Sieben Mal Weihnachten

Gottes Weihnachtsliebe lässt sich an zwei Händen abzählen

Predigttext: 1. Timotheus 3,16
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 24.12.2018
Kirchenjahr: Christvesper
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: 1. Timotheus 3,16 (Übersetzung nach Martin Luther)

(Und) groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens: Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

 

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Ich wollte mit Ihnen das Geheimnis von Weihnachten an einer Hand abzählen. Geht nicht. Ich brauchte sieben Finger. Sieben Tage für Weihnachten sind nicht vorgesehen. Mit dem Hl. Abend sind es gerade mal drei. Danach geht das Leben normal weiter, für viele, zumindest. Jahresabschluss in Büros. Reklamationen in Betrieben. Umtauschaktionen in den Geschäften. Und in Kliniken und Heimen brauchen Menschen viel Kraft. Hat sich etwas geändert? – Ach so, Sie fragen, wie ich auf „sieben“ komme? Was es  mit „sieben“ auf sich hat, ist schnell  erzählt. Paulus beschreibt das Geheimnis des Glaubens mit dieser Zahl. Wenn es schon nicht möglich ist, alles in einer Hand zu haben, dann finden wir hier eine Spur für unser Leben.

Weihnachten hat Paulus nicht gekannt. Er hat keinen Weihnachtsmarkt besucht, keinen Glühwein getrunken, keinen Baum aufgestellt. Er hat kein Weihnachtsgeld bekommen, kein Geschenk eingepackt und kein Weihnachtsessen gezaubert. Vermutlich würde er groß gucken, wenn er sehen würde, wie wir Weihnachten feiern, durchhetzen und aussitzen. Aber so richtig ist es nicht, von ihm zu sagen, er habe Weihnachten nicht gekannt! Er kannte das Geheimnis des Glaubens. Und das hat er feinsinnig und tiefschürfend entfaltet! 

(Predigttext) Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit

Paulus schreibt einen Brief an seinen Mitarbeiter und Freund Timotheus. Den beiden beschäftigt sehr, wie eine christliche Gemeinde aussieht, wie Menschen miteinander leben, worauf Christen bauen und hoffen. Vieles ist noch ungeordnet, manches umstritten, eigentlich alles im Fluss. Die Kirche ist noch jung. Sie steht ganz am Anfang. Von einer Institution ist weit und breit nichts zu sehen. Es gibt nicht einmal einen Festkalender. Der 24. Dezember ist ein Tag wie jeder andere. Aber es gibt Gemeinden, kleine Gemeinden. Menschen, die von Jesus begeistert sind und ihn ihren Herren nennen. Und mittendrin, unvermittelt und unvorbereitet, schreibt Paulus, einem Lichtblitz gleich: „Und groß ist, wie jedermann bekennen muss, das Geheimnis des Glaubens.“

Wir entdecken unter den Menschen unterschiedliche Erfahrungen und widersprechende Erwartungen. Auch zu Weihnachten, eigentlich jeden Tag. Oft sind Menschen auch unglücklich darüber, wie vieles auseinandergeht und nicht zusammen gehalten werden kann. Das macht Angst. Aber wir werden von einem Geheimnis umgeben, das nicht nur groß ist, sondern von jedermann  bekannt werden kann. Kein Zweifel: von allen. Ob es keine Ausreißer gibt? Keine Zweifel? Keine Bedenken? Das mag es alles geben, aber das Geheimnis des Glaubens ist größer! Es umfasst und trägt das ganze Leben.

Heimlichkeit

Auf einmal sind wir mitten drin. Weihnachten. In unserer Kirche leuchtet der Tannenbaum. Es soll ein schöner Abend werden! Ob alles gut ankommt, was wir uns überlegt haben? Von diesem Fest geht eine große Sehnsucht aus. Sehnsucht nach Frieden. Sehnsucht nach einer heilen Welt. Lotte Schuffenhauer (+1981) hat ein Lied von der Heimlichkeit um 1950 in der DDR geschrieben. Für kleine und große Kinder:

So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit!
Meine Puppen sind verschwunden, hab nicht mal den Bär gefunden.
So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit!

So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit!
Hansels Eisenbahn ist weg, steht nicht mehr am alten Fleck.So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit!

