Vorbemerkung: Die Perikope zum 4. Sonntag nach Epiphanias (1.Mose / Genesis 8,1-12) steht im Zusammenhang des Endes der Sintflut (8,1-22) und des Bundes Gottes mit Noah (9,1-17). Ich entscheide mich darum, meine Predigt auf den letzten Vers des Perikopenkapitels zu konzentrieren (V.22):
“Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht”.
Während einer Hochwasserkatastrophe wird in den Nachrichtenmedien kaum ein Wort so häufig gebraucht wie das Wort „Sintflut“. Ob immer klar ist, was dieses Wort bedeutet?
I. Sintflut ist ein biblisches Wort, es bedeutet „große Flut“. Es erinnert uns an die Sintflutgeschichte im Ersten Buch Mose (in den Kapiteln 6-9). Wir hören dort, wie Gott, als die Bosheit der Menschen überhandnahm, den Entschluss fasste, alles Leben zu vernichten und mit ein paar wenigen Menschen und Tieren neu anfangen wollte. Exemplarisch für diese Menschen steht der Name Noah. Für ein hebräisches Ohr klingen in dem Namen die Worte „ruhen, ausruhen, abwarten“ an. Der Entschluss, Leben zu vernichten, fiel Gott schwer, wie es ausdrücklich in der Geschichte vermerkt wird: „Gott sah, dass die Menschen auf der Erde völlig verdorben waren. Alles, was aus ihrem Herzen kam, ihr ganzes Denken und Planen, war durch und durch böse. Das tat ihm weh, und er bereute, dass er sie erschaffen hatte“ (1.Mose 6,5f.).
II. Während der schlimmen Nachrichten über die Flutkatastrophen in unserem Land und dann auch in anderen Ländern gehörte die inzwischen über 3000 Jahre alte Sintflutgeschichte zu meiner täglichen Lektüre. Sie zog mich einfach an. Ich dachte: Eine solche Geschichte kann nicht erfunden sein. Die Menschen damals müssen furchtbare Überschwemmungskatastrophen erlebt haben, die für viele Menschen und Tiere tödlich waren und die Ernten vernichteten. Die Menschen, die die Katastrophen überlebten, mussten sich damit auseinandersetzen, sie bewältigen. Fragen müssen sie bestürmt haben, die sich heute bei den Betroffenen nicht viel anders stellen: Warum diese Katastrophe? Warum ausgerechnet bei uns? Womit haben wir das verdient? Warum sind die einen umgekommen und die anderen gerade noch davongekommen? Sind wir – die Überlebenden – besser als die, die in den Fluten versanken? Hatte die Katastrophe etwas mit Gott zu tun, mit dem wir bisher nur Gutes verbanden? Hat Gott etwa die einen untergehen lassen und die anderen gerettet? Ich stelle mir vor, dass solche existentiellen Fragen in der Sintflutgeschichte verarbeitet wurden. Die Verfasser der Geschichte mussten sich von der Seele schreiben, was sie bewegte.
Wir wissen heute, dass es – außer der biblischen Sintflutgeschichte – noch viele Flutgeschichten gibt, viele sind noch älter als die biblische Geschichte, und sie berühren sich gegenseitig in der Dramatik der Darstellung. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind Geschichten, die helfen möchten, das schlimme Geschehen zu bewältigen. Die Menschen bringen darin ihre bedrängenden Erfahrungen, ihre Ängste und Hoffungen zum Ausdruck, und sie stellen sie in die Beziehung zu Gott.
III. Der Ausgang der biblischen Sintflutgeschichte macht uns deutlich: Diese Geschichte von der großen Flut ist kein sensationeller Katastrophenbericht, sondern eine Rettungsgeschichte und damit eine Geschichte der Hoffnung; sie ermutigt in den enttäuschenden Erfahrungen, eine Geschichte gegen die Resignation. Gott – so hören wir – sprach in seinem Herzen: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“ (1.Mose 8,22). ie menschliche Erfahrung lehrt: Der Mensch wird durch Katastrophen, die über ihn kommen, kaum gebessert. Er bleibt gefährlich und zugleich gefährdet. Wird er es nicht immer sein, ‘solange die Erde steht’? Man könnte bei diesem Gedanken resignieren, zu beliebigem Leben und Handeln verleitet werden, zur Absage an jegliche Form von Solidarität und gemeinschaftsbezogenem verantwortlichem Verhalten.
