Es tut uns gut, wenn wir in schweren Stunden jemanden an unserer Seite haben, der für uns da ist, der uns beisteht, der zu uns hält, der uns versteht, der uns hilft: Einen Engel. Und es ist gut, wenn wir Anderen zum Engel werden, wenn wir ihnen beim Wandern durch ein dunkles Tal zuverlässiger Begleiter sind, jemand, der sie mit Wort und Tat unterstützt, für sie da ist, sie tröstet, ihnen Mut zuspricht und zur Seite steht. Der Engel, der dem Propheten Elia aus unserer Erzählung ein Stück Brot und einen Krug Wasser brachte, war nach Meinung mancher Ausleger vielleicht eine Nomadin, deren Heimat die Wüste war. „Steh auf und iss!“ waren ihre aufmunternden Worte, die dem erschöpfen und frustrierten Elia seinen Lebensmut zurück brachten.
Viele Stellen der Bibel zeigen die starke Symbolkraft von Essen und Trinken. Jesus hat gemeinsame Mahlzeiten genutzt, um seine Verbundenheit mit den Menschen auszudrücken. Solche Zeichen haben seine Freunde und Gegner sehr wohl verstanden. In den Abendmahlsfeiern wurden sie zu festen Ritualen des Glaubens. Hier wird für die Gemeinde immer wieder deutlich, dass sie einen Herrn hat, der ihr Freund und Heiland ist, der mit ihr eine unauflösliche Gemeinschaft bildet.
I.
In diesen Tagen ist der Dienst der Engel besonders gefragt. Wir erleben einen Krieg in unmittelbarer Nachbarschaft. Wir schauen auf unsere Regierung, die politische und gesellschaftliche Prominenz und spüren, wie ratlos, ja wie hilflos sie in dieser Situation sind. Und wir sind es auch. Aber in dem Einen sind wir uns alle einig, in dem Wunsch, in der Forderung, in der Bitte: Der Krieg muss aufhören. Als christliche Gemeinschaft dürfen wir mit Paul Gerhardt, dem Liederdichter in einer Zeit, die auch von kriegerischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet war, die letzte Strophe seiner Liedes nachbeten: „Mach End o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not …“ Wir dürfen in einer neuen Intensität und einem ernsteren Bewusstsein das „Kyrie eleison“ singen und vor Gott bringen. Und mit tiefem Ernst beten wir heute jenes alte Kirchengebet, dass diese Bitte so gültig in Worte fasst: „Nimm dich unser gnädig an. Rette und erhalte uns“. Die Leitung der Evangelischen Kirche in Deutschland hat ein gutes Gebet verfasst, das wir alle mitsprechen können:
„Barmherziger Gott, wir haben Angst vor dem Krieg, der so viel Leid bringt für die Menschen in der Ukraine, in Russland und in ganz Europa. Wir beten für all die Verantwortlichen in Russland, der Ukraine, Belarus, den USA und der EU, dass sie Wege aus der Eskalation finden. Lass uns alle abrüsten mit Worten und mit Taten. Erweiche die Herzen derer, die hart geworden sind. Bewahre uns vor der Willkür der Mächtigen dieser Welt und bringe sie zu Erkenntnis ihrer Grenzen. Segne uns mit deinem Frieden, damit dein Friede sich auf Erden ausbreitet.“ Amen.
Wie wird dieser elende Konflikt ausgehen? Wir hoffen das Beste. Wir vertrauen auf Gottes Hilfe. „Weil denn kein Mensch uns helfen kann, rufe man Gott um Hilfe an“ so singen wir es aus dem Lied „Lobe den Herren, o meine Seele“. Wir halten an dem Glauben fest, dass Gott uns auch durch Nöte und Katastrophen, hindurch führt und an das Ziel bringt, das er für uns vorgesehen hat. „In allen Stürmen, in aller Not wird er dich beschirmen, der treue Gott“, so singen wir es immer wieder. Was auch kommen mag,wir folgen dem Ratschlag des Hebräerbriefes (11,26) „Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat“. Jesus hat seine Gemeinde auf schwere Zeiten eingestellt, ihr aber zugleich Mut zugesprochen: „Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“
II.
