der Prophet durch das geschichtliche Handeln Gottes bestätigt wird. Die Verschmelzung von Klagepsalm und Heilsorakel führt dazu, dass ein ganz dichter Text entsteht, der in V. 9 zeigt, dass niemand den Propheten eines Frevels bezichtigen kann.

II.

Der Palmsonntag steht am Anfang der stillen Woche, die den Blick auf Gründonnerstag und Karfreitag richtet. Das Evangelium zeigt noch einmal den Jubel und die Bewunderung der Massen beim Einzug Jesu in Jerusalem, während der Predigttext die Themen Missachtung und Leiden aufnimmt. Die Gestalt Jesu vereint beides: die Bewunderung einerseits und Neid und Hass als die Kehrseite der Bewunderungsseite. Das alttestamentliche Wort und das Evangelium legen es nahe, dass im Evangelium und im Predigttext der Knecht Gottes auf Jesus hin gedeutet wird. Mit Hans-Jürgen Hermisson muss allerdings diese Auslegung hinterfragt werden, weil sie der historischen Dimension des Textes nicht stand hält. Es ist der Frage nachzugehen, inwiefern die Predigt eines alttestamentlichen Textes in einem ausgeprägt christologischen Kontext überhaupt möglich ist. Jes 50,4–9 ist seit der letzten Perikopenrevision im Jahre 1982 für den Palmsonntag vorgesehen (zuvor war der Predigttext für den Karfreitag bestimmt).

Als Einstieg in die Predigt kann die erste Strophe von Jochen Kleppers Lied genommen werden, EG 452: „Er weckt mich alle Morgen ... schon an der Dämmrung Pforte ist er mir nah und spricht". Was aber ist das für ein Spruch? Der Prophet ist auf einmalp hellwach und traut seinen Ohren nicht. Gott spricht: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2.Kor 12,9 - Jahreslosung). Wen soll ein solches Wort trösten? Woran leidet die Welt? Das Mitleid mit den Leidenden kann die Sinne schärfen. Der Prophet muss darunter leiden, dass er von vielen als Opportunist oder als Querdenker abgestempelt wird, weil er nur das Eine kennt: das Wort Gottes.

Literatur

Jan Chr. Gertz (Hg.), Grundinformation Altes Testament, 4. Aufl., Göttingen 2010.- Hans-Jürgen Hermisson, Studien zu Prophetie und Weisheit. Gesammelte Aufsätze. Hg. von Jörg Barthel, Tübingen 1998.- Ders., BKAT XI/Lieferung 13, Neukirchen-Vluyn 2008.- Peter Höffken, Jesaja. Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt 2004.- Claus Westermann, Das Buch Jesaja. ATD 19, 4. Aufl., Göttingen 1981.

Lieder

„Er weckt mich alle Morgen“ (EG 452) „Du schöner Lebensbaum“ (EG 96) „Gott hat das erste Wort“ (EG 199)

Neuigkeiten

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Die mit exegetischen Impulsen, Gebeten und einem Essay zu "Exegese und Homiletik" verbundenen Auslegungen wissen sich in einer weltweiten Communio, die "aus den Quellen des Heils" schöpft (Jesaja 12,3)... mehr lesen

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