“Ströme lebendigen Wassers …”
Durst, der sich nicht stillen lässt
Predigttext: Johannes 7,32-39 (Übersetzung nach Martin Luther)
32 Die Pharisäer hörten, dass es im Volk solches Gemurmel über ihn gab. Da sandten die Hohenpriester und die Pharisäer Knechte aus, dass sie ihn ergriffen. 33 Da sprach Jesus: Ich bin noch eine kleine Zeit bei euch, und dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. 34 Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen. 35 Da sprachen die Juden untereinander: Wo will dieser hingehen, dass wir ihn nicht finden könnten? Will er etwa zu denen gehen, die in der Zerstreuung unter den Griechen wohnen, und die Griechen lehren? 36 Was ist das für ein Wort, das er sagte: Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, da könnt ihr nicht hinkommen? 37 Aber am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
Richtiger Ort
Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten liegt dieser Sonntag wie eine Oase vor uns. Ob wir eine Wüste hinter uns haben? Ob uns eine Wüste umgibt? Aber in der Oase sprudelt eine Quelle. Grüne Pflanzen, ein Stück Paradies. Ganz viel Leben unter so viel Sand und Geröll. Der Sonntag heute trägt einen schönen Namen. Exaudi. Exaudi muss man mit Ausrufezeichen schreiben und sagen. Exaudi! Nach Psalm 27,7: „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe.“ Am Donnerstag feierten wir das Fest Christi Himmelfahrt. Die Bilder gehen uns nicht aus dem Kopf. Jesus wird – vor den Augen seiner Jünger – enthoben. Aufgehoben. Weggetragen? Ich höre die Geschichte, Bilder kommen mir in den Kopf, in der himmlischen Weite verschwindet alles. Wir sehen die Wolken, ihn sehen wir nicht. Das ist eine Abschiedserfahrung. Die Erfahrung: Er ist nicht mehr da. Ob wir uns wiedersehen? Ob uns etwas bleibt? Jesus deutet an, was kommt. „Ich bin noch eine kleine Zeit bei euch, und dann gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. Ihr werdet mich suchen und nicht finden; und wo ich bin, könnt ihr nicht hinkommen.“
Abschiedserfahrungen machen wir Menschen immer wieder. Wir verabschieden uns von Menschen, manchmal für immer. Oft verabschieden wir uns auch von Träumen und Ideen. Wir kennen das Gefühl, alleine zu sein – alleine gelassen zu werden. Das ist eine Erfahrung, die traumatisch sein kann, aber auch neue Energien freisetzt. Im Evangelium ist von Wasser, von Leben die Rede, sprudelnd und belebend. Vielleicht ist das Bild von der Oase doch genau richtig… Erzählen wir doch von dem, was hinter uns liegt! Ob das Wort Wüste passt? Wir ahnen zwar, was gemeint ist, aber darüber denken wir nicht groß nach. Dass Wüsten schön sind, dass man sich in sie verlieben kann, wissen alle Globetrotter. Eine unendliche Weite, unheimlich auch. Nachts dann ein Lagerfeuer. Es ist kalt. – Im übertragenen Sinn steht Wüste aber für trockenes, ausgetrocknetes, versandetes Land. Doch die Sanddünen bewegen sich. Sie wandern. Sie lassen sich nicht festhalten. Wüsten erzählen die Geschichten von fruchtbarem Land, das längst umgekippt ist. Wir sollten auch davon erzählen, wie Menschen durch ihre Lebensweise Wüsten schaffen. Selbst Urwälder sind nicht davor gefeit, geopfert zu werden. Die Wüsten werden zu einem Bild vertrockneten, ausgetrockneten Lebens. Ohne Markierung im Atlas. Ohne Fremdenführer. Ohne Anfang und ohne Ende. Städte werden zu Wüsten. Beziehungen werden zu Wüsten. Ich schmecke Sand. Ich habe ihn in den Haaren. Er knirscht in meinem Herzen.
