„Rogate“ – Betet, bittet, fragt …

Den tragenden Grund können wir im Gebet finden

Predigttext: Kolosser 4,2-6
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 06.05.2018
Kirchenjahr: Rogate (5. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Dr. Harald Pfeiffer

Predigttext: Kolosser 4, 2-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2ß17)

2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!
3 Betet zugleich auch für uns, auf dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue und wir vom Geheimnis Christi reden können, um dessentwillen ich auch in Fesseln bin,
4 auf dass ich es so offenbar mache, wie ich es soll.
5 Verhaltet euch weise gegenüber denen, die draußen sind, und kauft die Zeit aus.
6 Eure Rede sei allezeit wohlklingend und mit Salz gewürzt, dass ihr wisst, wie ihr einem jeden antworten sollt.

(Kolosser 4,2-6, Übersetzung nach: „Die Gute Nachricht. Das Neue Testament in heutigem Deutsch“, Stuttgart 1971):

2 Lasst nicht nach im Beten! Werdet nicht müde, Gott zu danken! 3 Betet auch für mich, dass Gott mir Gelegenheit gibt, die Botschaft von Christus zu verkünden. Ihretwegen bin ich jetzt im Gefängnis. 4 Bittet darum, dass ich diese Botschaft bekanntmachen kann; denn das ist mein Auftrag. 5 Verhaltet euch klug gegenüber denen, die nicht zur Gemeinde gehören, und nutzt die Zeit. 6 Redet immer so, dass sie gerne zuhören. Für jeden sollt ihr die rechte Antwort bereit haben.

Eingangsgebet

Vater im Himmel; Lob und Dank sei dir für diesen ersten Sonntag im Wonnemonat Mai. Mit dir, Herr, wollen wir den heutigen Sonntag Rogate erleben. Wir danken dir für alle deine Güte. Du hast uns viel Gutes erwiesen. Gib uns die Kraft, auch Schwierigkeiten in unserem Leben durchzustehen. Begleite uns. Mach unser Herz frisch und klar wie eine Quelle. Lass uns immer wieder aufs Neue erfahren, dass du uns im Gebet nahe bist. Umhülle uns mit dem Mantel deiner Geborgenheit.

Fürbittengebet

Lieber guter Gott, wir danken dir dafür, dass du zu jeder Zeit für uns da bist. Du erhörst unsere Gebete. Nun gibt es aber so vieles im Leben, das wir nicht verstehen, so viel Leid und Ungerechtigkeit, so viel, das unser kleiner menschlicher Verstand nicht begreift. Wir bitten dich, sei du in schweren Zeiten bei uns, steh uns bei, begleite uns, schenke uns Mut und Hoffnung, nach vorn zu blicken.
Wir bitten dich für alle, die in Politik und Wirtschaft Verantwortung tragen: dass sie sich um Gerechtigkeit bemühen und die Würde aller Menschen achten.
Wir bitten dich für alle regierenden Persönlichkeiten in Ost und West, Nord und Süd, schenke du ihnen deinen Geist des Friedens und der Verständigung, wenn sie sich an einen Tisch setzen und miteinander reden. Statte sie mit Vernunft aus, erleuchte sie.
Wir bitten dich für alle Menschen, die in den Kriegsgebieten heimatlos geworden und an Leib und Seele bedroht sind. Halte du deine schützende Hand über sie.
Wir bitten dich für alle, die in Krankenhäusern und Altenheimen ihren wichtigen Dienst tun. Stärke sie in ihrer nicht leichten Arbeit.
Wir bitten dich für alle, die mit Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Schenke íhnen gutes Gelingen bei dieser Aufgabe.
Wir vertrauen dir und danken dir für deine Hilfe. Lass uns tatkräftig mit anpacken, wo es nötig ist.

