Tauferinnerung
"Haus der lebendigen Steine"
Predigttext: 1.Petrus 2,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede
2 und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil,
3 da ihr ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist.
4 Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar.
5 Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.
6 Darum steht in der Schrift (Jesaja 28,16): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.«
7 Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar; für die Ungläubigen aber ist »der Stein, den die Bauleute verworfen haben und der zum Eckstein geworden ist,
8 ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses« (Psalm 118,22; Jesaja 8,14); sie stoßen sich an ihm, weil sie nicht an das Wort glauben, wozu sie auch bestimmt sind.
9 Ihr aber seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht;
10 die ihr einst »nicht ein Volk« wart, nun aber »Gottes Volk« seid, und einst nicht in Gnaden wart, nun aber in Gnaden seid (Hosea 2,25).
Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen
Der 6. Sonntag nach Trinitatis ist der Taufe gewidmet. Die Lesungen dieses Tages führen von so manchen Engführungen weg, die sich in der „geübten“ Tauftpraxis – wenn auch seelsorgerlich begründet - eingeschlichen haben. Unser Predigttext ist ein Beispiel dafür, es noch einmal zu wagen, mehr Saiten zum Klingen zu bringen als die von der Segenshandlung.
Historisch spielt die Taufe auch schon in früherer Zeit eine dubiose Rolle. Sie wird über Jahrhunderte auch als Zwangsmittel eingesetzt und spielt – für Juden z.B. – die Rolle von Eintritts-Billets in die sich neu formierende bürgerliche Gesellschaft. Darum ist es wichtig, das Umfeld, die historischen und gesellschaftlichen Bezugspunkte (und „Versuchungen“) immer wieder einzubeziehen, wenn wir über Taufe nachdenken und zur Taufe einladen.
Der 1. Petrusbrief gehört zur Paulusschule. Der uns unbekannte Verfasser versteckt sich aber hinter Petrus und tritt in seine Geschichte – und Autorität - ein.
Der Text beginnt mit einer ethischen Aufforderung. V. 1 hat eine konstitutive Bedeutung für den gesamten Text und führt Kap. 1 fort. „So legt nun ab“.
Gliederung und Linienführung:
VV. 1-3 Anknüpfung an die Taufe
VV. 4+5 Der lebendige Stein und die lebendigen Steine
V. 6 Schriftbeweis 1
V. 7 Der verworfene Stein
V. 8 Schriftbeweis 2
V. 9 Das auserwählte Geschlecht
V. 10 Schriftbeweis 3
Die VV. 1-3 knüpfen an Tauferfahrungen an. Sie sind biografisch verortet, aber gemeinschaftlich, kirchlich, verknüpft und getragen. V. 1 liest sich in seiner kurzen Form wie eine Taufparänese. Ablegen lässt sich das „alte“ Kleid, „anlegen“ das neue. In der Offenbarung ist von „weißen“ Kleidern die Rede, die die Überwinder anlegen. In V. 1 liegt der Focus auf "ablegen“: Abgelegt werden Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid, Nachrede. Was sich ablegen lässt, lässt sich an 5 Fingern abzählen – passt also in eine Hand.
Auffällig ist das Zutrauen, dies überhaupt ablegen zu können! Das neue Leben lässt sich neu beginnen. Die Taufe ist gleichsam eine Übereignung an ein neues Leben, Zusage und Erfahrung in einem. Die angesprochene Begierde nach der „vernünftigen lauteren Milch“ lässt sich nicht nur als Hinweis auf frisch Getaufte und „Anfänger im Glauben“ lesen, sondern als Aufforderung, das Evangelium wie neugeborene Kinder zu schmecken. Es ist eine Ursprungserfahrung, die Ersterfahrung, die ein ganzes Leben trägt und eine Neuheitserfahrung, die nicht alt wird. V. 3 erinnert daran, dass ihr „ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist“. Es ist eine gemeinschaftliche Erfahrung, nicht nur ein Initiationsritus. Wir sind darum gut beraten, uns immer wieder an der „vernünftigen lauteren Milch“ zu laben. Wer glaubt, ihr entwachsen zu sein, kann im Glauben nicht erwachsen werden. Dietrich Bonhoeffer hat in seiner Habilitationsschrift „Akt und Sein“ dieses Kindsein zum Ausgangspunkt seiner Theologie gemacht. Die VV. 1-3 umkreisen die Erinnerung, die Verheißung und den Auftrag, getauft zu sein. Luthers berühmter Satz, in Kreide auf den Tisch geschrieben, „Ich bin getauft“, ist eine Existenzaussage („ich bin“!), die dem Teufel ins Gesicht gesagt wird. Luther weiß um Anfechtungen, die jede Hoffnung rauben.
