„So Gott will und wir leben…“
Gottvertrauen
Predigttext | Jakobus 4,13-15 |
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Kirche / Ort: | 74834 Elztal- Dallau |
Datum: | 01.01.2024 |
Kirchenjahr: | Neujahrstag |
Autor: | Pfarrerin i.R. Birgit Lallathin |
Predigttext: Jakobus 4,13 – 15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
Und nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen – Und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.
Dagegen sollt ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.
Mein Vater pflegte jedes Jahr ein besonderes Weihnachtsritual, bei dem niemand stören durfte, wir aber alle eingeladen waren mitzuhalten.
I
Der Weihnachtsbaum war ihm unendlich wichtig, regelrecht heilig. Sorgfältig wurde er ausgesucht und am 24. Dezember morgens beim Hören besonders geliebter Weihnachtsmusik mit dem stets gleichen, im Lauf von Jahrzehnten kaum ausgewechselten Weihnachtsschmuck behangen. Wie freuten wir uns immer, die alten bekannten Engel, Glöckchen und die selbst gebastelten Strohsterne, die das ganze Jahr sorgfältig eingepackt in besonderen Kistchen verbracht hatten, wieder zu entdecken. Und selbstverständlich gab es kein elektrisches Licht am Baum. Undenkbar! Genau 25 gelbe Kerzen mit hohem Bienenwachsanteil fanden die schönsten Zweige. Ja, es war immer ein stattlicher Baum, solange mein Vater lebte. Und dann, mehrfach, solange der Baum uns im Wohnzimmer erfreute, gab es Vaters besonderes Lichtritual: „Den Baum ausbrennen lassen“, nannte er es. Das erste Mal am Abend des 24. Dezember, wenn alle ruhig und zufrieden, – ja, das waren wir wirklich meistens oder gaben uns auf jeden Fall Mühe,- den Heiligen Abend beenden wollten.
Alle Lichter außer den Kerzen am Baum waren gelöscht und langsam beobachteten wir das Ausbrennen der einzelnen Flammen. Nacheinander brannten sie nieder, kurz vor dem Verlöschen wurde jede Flamme noch einmal hell und lang, dann sackte sie zusammen und ermahnte uns alle an die Vergänglichkeit. Keine Kerze wurde ausgeblasen, alle brannten von selber hinunter. Jede Flamme wurde angesehen und verabschiedet. Selbst nach der scheinbar letzten saß man still in der Dunkelheit beieinander und entdeckte noch glimmende Dochte. Stille! Bis irgendwann mein Vater ein seufzendes „So“ hören ließ und sich schlafen legte. Dieses Ritual wiederholte sich mehrere Male, bis der Baum wieder abgeschmückt wurde.
Es war, so meine ich, nicht bloße Romantik, die meinen Vater dieses Ritual lieben ließ. Es war seine Art, sich der Vergänglichkeit, ja sogar der Vergeblichkeit menschlichen Bemühens bewusst zu werden. Und es gab tatsächlich viel Vergebliches in seinem Leben. Was mochte er beim Herabbrennen der Lichter gedacht, vielleicht sogar gebetet haben? Meine Eltern gehörten zur Kriegskindergeneration, die viel, ja zuviel Vergebliches schon früh erleben mussten, manche Trauer mit sich trugen, über die nicht gesprochen werden konnte. Diese stillen Abende mit meinem Vater musste ich bedenken, als ich im Predigttext für den heutigen Neujahrstag las: „Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.“ Aber hören wir den ganzen Text. Das Predigtwort steht im Brief des Jakobus im vierten Kapitel, Verse 13 – 15:
II
Und nun ihr, die ihr sagt: heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen. Und wisst ihr nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet. Dagegen sollt ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies und das tun.
