Rückgrat zeigen
Sich dem Leiden in der Welt zuwenden
Predigttext: 2. Korinther 6,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Rvision 2017)
1 Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt. 2 Denn er spricht (Jesaja 49,8): »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; 4 sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, 5 in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, 6 in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, 7 in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, 8 in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; 9 als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; 10 als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben.
Wann ist ein Mann ein Mann?“, so fragte Herbert Grönemeyer in seinem Lied „Männer.“ Erschienen ist der Song 1984, da war ich 4 Jahre alt. Die Frage beschäftigte mich erst viele Jahre später.
I.
Heute im Jahr 2022 wird das Thema Dank der Genderdebatten differenziert betrachtet. Es ist für die junge Generation selbstverständlich geworden, dass klassische Rollenbilder veraltet sind – und wenn ich Grönemeyers Lied richtig interpretiere, karikiert er mit seinen Zeilen, was in den 80ern einen Mann zum Mann machte. Die Wandlung im Denken steckte damals in den Kinderschuhen. Für viele war noch undenkbar, was heutzutage weit verbreitet ist:
Männer nehmen Elternzeit während Frauen arbeiten gehen. Frauen machen Karriere bei der Bundeswehr und Männer sind gern gesehen als Erzieher in Kitas. Nicht zuletzt taucht bei Stellenausschreibungen für das Geschlecht neben „m“ für männlich, und „w“ für weiblich, noch „d“ für divers auf. Es ist aus meiner Sicht ein Gewinn, dass die Gesellschaft bei der Frage nach Identität pluralistischer und differenzierter geworden ist. Das gibt jeder und jedem von uns mehr Freiheit zur Entfaltung. Es ermöglicht mehr Selbstbestimmung statt fremdbestimmt Prototypen entsprechen zu müssen, die andere festgelegt haben.
Gleichwohl bleibt die Frage und wird nicht leichter zu beantworten: „Wer bin ich? Wer bin ich als Mann oder als Frau oder als Transgender? Wer bin ich in meiner Rolle als Ehemann, als Mutter, als Angestellter oder Chefin? Wie will ich sein? Wie wollen andere, dass ich sein soll? Wann bin ich richtig?“
Aus der Fülle dieser Fragen und Themenfelder wenden wir uns mit dem heutigen Predigttext einer binnenkrichlichen Frage zu: „Wann ist ein Apostel ein Apostel?“ Paulus wurde von den Christen in Korinth herausgefordert, darauf eine Antwort zu geben, denn in der Gemeinde wurde Stimmung gegen ihn gemacht. Mobbing würden wir heute sagen. Nachdem er die Gemeinde gegründet hatte und fortging, kamen andere. Sie hatten eine strahlende Vorstellung davon, wie Verkündiger der frohen Botschaft Jesu sein sollten. Sie fragen daher die Christen in Korinth: „Wie kann dieser Mann Apostel sein?“
Offenbar glänzte Paulus ihnen nicht genug. Paulus hat in seinem Dienst viel durchgemacht und musste oft einen steinigen Weg gehen, zudem war er wohl kein begabter Redner und litt an einer chronischen Krank-heit (2. Kor 11,6 und 2. Kor 12, 7-10). Das war bekannt und darauf bezo-gen, fragten seine Gegner: „Sieht denn sein Leben mit seinen ständi-gen Schwierigkeiten und Nö-ten, mit seiner ganzen Armut und Kümmer-lichkeit wirklich nach einem ,Diener Gottes‘ aus?“ (WStB, S. 149) Hören wir nun, was Paulus in seiner Verteidigungsrede schreibt. Ich lese den Predigttext aus dem 2. Korintherbrief Kapitel 6,1-10.
(Lesung des Predigttextes)
II.
Paulus zeigt Rückgrat. Ein Rückgrat, das er sich nicht brechen lässt und macht eines deutlich: Durch sein Lebenszeugnis gibt er keiner Menschenseele einen Grund vom Glauben abzufallen. Im Gegenteil – seine Schwachheit ist seine Stärke oder besser gesagt: durch die Leiden des Paulus offenbart sich Gottes Kraft, der ihm in seinem Dienst beisteht und durchträgt. Er weiß, wer er ist und sagt klar, was einen Apostel zum Apostel macht: Die Nachfolge Jesu in Freud und trotz Leiden.
Paulus steht mit seiner ganzen Existenz ein für die Wahrheit des Evangeliums und die Gerechtigkeit ist in seiner linken und rechten Hand. Wie Waffen dient sie als Verteidigung wie ein Schild und als Gegenschlag wie ein Schwert. Die ungerechte Anklage seiner Gegner kann dagegen nicht bestehen.
