So einfach ist das…
Gott ist es, der uns ins Herz schreibt, wie gutes Leben gelingen kann
Predigttext: Micha 6,6-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
6 »Womit soll ich mich dem HERRN nahen, mich beugen vor dem hohen Gott? Soll ich mich ihm mit Brandopfern nahen und mit einjährigen Kälbern? 7 Wird wohl der HERR Gefallen haben an viel tausend Widdern, an unzähligen Strömen von Öl? Soll ich meinen Erstgeborenen für meine Übertretung geben, meines Leibes Frucht für meine Sünde?« 8 Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.
(Anmerkung: Anders als Martin Luther übersetze ich Mi 6,8: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist (…): Gerechtigkeit üben, barmherzig lieben und demütig leben vor Gott.“)
Was gut ist
Manchmal läuft es nicht gut im Leben. Das kennt fast jeder von uns. Dem Volk Israel ging das auch so. Und weil die rosa Brille es auch schon damals nicht wirklich besser machte, brauchte es einen, der schuld war. Das Volk Israel schob den schwarzen Peter Gott zu. Doch Gott auf der Anklagebank geht mit seinem Volk ins Gericht: „Was habe ich dir getan, mein Volk? Habe ich dich nicht aus Ägyptenland geführt und dich aus der Knechtschaft befreit? Was habe ich dir getan, mein Volk? Gutes habe ich dir getan, nur Gutes!“ Gott rechtet mit seinem Volk. Die Rollen wechseln. Aus dem Angeklagten wird ein Ankläger. Einen Richter braucht es in diesem Prozess nicht, denn die Wahrheit selbst überführt das Volk Israel. Es fällt ihm wie Schuppen von den Augen: Nicht Gott ist schuld, nein, wir haben uns versündigt! „Mein Gott, was kann ich tun, um das wieder gut zu machen? Wie soll ich mich dir nahen? Opfern will ich dir, Opfer über Opfer! Macht es das wieder gut, mein Gott?“ Nein, Kälber, Widder, unzählige Ströme von Öl, die Erstgeborenen – das ist zu viel des Guten! Auf einen solchen Ablasshandel lässt Gott sich nicht ein. All die Opfer machen es nicht wieder gut. So eine Heiligkeit ist nur Schall und Rauch, nur schöner Schein. Kälber, Widder, unzählige Ströme von Öl, die Erstgeborenen – so einfach ist das nicht, nein viel einfacher ist es: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist: Gerechtigkeit üben, barmherzig lieben und demütig leben vor Gott“. So einfach ist das – und du, Mensch, weißt es genau!
Gute Gottesdienste reichen nicht
Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Demut. Aller guten Dinge sind drei. Mehr braucht es nicht. Weniger wäre falsch. Der Prophet Micha stand in einer Tradition, die davon überzeugt war, dass ein guter Gottesdienst gutes Handeln nicht ersetzen kann. Prächtige Opfer zum Himmel hinaufsteigen zu lassen und gleichzeitig Menschen im Elend zu belassen – das schmeckt Gott nicht. Kult darf nicht alles sein. Das ist heute so aktuell wie damals. Die Ungerechtigkeit in der Welt ist groß. Da reichen gute Gottesdienste nicht, um Gott zu gefallen. Mit pompösen Messen, groß inszenierten Event-Gottesdiensten und frommen Worten allein versöhnen wir die Welt nicht miteinander und auch nicht mit Gott. Wenn wir uns als Christen nicht für das Gute und für die Menschen, denen es nicht gut geht, einsetzen, dann verwandeln sich unsere wohleinstudierten Lieder in „Litaneien, bei denen Gott schlecht wird“ (E. Cardenal). Darum setzt der Prophet Micha nicht auf Kälber, Widder, unzählige Ströme von Öl, die Erstgeborenen, sondern auf Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Demut, diese drei. Solche Opfer steigen nicht nur zum Himmel auf, sondern kommen auch bei den Menschen an. Das gefällt auch Gott. Recht und Gerechtigkeit braucht es, damit Menschen gut miteinander leben und es niemandem schlecht geht.
Nun mag sich so mancher denken, ob’s in unserer Welt gerecht zugeht oder nicht, liegt nicht in meiner Hand. Was kann ich mit meiner kleinen Kraft schon ausrichten gegen das all Unrecht auf der großen Welt? Weil man nicht einfach eine gerechte Weltordnung herbeizaubern, sondern nur langsam Schritt für Schritt im Kleinen darauf hinarbeiten kann, ist das zweite wichtig, was uns gesagt ist: „Barmherzig lieben“. Denn da kommt es auf mich an. Egal, wie gerecht oder ungerecht es um mich herum zugeht, egal in welchen Strukturen ich mich bewege oder welchen Zwängen ich ausgesetzt bin – wie ich meinem Nächsten ganz konkret begegne, liegt allein an mir. Gehe ich achtsam mit meinem Nächsten um? Habe ich ein offenes Herz für einen Menschen in Not oder verschließe ich die Augen und schaue weg? Barmherzigkeit ist immer der Joker in einer unbarmherzigen Welt.