Lieder

„Wie lieblich ist der Maien“ (EG 501)
„Tut mir auf die schöne Pforte“ (166)
„Jauchzt alle Lande“ (279)
„Jesu, hilf siegen“ (373)

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Unser Thema kommt heute aus dem Gefängnis. Der Apostel Paulus sitzt im heidnischen Rom in Haft, weil er das Evangelium öffentlich bekanntgemacht hat. Wenn er in seiner Gefängniszelle einen PC gehabt hätte, dann hätte er seinen Freunden eine e-Mail geschickt. Und die hätte kurz und bündig gelautet: Denkt an das Beten, seid offen für Gottes Wort, nutzt eure Zeit! Diese drei Stichworte hätte er in einer Rundmail verschickt. Die drei Punkte passen bestens zum heutigen Sonntag „Rogate“, zu deutsch „betet!“

Im Gebet hat sich der Apostel täglich Kraft geholt, egal ob er auf hoher See reiste, in höchster Lebensgefahr schwebte oder im Gefängnis saß. „Not lehrt beten“, sagt ein Sprichwort. Ist das so? Lehrt sie in Wirklichkeit nicht doch nur das Stoßgebet? Den Schrei nach Gott, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht? Gott als Erfüllungsgehilfe? Trotzdem empfiehlt die Bibel, in auswegloser Lage zu beten: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten“, heißt es in Psalm 50. Und in der Bergpredigt sagt Jesus: „Bittet, so wird euch gegeben.“ Wenn Gott zusagt, „ich will dich erretten“, lässt er allerdings offen, worin die Rettung besteht. Und wenn Jesus verspricht, „euch wird gegeben“, erfahren wir ebenfalls nicht, was er konkret daraus macht. Oftmals deckt es sich ja nicht mit dem, was wir selbst gerne hätten. Wir müssen es ihm überlassen. So wird Gott eine böse Krankheit vielleicht ebenfalls nicht heilen, sondern den Betroffenen die Kraft geben, mit ihr zu leben.

Der Apostel Paulus verschickt seine Nachricht an alle, die Gottes Wort hören und bewahren möchten. Seine Mail gilt gezielt denen, die zu jener ‚GmbH‘ gehören, nämlich zur Gemeinschaft mit begründeter Hoffnung, wie der ZDF-Moderator Peter Hahne die Christen nennt. Das 1. Stichwort des Apostels „Denkt an das Beten, vergesst das Danken nicht“ wurde einmal auf dem Fußballfeld ganz konkret: So war es bei der Fußballweltmeisterschaft 1994 in den USA, als die Brasilianer siegten. Da haben sie nach dem Abpfiff keine Ehrenrunde gemacht, sondern einen Kreis und senkten die Köpfe, mitten auf dem Rasen, mitten im tobenden Stadion. Der Fernsehkommentator ist merklich verunsichert. Erst im Interview wird das Geheimnis gelüftet. Da sagt der Brasilianer Jorginho: „Wir haben Gott für diesen großartigen Sieg gedankt und anschließend das Vaterunser gebetet“.  Dieses Bekenntnis ging um die Welt.

Wer betet, gibt sich eigentlich eine Blöße; denn er gibt zu: Ich kann viel, aber doch nicht alles! Wer betet, kreist nicht um sich selbst, sondern weiß um das göttliche Gegenüber, dem er sich letztlich verdankt. Wenn Menschen beten, rechnen sie mit diesem Gegenüber, halten Zweisprache, danken und bitten. Darum betont Paulus: „Lasst nicht nach im Beten, und werdet nicht müde, Gott zu danken!“ Und er bittet die Gemeindeglieder in Kolossä, das liegt in der heutigen Türkei: „Betet auch für mich, dass Gott mir Gelegenheit gibt, die Botschaft von Christus zu verkünden, ihretwegen bin ich jetzt im Gefängnis.“

Wenn ein Mensch zu Gott betet, dann weiß er, dass er selbst eigentlich gar nichts in den Griff bekommt und über rein nichts verfügt. So war es auch beim Ehemann Werner K. Er berichtet von seiner Trunksucht, die ihm sein Leben zur Hölle gemacht hat: Er sagt es frei heraus: „Ich geriet in totale Abhängigkeit. Der Alkohol zerstörte meine Persönlichkeit. Ich wurde meiner Frau gegenüber unausstehlich. Meinen Beruf musste ich an den Nagel hängen. Ich war drauf und dran, mir das Leben zu nehmen. Ein Freund riet mir: ‚Wenn heute Nacht wieder dieser unwiderstehliche Drang nach Alkohol in dir durchbrechen will, dann versuch es doch wenigstens einmal mit einem Gebet‘.