Die VV. 4+5 weisen auf Christus als dem lebendige Stein, „der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar“. Ps. 118 wird nicht nur christologisch ausgelegt (s. auch V. 8) , sondern für die Kirche fruchtbar gemacht. „Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Haus und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.“ V. 5 erscheint wie ein Resonanzboden von V. 4. Es gibt eine Verbindung von Christus und seiner Kirche. Paulus spricht vom Tempel des heiligen Geistes.
Homiletisch ist es nicht leicht, die Steine so lebendig werden zu lassen, dass wir uns mit ihnen identifizieren könnten. Die Redeweise von lebendigen Steinen ist uns heute nicht mehr vertraut. Aber in dem alten Wort „auferbauen“ stecken unsere Worte wie Trost, Beistand und Hilfe. Ist es sehr gewagt, auch in ihnen „geistliche Opfer“ zu sehen, die Gott wohlgefällig sind? Es geht um ein neues Haus! Um einen Neubau für unser Leben, für unser gemeinsames Leben, als Getaufte. So statisch das Bild von dem Haus sein mag: es drückt aus, dass wir nicht alleine leben, nicht alleine hoffen, nicht alleine glauben. Ich will in der Predigt eine „Hauseinweihungsparty“ feiern – und durch die vielen Zimmer gehen.
Die VV. 6-11 variieren und vertiefen, was in den VV .1-5 christologisch und ekklesiologisch Tauferfahrungen ausmacht. Wir bekommen jetzt auch das Spannungsverhältnis von „kostbarer Stein“ und „Stein des Ärgernisses“ zu sehen. Die bewussten Zitate aus der Schrift beschreiben die Bedeutung und das Geschick Jesu: Jes. 28,16 und Ps. 118,22 bzw. Jes. 8,14. 1. Petr. 2,1-11 rundet einen Überlieferungszusammenhang ab, der in der Geschichte Gottes mit seinem Volk grundgelegt ist. Bilder sind: auserwählter, kostbarer Stein – von den Bauleuten verworfen – zum Eckstein geworden – ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses. Wir spüren in diesem Bild die Massivität des Widerspruchs, vor allem aber die Bedeutung des Ecksteins. Er symbolisiert ein Eigentumsverhältnis und steckt Einflusssphären ab. 1. Petr. 2, 7: Für euch nun, die ihr glaubt, ist er kostbar.
(1) Die VV. 6- 8 spielen noch einmal durch, was die biblische Überlieferung von dem „lebendigen Stein“ zu sagen hat. In Jes. 28,16. heißt es: "Darum spricht Gott der HERR: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist. Wer glaubt, der flieht nicht.“ Dieses Zitat ist – natürlich – in einem anderen Kontext zu Hause, auch in einem anderen Text! Jes. 28 spricht ein Gericht aus über Samaria, die Hauptstadt des Nordreiches (Jes. 28,1-6) und ein Gericht über die Priester und Propheten in Jerusalem (Jes. 28,7-17). In diesen Gerichtsworten wird eine – neue - Zeit des HERRN Zebaoth angesagt. Er wird eine liebliche Krone sein und ein herrlicher Kranz für die Übriggebliebenen seines Volkes (V. 5) – und er legt in Zion einen Grundsteinstein, einen kostbaren Eckstein, „der fest gegründet ist“ (V. 16). Es sind Heilsworte, die eine neue Zeit ansagen – und möglich machen. „Wer glaubt, der flieht nicht“! Die LXX übersetzt: „Wer glaubt, der wird nicht zuschanden.“ Passt das zum Bild vom Eckstein? Wir sehen ein abgestecktes Feld, einen Weg, einen Lebensraum – die vielen Beschreibungen relativieren die dem Bild inhärente Statik, sie lassen einen Raum erkennen, der Leben möglich macht. „Fest gegründet“ hat Gott auch die bewohnte bewohnbare Erde. Jes. 28,6 – nach der ersten Gerichtsankündigung – und Jes. 28,17 – nach der zweiten – verweisen auf Gottes Recht und Gerechtigkeit.