Bei diesen Gedanken sei mir ein kurzer Blick weg von der Kirche hin zur Weltlage gestattet. Denn auch in der Ukraine zeigen Menschen Rückgrat wie Paulus, das sie sich weder durch Verleumdung noch durch Gewalt brechen lassen. Und ich denke, auch sie haben wie Paulus den festen Glauben, dass die Waffen der Gerechtigkeit sich letztlich gegen brachiales Unrecht durchsetzen werden. Sie weichen dem Leid nicht aus, das der Glaube mit sich bringt für Gerechtigkeit einzustehen. Dabei erfahren sie ebenso Paradoxien wie Paulus: als die Bedrängten sind sie doch frei. Als die Geschlagenen doch voller Würde.
Andere wollen das nicht sehen und schon Paulus wusste, dass manche Menschen die Welt oberflächlich betrachten. Mit fleischlichen Augen, die sich blenden lassen von Stärke und Macht. Hingegen schenkt uns der Heilige Geist Augen, die im Leiden Gottes Gegenwart sehen können. Deshalb hat Paulus einen anderen Blick als seine Gegner, und hält den Korinthern im direkten Vergleich beide Sichtweisen vor Augen, wenn er schreibt:
„Wir erweisen uns als Diener Gottes,[…] als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben“.
III.
Mit welchen Augen schauen wir auf andere, auf die Welt, auf die Kirche? Haben wir auch manchmal strahlende Erwartungen, die wir auf andere werfen? Oder zweifeln daran, im Leiden Gott entdecken zu können? Und was macht für uns Kirche mit all ihren Ehren- und Hauptamtlichen, und ihren Mitgliedern zur Kirche?
Die Antwort des Apostels Paulus fordert unsere heraus. Wenn das, was er schreibt zur Nachfolge Jesu gehört, dann sollten wir uns fragen lassen: Welches Kreuz nehmen wir auf unsere Schulter – hier vor Ort- und bezeugen damit, dass Jesus es mit uns trägt?
Dietrich Bonhoeffer hat die Leidensnachfolge nicht gescheut. Er hat wie Paulus mit seinem ganzen Leben für Wahrheit und Gerechtigkeit eingestanden und einmal gesagt: „Nicht der religiöse Akt macht den Christen, sondern das Teilnehmen am Leiden Gottes im weltlichen Leben.“ (DBW Band 8, S. 535.)
Nicht Glanz und Gloria also offenbart einen Priester oder eine Pastorin oder eine ganze Kirche als christlich, sondern sich dem Leiden in der Welt bewusst zuzuwenden, lässt Kirche zur Mitarbeiterin Jesu werden. Sich um die Beladenen und Verfolgten zu sorgen, kostet jedoch einen Preis: Zeit, Geld, Nerven und Emotionen. Vielleicht wird schon sehr bald eine Zeit und Gelegenheit kommen, diesen Preis zu zahlen. Jede und jeder kann nur für sich selbst beantworten, ob sie oder er bereit ist, Leid in der Nachfolge Jesu mitzutragen und zu ertragen. So werde ich die Passionszeit ganz bewusst dazu nutzen, über meine Nachfolge Jesu nachzudenken, und zum Schluss einen Impuls geben.
Nach der Fusion haben wir die Chance unserer Gemeinde Marli-Brandenbaum ein neues Gesicht zu geben. Ein Gesicht, das gewiss nicht genauso aussieht wie Jesus Christus, ihm aber nahe kommt. Ein Gesicht, das mehr denn je hinschaut auf das Leid vor unserer Tür. Ob das attraktiv ist, in so einer Gemeinde zu sein? Ich weiß es nicht, glaube aber fest, Jesus wäre dabei.
Wer bin ich als Mann ? Mit der heutigen Gender-Diskussion beginnt die Predigt aktuell. Wer ist man als Apostel Jesu ? Paulus wurde damals als Apostel heftig kritisiert. Er glänzt als leidende Persönlichkeit nicht genug. Für Paulus zeigt sich in seinem Leiden , welches er erträgt, Gottes Kraft. Heute zeigen die Ukrainer ein Rückgrat wie Paulus. Er und andere Christen preisen sich als Diener Gottes mit zwei Seiten: als Traurige und allzeit froh und getrost. Der bedeutende Christ und Theologe D.Bonhoeffer hat die Leidensnachfolge mit Jesus nicht gescheut und wunderbare Trostworte verfasst. “Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag ” Wir sollten uns fragen in der Passionszeit, wie unsere Nachfolge aussieht, wenn wir auf das Leid schauen . Jesus wäre dabei !- Die Predigt von meinem Gemeinde- Pastor Schneidereit ist klar, gut verständlich und in schwieriger Zeit Seelsorge an uns.