Beten? Alles sträubte sich dagegen. Doch plötzlich wurde mir bewusst, in welchem Chaos ich steckte. Mich ekelte vor mir selbst: Nein, so will ich nicht weiterleben! Heute weiß ich nur noch, dass ich plötzlich meine Hände gefaltet und gebetet habe: ‚Gott, wenn es Dich wirklich da oben gibt, dann hilf mir aus diesem Dreck heraus, allein schaffe ich es nicht mehr‘. Und am nächsten Tag erlebte ich das Wunder: Ich verspürte keinen Durst mehr. Ich sagte mir: Das gibt es doch nicht! Ich ging in den Supermarkt, um mir eine Flasche zu kaufen. Da konnte ich an den Schnapsregalen vorbeigehen, ohne nach einer Flasche zu greifen. Ganz langsam dämmerte mir, dass Gott meinen Hilferuf erhört hatte. Aus eigener Kraft wäre ich verloren gewesen!“ „Das Gebet“, so bekennt der griechische Prediger Johannes Chrysostomos, „ist die Quelle tausender und abertausender Segnungen!“

Wer selbst nicht in der Lage ist zu beten, der möge wissen, dass es immer Menschen gibt, die für einen beten. So heißt es in dem Abendlied „Der Tag, mein Gott, ist nun vergangen“: „Unermüdlich ist immer ein Gebet wach, das vor dir, Gott, steht“. Menschen, die wir gar nicht kennen, schließen uns tatsächlich in ihr Gebet ein. Das zu wissen, ist schön.

Das 2. Stichwort des Apostels: Seid offen für das Wort Gottes. Wer sich Gottes Wort öffnet, erfährt, dass dahinter eine lebendige Kraft steckt. So erkennt Paulus im Evangelium eine Kraft Gottes, die das Leben verändern will. Diese Kraft heilt Kranke, schenkt Hoffnungslosen Perspektiven, tröstet Traurige, nimmt heruntergekommene Existenzen mit offenen Armen auf, verleiht misslungenem Leben wieder Sinn. Wer sich Gottes Wort öffnet, kann Lebensorientierung erfahren. Darum schreibt Paulus seinen Glaubensfreunden in Kolossä: „Seid in Jesus Christus verwurzelt und gegründet und fest im Glauben“. (Kol 2,7) Auf sein Wort kann ich mich verlassen, es hat mich noch nie enttäuscht. Es hält und trägt mich.

Schließlich das 3. Stichwort des Apostels: Nutzt die Zeit! Dazu fordert uns Paulus auf. Allerdings  meint er keine konsumorientierte Lebenshaltung. Es geht ihm keineswegs um die rastlose und hirnlose Hektik, die wir so gut kennen. Ich verstehe sein Stichwort als Aufforderung zur Bildung. Nutzt die Zeit, um euch weise zu verhalten. Nutzt die Zeit, um euch intelligent auseinanderzusetzen mit denen, die das Wort Gottes verachten. Nutzt die Zeit, euch zu bilden im christlichen Glauben, damit ihr wisst, wie ihr jedem antworten sollt. Es ist ja nicht immer leicht, auf ganz banale Glaubensfragen zu reagieren. Die folgende kleine Begebenheit zeigt, wie man sich dabei richtig verhalten kann:

Am frühen Morgen betritt ein Mann das Frisörgeschäft. Er will sich den Bart rasieren und seine Haare schneiden lassen. Da er der einzige Kunde ist, hat der Friseurmeister genügend Zeit, um sich mit seinem Kunden über alles Mögliche zu unterhalten. Während er sorgfältig den Bart rasiert, meint er so nebenbei: „Ich glaube nicht daran, dass ein Gott existiert“. „Wie kommen Sie darauf, das zu glauben?“, fragt der Kunde interessiert zurück. „Na, gehen Sie doch mal raus auf die Straße. Gegenüber ist die Klinik. Da sieht man manche verzweifelte und kranke Menschen. Wenn Gott existierte, müssten die Menschen nicht verzweifeln. In meiner Kundschaft ist auch jemand vom Jugendamt. Sie glauben gar nicht, wieviel Elend es in Familien gibt, wie viel misshandelte Kinder. Wenn es Gott gäbe, wären solche Missstände nicht möglich, es gäbe keine Armut und keine Trostlosigkeit. Gott soll die Liebe sein. Ich kann mir keinen liebenden Gott vorstellen, der so schreckliche Dinge in der Welt zulässt.“