Auch darum ist V. 1 in unserem Predigttext unverzichtbar. Was dort an 5 Fingern abgezählt wird, verbindet uns, wenn auch verhalten und zugespitzt, mit den prophetischen Verheißungen. Die Individualisierung tut der Taufe nicht nur nicht gut, sie führt sogar von ihr weg. Die christologische Fundierung in 1. Petr. 2,6-8 lässt allerdings einen „Auslese-Prozess“ erkennen. Die prophetische Verheißung wird aus ihrem Kontext gelöst und mit einer neuen Geschichte verbunden. Die Gerichtsworte werden ausgeblendet. Die Verheißung bekommt den Raum der Kirche. Alles wird auf Christus ausgerichtet.
(2) Sind die VV. 6-8 christologisch konturiert, führen uns die VV. 9-10 in den Verheißungsraum der Erwählung. Termini sind: auserwähltes Geschlecht – königliche Priesterschaft – heiliges Volk – das Volk des Eigentums. Es sind einerseits priesterliche Vorstellungen und (Selbst)bilder, dann auch Bezeichnungen Israels als Volk Gottes. 1. Petr. 2,9 ist Teil einer Auslegungs- und Wahrnehmungsgeschichte, in der Israel enterbt wird. Der Text gibt das nicht her. Er stellt aber die Christen in den Verheißungsraum, der Israel geschenkt ist. Dass Christen die Schlussfolgerung gezogen haben, sich zu isolieren oder Israels Fell unter sich aufzuteilen, gehört zu der Schuldgeschichte. Es geht darum, „die Wohlaten dessen“ zu verkündigen, „der (uns) berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“
V. 10 knüpft an Hos. 2,25 an. Der ganze Briefabschnitt erreicht in diesem Bezug seinen Höhepunkt. Hos. 2 verkündet einen Bund „für sie“ – das Bild, das gebraucht wird, ist das der Verlobung. Die „Trauformel“ wird sogar vorgeben: „Du bist mein Gott“ – „Du bist mein Volk“.
Leitworte sind auch hier wieder: „Gerechtigkeit und Recht, Gnade und Barmherzigkeit“. Gott fängt noch einmal neu an – Israel fängt noch einmal neu an.
1. Petr. 2,10 hat die Vorlage konzentriert und eingepasst mit „einst“ und „jetzt“.
Nun Gottes Volk, nun in Gnaden. Das Zitat aus Hos. 2,25 führt im Kontext der Taufe in eine Liebesgeschichte. Das Wort „Wohltat“ übrigens steht für die ganze und ungeteilte Gnade Gottes. Das Wort ist alt (und auch so fremdartig wie „Gnade“), aber sehr dynamisch und lebendig: Er, Gott, ist uns gut! Er tut gut! Für Menschen, die eigentlich nicht Gottes Volks sind oder sein können, ist das tatsächlich eine Erwählung, ein Liebesbeweis, eine Verlobung.
Ein Vorschlag für die liturgische Gestaltung: Die Gemeinde schart sich um das Taufbecker (oder um die Taufschale), singt: „ Ich bin getauft auf deinen Namen“ und spricht das Glaubensbekenntnis an diesem Ort. Am schönsten freilich ist – eine Taufe im Gottesdienst.
Hauseinweihung
Wir feiern heute die Einweihung eines neuen Hauses!
Sie schauen ein wenig verdutzt. Sie wussten nichts davon? Sind nicht eingeladen worden? Kein Geschenk dabei? Kann ich verstehen … Aber gleich lichtet sich das geheimnisvolle Dunkel, das sich gerade auftut. Dazu lesen wir aus dem 1. Brief, den Petrus geschrieben hat – oder geschrieben haben soll, einen kleinen Abschnitt. Ein großes Panorama aber entfaltet sich vor unseren Ohren. Erinnerungen werden wachgerufen, Träume lebendig, selbst Steine fangen an zu atmen. Zum Hintergrund ist so viel gar nicht zu sagen – nur: wir sind heute Gast in einer kleinen Gemeinde. Wir kennen den Ort nicht, auch nicht die Zeit. Aber so wichtig ist das auch nicht – wichtig ist nur, dass durch die Taufe buchstäblich neue Lebensabschnitte begonnen haben – und beginnen. Die Menschen erzählen, was alles anders, was alles neu geworden ist in ihrem Leben. Sie haben viel zu erzählen! Sie können zwischen früher und jetzt unterscheiden. Sie bekennen sich zu Christus, sie wollen die Gemeinschaft mit ihm – und lassen ihm das letzte Wort in ihrem Leben. Sie geben ihm die größten und schönsten Ehrennamen: Eckstein, Edelstein … und das färbt bei ihnen ab! Sie nennen sich Kinder, gar Volk Gottes! Sie, diese Figuren ohne Ansehen, ohne Bedeutung, ohne Namen. Aber jetzt muss endlich Petrus zu Wort kommen.
