Jeder Mensch hat Sorgen. Oft sind es Kleinigkeiten, die uns bedrücken. Die meisten Sorgen sind unbegründet. Aber es gibt auch Sorgen, die einen schwerwiegenden Hintergrund haben. Das gilt für den öffentlichen Bereich und mehr noch für das persönliche Leben. Es wäre töricht und ein großes Missverständnis zu meinen, wir sollten uns um nichts mehr kümmern, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Es gibt tatsächlich Zeitgenossen, die eine außerordentliche Fertigkeit entwickelt haben, problematische Dinge einfach treiben zu lassen. Ich denke an junge Leute, die sich über die Zukunft keinen den Kopf zerbrechen und ihre Ausbildung nicht ernst nehmen. Eines Tages stehen sie vor ihrem Leben wie vor einem Trümmerhaufen. Nein, diese Art von Sorglosigkeit predigt Jesus auf keinen Fall. Auch im politischen Bereich gibt es berechtigte Sorgen, wenn wir auf die gegenwärtigen gesellschaftlichen Veränderungen blicken. Wir erwarten von den Verantwortlichen, dass sie das Richtige tun. Auch im persönlichen Leben sind wir gut beraten, wenn wir uns um unsere Gesundheit und unser Einkommen kümmern und rechtzeitig entsprechende Vorsorgen treffen.
Wir verstehen diese Worte „Sorget nicht“ richtig, wenn wir sie von folgendem Satz aus betrachten: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“. Unsere erste und wichtigste Sorge soll darin bestehen, dass wir die Verbindung zu Gott halten. Wir sollen uns bemühen, bei ihm zu sein. Vor einiger Zeit wurde einem meiner Kollegen eröffnet, dass er wegen einer unheilbaren Krankheit bald diese Welt würde verlassen müssen. Für seinen Glauben war das eine schwere Bewährungsprobe. Er hat sie gut bestanden. Er ließ sich seinen Sarg bauen und bemalte ihn: Am Fußende waren die Abdrücke der Hände seiner Familie zu sehen. In der Mitte symbolisierte eine blaue Linie den „Jordan“, den er bald überschreiten würde, und am Kopfende befand sich ein Kreuz mit einem Strahlenkranz. Immer wieder hat er sein „Kunstwerk“ seinen Zuhörern erklärt. Der Höhepunkt seiner Ausführungen bezog sich auf das Strahlenkreuz. Seine wichtigste Aussage: „Ich weiß, dass ich nicht mehr lange unter euch sein werde. Ich weiß aber auch, wo ich hingehöre und wo ich hin will. Ich will zum Kreuz. Ich will zu Jesus. Und da komme ich auch hin. Dort habe ich mein Zuhause. Nicht lange, dann werdet ihr mir nachkommen. Ich habe keine Angst vor dem Sterben. Ich kenne den, der mich erlöst hat und bei dem ich Heimat habe”.
Seine Trauerfeier hat er selbst vorbereitet. Er hat die Lieder ausgesucht und zum Teil eigene Texte verfasst. Neben seinem buntbemalten Sarg war sein Bild aufgestellt. Darunter stand: „Freut euch mit mir. Ich bin zu Hause“. Auf dem Liedblatt fanden wir auch sein letztes Glaubensbekenntnis: „Am Anfang meines Lebens war Gott. Hier, auf der Erde, ist Gott. Und dort, wo ich hingehe, wird Gott sein”. Gibt es eine schönere und gültigere Auslegung dieses Satzes „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes“?
Nun spricht Jesus aber nicht nur über die letzten und schwersten Dinge, die das Leben für uns bereit hält. Er nimmt auch den Alltag in den Blick: Essen, Trinken und Kleidung. Wie Recht hat er, wenn er in anschaulichen Bildern aus der Natur uns vor Augen hält, was im Leben an erster Stelle stehen muss und was zweitrangig ist. Dabei dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott uns wie ein liebender Vater begegnet, unter dessen Schutz und Fürsorge wir leben dürfen. Paulus hat es später einmal so in Worte gefasst, dass letztlich alle Dinge zu unserem Besten dienen müssen. Das lässt unsere Sorgen nicht einfach verschwinden, aber sie werden durch dieses Vertrauen sozusagen „relativiert“. Vielleicht kennen Sie diese Situation. Sie liegen auf dem Krankenbett und warten auf den kommenden Morgen, an dem Sie operiert werden. Sie sind voller Sorge, ob das gut ausgehen wird. Wie schön und tröstlich ist es dann, wenn wir alles, was uns in diesem Augenblick bewegt, was uns Angst und Sorge bereitet, unserm Gott anbefehlen und beten können mit ähnlichen Worten, wie Jesus sie am Kreuz gefunden hat: „In Deine Hände lege ich mein Leben. Ich weiß, Du bist bei mir, und ich werde ganz gleich, wie die Sache ausgeht, Dein Eigentum bleiben”.
Zum Glück sind die meisten Sorgen, die wir uns machen, unbegründet. Die meisten Operationen gelingen. Viele Ängste sind gar nicht äußerlich begründet. Sie sind in unserem Inneren entstanden. Dort, wo Frieden und Vertrauen herrschen sollten, in unserem Herzen, da beginnen sie ihr Unwesen zu treiben. Da hilft es nur, das Fenster unserer Seele zu öffnen und Gott mit seinem guten Geist herein zu bitten. Goethe hat im Faust die Sorge, die uns quälen kann, treffend charakterisiert: „Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu, sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen, als Feuer, Wasser, Dolch und Gift; du bebst vor allem, was nicht trifft, und was du nie verlierst, das musst du stets beweinen”. So sieht es aus, wenn der Sorgengeist sich breit macht. Darum ist es so wichtig, dass wir dem Wirken Gottes in unserem Leben Raum geben. Dann werden alle anderen Dinge in eine neue Ordnung gebracht. Alle menschlich verständliche Sorge, jede kreatürlich Angst sind dann eingebettet in die Sorge Gottes, die er um uns hat. Paulus hat uns dazu einen wunderbaren Rat gegeben: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch”. Und es gibt noch einen guten Rat, wie man richtig mit den Sorgen umgeht: Bei unseren Veranstaltungen für blinde und sehbehinderte Menschen trat immer wieder ein blinder Sänger auf, der das bewegende Lied von Dora Rappard vortrug, aus dem ich zwei Strophen zitieren möchte:
Hast du eine Sorgenlast,
die dir raubet Fried und Rast,
Jesu Herz dir offen steht:
Mach aus Sorgen ein Gebet!
Was dein Herze auch bewegt,
ob sich Schmerz, ob Wonne regt,
flieh zu Jesus früh und spät,
mach aus allem ein Gebet!
Mit der Sorge richtig umzugehen bedeutet also nicht, sich einem schlichten Optimismus zu verschreiben, der uns einredet: „Es ist alles halb so schlimm“. Nein, die Zeiten, die uns bevorstehen, können wirklich schrecklich sein, die Nöte können groß und schier unüberwindlich sein. Nein, das Gegenüber der Sorge ist der Glaube an Gottes Güte. Dieser Glaube rechnet fest damit, dass ich in allen Ungewissheiten, vielleicht sogar scheinbarer Sinnlosigkeit, nicht ohne den himmlischen Vater bin. Alles, was mich auch an Schwerem treffen mag, muss vorher an seinen Augen vorüber und darf mich ohne seine Genehmigung nicht treffen und muss letztlich zu meinem Besten dienen.