Pfingsten – Gottes Geist verbindet

Heilige Orte

Predigttext: Johannes 4,19-26
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 29.05.2023
Kirchenjahr: Pfingstmontag
Autor/in: Pastorin Ellen Naß

Predigttext: Johannes 4,19-26 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. 20 Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. 21Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 22 Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. 23 Aber es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben. 24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. 25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen. 26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin’s, der mit dir redet.

Bemerkungen

Der Predigttext ist Teil einer längeren Erzählung. Um sich den Pharisäern zu entziehen, geht Jesus nach Galiläa zurück und durchquert dabei Samaria. Das ist schon deshalb bedeutsam, weil Juden sonst diese Gegend mieden. Es empfiehlt sich, zumindestens auf das vorher Erzählte einzugehen, sonst wird dieser Abschnitt schlecht verständlich.

 

 

 

zurück zum Textanfang

In der Osterzeit gab es in Israel, wieder einmal, heftige politische Unruhen. Grund dafür war, dass alle drei großen Religionen der Gegend gleichzeitig feierten.

I.

Wir Christen und Christinnen feierten Ostern, Juden und Jüdinnen feierten Passah und die Moslems feierten Ramadan und Zuckerfest. Eigentlich sollte das kein Problem sein – aber alle drei Religionen haben ihre heiligen Stätten – oder eine ihrer heiligen Stätten, dort in Jerusalem beanspruchen sie für sich für ihre Gottesdienste. Besonders Moslems und Juden beanspruchen beide den Tempelberg für sich. Wir Christen denken zwar auch in Jerusalem an Jesus, es gibt eine Karfreitagsprozession, Golgatha und die Geburtskapelle sind für uns besondere Orte, aber dank der Worte Jesu in unserm Predigttext heute sind wir nicht ganz so von einem bestimmten Ort abhängig. Wollen darum viele Kirchenmitglieder nichts mehr von Kirchen und Gottesdiensten wissen? Oft ist zu hören: „Beten kann ich überall“ oder: „Im Wald fühle ich mich Gott nahe, dafür brauche ich die Kirche nicht“. Der Jakobsweg als spirituelles Erlebnis scheint immer beliebter zu werden, und unsere Gottesdienste sind schlecht besucht. Die Sehnsucht nach heiligen Orten, einem Platz, an dem wir uns Gott oder der Gottheit nahe fühlen können, scheint tief in unserem menschlichen Bewusstsein verankert zu sein. In allen Religionen gibt es solche heiligen Orte, Stätten.

II.

Im Predigttext heute wird auch über heilige Stätten diskutiert. Erstaunlich ist, dass Jesus überhaupt durch Samarien geht. Denn Samariter und Juden waren seit Jahrhunderten verfeindet. Als 722 v. Chr. das Nordreich unterging, wurde die Bevölkerung verschleppt und andere Menschen statt ihrer angesiedelt. Wahrscheinlich waren doch noch einige zurückgeblieben, so dass eine gemischte Bevölkerung entstand. Die fünf Bücher Mose, die Tora, waren und blieben ihr einziges heiliges Buch, den Jerusalemer Tempel erkannten sie nicht an und beteten stattdessen in ihrem Heiligtum auf dem Berg Garizim, der sie mit der Tradition des Erzvaters Jakob verband. Das ist eigentlich nicht sehr überraschend, denn Jerusalem wurde  erst relativ spät heiligste Stadt innerhalb der Geschichte Israels. Trotzdem waren beide Volksgruppen miteinander verfeindet. Man versuchte sogar, die Anbetungsstätte des jeweils anderen zu zerstören oder wenigsten zu schänden. Deshalb ist es erstaunlich, dass Jesus überhaupt durch Samarien geht.

