„Seht, welch ein Mensch...“
Im Licht der Wahrheit
Predigttext | Johannes 18, 28 -19,5 (mit Einführung) |
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Kirche / Ort: | 74834 Elztal- Dallau |
Datum: | 06.04.2025 |
Kirchenjahr: | Judika (5. Sonntag der Passionszeit) |
Autor: | Pfarrerin i.R. Birgit Lallathin |
Predigttext: Johannes 18, 28 -19,5 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Sie führten Jesus von Kaiphas zu Prätorium; es war frühe am Morgen. Und sie gingen nicht hinein, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passahmahl essen könnten. Da kam Pilatus zu ihnen heraus und fragte: Was für eine Klage bringt ihr gegen diesen Menschen vor? Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten ihn dir nicht überantwortet. Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn hin und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Wir dürfen niemand töten. So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde.
Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und fragte ihn: Bist du der König der Juden? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben andere es über mich gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Das Volk und die Hohepriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde. Nun ist mein Reich nicht von dieser Welt. Da fragte ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete. Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.
Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. Es besteht aber die Gewohnheit bei euch, dass ich euch einen zum Passahfest losgebe; wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden losgebe? Da schrien sie wiederum: Nicht diesen, sondern Barrabas! Barrabas aber war ein Mörder.
Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden! Und schlugen ihm ins Gesicht. Da ging Pilatus wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Und Jesus kam heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Seht, welch ein Mensch!
Anmerkungen zur Predigt
Judika heißt der Sonntag. „Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache wider das unheilige Volk…“, lesen wir im Wochenpsalm, der dem Sonntag Judika den Namen gegeben hat. „Judica me…“ – „Gott, sprich Recht“, aber auch die Übersetzung „Gott richte mich!“ ist möglich, zumindest nach der lateinischen Übersetzung. Es mag ein Wortspiel sein, aber führt doch hinein in die tiefe existenzielle Bedeutung des Predigtwortes.
Es soll Recht gesprochen werden. Aber nein, es wird Unrecht gesprochen werden gegen den Unschuldigen. Das Recht wird zu Unrecht, Die Lüge überstimmt die Wahrheit. Weil die Macht siegt, wie sie in dieser Welt scheinbar immer siegt. Dies ist die zynische Weltdeutung der Mächtigen, der Herrscher:innen dieser Welt Sie spricht in der Passionsgeschichte aus der Gegenüberstellung von Jesus und Pilatus. Die Mächtigen des Volkes, die bedeutenden und reichen Sadduzäer, Priester am Tempel und Hoher Priester schmieden ein Komplott, wollen das Todesurteil über Jesus vom römischen Statthalter aussprechen lassen. Er ist ihr Werkzeug, sie habe ihn in der Hand, denn sie wissen Bescheid über mögliche krumme Geschäfte. Zumindest vermutet das die Forschung über den historischen Pilatus, wir schließen es ausJoh 19,12. Wenige Jahre nach Jesu Kreuzigung wird Pilatus aus Judäa abberufen und in eine weniger ertragreiche Provinz verbannt.
Recht – Unrecht, bzw Lüge – Wahrheit, darum dreht sich das Gespräch zwischen Pilatus und Jesus. Aber die Dimension des Juristischen wird gesprengt. Der unwillige Richter Pilatus wird in seiner Existenz herausgefordert, denn die Wahrheit wird ihn nicht frei machen, sondern im Gegenteil: Die Wahrheit verrät ihn als den Schuldigen. Diese dramatische Dimension möchte die Predigt darstellen. So wie die Rollen zwischen Pilatus und Jesus quasi vertauscht werden, enthüllt Jesus Wort von der Wahrheit die nur scheinbare Macht der Mächtigen über die Ohnmächtigen.
Wahrheit bei Johannes: An entscheidenden Stellen und Erzählungen im Johannesevangelium wird „Wahrheit“ zum Schlüsselwort. Der Prolog des Evangeliums endet mit dem Bekenntnis zu Jesus Christus als die Person gewordeneWahrheit. Sie ist ein Bild der Inkarnation (Joh 1,17). Das Nachtgespräch zwischen Jesus und Nikodemus gipfelt in dem Schlusssatz, der die Dimension der „Nacht“ als Gegenpol zum Licht der Wahrheit verlässt: „Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind“. (Joh 3,21) Jesus und die Samariterin am Jakobsbrunnen, wirklich keine Intellektuelle, sondern eine bewusst einfache, ja skandalöse Frau, sprechen über die wahre Anbetung, die nicht am Berg Garizim exklusiv geschieht, sondern universelle Anbetung im Geist ist: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“. (Joh 4,24)
Wahre Freiheit gibt es nur im Wort Gottes, bei Jesus Christus, das Fleisch gewordene Wort Gottes. Zu den jüdischengläubig gewordenen Gesprächspartnern spricht Jesus: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so werdet ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“. (Joh 8,31f)
Nicht zu vergessen eines der entscheidenden Ich-bin-Worte: (Joh 14,6): Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“. Im hohepriesterlichen Gebet bittet Jesus kurz vor der Passion für die Nachfolger*innen um die Wahrheit: „Heilige sie in der Wahrheit! Dein Wort ist die Wahrheit“.
Wahrheit ist die Wirklichkeit Gottes, das Echte im Gegensatz zu Schein oder bloßer Äußerlichkeit. So erscheint es nicht weit hergeholt, dass das Predigtwort in Joh 18,17 gipfelt und Pilatus, der sich als „weltlicher“ Sieger sieht, als Richter, vom Ankläger zum Angeklagten wird. Seine hilflose Reaktion, in der Predigt nenne ich es „anblaffen“, zeigt seinen Rückzug auf eine scheinbare philosophisch unverfängliche Position. Dass sein Leben, seine Existenz vor Jesus bloßgestellt ist, weist er ab und richtet sich damit selbst. Er will die Wahrheit nicht erkennen, stellt sich ins Abseits.
Das Leiden Jesus unter dem Richtspruch der Welt; am Kreuz, unter den Folterern, verschweigt Johannes genauso wenig wie die Synoptiker. Das qualvolle Sterben ist echt und nicht nur scheinbar. Jesus geht den bitteren Weg seiner Sendung in das Dunkel dieser Welt bis zum Ende, Johannes vergeistigt nicht! Das unrechte Recht verurteilt Jesus, doch Jesus Christus erweist sich zu Ostern als Sieger. Besiegt und doch Sieger, das ist das Paradox des Glaubens.