„So tröstet euch mit diesen Worten untereinander!“ – Worte des Apostels Paulus aus dem 1.Thessalonicher (4,18)
Trauer
Heute an diesem letzten Sonntag im Kirchenjahr, an dem wir all unserer Verstorbenen des zu Ende gehenden Kirchenjahres gedenken, sind wir nicht freiwillig hierher gekommen. Es sind eher traurige Gefühle, die sich heute am Totensonntag unserer bemächtigen. Es ist kein leichter Tag für die, die um einen Menschen trauern. Es ist ein Tag, an dem auch der Gang zum Friedhof mit dazugehört. Und wer vor den Grab eines geliebten Menschen steht, wird gewahr, wie sehr der Verlust bewegt und schmerzt. Gewiss, es mag ein Unterschied sein, ob man einen altgewordenen Menschen betrauert oder einen, der nicht alt hat werden dürfen. Doch nur jeder selbst weiß um seinen Schmerz, den er ertragen und aushalten muss.
Zu Bewusstsein kommen die Erinnerungen an vergangene Zeiten: Zeiten, in denen man sich im Geiste nahe war. Zeiten gemeinsamer Wünsche und alltäglicher Arbeit. Zeiten, in denen man miteinander gefeiert hat und fröhlich beisammen war. Vielleicht auch Zeiten, in denen man miteinander über Kreuz lag und sich angeschwiegen hat. Das alles, diese unterschiedlichen Facetten machen unser Leben aus. Wie gerne würde man die Zeit noch einmal zurückdrehen. Vielleicht um sich noch einmal nahe zu sein. Um noch einmal Zeit füreinander zu haben. Um noch etwas auszusprechen, was ungesagt geblieben ist, weil man sich nicht getraut hat oder die Gelegenheit dazu einfach nicht gegeben war.
Der Tod ist der Feind aller Zeit, die uns in unserem Leben gegeben ist. Dieser Tod hält sich an keine Regeln. Er kommt mit Ankündigung oder kommt überraschend. Er zeigt sich in Naturkatastrophen wie einem verheerenden Tsunami 2003 oder Terrorangriffen wie gerade in Frankreich erlebt. Er kommt als Krankheit über uns oder reißt uns durch einen Unfall aus unseren Beziehungen. Er fragt nach keinem Lebensalter. Im hohen Alter kann er gewiss auch eine Erlösung sein und ein beschwerlich gewordenes Sein aus Schmerz und Leid erlösen. Aber auch dann ist er für die, die zurückbleiben noch eine Anfechtung und Erschütterung. Denn bei jedem nahegehenden Tod denken wir auch an unser eigenes Lebensende.
So konfrontiert uns die Erfahrung des Abschiednehmens unweigerlich mit unserer eigenen Sterblichkeit. Wo wir lesen oder hören, dass jemand unseren Alters in unserer Umgebung aus dem Leben gerufen wurde, können wir erschrecken und erbleichen. Solche Nachrichten machen uns sehr deutlich, dass auch wir nur auf Zeit in dieser Welt zuhause sind. Und wir wissen nicht, wann und wie unsere Stunde schlagen wird. Doch wir spüren in diesem Moment, wie ungeschützt und ausgeliefert wir sind gegenüber dem Letzten, worüber wir keine Kontrolle und Macht haben. Und dabei mag sich auch die Frage stellen, womit wir zu rechnen haben. Ist der Tod das Ende allen Lebens oder glauben wir, dass darüber hinaus noch etwas sein wird?
Trost
Die Menschen der Bibel hat diese Frage umgetrieben. Und sie haben Antworten in ihrem Glauben darauf gesucht. Der Apostel Paulus hat das Sterben und Auferstehen Jesu Christi als Zeichen dafür gesehen, dass es für uns ein Leben nach dem Tod geben wird. Das hat er als Lichtstrahl der Hoffnung erkannt, der in das Dunkel unser Trauer zu scheinen vermag, wenn wir durch das dunkle Tal der Traurigkeit und des Schmerzes gehen. Jesus selbst hat seinen Jüngern gesagt: “Ich lebe und ihr sollt auch leben!” um sie zu ermutigen in all dem Unberechenbaren des Lebens, das uns betreffen kann. Er wusste um unsere ängstlichen Seelen und hat uns versucht zu trösten: “In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!”
