Soviel du brauchst
Gerecht verteilen - Veränderung ist möglich
Predigttext: 2.Mose 16,2-3.11-18 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
2 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste.
3 Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
11 Und der HERR sprach zu Mose:
12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.
13 Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. 14 Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde. 15 Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu? Denn sie wußten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. 16 Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.
17 Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig. 18 Aber als man's nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.
Einführung zum Predigttext
Was den Zuschnitt der vorgeschlagenen Perikope angeht, schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Auf der einen Seite ist mir die Zerstückelung dieses Bibelabschnittes zuwider und allzu sehr eine Verbeugung vor Ergebnissen historisch-kritischer Forschung, die man durch aus hinterfragen kann. Auf der anderen Seite ist der Predigttext schon so relativ lang, was sich durch Ergänzung der V. 4-10 noch zuspitzen würde. Im Gottesdienst wird auch eine Taufgesellschaft sein. Da ist mit Menschen zu rechnen, die einem Bibeltext je schlechter folgen können, desto länger er ist. Ich entscheide mich also zähneknirschend für die Kurzvariante. Wer sich für die Nuancen, interessiert, die die ausgelassenen Verse in unseren Abschnitt noch hinein bringen, sei auf den Kommentar von Rainer Albertz zur Stelle verwiesen. Aber auch dieser Kommentar zeigt m.E. die Problematik aller Zuordnungen von Textteilen zu verschiedenen Quellen: es wirkt konstruiert, spekulativ; vor allem fehlt die sinnvolle Erklärung des vorliegenden Textzusammenhangs.
In der Predigt gehe ich aus von Erfahrungen der Befreiung, in unserer Zeit und für das Volk Israel. Bei aller exegetischen Diskussion um die Exodusgeschichte bleibt ja der Auszug aus Ägypten das zentrale Ereignis für das Volk Israel wie für das Judentum bis zum heutigen Tag. Der Befreiung folgt die Ernüchterung. Auch das – leider – eine grundlegende Erfahrung. Der Ernüchterung folgt die Unzufriedenheit und die Artikulierung von Ärger, Murren. Das Hochgefühl der Befreiung weicht der Unzufriedenheit. Gott überhört das Murren, ist nicht beleidigt. Er versteht vielmehr, warum das Volk unzufrieden ist, er versteht, was Hunger bedeutet. An anderen Stellen der Bibel ist das anders, da wird Gott auch als zorniger Gott beschrieben, so in der Geschichte vom Goldenen Kalb. Hier aber begegnet uns ein Gott mit weitem Herzen. Nun ist es mir wichtig, herauszustellen: die Enttäuschungen nehmen den Aufbrucherfahrungen nicht ihren Wert, entlarven sie nicht als Illusion. Aber die Aufbrucherfahrungen lassen sich eben auch nicht konservieren. Es braucht Geduld, sie in den Alltag hinüberzuretten. Bei dieser Aufgabe, Geduld zu entwickeln, erfährt das Volk Israel Gott an seiner Seite. Wie schon beim Durchzug durch das Schilfmeer wendet er die Katastrophe ab. Das tägliche Brot, die Nahrung, ist gesichert.
Was es nun mit dem Manna auf sich hat, darum gibt es eine breite theologische Diskussion, die im Grunde schon in der Bibel anfängt. Man vergleiche dazu 4. Mose 11,6-9, Psalm 78,23-25 und Psalm 105,40 wie auch den Rückbezug Jesu auf die Mannageschichte im Johannesevangelium (6,31). Da erscheint Manna einmal als Wunder Gottes, einmal als Naturerscheinung, einmal als himmlische Speise. Jesus dagegen betont: das wahre Himmelsbrot ist nur er selbst. Diese Vielfalt sollte man stehen lassen. Das ist der Reichtum biblischer Bilder. Spannend ist dabei eben auch noch das Thema der Gerechtigkeit: „Jeder soviel er zum Essen brauchte.“ Dass das mindestens elementarer Bestandteil des Mannawunders ist, lässt sich m.E. kaum bestreiten. Würde man die ausgelassenen Verse mit einbeziehen, würde noch das Thema des Sabbats mit eingespielt.
Lieder
"All Morgen" (EG 440)
"Ich lobe meinen Gott" (EG 272)
"Bewahre uns Gott" (EG 171)
Literatur
Albertz, Rainer, Exodus, Band I: Ex 1-18, Zürcher Bibelkommentare, AT 2.1, Zürich 2012. - Ebach, Jürgen, „Jeder nach seinem Eßbedarf“. Die Geschichte vom Mannawunder, in: ders., Ursprung und Ziel. Erinnerte Zukunft und erhoffte Vergangenheit. Biblische Exegesen, Reflexionen, Geschichten, Neukirchen-Vluyn 1986, S. 126-146. - Gradwohl, Roland, „Fleisch“ und „Brot“ in der Wüste. Ex 16,2-3.11-18, in: ders., Bibelauslegungen aus Jüdischen Quellen, Bd. 2, Die alttestamentlichen Predigttexte des 6. Jahrgang, S. 70-86. - Kreitzscheck, Dagmar, Genüge und Gerechtigkeit, in: Göttinger Predigtmeditationen 2014/5, S. 361-367. -Schöllkopf, Susanne, Unser täglich Brot gib uns heute, in: Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Dialog, Weihenzell 2013, S. 300-305.
