“Steh auf …”

Mit Gott und im Zwiegespräch mit ihm ins Neue Jahr 2019

Predigttext: Josua 1,1-9 (mit Kurzexegese)
Kirche / Ort: Dortmund
Datum: 01.01.2019
Kirchenjahr: Neujahrstag
Autor/in: Pfarrer Gerrit Funke

Predigttext: Josua 1, 1-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017. In V.2.4.8 sind in Klammern Varianten hinzugefügt, die in der Exegese begründet werden)

1 Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der Herr zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener: 2 Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den (diesen) Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gebe. 3 Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe. 4 Von der Wüste bis zum (zu diesem) Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter, soll euer Gebiet sein. 5 Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. 6 Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe. 7 Sei nur getrost und ganz unverzagt, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, auf dass du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst. 8 Und lass das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen (es entferne sich nicht von deinem Munde), sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen, und du wirst es recht ausrichten. 9 Habe ich dir nicht geboten: Sei getrost und unverzagt? Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

Exegetische Skizze

Innerbiblische Querbezüge erschließen mir den Text am nachhaltigsten. Da ist der hebräische Wortstamm „qum“ („Mach dich auf“). Er findet sich in der Bibel mehrfach an prominenter Stelle. Spätestens im Evangelium klärt sich, dass darin von Anfang an eine Dimension mitschwingt, die wie aus dem Tod heraus in neues Leben weist. Mk 5,41 sagt Jesus zu dem Töchterchen des Jairus: „talitha qum“, „Mach dich auf, Mädchen.“ Wo durch Gottes Zusage in uns neue Kräfte geweckt werden, die in Ängsten gebunden sind, bildet sich ab, wie Gott Leben aus dem Tod weckt.  Ferner ist da in V.8 die Vermahnung: „Das Buch dieser Tora soll sich nicht von deinem Mund entfernen“.

Josua wird in Ex 33,11 als jemand vorgestellt, der sich schon als junger Mann nicht aus dem Zelt der Begegnung entfernen mochte. An beiden Stellen findet sich ein identisches Verb. Einer rabbinischen Auslegungstradition folgend kann man dort, wo einzelne Stellen so aufeinander verweisen, Bedeutungen suchen, die gleichsam ´zwischen ihnen` entstehen. Denn als Gottes Wort bauen die biblischen Texte immer aufs Neue Beziehungen auf – zwischen Gott und uns, untereinander, unter uns usw. Aus dem Querbezug zwischen Jos 1,8 und Ex 33,11 höre ich: Gottes Zusage weckt gerade auch diejenigen Gaben und Kompetenzen, die zu uns ganz persönlich passen. Da ist schließlich die Weisung: „Von dem Buch dieser Tora sollst du allzeit reden und darüber nachsinnen Tag und Nacht.“ Das entspricht Ps 1,2, wo glücklich gepriesen wird, wer über Gottes Tora Tag und Nacht sinnt.

Das ständige Zwiegespräch mit Gott kann uns so wandeln, dass wir finden, wer wir, nur wir vor Gott sind. Darüber wird nichts und niemand sonst Gewalt kriegen. Schließlich: im Text kommt 5 Mal ein Demonstrativpronomen vor. Das zeigt: Gottes Zusage unterscheidet sich von illusorischen oder gar falschen Versprechungen. Sie weist uns immer in eine ganz konkrete Realität. Den tragenden Grund für die Verlässlichkeit der Verheißungen Gottes bildet allein, wie er seine eigene Glaubwürdigkeit mit ihnen aufs Spiel setzt (V.3+6).

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Josua steht am Beginn einer ungewissen Zukunft. Er erhält einen Auftrag, der es in sich hat. Er soll zusammen mit dem Volk Israel in das verheißene Land einziehen. Mose ist vor kurzem gestorben. Josua soll in seine Fußstapfen treten. Er hat allen Grund, sich dem, was ihn erwartet, kaum gewachsen zu fühlen. Da vernimmt er Gottes Zusage: „Mach dich auf. Sei nur getrost und unverzagt.“

