Pfingstgeist – sprudelnde Kraft, die Grenzen überschreitet

Das Heil ist nicht von den Juden weggekommen, aber es ist wie Wasser über die Grenzen dieses Volkes hinausgeflossen

Predigttext: Johannes 4,19-26
Kirche / Ort: Emmausgemeinde / Karlsruhe-Waldtstdt
Datum: 20.05.2013
Kirchenjahr: Pfingstmontag
Autor/in: Pfarrer Klaus Paetzholdt

Predigttext: Johannes  4,19-26 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

19 Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist.  20 Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.  21 Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, daß ihr weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.  22 Ihr wißt nicht, was ihr anbetet; wir wissen aber, was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden.  23 Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter haben.  24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.  25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, daß der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er uns alles verkündigen.  26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.

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Wie weit war es noch, zurück in die Stadt? Die Strecke war doch nicht länger als sonst: täglich derselbe Weg. Mit dem Unterschied: Die anderen Frauen holten das Wasser für den täglichen Bedarf gewöhnlich morgens in der Kühle der Dämmerung oder abends kurz vor Sonnenuntergang. Sie gehörte zu den wenigen, die immer wieder tagsüber hinausgingen, war sie doch mit ihren Gedanken gerne allein. Litt sie unter der Selbstverständlichkeit, mit der sich andere Frauen in ihrer Rolle als Ehefrauen und Mütter eingerichtet hatten? Gab es in deren Gesprächen doch kaum neue Erfahrungen. Oder schämte sie sich, weil sie nach so vielen Versuchen mit verschiedenen Männern noch immer nicht ihr Glück gefunden hatte? Daraufhin hatte dieser Fremde am Brunnen sie ja angesprochen. Sie stellte den einen Wasserkrug ab, nahm den anderen vom Kopf und setzte sich auf einen der großen Steine am Weg. Auch das tat sie sonst nie. Das lag also nicht an der Hitze des Mittags, die war sie gewöhnt. Trotzdem kamen ihr die Krüge heute schwerer vor als sonst. Sie drehte sich so, dass sie zurückblicken konnte; die Begleiter dieses Mannes waren offensichtlich zurückkehrt, und sie teilten jetzt das Brot miteinander. Jener Mann hatte ihr ja mitgeteilt: Sie sind unterwegs. Er sei Jude, hatte er ihr gesagt und musste, auf dem Weg nach Galiläa, durch Samarien reisen. Vielleicht kam ihr ihre Last darum heute schwerer vor als sonst: Sie wollte so schnell wie möglich nach Sychar, anderen Frauen erzählen, was sie erlebt hatte – sie, die sonst eher den Kontakt scheute!

Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit, hatte er ihr geantwortet. Was er wohl meinte? Sie hätte doch noch einmal fragen sollen, hatte sich aber irgendwie nicht mehr getraut. Mehrere Male schon hatte sie gefragt, was er meinte, wie er das meinte. Dabei schien er ihre Rückfragen geradezu herausgefordert zu haben. Er hatte immer geduldig gewartet, bis sie wusste, was sie fragen wollte. Wirkt eine Fragende eher töricht oder eher klug? Nein, verachtet hatte er sie wegen ihrer Fragen nicht. Wer einem solchen Menschen begegnet, stellt keine törichten Fragen. Wie kannst du mir lebendiges Wasser geben und hast kein Geschöpfgefäß dabei? Dabei war ihr schon beim Stichwort „lebendiges Wasser“ klar geworden: Er meinte mehr als das Wasser zum Trinken. Woher nimmst du lebendiges Wasser? Es gibt hier bei Sychar ja nur diesen einen Brunnen. Ich möchte nicht mehr schöpfen müssen! Das war letztlich keine Frage und war es dann doch. Jedes Mal nahm er auf, was sie geäußert hatte, und führte ihre Gedanken… – wohin führte er sie? Was war sein Ziel? Und dann: Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit: Sie hätte ihn doch noch einmal fragen sollen. Jetzt blieb sie mit ihren Fragen allein. Im Geist: Unter Geist stellte sie sich eine Welt jenseits unserer Wirklichkeit vor, Luft, Wind, Weite, Himmel: Sie hatte keine rechte Vorstellung, wie der „Geist“ als Wohnung Gottes aussehen konnte: Wie jeder sein Bild von Gott im Kopf hatte, musste jeder für sich klären, wie für ihn die Welt des Geistes aussah. Auch wo Gott an diesem oder jenem Ort jemandem anschaulich begegnete, zog er sich dann jeweils zurück ins Unsichtbare. Meinte dieser Mann das mit „Geist“?