Befreiung
„Endlich frei!“ So sagen es Schülerinnen und Schüler, wenn sie das Abitur geschafft haben, oder Studierende nach dem Examen. Viele Frauen sehnen in der letzten Phase der Schwangerschaft den Tag der Geburt als einen Tag der Befreiung von der nun doch allzu schweren Last herbei. „Endlich frei!“ In so vielen verschiedenen Situationen können Menschen oder auch Gemeinschaften und Völker das sagen. Denken wir an den Fall der Mauer 1989. Oder an das Ende der Apartheid in Südafrika. „Endlich frei!“ So sagte auch das Volk Israel an einem ganz zentralen Punkt seiner frühen Geschichte. Mit Hilfe des Mose hatte Gott das Volk auf wundersame Weise aus der Sklaverei in Ägypten geführt. Ziel: das gelobte Land, in dem Milch und Honig fließen. Das klingt nach paradiesischen Zuständen. Das gelobte Land – das Reich der Freiheit. Der Predigttext für den heutigen Sonntag, der im 2. Mose im 16. Kapitel steht, erzählt, wie es dann weitergeht.
(Lesung des Predigttextes)
Nach der Befreiung die große Freiheit? Das Paradies auf Erden? Nein! Ernüchterung. Gemurre. Statt Milch und Honig die Trockenheit der Wüste. Schon haben die Menschen im Volk Israel den Tod vor Augen. Die zuvor bejubelten Führer werden jetzt angegriffen: „… ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.“ Was das Volk Israel damals erlebt hat, scheint eine urmenschliche Erfahrung zu sein. Wir kennen es aus den großen Aufbrüchen unserer Zeit. Auch nach dem Ende des Kalten Krieges ist unsere Welt nicht friedlicher geworden. Das erfahren wir gerade schmerzhaft. Denken wir nur an die Ukraine-Krise oder an den Nahostkonflikt, der sich wieder auf so schreckliche Weise zugespitzt hat. Auch in Südafrika sind die Probleme nach dem Ende der Apartheid sehr groß. Und wie ist es im Persönlichen: nach Abitur oder Examen kommt doch sehr schnell die Frage, wie es nun weiter geht, wird bald deutlich, dass einem nicht die ganze Welt offensteht, sondern: der Numerus clausus ist zu hoch! Neue Zwänge, nachdem die alten weg sind. Und im Fall der Schwangerschaft? Der Anblick eines neugeborenen Kindes hat wirklich etwas von Paradies. Aber seien wir ehrlich! Wie schnell kehrt auch hier der Alltag ein!? Schlaflose Nächte, das kann auch was von Wüste haben! Da ist die Taufe ein schöner Anlass, erneut in den Mittelpunkt zu rücken, welch großes Geschenk ein neuer Mensch ist.
Hunger
Das Volk Israel jedenfalls murrt. Das könnte ja Anlass sein, zu schimpfen, zu sagen: „Was für ein undankbares Volk!“ Nichts davon in der Reaktion Gottes! Hören wir das noch mal im Original: „Und der HERR sprach zu Mose: Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, dass ich, der HERR, euer Gott bin.“ Ganz nüchtern und sachlich klingt das, keine Spur von Vorwurf, oder gar von Zorn. Klar: die Leute haben Hunger. Da muss etwas passieren. Gott ist weiterhin der Gott dieses Volkes. Und dieser Gott erkennt die elementarsten Lebensrechte der Menschen an. Natürlich macht es Angst, wenn man nicht mehr weiß, wie man morgen sich und seine Familie ernähren soll. Gott erkennt die elementarsten Lebensrechte an. Diese Geschichte vom Manna und den Wachteln ist eine vom Recht auf das tägliche Brot.
Enttäuschung und Aufbruchstimmung
Aber ich denke, dass Gott uns auch die Ernüchterung zugesteht, die sich breit macht, wenn wir erkennen: was nach der Befreiung kommt, sieht anders aus, als wir erwartet haben. 40 Jahre mussten die Israeliten durch die Wüste wandern, heißt es. Und auch wir kommen immer wieder in Situationen, in denen von uns Geduld gefordert ist, wo vorher Aufbruchsstimmung herrschte. In die Wüstenerfahrungen des Volkes Israel können wir auch unsere Enttäuschungen und Rückschläge einzeichnen, die zum Leben dazugehören. Und Gott scheint zu wissen, wie sich das für uns Menschen anfühlt. Deswegen: kein kritisches Wort über das Murren.
