Zum Gedenktag "Peter und Paul" - Vorbemerkung
Die Kirche hat den Gedenktag für die Apostel Petrus und Paulus um das Jahr 354 geschaffen. Sie hat das Fest beider Apostel auf einen einzigen Gedenktag gelegt. Der Überlieferung nach sollen die Gebeine von Petrus und Paulus an einem 29. Juni aus ihren Gräbern geborgen worden sein, um sie vor Grabschändern zu schützen.
Ein Gedenktag für zwei Apostel, das enthält eine besondere Symbolik. Gemeinsam bilden sie im Ringen um den rechten Weg wie auch in der Einheit im Glauben und im Missionsauftrag das Fundament der frühen Kirche. Der 29. Juni ist ein Hinweis auf das unsichtbare Band der einen weltweiten Kirche. Zugleich lässt er auf die sichtbare Einheit der Kirche in ökumenischen Strukturen hoffen.
Beide Apostel haben in je ihrer Weise auf die Wurzeln ihres Glaubens hingewiesen und ihre Gemeinden gemahnt, diese nicht zu vergessen. So stehen sie für die Respektierung des Judentums wie auch für eine beide Testamente in gleicher Weise würdigende Kirche.
Die eine Kirche, die sowohl Petrus als auch Paulus braucht und die sich ihres Ursprungs bewusst bleibt, bedarf regelmäßiger Vergewisserung. Darum ist der 29. Juni als der eine Gedenktag der beiden Apostel sinnvoll und wichtig.
Predigt
Christus
Zeitenwende. Ein Wort, das einschlägt wie ein Blitz. „Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht.“ Man reibt sich die Augen. Nichts ist wie vorher. Jetzt heißt es, die Welt mit anderen Augen sehen. „Wir erleben jetzt eine Zeitenwende“, diese Deklaration ist nicht neu. Wer so spricht, greift auf das Denken, Fühlen und Wissen der Menschen zurück, die um die große Zeitenwende vor 2000 Jahren lebten, damals, als wir unsere Zeit neu zu zählen begannen und sie teilten in die Zeit vor Christus und nach Christus. Christus ist offenbar die große Zeitenwende schlechthin. Was ist passiert zur Zeit des Kaiser Augustus, „als Quirinius Statthalter in Syrien war“? Was ist passiert, als Pilatus Präfekt in Jerusalem war?
Paulus
Der Apostel Paulus, der die Zeitenwende durch eine Christuserscheinung als persönliche Lebenswende erfahren hat – er wurde vom Christenverfolger zum Missionar – bringt es auf den Punkt. An seine Gemeinden in Galatien schreibt er: „Als die Zeit da war, sandte Gott seinen Sohn, … auf dass er die, die sklavisch unter dem jüdischen Gesetz lebten, loskaufte, damit wir Gottes Kinder werden können.“ Oder kürzer in einem Brief nach Korinth: „Wer mit Christus lebt, ist ein neuer Mensch. Das Alte ist vergangen, alles ist neu geworden.“
Jesus Christus ist für Paulus das Bild des lebendigen Gottes. In Jesus Christus ist Gott in diese Welt gekommen, in Jesus Christus hat Gott diese Welt und uns alle geliebt, in Jesus Christus hat Gott sich der Welt und uns Menschen ausgeliefert bis ans Kreuz, in Jesus Christus hat er den Tod durchlitten und überwunden, um uns allen die Hand zum Frieden und zur Versöhnung zu reichen. Diese umwerfende frohe Botschaft gilt allen Menschen auf der Welt. Paulus ist einer der ersten, der sie in die damalige Welt – man sagt: zu den „Heiden“ – hinausgetragen hat.
Petrus
Da gab es aber auch noch Petrus. Er war etwas älter als Paulus. Er hatte Jesus noch gekannt, war ihm als Jünger gefolgt … bis – ja bis hin zum leeren Grab. Er hatte mit Jesu Bruder Jakobus und mit Johannes zusammen die Leitung der jungen Jesusbewegung in Jerusalem übernommen und war auch Missionar. Und auch er verkündigte: „In Jesus Christus hat Gott uns gezeigt: Seine Liebe gilt allen Menschen, euch Juden ebenso wie euch, die ihr aus den vielen Völkern kommt“ (Apg 15,7-12).
Aber Petrus hatte ein Problem. Er sah noch einen besseren Weg, Christ zu werden, nämlich erst Jude zu werden und dann Christ. Denn auch Jesus war ja Jude und am 8. Tag nach seiner Geburt beschnitten worden, ebenso er, Petrus – und letztlich auch Paulus, und so war man durch die Beschneidung in den Bund Gottes mit seinem Volk nach dem Vorbild Abrahams aufgenommen. Soll man das alles – wie Paulus es tut – über Bord werfen, nur weil die Heiden mit Beschneidung nichts anfangen können?
Egal! Petrus hängt sich zum Zeichen seines Christseins das Kreuz um und setzt sich eines Tages mit Menschen aus vielen Völkern in der syrischen Stadt Antiochia (heute: Antakya, Türkei) zu einem Gastmahl zusammen. Ein gemeinsames Mahl ist ein Zeichen enger Gemeinschaft. Das sollte man nach streng jüdischer Auffassung nicht ohne Weiteres tun. Petrus wird es nicht vermieden haben, dabei Heiden für den Glauben an Christus zu gewinnen. Aber das, ohne sie vorher in jüdisches Leben hineinzunehmen, ohne sie vorher beschneiden zu lassen? Es kommt, was kommen muss! Ultrakonservative Judenchristen kommen – zufällig? – aus Jerusalem dazu, sog. Jakobusleute; die ziehen nur die Augenbrauen hoch, und schon nimmt Petrus das Kreuz ab und zieht sich mit seinen Mitarbeitern vom Mahl zurück.
