Schöner und heller
Denkmalpflege
Predigttext | 1. Petrus 1,3-9 |
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Kirche / Ort: | Karlsruhe |
Datum: | 27.04.2025 |
Kirchenjahr: | Quasimodogeniti (1. Sonntag nach Ostern) |
Autor: | Pfarrer Professor Dr. Wolfgang Vögele |
Predigttext: 1. Petrus 1,3-9 (Übersetzung nach Martin Luther)
Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch, die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit. Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, auf dass euer Glaube bewährt und viel kostbarer befunden werde als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus. Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude, wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.
Kirschbäume und Magnolien haben gerade ihre Blüten schon wieder verloren. Der Frühling hat sich mit Macht ausgebreitet. Bei einem späten Osterspaziergang vor einer Woche konnten wir die grüne Explosion der Blätter und Gräser bestaune und besichtigen. Wer an einem Bach vorbeikam: Schmelzwasser plätscherte sanft und beruhigend.
Der Predigttext für diesen ersten Sonntag nach Ostern gleicht so gar nicht dem sanften, weichen Schmelzwasser. Eher staunen wir über ein mächtiges Monument, gleichzeitig Denkmal und Mahnmal, Zeichen der Erinnerung und Leuchtturm der Hoffnung, Aufforderung zum Nachdenken über die Zeit und das Leben. Alles wirkt sperrig, überraschend und ungewöhnlich. Das Monument ist eingebettet in Jubel und Dankbarkeit.
Es fängt an beim Gotteslob und es hört auf mit Seligkeit. Diese Predigt- und Denkmalsätze reißen die Betrachter aus ihrem alltäglichen Trott heraus und bringen sie zum Glauben und Nachdenken. An diesem Denkmal würde niemand ein Selfie schießen und genausowenig würde jemand den Denkmalstext auf Tiktok verlesen. Es eignet sich weniger für soziale Medien als für gemeinsames Nachdenken und Meditieren. Das paßt gut zum biblischen Motto dieses Sonntags, den viele in der katholischen Kirche den Weißen Sonntag nennen. Auf Lateinisch heißt er Quasimodogeniti. Mit diesem Wort fängt das zweite Kapitel des 1.Petrusbriefes an: „(…) wie die neugeborenen Kindlein seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, auf daß ihr durch sie wachset zum Heil, (…).“ (1Petr 2,2; Wortstellung geändert wv) An der Stelle des plätschernden Frühlingsbächleins tritt nun die vernünftige, nahrhafte Milch, die ein Kind wachsen läßt.
Auch wer Christ sein will, braucht Nahrung – Glauben zuerst, dann Erinnerung und Hoffnung, Wegweisung und gelegentlich Rastplätze. Glaubende gleichen Spaziergängern, die zu einem ungewöhnlichen Denkmal kommen und eine Rast einlegen. Zuerst laufen sie neugierig herum um die Steinkonstruktion und schauen sich an, was es zu sehen gibt. Was gibt es zu sehen? Mir sind am Denkmal dieses Predigttextes vier Bausteine aufgefallen. Sie alle lohnen eine genauere Betrachtung.
1
Christenmenschen stehen nicht mit leeren Händen da, sie empfangen ein „unvergängliche[s] und unbefleckte[s] und unverwelkliche[s] Erbe“. Ich finde es so schade an den Magnolienblüten im Frühling, daß sie kaum mehr als ein paar Tage blühen. Danach liegt die Pracht der rosa Blütenblätter am Straßenrand oder auf dem Rasen. Das Erbe des Glaubens welkt nicht, es wird ausdrücklich als unvergänglich bezeichnet. Es ist immer schön, etwas zu erben, wofür niemand zuerst eine Vorleistung erbringen mußte.
Das Erbe, auch das Erbe des Glaubens kommt unverhofft. Es ist alles schon geschehen, nämlich an Ostern, als der Auferstandene im Garten den trauernden Frauen begegnete und als er mit den Emmaus-Jüngern wanderte und speiste und die Jünger ihn zuerst nicht erkannten. Das Erbe des Glaubens entsteht aus dem Wunder von Ostern. Und deswegen folgt in der Tradition des Kirchenjahres auf das Osterfest der Sonntag Quasimodogeniti, für die neugeborenen „Kindlein“ des Glaubens, die häufig an diesem Sonntag zum ersten Mal zur Kommunion oder zum Abendmahl gehen.
Die Blüten von Ostern, das Wunder von Gottes Überwindung des Todes, werden an die jungen Menschen als Erben weitergegeben. Und damit dieses in der Welt nicht verloren geht, so der Autor des 1.Petrusbriefes, wird es im Himmel aufbewahrt. Die Basis unseres schriftlichen Denkmals bildet der Dank an Gott. Christenmenschen können danken, daß sie das Erbe von Ostern erhalten haben. Christus ist uns allen durch Sterben und Tod in die Auferstehung vorangegangen. Das österliche Erbe weist in die Zukunft.
2
Das Denkmal ist auch ein Mahnmal. Niemand hat sich das Erbe erarbeitet, jeder erhält es als Gottes Geschenk. Im schriftlichen Bibel-Denkmal ist die Rede von „mancherlei Anfechtungen“. Die Gemeinde, zu der der Text spricht, befand sich damals in einer Krise, von der wir nicht wissen, was sie ausgelöst hat. Heute trauern wir ökumenisch um den verstorbenen Papst Franziskus, der am Morgen des Ostermontags nach langer Krankheit gestorben ist. In diese Trauer und Anfechtung mischen sich aber auch Dankbarkeit für alles, was er für die katholische Kirche getan hat, vom Kampf gegen eine erstarrte Hierarchie über den Einsatz für Migranten, Häftlinge und Prostituierte bis zum Lob der Schöpfung in einer großartigen Enzyklika, die an den Sonnengesang Franz von Assisis erinnerte.