So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit!
In der Küche riecht es lecker, ähnlich wie beim Zuckerbäcker.
So viel Heimlichkeit, in der Weihnachtszeit!

Etwas heimlich zu tun, kann sehr befremdlich sein, aber das Wort Heimlichkeit hört sich warm und zärtlich an. Vielleicht  auch ein bisschen geheimnisvoll. Es liegt etwas in der Luft. Wie ein leckerer Geruch. Wenn wir dann älter werden, bekommen Kindheitserinnerungen bei vielen Menschen sogar Tränen. Die große Unruhe, die Weihnachten einhüllt und einlullt, legt sich wie ein Schutzmantel um Seelen, die frieren. Aus der Heimlichkeit wird Enttäuschung.  Der Traum von der heilen Welt ist in den Herzen der Menschen leer geworden. Und sie eilen, hetzen, entgehen ihrem Leben aber nicht. Die Flucht ist aussichtslos.

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben! Nur wer hat, kriegt noch geschenkt. Mutter schenkte euch das Leben. Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch Eure Zeit. Morgen ist’s noch nicht so weit.
Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt fürs Leben!
Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit . . . Ach, du liebe Weihnachtszeit!

So Erich Kästner. Sein Lied hat noch mehr Strophen. Sarkastisch, aber mit einem schonungslos schnoddrigen Blick. Morgen, Kinder, wird’s nicht geben! Fast schon ein wenig bissig: Nur wer hat, kriegt noch geschenkt – wer nichts kriegt, der kriegt Geduld. Die Heimlichkeit ist unheimlich geworden. Weihnachten ist entzaubert. Die Wunde kann ein ganzes Leben schmerzen.

Liebe

Ob Paulus wüsste, was wir mit Heimlichkeit meinen? Von Heimlichkeit erwarten? Das Geheimnis, von dem er spricht, unterscheidet sich von der kindlichen Heimlichkeit, die nicht erwachsen werden kann und nicht erwachsen werden darf. Geheimnis ist das andere Wort für eine Liebe, die keiner von uns verstehen, aber auch nicht entzaubern kann. Geheimnis ist das andere Wort für eine Liebe, die vor allem Anfang ist, aber auch kein Ende kennt. Geheimnis ist das andere Wort für eine Liebe, die aus dem Himmel kommt, aber die Erde leuchten lässt. Die Heimlichkeit ist verschmitzt, das Geheimnis offen. Es ist ein offenes Geheimnis! Es geht in die Welt hinaus. Es wird von Zeitungen gedruckt, von Fernsehsender in die entlegensten Winkel der Welt ausgestrahlt, von Menschen in ausweglosen Situationen trotzig behauptet. Bis sogar der Tod erblasst.

Wir denken jetzt an das Weihnachtsevangelium. Wir denken an Maria und Josef. Sie haben keinen Raum in der Herberge. In einem Stall kommt Jesus zur Welt. Engel öffnen die Nacht. Ihr Lobpreis weckt Hirten und Schafe. Wir sehen die kleine Welt in Bewegung. Einfache Menschen, abgeschriebene Menschen wollen die Geschichte sehen, die ihnen verkündigt wird. Es ist, als ob es eine Geschichte nur für sie ist! Aber die ganze Welt gerät in einen Glanz, der alle Sonnen übertrifft. Ob Paulus diese Geschichte kennt? Vielleicht sind die Krippenfiguren auch noch gar nicht geschnitzt? Und die Bilder im Kopf noch ganz offen? Paulus erzählt die Weihnachtsgeschichte als ein Geheimnis, das sich auf wunderbare Weise entfaltet. 

Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist,
erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden,
geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

Auffällig sind die Wort-Paare Fleisch und Geist, Engel und Heiden, Welt und Herrlichkeit. Gegensätze? Diametrale Gegensätze? Auf dem ersten Blick widersprechen sich Fleisch und Geist, Engel und Heiden, Welt und Herrlichkeit. Ja. Fleisch steht für alles, was vergänglich ist, Geist für alles, was lebt. Engel singen im Himmel und die Heiden sind verloren. Die Welt hat sich von Gott abgesondert und weiß nichts von seiner Herrlichkeit.