In Momenten, in denen wir uns kraftlos fühlen und uns vor einer unbekannten Zukunft graut, tut es gut, wenn ein anderer Mensch uns ermutigt: „Komm, bleib nicht stehen. Steh auf!“ Dieser Mensch kann uns zu einem Boten, einer Botin von Gott werden. Wo Gott selbst sich mit diesem Zuspruch an uns wendet, bringt er eine noch tiefere, noch weitere Dimension zum Zug. Einmal, so erzählt es das Markus-Evangelium, liegt ein 12-jähriges Mädchen aufgebahrt auf einem Bett. Es hat vor kurzem seinen letzten Atemzug getan. Nun betritt ein Mann das Haus, der den gleichen Namen trägt wie Josua. Man sprach diesen Namen damals nur etwas anders aus. Man nannte ihn in der Landessprache: Jeshua. In unserer Sprache sagen wir: Jesus. Er tritt an das Bett, wo das Mädchen aufgebahrt ist, ergreift ihre Hand und spricht dann zu ihr: „Mach dich auf, Mädchen!“ Das Kind richtet sich auf. Es lebt, als wäre es dem Tod entrissen worden.

„Mach dich auf!“ Wo Gott selber so zu uns spricht, stammt dieser Zuspruch aus einem einzigartigen Hoheitsbereich. In ihm kann Leben neu aufleben, so als würde es dem Tod entrissen. In ihm können darum auch unsere lebendigsten Kräfte und persönlichsten Gaben neu frei werden, wo Ängste und Schrecken sie bereits gebunden haben. Denn Angst und Schrecken binden unsere lebendigsten Kräfte und persönlichsten Gaben schon zu Lebzeiten so, als wären sie für nichts weiter gut, als einmal endgültig begraben zu werden. Nicht von ungefähr spricht man von einer Schreckstarre, die wie ein Vorbote jener körperlichen Starre ist, die ein vor kurzem erfolgtes Sterben anzeigt.

„Mach dich nun auf, Josua. Ich, Gott, bin und bleibe doch an deiner Seite. Ich lasse dich nie fallen. Ich bin stets ganz nah bei dir und um dich. Sei getrost und unverzagt.“ So hört es Josua, als ihm eine Aufgabe übertragen wird, vor der ihm fürwahr grauen kann. Die Verheißungen, mit denen Gott ihm seinen Beistand zusagt, sind kaum zu überbieten. Freilich: sie versprechen ihm nicht das Blaue vom Himmel. Sie verheißen ihm nicht, dass es für ihn nur rote Rosen regnen wird. Sie entführen ihn keineswegs in eine irreale Traumwelt. In der Geschichte von Josuas Berufung kommen die Wörtchen „dieser“ oder „dieses“ nicht weniger als 5 Mal vor. „Überschreite diesen Jordan zusammen mit diesem Volk“, hören wir da. Von „diesem Libanon“ als nördlicher Grenze des Landes ist die Rede, und dann noch einmal von „diesem Volk“, dem das Land zu Teil werden soll. Schließlich wird Josua auf „das Buch dieser Weisung“ verpflichtet, das ihn innerlich leiten und begleiten soll am Tag und in der Nacht. Der Finger wird wie auf einer Landkarte auf ganz bestimmte Orte gelegt. Josua wird auf ganz konkrete Menschen aus Fleisch und Blut verwiesen, denen Gottes Verheißung ebenso gilt wie ihm. Er erhält Gottes unbedingte Zusage, die ihn trägt und seine Kräfte neu freisetzt, wo diese in Angst und Verzagtheit gebunden sind. Er bleibt dabei aber auch an einen ganz konkreten Ort gestellt. Er hat es mit ganz bestimmten Menschen zu tun – Menschen, die fehlbar und schwierig sein können, nicht mit Idealmenschen.