Mir fällt die St.-Pauli Kirche in Hamburg und ihr Umgang mit den Flüchtlingen aus Lampedusa ein. Wir erinnern uns an die Bilder, die vor ein paar Wochen um die Welt gingen, als sich das Mittelmeer in einen Friedhof verwandelte: Auf ihrer Flucht aus Not, Krieg und Armut ertranken Hunderte von Menschen. Während sich in Expertenrunden kluge Köpfe hinter randlosen Brillen mit hohem intellektuellen und rhetorischen Aufwand der Analyse der Flüchtlingspolitik widmen, nach Schuldigen suchen, sich gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben und miteinander ins Gericht gehen; während man keine Sendezeiten, Staatskosten und medialen Inszenierungen scheut, um posthum die gekenterten und ertrunkenen Flüchtlinge zu ehren und so die Weltöffentlichkeit zu versöhnen, hat die St.-Pauli in den letzten Monaten ihre Türen für 80 Flüchtlinge aus Lampedusa geöffnet und ihnen Kirchenasyl gewährt. So einfach ist das. Keine komplexen Analysen, keine aufwendigen Inszenierungen, keine Staatsoberhäupter und keine großen Worte. Ein schlichter Satz des dortigen Pastors bringt es auf den Punkt: „Liebe ist, fünf Monate lang Wäsche von 80 Männern zu waschen“. In Liebe barmherzig einander begegnen – das tut uns allen gut und das ist mehr wert als alle Anklagen, Analysen, Opfer und Kultinszenierungen. Und noch ein drittes gibt uns der Prophet Micha mit auf den Weg: Demütig vor Gott leben. Denn er ist es, der uns ins Herz schreibt, wie gutes Leben gelingen kann. Wir müssen es uns nicht selber sagen. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist: Gerechtigkeit üben, barmherzig lieben und demütig leben vor Gott.“
Lösende Worte
In meinem Leben läuft nicht immer alles gut. Neulich hatte ich Streit mit meinem Mann. Worum es eigentlich ging, weiß ich nicht mehr genau, und was der Auslöser war, weiß ich auch nicht mehr. Vielleicht ist mir das genervte Gesicht meines Mannes beim Shoppen zu sehr auf die Nerven gegangen; vielleicht hat mein Mann mir wieder meine Lieblingspassagen aus der Predigt gestrichen oder es war der übliche Streit um den Abwasch oder nicht zugedrehte Zahnpastatuben. Auf jeden Fall haben wir Streit. Ich bin verletzt und verletze. Und ich schiebe den schwarzen Peter meinem Mann zu. „Du bist schuld!“ Mich selbst stelle ich ins rechte Licht, um nicht über meinen eigenen Schatten springen zu müssen. Doch irgendwie geht es mir nicht gut dabei. Bin ich etwa diejenige, die schuld ist? Nach und nach verirre ich mich zwischen Anklage und Selbstanklage, zwischen Rechthaberei und Rechtfertigung. Meine Lage wird immer komplizierter. Mit viel Gedankenakrobatik und Wortgewandtheit versuche ich unsere Situation zu analysieren, wäge Standpunkte ab und lote Perspektiven aus. Ich fühle mich schlecht und überlege mir Opfer, wie ich das alles wieder gut machen kann – Abwaschen, Rasenmähen, Schneeräumen, meinen Mann solange vor dem Computer in Ruhe sitzen lassen wie er will – und ende mit einem müden „Sag‘ doch auch mal was!“ Das tut mein Mann dann auch. Keine Beziehungsanalyse, keine Anklagen, keine Rechtfertigungen, keine Angebote von Versöhnungsopfern, einfach nur drei Worte sagt er: „Ich liebe dich!“ Alles ist wieder gut. So einfach kann es sein.
Was uns gut tut
Manchmal ist es ganz einfach und im Grunde unseres Herzen wissen wir das auch. Das Gute kann man nicht inszenieren, herbeireden, vom Guten kann man sich nicht durch Opfer loskaufen, das Gute kann man nicht delegieren. So einfach ist das nicht. Erich Kästner hat das, was Moral ist, mit folgenden Worten zusammengefasst: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“. So einfach ist das. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist: Gerechtigkeit üben, barmherzig lieben und demütig leben vor Gott“. Um das zu wissen, braucht es keine Analysen, Inszenierungen und Experten. Gott selbst hat es uns ins Herz geschrieben, jedem von uns. Wenn wir danach leben, tut es uns allen gut.
Dem Volk Israel ging es damals -wie uns manchmal- nicht gut. Nach Rückkehr nach Israel und Tempelbau 515 v.Chr. in Jerusalem quälten sie die armen Verhältnisse. “Sie schöben Gott den schwarzen Peter zu. Doch Gott auf der Anklagebank geht mit seinem Volk ins Gericht.” Das stellt Pastorin Dr.Janßen zuerst heraus. Als die Israeliten begreifen, dass sie an Gott schuldig wurden, versuchen sie mit vielfältigen Opfergaben vergeblich Gott zu versühnen. Die eigentliche Antwort des Textes lautet: Gott will ein gottgefälliges Leben von uns mit Gerechtigkeit und Barmherzigkeit und Demut. Sehr lebendig und aktuell predigt die Pastorin über dieses Thema. Mit pompösen Gottesdiensten ohne konkrten Einsatz für Nächstenliebe und Achtsamkeit wird es Gott womöglich in Gottesdiensten schlecht. Ein Vorbild ist der Kirchen-Asyl-Umgang der St.Pauli-Kirche in Hamburg mit Flüchtlingen aus Lampedusa.Zum Schluss bringt die Pastorin ein persönliches Beispiel dafür, was die Liebe bewirkt auch ohne Versöhnungsopfer.