Alles scheint auseinander gerissen und unversöhnlich nebeneinander zu stehen. Vielleicht passt unser Wort „Brüche“? Eine gebrochene Welt. Ein gebrochenes Vertrauen. Ein brüchiges Leben. Was so weit von einander entfernt ist wie Engel und Heiden, Fleisch und Geist, bekommen wir nicht zusammen. Dabei knabbern die Philosophen seit Jahrhunderten daran, die Gegensätze aufzuheben. Gelungen ist es ihnen aber bis heute nicht. Aber dann! Was nicht zu einander passt, wird mit einander verbunden.

Jesus wird Mensch. Einer von uns. Fleisch. Dabei gehört er ganz auf die Seite Gottes. Er ist gerecht. Geist. Aber wir Menschen fangen jetzt zu leben an und der Geist verschmäht auch unsere Vergänglichkeit nicht. Jesus kommt zu den Engeln, aber auch zu den Völkern. Ganz vertraut. Es sind nur andere Worte: erscheinen und predigen. Aber die Engel sind jetzt nicht mehr abgehoben und die Völker nicht abgeschrieben. Eine neue Welt tut sich auf, in der Menschen und Engel nicht mehr getrennt sind und Himmel und Erde auch nicht. Jesus wird in der Welt geglaubt und erhofft, ersehnt und bekannt, dabei  bekommen wir Anteil an seiner Herrlichkeit. Jetzt wird sogar die Welt herrlich. Oder, wie wir es zu Weihnachten hören: Uns geht ein Stern auf.

Paulus hat die geniale Idee, Jesus auf unterschiedliche Weise kommen zu sehen: offenbart – gerechtfertigt, erschienen – gepredigt, geglaubt – aufgenommen. Auf den ersten Blick große Worte, eines missverständlicher als das andere. Doch auf dem zweiten Blick sehen wir Jesus in seiner Geschichte, in seiner Lebensgeschichte vor uns. Einer von uns und doch von Gott. Einer, der Engeln erschienen ist und doch auch den Heiden. Einer, auf den die Welt ihre Hoffnung setzt, doch schon aufgenommen ist in die Herrlichkeit Gottes. Auf knappstem Raum, in wenigen Worten entfaltet sich vor uns nichts Geringeres als das Geheimnis des Glaubens. Kunstvoll hat Paulus  die Gegensätze aufgelöst, um eine Liebesgeschichte zu erzählen:

Gott lässt sich sehen und lieben, weil er einer von uns geworden ist.
Er übernimmt und teilt sogar unsere Vergänglichkeit. Er wird selbst Fleisch. Und wir sehen seine Herrlichkeit!

Ist das eigentlich noch ein Geheimnis? Ja. Es ist das Geheimnis der Liebe Gottes, alles zusammen zu sehen und zu versöhnen. Wo wir Gegensätze sehen, wo wir auf Gegensätzen bestehen, wo wir uns in Gegensätzen verlieren, umfängt uns das Geheimnis der Liebe Gottes. Und überwindet, was wir gegeneinander aufgebaut haben. Zu Weihnachten sehen wir das Kind. Jesus. In Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Eigentlich ein Bild von Hilflosigkeit. Paulus schenkt uns dazu den Blick, in diesem Kind das Geheimnis Gottes zu entdecken.

Ein Bekenntnis

Ich wollte mit Ihnen das Geheimnis von Weihnachten an einer Hand abzählen. Aber die Hand reicht nicht! Sie ist zu klein. Aber Gottes Liebe lässt sich auch nicht abzählen! Aber bekennen. Mit einem fröhlichen Herzen. Menschlich ist er göttlich. Er kann es mit Engeln und Heiden. Und mitten in der Welt glauben wir an ihn, vertrauen uns ihm an und geraten in seine Herrlichkeit.

Er ist offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist,
erschienen den Engeln, gepredigt den Heiden,
geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.

Paul Gerhardt hat das besungen: Fröhlich soll mein Herze springen dieser Zeit, da vor Freud’ alle Engel singen. Hört, hört, wie mit vollen Chören alle Luft laute ruft: Christus ist geboren. / Heute geht aus seiner Kammer Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer. Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute. Gottes Kind, das verbind’t sich mit unserm Blute.

Frohe Weihnachten! – Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus, unserem Herrn. 

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