Mit den Enttäuschungen aber verlieren Erfahrungen von Befreiung nicht ihren Wert. Für mich stehen die Fernsehbilder vom 9. November 1989 noch heute vor Augen, als wäre es gerade passiert: Menschen sitzen auf der Mauer, die vorher so viel Bedrohung und Tod gebracht hat. Ein Zeichen: Veränderung ist möglich, es bleibt nicht einfach alles so, wie es immer schon war. Nur müssen sich die Erfahrungen von Befreiung verbinden mit denen von geforderter Geduld. Auch nach der Befreiung sind nicht alle Probleme gelöst. Und wir sind in den Situationen, in denen Geduld gefordert ist, nicht allein. Gott ist da und sorgt für das tägliche Brot. So erfährt es das Volk Israel. Das gibt Mut und Zuversicht, auch für uns. Wir hören es auch im Taufspruch von Noah: Ich bin gewiss: nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.
Manna
So versorgt Gott sein Volk in der Wüste mit Manna, das vom Himmel fällt. Eine Art Honigbrot soll das sein, das sich wohl tatsächlich in der Wüste finden lässt. An anderer Stelle in der Bibel wird erzählt, dass es dieses Manna 40 Jahre lang gab und dass das Volk sich davor schließlich geekelt hat. Auch das kann man gut verstehen. Manna, das ist etwas zwischen Wunder, Brot vom Himmel auf der einen, und ekelhaftem Einerlei auf der anderen Seite. Aber es diente zum Überleben.
Vielleicht ist das Wunder anderswo zu suchen: Jeder bekam soviel er zum Essen brauchte. Nicht alle das Gleiche. Die einen viel, die anderen wenig, aber alle waren zufrieden. Kein neidvoller Blick auf den anderen. Eine neue Form der gerechten Verteilung. Auch das ein Wunder. Die Bibel erzählt an vielen Stellen vom Manna. Sie umspielt dabei die Frage, was daran das Wunder ist. Es gibt keine Festlegung. Es ist so viel Wunderbares an diesem Manna, auch wenn man es sicher nicht 40 Jahre lang als Grundnahrungsmittel haben möchte.
Auch Jesus erzählt vom Manna, und zwar im Johannesevangelium. Er bestreitet den himmlischen Charakter des Manna und setzt dagegen: Er selbst ist das wahre Brot vom Himmel. Eingebettet sind diese Worte in die Geschichte von der Speisung der 5000. Auch hier also: alle werden satt, jeder so viel er braucht. Wo Menschen erfahren: Gott versorgt mich, uns, sogar in der Wüste, sogar auf den schrecklichsten Durststrecken, da werden sie von dieser neuen Gerechtigkeit erfasst. Da macht es nichts mehr, wenn der andere mehr hat. Jeder soviel er braucht. Das reicht. Gott versorgt uns, aber er wird nicht allen unseren Ansprüchen gerecht. Und er führt uns ins gelobte Land, in eine neue Gerechtigkeit, in eine neue Welt. Aber das tut er nach seinem Zeitplan, nicht nach unserem. So lange bleiben wir unterwegs: von der Ungeduld zur Geduld, vom Murren zur Zuversicht.
Was geschieht nach dem geglückten Auszug der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten mit Rettung durchs Meer ? Was geschieht heute nach bestandenen Prüfungen und Examen, was geschieht nach einer geglückten Geburt,nach dem Fall der Mauer ? Sehr textbezogen, originell und überraschend predigt Pfarrer Friedrich darüber: Nach der Befreiung durch eine bestandene Prüfung folgt erstmal Ernüchterung und Murren. Überall tauchen neue Zwänge auf. Vor diesem Hintergrund, den alle Predigthörer kennen, tröstet der Prediger mit der Gottesverheißung: auch in der Wüste werde ich euch immer Manna und Wachteln schenken ! Auch nach der Befreiung sind nicht alle Probleme gelöst. Wir brauchen immer wieder Geduld und Gottvertrauen . Gott aber sorgt für das tägliche Brot, soviel, wie wir brauchen. Auch Jesus erinnert an das Manna. Er selbst ist das Himmelsbrot auf unserer Lebensreise. Sehr schön ist die Schlußformulierung des Predigers: Jesus “führt uns ins gelobte Land, in eine neue Welt. Aber das tut er nach seinem Zeitplan, nicht nach dem unseren”. – Eine sehr ermutigende Predigt ! Wie gesagt: originell die Perspektive , dass nach der bestandenen Prüfung das Murren erstmal nicht ausgeschlossen ist. Aber Gott nimmt unser Gemecker ernst und schenkt uns das nötige Manna zum Leben.