Genauso ist es merkwürdig, dass die Frau am Mittag Wasser holen ging. Niemand ging freiwillig in der Mittagshitze nach draußen. Wahrscheinlich musste sie das, weil sie von anderen Bewohnern und Bewohnerinnen gemieden wurde. Denn, so sagt Jesus es ihr vor unserem Predigttext, sie habe fünf Männer gehabt, und jetzt lebe sie mit einem Mann zusammen, der nicht ihr Ehemann sei. Wir wissen nicht, warum sie so oft verheiratet war, ob sie mehrfach Witwe geworden ist oder ob sie von ihren Männern verstoßen  wurde. Das ging damals, wenn es keine weiteren männlichen Verwandten gab, relativ schnell. Ohne männlichen Beschützer zu leben war noch schwieriger, deshalb wohl der Nicht-Ehemann, von dem Jesus hier spricht. Die Frau, so wird aus der Tatsache deutlich, dass sie um diese Tageszeit am Brunnen war, hatte ein sehr unglückliches Leben, außerhalb ihrer Gemeinschaft.

Jesus bittet die Frau um etwas Wasser. Das muss für sie ein Höhepunkt in ihrem Leben gewesen sein: Ein jüdischer Mann, der sie, die Ausgestoßene, um etwas bittet. Erst als Jesus ihr sagt, dass er ihre Probleme kennt, dass er weiß, welche Geschichte sie hat, da erkennt sie, dass er etwas Besonderes ist. Sie erkennt, dass er ein Prophet ist. Und sie versucht, ihn mit einer Fangfrage auszutesten. Die Frage ist so, als ob man uns als Evangelische fragt, ob wir den Papst anerkennen oder ob wir Lourdes für einen heiligen Ort halten. Es gibt viel mehr Unterschiede zwischen Katholiken und Protestanten, die meisten Kirchenmitglieder interessieren sich nicht dafür und wissen auch nicht darum, aber dass Protestanten weder den Papst noch die Gottesmutter anerkennen, das wissen alle. So selbstverständlich ist damals die Antwort auf die Frage der Frau. Natürlich muss Jesu Antwort lauten: “Jerusalem“, genauso wie sie den Berg Garizim als richtige Antwort ansehen muss. Aber Jesus entzieht sich ihrer Frage. Es kommt nicht auf den Ort an, wo wir beten, es gibt kein „richtig“ und „falsch“. Er geht auf ihre Frage gar nicht ein, weil er wahrscheinlich weiß, dass es jegliches Gespräch verhindert hätte, und weil es eben auf diese Frage gar nicht ankommt.

III.

„Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“, so sagt es Jesus. Das feiern wir zu Pfingsten, dass Gott uns diesen Geist geschenkt hat, der ist wie der Wind, der weht, wo er will, manchmal gleichzeitig aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Es ist ein Geist der Liebe, der Rücksichtnahme, der Begeisterung, der Wahrheit. Da sollte eigentlich Streit und Unfrieden zurücktreten, auch der Streit darüber, wer die Hoheit über die Anbetungsstätten hat. Aber sind darum solche Orte dem menschlichen Belieben anheimgestellt?

Die Frau am Brunnen weiß, das Heiligtümer nicht mehr wichtig sind, wenn erst der Messias, der Christus, da ist. Das verband Samariter und Juden, dass beide Gruppen auf die Ankunft des Messias warten. Wenn der Messias erst gekommen ist, dann ist es nicht mehr wichtig, ob man im Tempel oder auf dem Berg (an)betet. Die Frau jedenfalls versteht Jesus, sie geht in ihr Dorf und verkündigt, dass der Messias angekommen ist, und viele aus dem Dorf beginnen, an Jesus zu glauben. So wird sie auch als Außenseiterin in die Dorfgemeinschaft aufgenommen, der Glaube an Jesus im Geist Gottes verbindet, wo vorher Trennung war. Viele Pfingstgottesdienste finden in der Natur statt. Das erinnert daran, dass der Geist Gottes weht, wo er will, wie der Wind, aber dass er gebunden an Jesus Christus, Menschen miteinander und mit Gott verbindet.

 

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.