(Lesung des Predigttextes)
Viele Bilder tauchen auf. Von Steinen ist tatsächlich die Rede, aber auch von einem auserwählten Geschlecht. Es sieht fast so aus, als ob dieses – neue -Haus ein Tempel ist – oder wenigstens einem Tempel gleicht. Sonst könnte doch nicht von Priestern die Rede sein, die hier zu Hause sind… Das sind meine erste Gedanken. Aber was mache ich in einem Tempel? Ein Tempel drückt nicht nur Würde aus – er setzt auf Distanz, trennt.Trennt “heilig” und “profan”, “fromm” und “frech”, “göttlich” und “menschlich”. In einem Tempel könnte ich nicht leben … Dann stelle ich mir ein neues Haus vor. Es muss auch noch nicht fertig sein. Aber die Zimmer sind groß, wohnlich, hell, freundlich – einladend eben. Hier ist es schön, am Abend zur Ruhe zu kommen – und am Morgen wieder aufzubrechen. Eine feine Adresse. Andere Häuser mögen größer, schöner, ausladender sein – dieses ist meins! Mein Haus! Hier bin ich Zuhause. Diese Gedanken kommen mir dann auch. Aber was mache ich alleine in einem großen Haus? Ich brauche Menschen in meiner Nähe. Hier dürfen sich alle die Schuhe ausziehen, die Füße hochlegen, einfach ablegen. Sich fallen lassen. Sich lieb haben – und auch miteinander streiten. Geschichten erzählen und träumen. Alles, was es im Leben gibt, nistet unter einem Dach. Hauseinweihung – Welches Haus weihen wir ein?
Lebendige Steine
Sie können natürlich die Frage stellen, woher überhaupt die Idee kommt, von einer Hauseinweihung zu reden. Schließlich haben wir doch alle unsere Anschriften – und selbst unser Kirchgebäude steht fest. Trotzdem: was ist eigentlich fest, eingerichtet, fertig? – Die Steine? Die Wände? Die Mauern? Auffällig ist, dass wir in dem Brief von “lebendigen Steinen” hören. Ob dieses Bild passt? Steine sind doch hart, sie lassen sich einfach übereinander schichten, sie sind mit Mörtel fest verbunden. Steine können die Zeiten überdauern. Sie stehen auch dann noch, wenn die Menschen längst verzogen oder gestorben sind. Sogar als Ruinen machen sie sich noch gut. Nur: lebendig sind sie nicht. Oder doch? Es kommt auf die Perspektive an. Petrus, wörtlich: Fels, spricht diese kleine Gemeinde, die er vor Augen hat, als – Steine an. Hier sind Menschen, die sich vertrauen, einander Halt geben, miteinander verbunden bleiben. Sie gleichen einem Gebäude, das fest da steht, Stürmen trotzt – und die Wärme der Sonne speichert. Hier wächst das Bild dann auch über sich hinaus. Es ist ein großer Reichtum, festgefügt zu sein – dabei aber nicht zu einer Mauer zu werden, die abstößt und alles an sich abprallen lässt. “Lebendige Steine” schenken dem Leben einen Raum. “Lebendige Steine” drücken Nähe aus. “Lebendige Steine” sind offen für neue Erfahrungen, Begegnungen und Entdeckungen. Vor allem: “Lebendige Steine” wachsen noch. Sie sind nicht fertig. Ist das Bild von den Steinen, die leben, nicht genau das richtige – für unser Leben?