IV. Aber die biblische Geschichte lenkt mit der Erwähnung Noahs, seiner Familie und den Tieren unsere Aufmerksamkeit auf Gott, der für die Menschen und für seine ganze Schöpfung da ist, und so auch in Zukunft – “solange die Erde steht”. Darauf hat Noah vertraut – gegen alle menschlichen Einreden. Das ist gemeint, wenn es an zwei ganz wichtigen Stellen in der Sintflutgeschichte heißt: „Aber Noah fand Gnade vor Gott“ – „Und Noah tat alles, was ihm Gott gebot“ (1.Mose 6,8.22).
Bis heute steht das Vertrauen auf Gott bei uns Menschen in Frage. Und es scheint damit ein Zusammenhang zu bestehen, dass immer noch Menschen einander bedrohen, mit Gewalt aufeinander losgehen, Krieg machen und einander und ihre Lebensgrundlagen zerstören, kein Schiff, keine Arche bauen wie Noah. Viele sagen, dass dies immer so bleiben wird, ‘solange die Erde steht’. Aber die Zusage, dass Gott die Welt hält und bewahrt – trotz und und gerade wegen unserer menschlichen Unzulänglichkeit – wird es Gott sei Dank auch immer geben – ‘solange die Erde steht’. Darum stellt uns Gott vor eine viel folgenreichere Wahl, als es die heutige politische Wahl in unserem Land ist: Ob wir uns von zerstörerischem Verhalten bestimmen lassen oder von der Hoffnung, die mit dem Namen Gottes verbunden ist und mit dem Namen Noah, der auf Gottes gute Zukunft wartet und sich dafür engagiert, ein Schiff baut, eine Arche. Ein Schiff, eine Arche bauen, das heißt heute: im Vertrauen auf Gott sich für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung einsetzen. Das Ölblatt im Schnabel der Taube wahrnehmen. Es gibt in diesem Sinn genug Interessengemeinschaften in unserer Gesellschaft, auch in unserer Kirche.
V. Auch wenn wir nicht (so) fromm sind wie Noah, können wir uns in Noah in mancher Hinsicht wiederfinden: vielleicht als solche, die noch einmal davongekommen sind. In der Arche der Bewahrung, wie gestern ein junger Mann (einer unserer Söhne) vor einem folgenschweren Unfall, als ein entgegenkommendes Fahrzeug unachtsam überholte. In der Arche der Genesung vor der Sintflut einer schlimmen Krankheit. Inder Arche der Lebensfreude vor der Sintflut der Verbitterung. In der Arche des Trostes bei Trauer vor der Sintflut der Verzweiflung. In der Arche der Vergebung vor der Sintflut der Hartherzigkeit.
Als Noah aus der Arche herausgeht, beginnt für ihn ein neuer Tag – voller Hoffnung in Gottes Zukunft. Den scheinbar so selbstverständlichen Wechsel von “Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht” erlebt Noah jetzt ganz bewusst – als ein Geschenk und ein Gleichnis des Gottes, der seiner Schöpfung und jedem einzelnen Menschen freundlich und in Liebe zugewandt und verbunden bleibt. Sichtbares Zeichen für diesen Bund Gottes ist der Regenbogen. In den Farben des Regenbogens spiegelt sich die Vielfalt von Gottes lebendiger Schöpfung. Betrachten wir nur die Farbe gelb: Die angenehme Farbe lädt uns ein, hoffnungsvoll zu leben und auf eine gute Zukunft zu vertrauen. Denen, die die große Flut persönlich erlebt haben – im eigentlichen und übertragenen Sinn – wünschen wir Mut, neu anzufangen im Vertrauen auf die Zusage Gottes, dass: „solange die Erde steht, Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht aufhören“. Ich wünsche uns ein Leben, das bestimmt ist vom Vertrauen auf Gott. Kein anderer als Jesus von Nazareth hat es uns so gelehrt und gelebt. Dann hat auch die größte Flut über uns keine Macht mehr.