Unser Predigttext beginnt ganz unscheinbar, mit einer offenbar nebensächlichen, unwichtigen Bemerkung: „Und es gingen zu Jesus Blinde und Lahme im Tempel, und er heilte sie”. Wäre nur dieser eine Satz über Jesus überliefert, er genügte, um ihn unter die Großen dieser Welt einzureihen. Mit diesem einprägsamen Satz, der anschaulich eine kleine Szene berichtet, werden Auftrag und Art Jesu von Nazareth wie in einem Brennpunkt zusammengefasst: Jesus hebt mit seinen Taten und Worten eine eintausend Jahre alte festgefügte religiös – politische Ordnung aus den Angeln, weil sie unmenschlich ist und so nicht dem Willen Gottes entspricht. Der große König David – seine Größe bestand auch und gerade im Bekennen seiner Schuld – hatte sich einst über Blinde und Lahme geärgert und gesagt: „Kein Blinder und Lahmer soll mehr in Gottes Haus hineinkommen”. Das Wort des Königs galt nun seit 1000 Jahren unwidersprochen: Die Gesunden und Glücklichen und Starken sperrten die Schwachen und Außenseiter und Kranken von ihren Gottesdiensten aus. Jesus handelt öffentlich gegen diese unmenschliche Tradition.
Jesus lässt zu, dass Blinde und Lahme ihm in den Tempel folgen, und er heilt sie dort. Die Händler und Geldwechsler hatten Zutritt, aber Kranke, auch Kinder, durften das Heiligtum nicht betreten. Urteilen wir nicht zu schnell über die religiösen und politischen Praktiken vergangener Zeiten. Wir verhalten uns nicht anders, auch wenn uns von Jesus die Augen geöffnet sein müssten. Ich kann jetzt nicht über Blindheit und Lähmungen unserer Zeit und über unmenschliche Praktiken unserer Gesellschaft reden, doch so viel macht uns die kleine, zunächst unwichtig erscheinende Bemerkung klar: Jesus empört unmenschliches Verhalten, und er ergreift öffentlich Partei für die Ausgeschlossenen. Wer von uns nicht für die Schwachen – ich nenne sie in einigen Stichworten unserer Tage: für die Fremden und Asylbewerber, die Kriegsflüchtlinge, die Obdachlosen, die Hungernden, die Drogen- und Alkoholabhängigen und all die anderen Randsiedler und Ausgeschlossenen – eintritt, der kann sich nicht auf Jesus berufen. Er hat uns vorgelebt, wie wir ohne Gewalt und Hass füreinander einstehen können.
Da ist einer, der hat ein Herz für die Außenseiter und Ausgestoßenen der Gesellschaft, für die Kranken und für die, die damals rechtlos waren, zu ihnen gehörten z. B. die Kinder. Jesus setzt sich entschieden für sie ein: Die Kranken heilt er, die Kinder lobt er, die Hüter einer unmenschlichen Ordnung lässt er einfach stehen. Diese, die Schriftgelehrten und Hohenpriester, wissen die Wunder Jesu richtig zu deuten: Mit seinen Heilungen der Blinden und Lahmen bricht eine neue Ordnung und Welt an, in der sie nicht mehr die führende Position einnehmen werden. Jesus überführt sie, indem er sie auf die Bibel verweist: „Habt ihr nie gelesen: ‚Aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge hast du dir das Lob bereitet‘?“ Natürlich haben sie es gelesen, in einem Psalm (Psalm 8), und sie wissen es auch: Gott baut sein Reich des Friedens. Die angeblich Unwissenden wissen mehr als die Klugen, denn das Herz begreift schneller als der Kopf, und Kinder sehen tiefer als die Erwachsenen. Die Kinder erkennen in Jesus den Messias, den Gesandten, Gottes, und sie jubeln ihm zu: „Hosianna dem Sohn Davids!“ Der Lärm der Händler und Geldwechsler und die laute Entrüstung der Gesetzeshüter stört Jesus, aber nicht das Lärmen der Kinder. Er spürt, dass sie auf ihre Weise, in ihrem unbeschwerten Schreien, Gott loben.
Nicht die großen Parolen, nicht die gutgemeinten Absichten – die schlichte Tat der Liebe und Versöhnung ist entscheidend. Verschließ nicht die Augen vor der Not, öffne dein Herz und deine Hand für die Armen und Schwachen. Bleib in seiner, in Jesu Spur und Nähe. Du musst nicht alles wissen, nicht alles glauben, eine Erkenntnis, genügt, aber diese gilt es zu leben (nach Frère Roger Schutz). So gehören wir zum Volke Gottes, zu den Menschen, die im Geiste Jesu ein Licht in die Dunkelheiten unserer Welt bringen und Salz für unsere Erde sind. Wir brauchen die Nähe Jesu, die uns heilt. Ich bekenne gern, dass ich mich in der Nähe Jesu wohlfühle. Wir brauchen Jesu Wort, das uns hilft. Wir brauchen seine Zusage: „Alles, was ihr bittet im Gebet, wenn ihr glaubt, so werdet ihr’s empfangen”. Eine unglaublicher Zuspruch, ein Spitzensatz des Glaubens. DieserGlaube erweist sich nicht im Warten auf sichtbare Wunder, sondern im Vertrauen auf den Gott, der alles zu seiner Zeit und alles sehr gut macht. Unser Beten vermag viel, sehr viel, wenn wir Gott viel zutrauen. Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, aber er steht zu seinem Wort (nach Dietrich Bonhoeffer).
Wer sich Gott anvertraut, wer sein Leben im Geist Jesu, im Geist der Liebe und Gewaltlosigkeit, zu meistern sucht, darf sich selber viel zutrauen. Wo Gott, der ewige, heilige, barmherzige Gott ist, da ist Leben, sinnvolles, erfülltes Leben. Solches Leben kann anders verlaufen, als wir uns wünschen. Das Kreuz ist das Kennzeichen Jesu und eines jeden Christen. Es ist unser “Plus” – Zeichen und will uns daran erinnern: Gott ist uns ganz nah, Jesus ließ es die Menschen erfahren und spüren. In Gottes und Jesu Nähe dürfen wir Vieles vergessen und unbeschwert und fröhlich singen. “Kantate” – “Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder”. Mit unserem Singen und Loben, Beten und Danken arbeiten wir als Gottes Volk mit am Reich Gottes und einer neuen, gerechten, friedvollen Welt.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus, dem Christus Gottes.