Jemand, der lesen konnte und weit gereist war, hatte ihr einmal erzählt, in den heiligen Büchern der Juden würde erzählt: Als Salomo den Tempel in Jerusalem – den später die Babylonier zerstörten – einweihte, habe er bekannt: Gott ist viel weiter, größer als der Tempel, auch wenn sein Volk den Tempel als seine Wohnung ansah. Ist das der Geist, diese Weite Gottes? Den Juden wie den Samaritern ist ja bewusst: Gott ist am Sinai seinem Volk begegnet, aber er übersteigt alle diese Orte und ist längst schon dort, wo sein Volk erst noch hin muss. Nun haben die Juden wieder einen neuen Tempel als heiligen Ort – und sie, die Samariter, verehren Gott – durch das, was in den letzten Jahrhunderten geschehen ist – in besonderer Weise auf dem Berg Garizim. War er hier und dort derselbe Gott? Jedenfalls gab es in der Frömmigkeit viele Unterschiede. Jedenfalls ist der Brunnen dort unten für Juden wie für die Samariter der Jakobsbrunnen, erinnert an die Begegnungen des Erzvaters mit Gott. Im Geist und in der Wahrheit: Gott übersteigt wohl alle Orte und Begegnungen. Das Heil kommt von den Juden, hatte er ja auch gesagt. Natürlich, er als Jude. Zumal unsere samaritische Religion auch die jüdische als Wurzel hat… Mit einem Mal kam ihr dieses Wort Jesu doppeldeutig vor: Das Heil ist von den Juden weggekommen, hat die Grenzen überschritten – und ist auch den anderen Völkern geschenkt worden. Eben: Gott ist Geist und darum können wir Gott nur im Geist…

Sie wollte gerade ihre Lasten wieder aufnehmen, die Binde auf dem Kopf für den anderen Krug richten, da schlug ein Gedanke wie ein Blitz in ihrem Kopf ein: Geist und Wahrheit. Er hatte ihr in die Augen geblickt und ihr gesagt, was mit ihrem Leben los ist. Fünf Männer! So nahe war er ihr gekommen. War es Zufall? Doch was sind Zufälle? Zufall: Als sie hinausging, saß er am Brunnen. Zufall: Auf seiner Reise war er hierher gekommen. Er hat sie angesprochen, er als Jude, als Mann. Jetzt kam ihr ihre eine Frage doch töricht vor: Wie willst du mir lebendiges Wasser geben? War er doch selbst das Schöpfgefäß; was er ihr schenkte, war seine Nähe, seine Anwesenheit, seine Gegenwart. Das Heil kommt von den Juden, das beunruhigte sie nicht mehr: Dieser Mann war selber von den Juden, vom jüdischen Volk gekommen, ist nicht bei den Seinen geblieben, sondern hat ihr sein lebendiges Wasser gebracht, ihr und damit auch den anderen in Sychar. Das Heil ist nicht von den Juden weggekommen, aber es ist wie Wasser über die Grenzen dieses Volkes hinausgeflossen, blieb nicht beschränkt auf Jerusalem, Judäa und Galiläa.

Geist, das war ihr früher vorgekommen wie etwas Unbestimmtes, Fernes, kaum Greifbares. Geist als das, was unsere Welt und unser Leben weit übersteigt. Seltsam, in dieser Ferne hatte sie, das musste sie sich eingestehen, Gott angesiedelt, irgendwo jenseits des Berges Garizim. Jetzt kehrte sich mit einem Mal vieles um: Es ist der Geist der Nähe, der liebevollen Zuwendung, der Geist des Erbarmens, in dem Gott wohnt. Durst hat dieser Jesus bei der Rast am Mittag ja wirklich gehabt, er hätte sie sonst nicht um Wasser aus dem Brunnen gebeten. Und jetzt teilen sie dort drüben wirklich das Brot. Ihr wird klar: Ihr wirkliches Leben ist Gottes Wohnort. Sie war überzeugt: Als Jesus ihre Männergeschichten ansprach, wollte er sie nicht demütigen, er wollte ihr offensichtlich helfen, sich und ihr Leben so ehrlich wie möglich anzusehen: Damit stehe ich vor Gott, damit begegne ich ihm. Sie konnte endlich zur Wahrheit ihres Lebens stehen: Wo sonst sollte ihr Gott begegnen! Gott anbeten im Geist und in der Wahrheit. Hatte er sich Messias genannt oder hatte sie ihn auf einmal mit Messias angeredet? Als den Gesalbten von Gott her. Sie war sich nicht mehr sicher. Nach dieser Begegnung konnte Messias für sie nur jemand sein, der selber fest auf dem Boden stand, in ihrer Welt, heute hier am Jakobsbrunnen. Jetzt wollte sie doch endlich aufstehen und zurück in die Schatten zwischen den Häusern, zurück, bevor das heiße Sonnenlicht das kühle Brunnenwasser zu stark erwärmte. Vor allem aber wollte sie endlich den anderen, Frauen und Männern, erzählen, was ihr in dieser Begegnung aufgegangen ist: Gottes Geist ist der Geist der Nähe und jedes menschliche Leben ist über Jerusalem und Garizim hinaus ein Ort, wo wir Gott treffen und seinem Geist begegnen können.

 

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