Franziskus wollte den Planeten Erde, Gottes Schöpfung erhalten wissen. Er lenkte darum den Blick auf aktuelle Probleme des Umweltschutzes. Gottes Schöpfung wird gequält mit Mikroplastik und Autoabgasen, mit wilden Müllkippen und Zigarettenstummeln, mit Öllachen, Reifenabrieb und Elektroschrott. Und damit ist vieles noch gar nicht aufgezählt.
Franziskus‘ besondere Fürsorge galt auch den Armen. Viele Güter dieser Welt sind ungleich verteilt. Das führt zu Kriegen und Bürgerkriegen, zu Fluchtbewegungen und neuem Nationalismus, so sehr, daß es einige Staaten in Gefahr gebracht hat. Besonders die Vereinigten Staaten könnten in eine autoritäre Herrschaft abrutschen. Die Demokratie, die auf Gleichheit beruht, könnte sich in ein billiges Konstrukt verwandeln, in dem das Volk einem einzigen Machthaber hörig Gefolgschaft zu leisten hat.
Was im biblischen Denkmalsbrief „mancherlei Anfechtungen“ heißt, ist aktuell zu einer dauerhaften und globalen Polykrise geworden. Das Wort stammt zwar aus dem Bürokratenslang europäischer Funktionäre, aber es macht deutlich, daß die Probleme der Welt auf vielfache Weise miteinander verschränkt sind und sich verstärken.
3
Hat die Polykrise etwas mit dem Glauben zu tun? Der nächste Denkmalsstein aus dem 1. Petrusbrief ist überraschenderweise vergoldet. Es heißt, der Glaube sei mehr als „vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird“. In einer Welt der Polykrisen gilt es, sich nicht irre machen zu lassen. Es wäre gefährlich, sich von Populisten und Postdemokraten einfache Lösungen einflüstern zu lassen. Man braucht in turbulenten Konflikten etwas, das auch die Hitze des Feuers aushält. Glaube ist mit einem Erbe verglichen worden. Jetzt wird es mit Gold verglichen. Glaube bildet ein Gegengewicht, ein Zeichen der Hoffnung und der Unbeirrbarkeit in all den Aufregungen, Nervositäten, im Strom der fake news, der Geschwätzigkeit, der Unübersichtlichkeit und der Ablenkungen.
Glaube auf der einen und Anfechtung oder Krise auf der anderen Seite, das ist kein einfacher, statischer Gegensatz. Das wußte der Denkmalbauer des 1.Petrusbriefs. Diese Gegensätze verstärken und schwächen, beschleunigen und verlangsamen sich gegenseitig. Wer sich auf den Glauben einläßt, der übernimmt das Erbe von Ostern. Aber das ist kein Ruhekissen, keine sichere Goldreserve, die man in den Tresor des Gemüts verschließt und lange ruhen läßt. Glaube an Gott, das bedeutet auch Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Welt und mit den kleinen Fragen des Alltags. Gelegentlich ist es nötig, innezuhalten und sich angesichts aller Verzweiflung und Erschöpfung auf das Erbe zu besinnen, das einen in Hoffnung trägt.
4
Denn für uns Nachgeborene zweitausend und mehr Jahre nach Ostern gilt ja, daß uns der Auferstandene nicht so erschienen ist wie den Frauen im Garten oder den wandernden Emmausjüngern. Ihr glaubt an Jesus Christus, sagt der 1.Petrusbrief, „obwohl ihr ihn nicht seht“. Schon Paulus schreibt, daß die Erscheinungen des Auferstandenen irgendwann aufhörten. Nachgeborene Christen leben von einem biblischen Erbe, leben vom Glauben an die Auferstehung, leben von der Osterfreude. Im Alltag und beim Blick auf Tiktok kann sich diese Osterfreude schnell verflüchtigen.
Deswegen braucht sie Erinnerung (Stichwort: Erbe) und Feier, zum Beispiel im Gottesdienst der Osternacht, wenn das Licht, das die Welt erleuchtet, wieder in den Gottesdienstraum gebracht wird und dann langsam alle Kerzen, auf dem Altar und in den Bänken entzündet werden. Glauben bedeutet, eine Balance zu finden. Auf der einen Seite steht das Erbe der Auferstehung, die Freude über Ostern, die Hoffnung, die aus dem Glauben wächst. Auf der anderen Seite stehen die Schwierigkeiten des Alltags, die Krisen der Welt, manchmal die Verzweiflung, manchmal die Gleichgültigkeit, manchmal die Langeweile. All besitzt sein je eigenes Gewicht. Gleichgültigkeit und Verzweiflung können aus der Bahn werfen. Der Blick auf das Denkmal erhellt: Beides, Glaube und Verzweiflung haben Gewicht und Gegengewicht und müssen immer wieder in Ausgleich gebracht werden.
Am schriftlichen Denkmal des 1.Petrusbriefes und dem glaubenden Nachdenken darüber ist das zu lernen. Glaube ist eine Art Denkmalpflege. Die Glaubenden, die die Osterfreude pflegen, kümmern sich um das, was ihnen wichtig ist. Sie sorgen sich um das, was ihnen hilft undsie tröstet. Glaubende betreiben Denkmalpflege: Sie kümmern sich um die kleinen Kerzen der Osterfreude. Diese Osterfreude, welche schöner und heller ist als alles, was wir uns in dieser oft banalen und oft kriselnden Welt vorstellen können, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.