Predigt

Sein Angesicht wieder finden

Einander ins Leben führen

Predigttext1. Mose / Genesis 4,1-16
Kirche / Ort:Hamburg
Datum:02.09.2012
Kirchenjahr:13. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pastor Christoph Kühne

Predigttext: 1. Mose / Genesis 4,1-16 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. 2 Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, daß Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. 4 Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, 5 aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. 6 Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? 7 Ist's nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Laß uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als daß ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muß mich vor deinem Angesicht verbergen und muß unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir's gehen, daß mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, daß ihn niemand erschlüge, der ihn fände. 16 So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

Gedanken zu Predigttext (I.) und Predigt (II.)

I. Die Perikope beginnt hoffnungsvoll mit Evas ersten Schwangerschaften und Geburten. Kain und Abel mit „Urberufen“ und „Urritualen“: Beide wissen um das Wirken Gottes an ihren „Früchten“ und bringen ihre Opfer dar. Ein Missklang: Warum sah Gott Kains Opfer nicht gnädig an? Die Reaktion Kains mehr als verständlich. Die „Beschwichtigungen“ und Appelle Gottes glaubt man Ihm nicht! Szenenwechsel: Eine freundliche Einladung des Bruders, „aufs Feld zu gehen“. Plötzlich, wie im Affekt: der Totschlag. Die Reaktion Gottes für mich nicht verständlich. Gott hat doch alles „eingefädelt“! Kains Antwort sehr verständlich. Dann wiederum - welche Überraschung: Gott macht eine Kehrtwende. Wird mir Gott jetzt wieder sympathisch? Schließlich der „Abgang“ Kains „von dem Angesicht des Herrn“, was bei mir einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt.

II. NawaNad, „unstet und flüchtig“ ist die Überschrift und der Kern dieser Perikope. NawaNad bildet damit die Existenz von Millionen von Menschen ab, die durch diese Welt ziehen, weil sie gejagt werden oder in ihrem Land keine Nahrung finden oder Kriege, wie jetzt z.B. in Syrien, die Menschen „unstet und flüchtig“ sein lassen. Dabei fing alles so gut an. Das Leben war lebens-wert. Es begann – mit Gottes Hilfe! – zu blühen. Jeder hatte sein Tun, seine Aufgabe. Dann geschieht etwas, das letztlich unerklärlich ist: Das Tun des einen wird angenommen, hat Ansehen, wird gewürdigt, und das Tun und Leben des Anderen erlebt sich als defizitär, als loosing, als „prekär“. Warum? Zu Beginn sah alles anders aus: Der eine, der Erstgeborene, wird mit einem potenten Namen ausgestattet. Er ist der Stolz seiner Mutter. Er ist boden- und anständig. Er weiß, was sich gehört und versucht, alles richtig zu machen. Sein Bruder (ist er der Zwilling?) hat zwar einen Namen, aber die Bedeutung weißt auf ein „Nichts“ hin. Er wird durch die Gegend ziehen mit seinen Schafen, seinen Ziegen. Er muss zusehen, dass seine Tiere – und er – Wasser und Nahrungsmittel finden. Er ist draußen zuhause. Dann der Tag des Opfers.

Wer weiß, warum Kains Gabe und Aktivität kein Ansehen bei Gott hatte? Ein Gedankensprung lässt mich an die lukanische Geschichte von Maria und Martha denken (Lk 10, 38-42). Zurück bei den beiden Brüdern sehe ich die Physiognomie des Hasses, der wie eine Sucht keine Alternativen sieht. Kain spricht mit seinem Bruder. Ging es um Erklärungen? Entschuldigungen? Friedensangebote? Wie in heutigen Konflikten laufen viele Gespräche „unter der Decke“. Tatsache ist, dass sich der eine über den Anderen erhob, aufreckt, wie bei Drohgebärden. Keine Alternativen in Sicht. Das Schwert fällt. Die Entscheidung fällt. Die „Bruderschaft“ fällt. Die langersehnte Er-Lösung ist da? Alleinsein breitet sich aus. Wo ist der Bruder? Ein „Geschöpf“ (Kain) braucht ein Gegenüber!? Noch ist das Gefühl der Er-Leichterung und Befreiung vom lästigen „Nichts“ (Abel) vorhanden. Doch dann die Einsamkeit. Ich bin verflucht, bin NawaNad, ziellos und flüchtig, habe keine Zugehörigkeit. Der Andere ist mein Feind. Das Band der Menschlichkeit ist zerschlagen. Es gibt keinen gemeinsamen Nenner mehr. Das ist das Ende des „Geschöpfs“.

Kain kommt zu Bewusstsein. Er merkt, er spürt, er formuliert, er anerkennt. Es ist, wie es ist. Nichts beschönigt er. Mir fällt die ebenfalls lukanische Geschichte vom Pharisäer und Zöllner ein (Lk 18, 9-14). Bewusstmachung ist der Beginn der Heilung in einer Therapie. In unserer Perikope spricht Gott ein Machtwort, das sich an die Erkenntnis Kains anschließt: Daher, sagt Gott, darf es keine blinde und „süchtige“ Rache geben! Selbst-Erkenntnis ist ein (erkennbares) Zeichen, das ein „Geschöpf“ trägt und das ein neues Verhalten zeitigenkann. Diese Erkenntnis macht Kain „erwachsen“. Er geht seinen Weg und kommt (wieder) im Lande Nod (Zu-Flucht) an – unweit des Paradieses.

Lied: „Von guten Mächten“ (EG 65)

Literatur: Roland Gradwohl, Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen, Die alttestamentlichen Predigttexte des 4. Jahrgangs, 3. Auflage, Stuttgart 2002.

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