Mir erscheint es oft so, dass die Generation der Kriegskinder wenig Zutrauen in die Sicherheit der Welt hatte; trotz aller Aufbruchsstimmung nach der Währungsreform, mit dem Wirtschaftswunder etc. Zu sehr war ihr Leben verunsichert worden, war ihnen alles genommen, was scheinbar Sicherheit gab. Manche klammerten sich dann umso mehr an materielle Werte, so, als ob sie nicht genug bekommen könnten. Spiegelte das nicht doch eher ihre eigene Unsicherheit im Leben wider? Eine verborgene depressive Stimmung durchzog gewiss auch das Leben meiner Eltern. Meine Mutter hatte zum Beispiel in jedem Jahr Angst vor Silvester und Neujahr, vor dem was kommt und Scham über das, was hinter ihr lag. Musste sie nicht, aber sie war so. Seufzend zitierte sie gerne den pessimistischen Spruch von Erich Kästner: „Wird’s besser? wird’s schlimmer? fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich“.
Gut, wer angesichts dieser Unsicherheiten auf ein festes Zutrauen bauen kann im Leben. Und manchmal, nicht nur manchmal, ist Glauben harte Arbeit. Wir glauben gegen den Augenschein. Wir vertrauen auf mehr als unser Verstand, unsere Lebenserfahrung uns mitgeben kann. Wir vertrauen, dass Gott unser Leben lenkt und leitet. Dieses Vertrauen ist ein Wagnis, weil es auch ein Sich -Ausliefern bedeutet. Ganz und gar ausgeliefert an den und das, was wir kaum begreifen, Gott. „Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ So fasst es in der Bibel der Hebräerbrief 11, Vers 1 zusammen und mutet uns diese Aufgabe zu. Glaube als Wagnis, nicht als berechenbare Lebensversicherung, das zu lernen, ist die Aufgabe der Christinnen und Christen. Sehr schwere Arbeit kann das bedeuten!
Alles, was wir tun, alles, was im neuen Jahr auf uns zukommt, alles können und dürfen wir in Gottes Hand legen. Er ist es, der Leben gelingen lässt. Ihm in die Hände legen wir Gesundheit und Bewahrung in Krankheit, unsere kleinen wie die großen Kinder, Sorgen um die Beziehung untereinander, um die Ehe. Ihm vertrauen wir unsere wirtschaftliche Existenz an, denn alles kann zerbrechen, wir haben es gesehen. Auch dann hält Gott uns weiter, darauf vertrauen wir. Ihm in die Hände legen wir die Sorgen vor dem, was werden mag in dieser Welt, die Sicherheiten verloren hat: Krieg und Frieden, Demokratie oder Entfremdung von der Demokratie; nein, wir sollen die Hände nicht untätig werden lassen, nicht aufhören, uns zu sorgen, mitzuarbeiten an dem, was Gott mit seiner Schöpfung wichtig ist. Aber in unserer Hand liegt es nicht, was sein wird. „Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies und das tun.“, so reißt uns das Predigtwort aus Resignation oder Depression.
Gott lenkt, aber der Mensch, also Sie, wir, ich, alle anderen, wir haben Aufgaben in der Welt. Eine Generation vor meinen Eltern lebte meine Großtante Lisa mit dem, was sie etwas geschwollen lateinisch so ausdrückte: „Sub conditione Jacobei“. Was damit gemeint sei, fragte ich als Kind. „So Gott will und wir leben, unter der Bedingung des Jakobus, genau genommen“, antwortete die fromme Großtante, die schlimme Dinge im Leben erfahren musste. „So steht es im Jakobusbrief.“ Eine Verabredung zum Geburtstag im kommenden Jahr beantwortete sie: „So Gott will und wir leben“. Beim Abschied: „So Gott will und wir leben.“ Wie ein Leitspruch durchzog dieser Satz ihr Leben und gab ihr eine Freiheit, die sich in ihren herzlichen lachenden Augen widerfand.
III
Der Zufall will es, dass ich in den letzten Tagen des alten Jahres die Lebenserinnerungen eines Mannes, der vor fast vierzig Jahren aus dem Iran nach Deutschland fliehen musste, gelesen habe, Hosein Zaeri-Esfahani. „Wer weiß, wofür das gut war…“ lautet der Titel seines Buches. In den aufgeregten Diskussionen über Migration, vermeintlich einzuhaltende Höchstgrenzen von Menschen, die einreisen und bei uns Schutz suchen dürfen, über Belastungsobergrenzen für Städte und Kommunen, den furchtbaren Zahlen der Menschen, die umkommen beim Versuch, ein menschenwürdiges Leben zu finden, war es mir wichtig, eine authentische Lebensgeschichte zu lesen.