Nachdenklich schaut der Kunde auf den Spiegel vor sich und lässt den Friseur ruhig weiterreden. Schließlich bezahlt der Kunde und verlässt den Friseursalon. Auf der Straße begegnete ihm ein Mann mit langen, verfilzten Haaren und zerzaustem Vollbart, strotzend vor Dreck. Der soeben frisch rasierte Kunde lächelt und sagt sich: „Ich hab’s!“ Sofort sucht er den Friseursalon wieder auf und der Besitzer fragt ihn: „Stimmt etwas nicht?“ „Ja, da stimmt etwas nicht: Wissen Sie was? Es gibt keine Friseure!“ Verwirrt schaut der Friseur den Mann an: „Das ist doch Unsinn! Wie können Sie so etwas sagen? Ich bin doch hier und bin Friseur, gerade habe ich Ihnen den Bart rasiert und die Haare geschnitten!“ „Nein“, widersprach der Kunde, „Friseure gibt es nicht! Wenn es welche gäbe, dann würden da draußen keine Menschen mit dreckigen, verfilzten Haaren herumlaufen“.

Draußen schlurfte gerade der Mann vorbei, den der Kunde eben getroffen hatte. „Da, schauen Sie zum Fenster hinaus! Da draußen ist ein Mann, der die Pflege eines Friseures dringend nötig hätte. Aber weil es keine Friseure gibt, muss er so schmutzig herumlaufen. Sehen Sie selbst! Es gibt keine Friseure.“ „Moment mal“, warf der Friseur immer noch irritiert ein, „da ziehen Sie aber wirklich einen total falschen Schluss. Das Problem ist doch eher, dass solche Menschen nicht zu mir kommen!“ „Richtig – genau so ist das“, gab der Kunde nun lächelnd zurück. „Gott existiert auch. Die Problematik dabei ist, dass Menschen nicht zu ihm kommen. Das erklärt, warum es so unendlich viel Elend, Ungerechtigkeit und Verzweiflung auf der Welt gibt. Der tragende Grund, Gott, ist da, aber man muss zu ihm kommen!“ (Quelle: Nach B. Hauth, Hg., Was uns trägt, mediaKern Wesel 2016, S. 93ff) Den tragenden Grund  können wir im Gebet finden, das uns im Alltag stärkt. Auch im Evangelium, das Leben zum Guten verändern will.

 

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Ein Kommentar zu “„Rogate“ – Betet, bittet, fragt …

  1. Pastor i.R.Heinz Rußmann

    Diese Predigt über das bekannte und häufige Thema Gebet ist überraschend interessant. Sie ist gut gegliedert in drei Teile. Überraschend und originell sind mehrere aktuelle Einschübe: Wenn Paulus in der Gefängniszelle mit einem PC e-mails verschickt hätte… Christen sind eine GmbH = Gesellschaft mit begründeter Hoffnung.Fußballer sprechen im Kreis ein Dankgebet. Trunksucht wird im Beispiel durch Gebet geheilt. Heute leben wir in kritikloser Hektik. Besonders interessant ist das Gespräch mit dem Friseur. These: es gibt keinen Gott , weil Menschen ihn nicht brauchen. Kommt ein zotteliger Mann vorbei und der Kunde sagt: Es gibt keine Frisöre. Der Schlußsatz ist kurz und wesentlich.- Diese originelle und tiefsinnige Predigt kann man sich gut merken und die geistreichen Einschübe weitererzählen.Nach dem bekanntesten Kommunikations-Ürofessor Schulz von Thun bracht jeder Text etwas zusätzlichen Esprit, zusätzlich anregenden Geist.

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