Ich wüsste zu gerne, an welche Gemeinde Petrus denkt. Es fällt mir immer leichter, etwas zu verstehen, wenn ich Gesichter kenne – oder auch lebendige Geschichten höre. Dann fängt auch ein Text zu leben an. Die Buchstaben und Worte bekommen Farben.Leider gibt es jetzt nicht einmal eine Spur. Aber wir haben den Brief – jetzt dürfen die Bilder in unseren Köpfen wachsen. Petrus, der Fels, erzählt nämlich eine Geschichte von einem neuen Haus. Von einem neuen Haus mit vielen lebendigen Steinen! Petrus erzählt die Geschichte von Menschen, die sich in einer Gemeinde verbunden haben, die sich Christen nennen – zu Christus gehörig -, die sich haben taufen lassen. “Lebendige Steine” sind sie! Sie bauen ein Haus für ihre Hoffnungen, richten Zimmer ein für ihren Glauben – und die Türen sind offen. Erst dachte ich, mit dem Bild von “lebendigen Steinen” nichts oder nicht viel anfangen zu können – jetzt sehe ich in ihnen ganz viel Gewissheit, aber auch ganz viel Bewegung – eine große Verlässlichkeit, gepaart mit großer Offenheit. Dabei weiß ich, dass auch dieses Bild einem Geschenk gleicht. Ich würde vermutlich nie von “lebendigen Steinen” reden. Der Brief entpuppt sich als ein Kleinod. In einem Lied heißt es:
“Gott baut ein Haus, das lebt, aus lauter bunten Steinen,
aus großen und aus kleinen,eins, das lebendig ist./
Gott baut ein Haus, das lebt. Wir selber sind die Steine,
sind große und auch kleine, du, ich und jeder Christ./
Gott baut ein Haus, das lebt, aus ganz, ganz vielen Leuten,
die in verschiednen Zeiten hörten von Jesus Christ./
Gott baut ein Haus, das lebt. Er selbst weist dir die Stelle
in Ecke, Mauer, Schwelle, da, wo du nötig bist./
Gott baut ein Haus, das lebt. Er gibt dir auch das Können, lässt dir den Auftrag nennen, damit du nützlich bist”. – Es ist schön, die bunten Steine zu sehen, meine Augen wandern zu “Ecke, Mauer, Schwelle” – das Haus ist nicht zu übersehen!
Eckstein
Petrus erinnert die Menschen, an die er denkt, an die Taufe. Das ist eine besondere Erfahrung. Das ist die Erfahrung, geliebt zu sein. Angenommen. Nicht (nur) jeder für sich – miteinander! Dann wird eine existentielle, persönliche Erfahrung teilbar – und geteilt. Dann wird das Haus aus lebendigen Steinen gebaut. Liebe macht Steine lebendig. Liebe gibt Steinen Kraft. Liebe macht Steine fest. In seinem 1.Brief verweist Petrus auf Christus. Er ist doch der “lebendige Stein”. Der! Der Eckstein! Kostbar. Auserwählt. Schön. Ein Psalm klingt nach. Psalm 118. Der Psalm von Ostern und Pfingsten:
Ich danke dir, dass du mich erhört hast,
und hast mir geholfen.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben,
ist zum Eckstein geworden.
Das ist vom Herrn geschehen,
und ist ein Wunder vor unseren Augen.
Dies ist der Tag, den Herr macht;
lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein.
O Herr, hilf!
O Herr, lass wohlgelingen!
In diesem Psalm ist von der Verwerfung die Rede: Ein Stein wird verworfen, ausgesondert, für unbrauchbar erklärt. Abfall!
Es ist – eigentlich – ein alltägliches Bild aus der Welt der Maurer und Steinmetze. Nur das beste Material ist gut genug für ein Meisterwerk. Aber dann besingt der Psalm eine Entdeckung: dieser unbrauchbare Stein wird zu dem besten Stein, den man hat. Er wird nicht einfach nur verbaut, er richtet das ganze Gebäude aus. Und: dieser Stein ist der erste! Alles, was jetzt noch gebaut wird, geht von ihm aus, führt zu ihm zurück, nimmt an ihm Maß. Eckstein. Der Stein schlechthin.
Als die Christen Worte, Lieder, Bilder suchten, um das Leben Jesu zu beschreiben, fanden sie – auch – den 118. Psalm.
Jesus, verworfen, abgelehnt, ans Kreuz geschlagen – er ist der Eckstein. Er ist der Eckstein der Gemeinde, der Kirche.
Von ihm gehen wir aus, bei ihm enden wir. Er hält zusammen, was wir glauben. Er hält auch zusammen, was wir tun. Was ein lebendiger Stein ist, erblicken wir bei ihm: Liebe. Liebe, die gewiss ist wie ein Haus – Liebe, die offen ist wie ein Traum.
