Nun ist Weihnachten schon wieder vorbei. All die Aufregung, die Planung, die Vorbereitungen, alles ist nun erledigt. Keine Zeit ist so mit Erwartungen überfrachtet wie die Weihnachtstage. Für mich als Pastorin war immer die Zeit zwischen den Jahren, also genau heute, mit die schönste Zeit des Jahres. Es war so wunderbar ruhig. Nach den vielen Veranstaltungen der Adents- und Weihnachtszeit war es einfach ruhig. Alle waren mit sich selbst beschäftigt, mit dem Reisen, um Verwandte zu besuchen, Geschenke umzutauschen, vielleicht auch schon den Jahreswechsel zu planen.
I
So ähnlich müssen sich Joseph und Maria gefühlt haben, als sie endlich nach der Geburt Jesu allein waren. Es war ja alles sehr aufregend gewesen, erst die Reise nach Bethlehem, die Geburt Jesu, die Hirten, die Engel und zu guter Letzt die Weisen aus dem Morgenland. „Heilige drei Könige“ als Feiertag feiern einige Bundesländer, allerdings erst am 6. Januar. Ich habe, wie es seit Jahrhunderten üblich ist. die Erzählungen über die Geburt Jesu aus zwei Evangelien gemischt. Bei Lukas und bei Matthäus wird über Jesu Geburt erzählt, aber nicht im Johannes- und im Markusevangelium. Eigentlich schließen sich die beiden Erzählungen aus. Lukas erzählt, dass der Engel zu Maria kommt, bei Matthäus spricht er mit Joseph. Überhaupt steht dort Joseph ganz anders im Vordergrund. Selbst Jesu Stammbaum, dass er ein Nachkomme Davids war, versucht Matthäus, über die Vorfahren Josephs zu beweisen. Erst in letzter Sekunde fällt ihm auf, dass ja eigentlich Maria dafür entscheidend ist.
Trotzdem denke ich, dass Jesu Geburt wie eigentlich jede Geburt und ganz besonders die vom ersten Kind für Maria und Joseph aufregend war, auch der Besuch mit den wertvollen Geschenken. Da sehnten sie sich bestimmt nach ein wenig Ruhe und Normalität, so, wie auch wir uns nach den anstrengenden Feiertagen nach Ruhe und Normalität sehnen.
II
Aber es sollte anders kommen. Für uns ist das, was Matthäus hier berichtet, unvorstellbar grausam, obwohl wir aus Kriegen Ähnliches kennen. Es gab und gibt Gräueltaten in der Ukraine, es wurden viele Kinder verschleppt, Eltern suchen seit Monaten nach ihnen. Am 7. Oktober 23 wurden in Israel auch Säuglinge brutal hingemetzelt, viele Menschen verschleppt. In der Adventszeit wurde gerade wieder ein toter verschleppter Deutscher in Gaza gefunden. In Syrien hat man Kleinkinder aus den Gefängnissen befreit, es soll ein extra Gefängnis nur für Kinder gegeben haben. Es herrscht an vielen Orten Krieg, und das Leiden ist groß.
Die Kaltblütigkeit des Herodes, von der Matthäus erzählt, erschüttert immer wieder neu. Dabei beruht das ganze im Grunde genommen erst einmal auf einem Missverständnis. Die Weisen hatten in ihrer Heimat, vermutlich dem heutigen Irak, erkannt, dass ein großer Herrscher geboren worden sei. Es ist nicht sicher, ob vielleicht der Halleysche Komet dieses Zeichen gewesen ist, er näherte sich ungefähr zu der Zeit wieder einmal der Erde, oder ob sie eine bestimmte Konstellation der Sternbilder so interpretiert hatten. Babylon, der heutige Irak, hat in frühester Zeit die Astrologie erfunden, unsere Horoskope und Sternzeichen beruhen immer noch auf ihren Erkenntnissen. Insofern kann es gut möglich sein, dass die Konstellation bestimmter Sternbilder für sie wegweisend war. Leider haben sie nicht erkannt, wo denn genau dieser mächtige Herrscher geboren sein sollte. Sie haben auch nicht erkannt, dass es sich dabei nicht um einen menschlichen Herrscher oder Tyrannen handelte, sondern um Gottes Sohn. So nahm das Unheil von Bethlehem seinen Lauf.
Statt nach Bethlehem zu dem Kind gingen die Sterndeuter nach Jerusalem. Sie dachten, ein König würde in einem Palast als Nachkomme eines Königs geboren werden. Also fragten sie bei König Herodes nach. Doch der hatte keinen Sohn bekommen. Er fragte seine Theologen, und die vermuteten, dass Bethlehem der gesuchte Ort sein könnte, weil der Prophet Micha das viele Jahrhunderte vorher so vorhergesagt hatte: „ Und du, Bethlehem Efrata, die du klein bist unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist“. Auch der große König der Vorzeit, David, stammte aus Bethlehem. So zogen sie nach Bethlehem, beteten das Kind an, schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe. Gold. Weihrauch kennen wir aus katholischen Gottesdiensten. Myrrhe ist ein Baumharz, das zum Beispiel gegen Entzündungen hilft und deshalb sehr wertvoll war.
Plötzlich aber übernimmt doch wieder Gott die Regie. Denn Herodes wollte seine Macht an keinen Konkurrenten abgeben, wollte König bleiben. Da hat sich bis heute nichts geändert, tyrannische Machthaber tun alles, um an der Macht zu bleiben. Oft wird erst im Rückblick deutlich, dass alles noch viel schlimmer und brutaler war als geahnt, wie in den letzten Wochen in Syrien ans Tageslicht kam.
Wahrscheinlich hat der Kindermord zu Bethlehem so nie statt gefunden. Trotzdem bleibt die Frage angesichts all der brutalen Gewalttaten und Morde, die bis heute geschehen. Heute begeht die katholische Kirche den „Tag der unschuldigen Kinder“ und ruft damit auf, uns für Kinderrechte einzusetzen, dass Kinder nicht mehr zum Spielball der Mächtigen werden und leiden müssen.
III
Die Erzählung vom Kindermord zu Bethlehem erinnert uns, dass die schönen Bilder von strahlenden Familien an reich gedeckten Tischen nicht der Realität dieser Welt entsprechen, auch nicht der Realität der Welt zur Zeit von Jesu Geburt. Es ist einfach so, wie unsere Welt ist, immer wieder schön, aber auch gebrochen. Aber das Versprechen Gottes geht mit uns durch unser Leben in dieser Welt: Gott ist bei uns ist, bewahrt und behütet uns. Das heißt nicht, dass das Leben immer leicht für uns ist. Joseph und Maria waren bestimmt auch nicht glücklich, als sie sich auf den weiten Weg nach Ägypten machen mussten, um ihr Kind vor dem sicheren Tod zu bewahren. Aber so hat Gott sie bewahrt, so kann Gott auch uns auf beschwerliche Wege schicken, um uns im Unheil zu bewahren.
Vielleicht war Ihr Weihnachten nicht so, wie Sie sich es erträumt haben. Vielleicht war es wunderschön. Aber seit Weihnachten wissen wir: Gott ist in Jesus in unsere Welt gekommen. Gott kennt unser Leid kennt und teilt es mit uns, behütet und bewahrt uns, wie Gott auch das Kind Jesus bewahrt hat. Davon erzählen übrigens beide Geburtsgeschichten Jesu bei Lukas und Matthäus: Jesus kam im Elend, in Not und Verfolgung auf die Welt. Gott hat ihn bewahrt und behütet. Darum können auch wir darauf vertrauen, dass Gott bei uns ist, immer, unter allen Umständen und überall.