Oase
Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten finden wir heute eine Oase! Jesus tritt auf und ruft: Wen das dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wasser fließen! Im Volksmund heißt es, Durst sei schlimmer als Hunger. Mag sein. Verdursten geht schnell. Verdursten endet tödlich. Im übertragenen Sinn, wenn die Zunge nicht nur am Gaumen klebt, entdecken wir schnell, dass es hier um den Lebensdurst geht. Wenn wir danach fragen, welchen Sinn es im Leben gibt, nein, welchen Sinn mein Leben hat, spüren wir den Durst, der sich nicht stillen lässt, wenn wir im Bann der Zweifel und Selbstzweifel gefangen sind. Wann gelingt mein Leben? Wann erfüllt es mich ganz? Wann trägt es mich? In Wirklichkeit kann ich verdursten, obwohl ich alles habe, alles erreicht habe, alles bekommen kann. Die Dinge können mich festhalten, sie können mich sogar erschlagen, aber den Durst stillen sie nicht. Den Durst nach Liebe, nach Verstehen, nach Vergeben. Die Worte fließen wie Wasser, glitzernd in der Sonne. Wir sehnen uns nach Sinn und meinen Liebe, wir suchen Verständnis und wünschen, angenommen zu sein, wir träumen von einer anderen Welt und wollen neue Entdeckungen in der alten machen. Ich brauche eine Oase. Jetzt. Ich möchte zur Ruhe kommen. Im alltäglichen Trott funktioniere ich. Ich muss funktionieren.
Manchmal laufe ich mit hängender Zunge dem Leben hinterher. Manchmal bin ich mir selbst ein Fremder. Manchmal bin ich auf der Flucht. Spricht man mich darauf an, bestreite ich es. Es ist immer alles gut. Schwächen kann ich nicht eingestehen. Ich muss Herr meines Lebens sein. Perfekt. Obenauf. Irgendwann ist es dann tatsächlich gut. Ich kann, ich will nicht mehr. Wenn dann keine Oase in der Nähe ist – nicht auszudenken. Der Sonntag heute trägt einen schönen Namen. Exaudi. Exaudi muss man mit Ausrufezeichen schreiben und sagen. Exaudi! Nach Psalm 27,7: „Exaudi, Domine, vocem meam“; „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe“ Wir können, ganz frei, die Übersetzung wagen: „HERR, höre meine Stimme, wenn ich durstig bin“ Im Psalm 22 heißt es sogar: „Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, / alle meine Gebeine haben sich zertrennt; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs. Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe, / und meine Zunge klebt mir am Gaumen, und du legst mich in des Todes Staub.“ (15f.) Es ist ein Klagelied. Es ist das Klagelied Jesu am Kreuz. Ein Abschiedslied.
Lebendiges Wasser
Jesus ruft uns zu sich. Er nimmt Abschied von uns, lässt uns aber nicht alleine. Weil er Durst kennt, unseren Durst auch, schenkt er uns lebendiges Wasser, nichts abgestandenes, stinkendes. Es ist gar nicht so leicht, dafür Worte zu finden: Er schenkt uns die Begegnung mit ihm, er schenkt uns Liebe und Vertrauen, er schenkt uns einen neuen (und anderen) Blick auf unser Leben. Es ist ein befreiender Blick. Selbstverständlich ist nicht, über tiefe Sehnsüchte zu sprechen, die wir als Menschen eher verschweigen oder mühsam umschreiben. „Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke!“ Das macht Mut, kann aber auch durchaus als Imperativ gelesen und verstanden werden. Welchen Sinn soll es denn haben, durstig zu sein – und nicht zu trinken? Die religiöse Sprache kommt schnell an ihre Grenzen. Sie lässt Bilder entstehen, die aus allen Rahmen fallen.
Es ist auch gar nicht so leicht, Jesu Wort zu verstehen: Er ruft uns zu sich – und gibt uns zu trinken! Zu trinken! Alte mystische Erfahrungen wissen den himmlischen Trank in die schönsten Formen zu gießen: Gott zieht in unsere Seele ein. Auf der Zunge, im Herzen liegt er. Unser Leib, unsere Gedanken werden süß. Es lässt sich kaum beschreiben. Die Worte und Bilder entziehen sich uns. Nur: ich will immer mehr davon. Ständig suche ich – IHN! Unser Herz atmet auf. Auf einmal können wir wieder gehen. Wüsten fangen zu blühen an. Wir werden ankommen! Und das andere Bild drängt sich sogleich auf: Wir sind wie ein Baum – an Wassern gepflanzt. Wir vertrocknen nicht! Was wir bei Jesus finden, wird von Johannes, der uns heute das Evangelium ans Herz legt, mit der wohl schönsten Erfahrung beschrieben, die wir machen können: Unser Durst nach Leben wird gestillt. Wir empfangen nicht nur Liebe – wir sind geliebt. Liebeserklärungen haben es immer an sich, zärtlich zu sprudeln. Manchmal darf es auch ein Wasserfall sein. Urgewalt Leben.