Wieder ist es dieses Bild von einem Stein, der fasziniert. Ich sehe Petrus diesen Stein von allen Seiten in Augenschein nehmen.nEr sieht das Kreuz Jesu, er sieht seine Auferstehung.
Wer den Tod überwindet, ist ein – “lebendiger Stein”! Der 118. Psalm wird von altersher am Ostertag gesungen. Er beschließt auch die Osterzeit. Zum Pfingsttag gehören die Worte:
Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!
Wir segnen euch, die ihr vom Hause des Herrn seid.
Der Herr ist Gott, der uns erleuchtet.
Schmückt das Fest mit Maien bis an die Hörner des Altars!
Du bist mein Gott, und ich danke dir,
mein Gott, ich will dich preisen.
Danket dem Herrn, denn er ist freundlich,
und seine Güte während ewiglich.
Petrus schreibt: “Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist, aber bei Gott auserwählt und kostbar. Und auch ihr als lebendige Steine erbaut euch zum geistlichen Hause und zur heiligen Priesterschaft, zu opfern geistliche Opfer, die Gott wohlgefällig sind durch Jesus Christus.”
Hausgeist
Jedes Haus braucht einen Hausgeist! Einen guten Geist! Schauen wir genauer hin, hat Petrus – am Ende doch überraschend – ein Haus vor unseren Augen erstehen lassen, dass in seiner außerordentlich schönen Architektur ein Lichtblick ist – wo wir doch so oft nullacht fünfzehn leben. Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid und üble Nachrede zeichnet zwar manche Nachbarschaft (oder auch Kollegenschaft) aus, aber was hier an fünf Fingern abgezählt wird, führt uns wieder in die Welt des – Ecksteins. Petrus hat noch einmal nachgesehen, was sonst noch von dem Eckstein zu erzählen ist. Fündig geworden ist er bei Jesaja, dem Propheten. Jesaja 28. “Darum steht in der Schrift (zitiert Petrus): »Siehe, ich lege in Zion einen auserwählten, kostbaren Eckstein; und wer an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden«. Schauen wir auch einmal nach, was da beschrieben wird, stoßen wir auf zwei Gerichtsreden, die dem Volk Israel gelten. Angeprangert werden Rechtlosigkeit, Willkür und Machtmissbrauch. Das ist sogar mehr als Bosheit, Betrug, Heuchelei, Neid und üble Nachrede. Aber Gott legt “einen auserwählten, kostbaren Eckstein” in Zion. Es beginnt eine neue Geschichte. Auch eine neue Geschichte unter Menschen: “Und ich – sagt Gott – will das Recht zur Richtschnur und die Gerechtigkeit zur Waage machen.”
An vielen Stellen dieser Welt, sogar vor den Augen der Öffentlichkeit, sehen wir, wie Recht gebrochen und mit Füßen getreten wird. Wir sehen den Hass wachsen und die Angst. Im Gazastreifen, in Israel, in Palästina. Die vielen Orte aufzuzählen ist schon fast nicht mehr möglich. Weltweit leiden Menschen darunter, dass ihnen keine Würde gelassen wird. Dass sie instrumentalisiert werden. Dass sie sich nicht einmal wehren können. Wehren können, missbraucht zu werden. Wenn wir schon von einem neuen Haus erzählen: In diesem Haus wird Gottes Verheißung wachgehalten, erinnert – und Menschen denken aneinander, beten für einander – und manchmal darf sogar ein lautes Wort zu hören sein: Im Namen Gottes – hört auf! “Lebendige Steine” sind eben auch mutig, ungehalten – und widerspenstig. Petrus: Wir sollen zunehmen zu unserem Heil! Zunehmen! Zulegen! Ich lade Sie ein, sich um das Taufbecken zu versammeln. Heute ist der 6. Sonntag nach Trinitatis. Dieser Sonntag ist der Taufe gewidmet. An diesem Ort lassen wir uns daran erinnern, dass wir getauft sind. Wir gehören zu Christus. Auf ihn beziehen wir uns, wenn wir ein Haus des Lebens bauen – das nie fertig wird. Aber jeden Anfang können wir feiern. Wir feiern heute die Einweihung eines neuen Hauses! Sie schauen nicht verdutzt. Sie wissen davon. Sie sind eingeladen worden. Das schönste Geschenk ist Ihre Hoffnung.