Das ist die Situation, an die sich Paulus erinnert, als er an seine Gemeinden in Galatien schreibt und sie eindringlich mahnt, ihr neues Leben, das Christus ihnen geschenkt hat, nicht wegzuwerfen und nicht wieder unter den Dschungel der 613 Ge- und Verbote des jüdischen Glaubens zurückzufallen. So schildert er den Konflikt mit Petrus, den er mit seinem griechischen Namen „Kephas“ nennt:
(Lesung des Predigttextes Galater 2,11-16)
Wir
Das ist knapp 2000 Jahre her. Aber das Problem ist bis heute geblieben: Wie definieren wir unsere Identität als Christen? Wie zeigen wir sie? Wie leben wir sie? Es ist der 20. Oktober 2016. Der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, besuchen den Tempelberg in Jerusalem. Natürlich tragen beide ihr Bischofskreuz. Beim Besuch der Al-Aksa-Moschee und der Klagemauer aber nehmen sie auf Bitten der Verantwortlichen dort ihre Kreuze ab. Ich höre geradezu Paulus‘ Stimme: „Wenn du, der du Christ bist und nicht Moslem oder Jude, warum zeigst du nicht, dass im Glauben an Jesus Christus alle Gebote und religiösen Gesetze erfüllt sind?“
Die Frage steht im Raum: Wie definieren wir unsere Identität als Christen und wie zeigen wir sie? Jede und jeder von uns sollte sich diese Frage stellen und ihre bzw. seine persönliche Antwort darauf finden.
Ich
Ich versuche, meine Antwort zu formulieren: Gott hat uns in den 10 Geboten untersagt, ein Bild von ihm zu machen. Ich glaube, er wollte sich uns eines Tages selbst zeigen: in Jesus Christus. Der ist das authentische Bild Gottes. Sieh Jesus Christus an. Du kennst ihn aus der Bibel, du kennst ihn aus der Kunst. So ist Gott. Unser Bild von Gott muss sich an Jesus Christus, wie wir ihn kennen, messen lassen. Christliche Identität kommt an Christus nicht vorbei, auch am Zeichen des Kreuzes nicht.
Christus trägt das Kreuz. Und das Kreuz trägt uns, im Leben und im Sterben, als feiernde Gemeinde und in Einsamkeit und Verlassenheit, in allen Erfolgen und in allem Scheitern. Mit diesem Kreuz kann ich leben. Von diesem Kreuz weiß ich mich getragen. Dieses Kreuz kann und will ich vor mir her tragen, in Worten der Verkündigung, als Zeichen des Amtes und des Christseins, diesem Kreuz will ich gern folgen in Prozessionen und auf Stationen des Kreuzwegs.
Es gibt Zeiten, in denen der Glaube an Christus unzeitgemäß wirkt und es scheinbar reicht, an Gott zu glauben, gewissermaßen „gottgläubig“ zu sein. Wie will man aber Christ sein, ohne sich zu Christus zu bekennen? Gläubige zur Zeit des Dritten Reiches, die mit dem biblischen Christus nichts anfangen konnten, sondern ihn zu einer nordischen Lichtgestalt umzudeuten suchten, bezeichneten sich als „gottgläubig“. So glaubten sie an den „Gott, der Eisen wachsen ließ; der wollte keine Knechte; drum gab er Säbel, Schwert und Spieß dem Mann in seine Rechte.“ Ist das der Gott, der sich uns in Jesus Christus offenbart hat? Ich glaube, nicht. Ein Gott ohne die Konturen Christi ist mein Gott nicht.
Christliche Identität
Und unsere Bischöfe, wie definieren sie ihr Christsein? Sie wollen nicht spalten und nicht provozieren. Sie wollen Brückenbauer und Friedensstifter sein. Auch zwischen den Religionen. Das ist aller Ehren wert. Heinrich Bedford-Strohm hat seine christliche Grundhaltung so beschrieben: Er wolle das Kreuz nicht „demonstrativ vorneweg … tragen“ und dadurch Zwietracht säen, sondern er „habe als Repräsentant einer Religion die Aufgabe, friedensstiftend zu wirken. Wenn ich das nicht tue, werde ich meiner Verantwortung nicht gerecht.“ Sehr wohl! Aber Christus dabei außen vor lassen, Christus, den Versöhner mit Gott und Friedensstifter schlechthin; Christus, der Gottes Frieden ist für die, die fern stehen und für die, die nahe sind, das ist nicht christlich.
Friedensstifter gibt es viele, Humanisten und Atheisten, aus welchen Motiven auch immer. Nicht alle Friedensstifter sind Christen. Wahrer Friede fließt aus Gottes Frieden mit uns, den er in Christus mit uns geschlossen hat. Unser Friede, den wir in die Welt hinaustragen, muss sich an Christus messen lassen. Darum sollte es keine Provokation sein, ihn bei sich zu führen. Man kann darüber so oder auch anders denken.
Ich verstehe Petrus, aber auch Paulus. Ich verstehe Bischof Bedford-Strohm und Kardinal Marx, aber auch ihre Kritiker. Und ich finde mich wieder in einem weisen Satz, deren Herkunft ich leider bis dato nicht kenne: „Ich habe niemals nur einer Wahrheit geglaubt, weder meiner eigenen noch der anderer; aber ich denke, jede Schule, jede Theorie hat an bestimmtem Ort, zur bestimmten Zeit ihren Nutzen. Ich habe aber auch entdeckt, dass man nur leben kann, wenn man sich absolut und leidenschaftlich mit einem Standpunkt identifiziert.“