Ströme
Zwischen Himmelfahrt und Pfingsten liegt dieser Sonntag wie eine Oase vor uns. Ob wir eine Wüste vor uns haben? Ob uns eine Wüste blüht? Aber in der Oase sprudelt eine Quelle. Grüne Pflanzen, ein Stück Paradies. Ganz viel Leben unter so viel Sand und Geröll. Der Sonntag heute trägt einen schönen Namen. Exaudi. Exaudi muss man mit Ausrufezeichen schreiben und sagen. Exaudi! Nach Psalm 27,7: „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe.“ Am nächsten Sonntag feiern wir Pfingsten. Das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes. Ausgießung ist ein sehr bescheidenes Wort. Ausschüttung trifft es besser. Gott schüttet sich selbst aus. Seinen Geist, seine Gegenwart. Darf ich sagen: den Himmel? Nichts hält er zurück. Jesus nimmt Abschied von uns – und kommt dann zu uns. Anders und neu. So hören wir seinen Ruf: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Und dann kommt er selbst wieder zu uns. Mit seinem Wort. Er steckt uns an, er begeistert uns. Entscheidungen nimmt er uns nicht ab, doch wir nehmen Maß an seinem Wort. Fragen beantwortet er uns nicht, doch in seiner Nähe wachsen uns Antworten zu. Unsere Zweifel sind ihm heilig, doch an seinem Tisch teilen wir Liebe und Geborgenheit.
Jesus sagt: Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. Dass hier die Schrift als Zeuge angerufen wird, trifft uns besonders: Es ist nicht neu, was Jesus sagt. Wir können es wissen, wir können es lesen! Ein großartiges Bild: Wir werden zu Strömen lebendigen Wassers! Nein, vertrocknete Menschen können so nicht reden. Weder von sich noch von anderen. Aber wen die Liebe Gottes in das Leben eintaucht – auch ein Wasserbild – erquickt und belebt andere Menschen. Nicht zögerlich oder zimperlich, einem Rinnsal gleich – nein, ganz in der Art Gottes, seinen Geist auszuschütten. Zu den schönsten Eigenarten der Rede Jesu gehört, dass ich mich nicht mehr nur im Spiegel erkenne: von mir geht ein Strom lebendigen Wassers aus! Fragezeichen finden wir im Evangelium nicht, eher ein großes Zutrauen: So ist es, wenn Gottes Geist uns mit Leben füllt. Wenn wir „süß“ werden von dem Trank, der uns die Süße des Himmels schenkt. Auf bitter reimt sich nicht, was wir erleben. Mit uns und mit anderen. Ich traue mich nicht, jetzt Essig in den Wein zu träufeln. Meine Zweifel und Ängste befehle ich ihm. Er kennt mich!
Gemurmel
Im Volk gibt es Gemurmel! Gemurmel über Jesus. So fängt das Evangelium auch an. Von den Pharisäern und Hohepriestern mag ich jetzt nicht reden. Aber es gefällt mir, dass Geraune und Gemurmel Jesus bewegen. Wer er ist, fragen die Leute. Warum er dieses oder jenes tut, fragen die Leute. Ich frage das auch. Heute verstehe ich, dass Jesus uns Liebe und Nähe schenkt, lebendiges Wasser. Heute verstehe ich auch, dass Jesus uns zu Strömen lebendigen Wassers macht. Er ruft uns zu sich … Er kommt zu uns … Jetzt könnte das Geraune und Gemurmel wieder anfangen! Jetzt ein wenig anders. Staunend vielleicht? Begeistert? Das Motto des Kirchentages, der heute zu Ende geht, lautet ganz einfach: “Du siehst mich” …