Ich möchte von einem Mann erzählen, der trotz seines schweren Schicksals ein Zeuge für Gottes Güte und Fürsorge wurde: Es ist der Schauspieler Ernst Ginsberg. Er ist von Geburt Jude und zum christlichen Glauben übergetreten. 1933 hat er Deutschland verlassen müssen. Als er 1963 vor dem Beginn einer neuen Karriere stand, überfiel ihn eine unheilbare Krankheit. Er wurde an Armen und Beinen gelähmt. Zunächst begnügte er sich mit Rezitationen. Bald aber wurden auch die Sprechorgane von der Lähmung ergriffen. Schließlich war er ganz und gar der Hilfeleistung anderer Mitmenschen ausgeliefert.
Nur noch über ein Schiefertäfelchen konnte er sich seiner Umwelt verständlich machen. In dieser Zeit hat er einige kleine Gedichte geschrieben. Diese sind zusammen mit Aufsätzen und persönlichen Erinnerungen in einem Band „Abschied“ veröffentlicht worden. Ein kleines Gedicht ist überschrieben „Duell“ und heißt: „Ich werde dir zeigen, was ich kann, spricht der Tod. Ich mach aus dir einen Jammermann in der Not. Ich werde dir zeigen, was der Mensch ist, spricht das Herz: Im Jammer zerbrechend bleibt er ein Christ, auch im Schmerz.“ Wie dieser letzte Satz zu verstehen ist, wird aus dem Abschiedsbrief deutlich, den er an seine Kollegen vom Züricher Schauspielhaus schreibt, als diese die Vollendung seiner 60. Lebensjahres mit ihm feiern wollen:
III.
„Meine lieben Kollegen, alte und jüngere Freunde, wie gern hätte ich diesen Tag mit Euch verbracht. Wäre ich nur gelähmt, wie ichs an Armen und Beinen bin, ich hätte mich zu Euch fahren lassen. Aber seit kurzem ist auch meine Sprache erkrankt. Sie schleppt und gurgelt und quält sich in mir selbst ganz fremden, tiefen Tönen mühsam von Satz zu Satz. Und das wollte ich Euch und mir ersparen. Sicher, diese letzte Rolle, von der ich nie geahnt hätte, dass sie in mein Fach schlagen würde, ist die schwerste meines Lebens. Lasst Euch bitte von niemandem einreden, ich spielte sie heldenhaft. Das ist nicht wahr. Es wäre auch übermenschlich.
Aber ich habe Grund, für so vieles zu danken, dass sich das Schwere leichter trägt. Ich habe zu danken für die Rettung vor dem Untergang in Hitler-Deutschland, zu danken, dass nur wenige mich dort verrieten, dass viele treu blieben, zu danken für lebenslange Freundschaften. Ich habe zu danken für so viele gute und liebe Kameraden bei der Arbeit. Ich habe für eine 32jährige Ehe mit der besten und hingabefähigsten Frau zu danken. Ich habe einem freundlichen Schicksal zu danken, das mir in 40 herrlichen Theaterjahren, jeden, wirklich jeden Wunsch erfüllte, der mich mit 18 Jahren zum Theater getrieben hat.
Wie einst mit achtzehn Jahren, so bekenne ich auch heute mit sechzig, dass ich den Sinn des Lebens nur in der Dankbarkeit für das Wunderwerk des Daseins, in der Freude am Leben und in der Liebe zum Mitmenschen zu erblicken vermag.Matthias Claudius schließt seinen berühmten Brief an seinen Sohn Johannes mit den Worten: „Habe einen freudigen Mut und gehe nicht aus der Welt, ohne Deine Liebe und Verehrung für den Stifter des Christentums durch irgendetwas öffentlich bezeugt zu haben“. Erlaubt mir, hier, vor Euch, öffentlich, mit dieser Liebesbezeugung zu schließen.“ Im Dezember 1964, 10 Monate nach diesem Brief, ist Ginsberg gestorben.
Wer unter solchen Umständen und so danken kann, legt Zeugnis davon ab, dass Gott die Welt liebt und dass er selbst in einem leiderfüllten Leben diese fürsorgende Liebe erfahren hat. So blicken wir trotz mancher Anfechtung mit Zuversicht, Hoffnung und Gottvertrauen in die Zukunft. Paul Gerhard hat in den Wirren und Grausamkeiten des 30jährigen Krieges jenes starke Glaubenslied gedichtet, das Menschen immer wieder Trost und Kraft gegeben hat. Wir singen es auch heute. Es stärkt unser Vertrauen in Gottes Fürsorge und Treue: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege, des der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“.