Wenn Menschen Namen und eine Geschichte haben, wenn in ihren Erinnerungen Sorgen, Nöte, Entscheidungen, von denen Leben und Tod abhängen, ihre Familiengeschichte, die Liebe zu den Angehörigen und besonders den Kindern deutlich gemacht werden, sind sie plötzlich keine Fremden mehr. So erging es mir auch mit Familie Zaeri auf ihrem langen und schweren Weg aus dem geliebten Isfahan, dem Verlust von Heimat und Geborgenheit in eine ihnen sehr unverständliche Welt. Die Sorge um die Söhne, denen im Iran ein Märtyrertod als höchstes Lebensziel ausgemalt wurde, die Unfreiheit der Frauen, die Bedrückungen durch die Diktatur, zuletzt Angst um Leib und Leben ließ sie den schweren Weg in die Heimatlosigkeit wagen. Immer wieder scheinen die schweren Zweifel durch, ob die Entscheidung richtig war, alles, buchstäblich alles hinter sich zu lassen, die Bindungen an die Kultur und Religion zu verlieren.
Beschämt las ich aus der Sicht eines Betroffenen von den Schikanen des deutschen bzw europäischen Asylrechts, in dem sich ein einst wohlhabender Arzt auf den Status eines Almosenempfängers degradiert sieht. Er will für seine Familie selbst sorgen, sich sozial einsetzen in seinem Gastland und wird auf unabsehbare Zeiten ausgegrenzt., lebt über viele, viele Jahre unter drohender Abschiebung. Aber alle Opfer, die gebracht werden, dienen dazu, den Kindern einmal ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Eine erschütternde Lebensgeschichte, und mir wurde deutlich, dass die Familie Zaeri kein Einzelschicksal bedeutet. Hunderttausendfach, ja millionenfach inzwischen leben Menschen mit ähnlichen Schicksalen und Sorgen neben und unter uns. Wissen wir von ihnen? Wollen wir es wissen? Was in unseren Familien erzählt wird von Kriegserlebnissen, Flucht und Vertreibung, scheint lange vergangen zu sein. Doch mitten unter uns erleben Menschen die gleichen Geschichten am eigenen Leib und heutzutage.
Was mich allerdings bei Familie Zaeri fasziniert und erstaunt hat, war das immer wieder durchscheinende Gottvertrauen. Wie bei Joseph in den Geschichten der Vorväter, der am Ende sagen kann: „Ihr meintet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen“ (Gen 50;20), so vertraut Hosein Zaeri auf seine innere Stimme, die ihm Mut und Zuversicht auch in nahezu aussichtslosen Situationen während Verfolgung, Flucht und erlittener Ausgrenzung zuspricht. Wohlgemerkt, er ist kein Christ, aber dem tiefen Humanismus, der unbedingten Liebe zu seiner Familie, die er retten will, und seiner echten und ernsthaften Spiritualität, kann ich nur Respekt entgegen bringen.
„Wer weiß, wofür das gut war…“ lautet der Titel seiner Erinnerungen, die er nach mehr als 30 Jahren in Deutschland schreibt. Trotz allen Haderns, aller Rückschläge vertraut er, dass sein Weg, so wie er ihn verantwortungsvoll gelebt hat, gottgewollt ist. Es ist gut so, wie es nun ist. Er dankt für den Segen, der nicht selbstverständlich war in schweren Tagen, dankt für hilfreiche Menschen, die er „Engel Gottes“ nennt. Meine Ängste, meine Verluste, ich möchte sie auch unter dem Segen Gottes sehen. „So Gott will und wir leben“, so mögen wir in einem Jahr auf dieses Jahr zurückblicken und danken, wie wir für 2023 danken können, trotz allem. Legen wir alles in Gottes Hand.
(Zitierte Quelle: Hosein Zaeri – Esfahani, Wer weiß, wofür das gut war…, 2020 Verlag Ute Fuchs, Helmstadt-Bargen)