Denn Gottes Zusage ist darin verankert, wie er mit seinem eigenen Namen dafür bürgt, dass das Ziel erreicht wird, zu dem er uns berufen hat. „Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe.“ Das ist, als würde Gott zu Josua sagen: ´Daran, dass diesem Volk meine Verheißung zu Teil wird, hängt meine eigene Glaubwürdigkeit. Mein eigener Ruf steht damit auf dem Spiel`. Wozu Gott uns berufen hat, ist für ihn Ehrensache. In Jesus Christus steht er dafür mit seiner eigenen Existenz ein. Er verbürgt sich dafür so wie jemand, der für das Ziel unserer Berufung haftet. Das ist der tiefste Grund, auf den hin seine Zusage unsere lebendigsten Kräfte und persönlichsten Gaben neu freisetzen kann, wo Ängste und Schrecken sie bereits gebunden haben. Gottes Zusage gründet nicht darin, dass sich wie im Traum plötzlich Kräfteverhältnisse geändert hätten, in denen wir leben. Sie beruht auch nicht darauf, dass wir ein dickes Fell erhielten und wir Ängste gar nicht mehr zu spüren brauchten. Sie schmiedet uns keine Schutzpanzer, hinter denen wir uns zwar sicher fühlen mögen, durch die aber auch Signale, in denen Andere uns auf ihre Nöte und Ängste aufmerksam machen, gar nicht mehr zu uns dringen. Wo Gottes Verheißung in uns Kräfte und Gaben weckt, die in Ängsten und Furcht gebunden sind, werden diese vielmehr wie von selbst zu Kräften, die Ängste und Schrecken auch dort wahrnehmen, wo sie andere Menschen beschweren.

„Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang“, hört Josua als stärkende Zusage. Gott verheißt uns, dass wir niemals bloß Spielball anderer Menschen oder höherer Gewalten sein werden. Denn wer wir sind, wir persönlich mit unseren lebendigsten Kräften, unseren unverwechselbaren Gaben und Kompetenzen, wird sich erst finden, indem wir mit seiner Zusage in einem Zwiegespräch bleiben, das möglichst nie abreißt. Deswegen wird Josua auch vermahnt: „Lass das Buch dieser Weisung sich nicht von deinem Munde entfernen, sondern betrachte es Tag und Nacht, dass du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht.“ Diese Vermahnung, die Josua hier stellvertretend für das ganze Volk erhält, ist wie auf ihn ganz persönlich zugeschnitten. Denn mit Josua verhielt es sich auf eigentümliche Weise. Von Jugend an – so wird uns einmal von ihm erzählt – entfernte er sich nicht aus dem Inneren des Zeltes der Begegnung. Das war das Zelt, in dem Gott in den Jahren des langen Zuges durch die Wüste nach der Befreiung Israels aus dem Sklavendasein mit Mose sprach wie von Angesicht zu Angesicht, so wie ein Mensch mit einem guten Freund redet. Josua zog es offensichtlich dorthin. Er konnte sich kaum von dem einzigartigen Hoheitsbereich lösen, wo Gott sich einem Menschen offenbarte wie ein Freund dem Freunde. Das war Josua fast wie zu einer zweiten Natur geworden.

Wer mit der Verheißung Gottes in Kontakt bleibt, kann es ähnlich erleben. Wenn wir einatmen und ausatmen, achten wir meist gar nicht mehr darauf. Es ist, als atmeten wir automatisch. Dabei tun wir etwas, was nur wir selber tun können. Niemand könnte es an unserer Stelle für uns tun. Doch zugleich ist es auch, als atmete es in uns – so als ginge da nur etwas durch uns hindurch. Wir atmen, wenn wir wach sind genauso wie wenn wir schlafen. Wir nehmen beim Atmen in uns auf, was uns zum Leben dient. Wir geben im gleichen Zuge etwas ab, was woanders zum Leben gebraucht wird. So ähnlich kann es zugehen, wo wir auf Gottes Zusage hin aufleben. In deren einzigartigem Hoheitsbereich können unsere lebendigsten Kräfte und persönlichsten Gaben neu frei werden. Ja, in ständigem Zwiegespräch mit seiner Zusage werden wir dann erst finden, wer wir vor Gott eigentlich sind, und welche lebendigen Kräfte und persönlichen Gaben uns gegeben sind. Dann erleben wir wie Josua, wozu Gott uns beruft und hören sein Versprechen: „Mach dich nun auf!  Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Ich werde mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt“. Lassen Sie uns diese Zusage mit auf den Weg des neuen Jahres nehmen, mit dem sich vor uns auch nach dem Kalender eine unbekannte Zukunft auftut.

 

 

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