Wenn der Verlust eines Menschen uns bedrückt, wenn wir aber keine Worte finden, darüber zu reden, dann sind es vielleicht Bilder, die unsere Gefühle auffangen und beherbergen können. Bilder, in denen Hoffnung zuhause ist. Bilder, aus denen eine sanfte Kraft strömt. Bilder, die über die Abgründe und unsere Resignation hinwegtragen. Am Ende der Bibel, in ihrem letzten Buch, der Offenbarung des Johannes begegnen wir solchen Bildern. War doch am Anfang der Bibel zu lesen, dass Gott Himmel und Erde geschaffen hat, so hören wir am Ende von dem neuen Himmel und der neuen Erde. Der einst aus dem Nichts das Sein durch sein Wort hervorgerufen hat, will es wieder tun, indem er alles neu machen will.
Es ist ein schönes Bild, das da gemalt wird: Gott selbst wird nicht mehr fern und unsichtbar, dunkel und unnahbar sein, sondern mitten unter seinen Menschen wohnen. Gottes Hütte wird bei den Menschen sein, seine Anwesenheit wird ihnen Ruhe und Gelassenheit geben. In Frieden werden dann alle beieinander wohnen. Ohne Angst und Schmerz werden sie leben. Dann wird die Sprache einfühlsam und das Bild, das der Seher Johannes gebraucht, ganz und gar zärtlich: “Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen!” Wer von uns kann sich das vorstellen. Ein wunderbares Bild! Gott selbst tröstet einen jeden verletzten Menschen, wie eine Mutter oder ein Vater, indem er die Tränen aus den Augen der Weinenden wischt.
Wir können es nicht anders sagen als in Bildern, die zu trösten versuchen. Bilder, die Hoffnung atmen. Bilder, die davon sprechen, dass das Verletzende keine Kraft mehr hat und Versöhnung möglich ist. Bilder, die ausdrücken wollen, dass aller Schmerz geheilt ist und niemand mehr leiden muss. Es gibt keine Bedrohung mehr, die uns in Angst und Schrecken versetzen könnte. Darum muss niemand mehr klagen und anklagen. Niemand muss mehr weinen und alle Tränen sind getrocknet. Das sind hoffnungsfrohe Bilder, die uns gut tun. Die unseren gesenkten Blick heben, weil sie sagen, dass die Liebe stärker ist als der Tod. Die Liebe die alles umfängt, die niemals aufhört, die jetzt nur bruchstückhaft erkennt. Aber einst wird unsere Liebe erkannt werden, der jetzt alle Erinnerung anvertraut ist. Und unsere Liebe wird erkennen, was heute noch verborgen ist!
Glaube
>Ein junger Mensch kam zu einem älteren, der vor einiger Zeit einen lieben Angehörigen verloren hatte. Er fragte ihn: “Wie kamst du mit deiner Trauer zurecht?”
Der Ältere antwortete lange nicht. Dann sagte er: “Ich will dir eine meiner Erfahrungen mitteilen. Nimm da den Korb mit den schmutzigen Steinen und geh hinten zu dem Brunnen, um Wasser zu schöpfen.”
Der junge Mann kam unwillig zurück und sagte: “Warum soll ich das tun? Es ist doch sinnlos, mit einem Korb Wasser zu schöpfen, dazu noch mit schmutzigen Steinen gefüllt.”
Doch der Ältere gab zur Antwort: “Tu, was ich dir sage. Der Gang wird deine Muskeln stärken, das Gewicht wird irgendwann leichter werden. Geh noch einmal!”
Der junge Mann tat es, kehrte aber nach einiger Zeit erzürnt zurück und sagte: “Eine sinnlose Arbeit!” Schau in den Korb!”, sagte der Ältere, “siehst du, was mit den Steinen geschehen ist? Sind sie nicht schon fast sauber geworden?”
Der junge Mensch verfiel ins Nachdenken und gab ihm schließlich Recht: “Es stimmt. Das Wasser können die Tränen sein, die abspülen, was im Moment des Todes alles so schmutzig und schwierig erscheinen lässt.”
“Ja”, sagte der Ältere, “so wirkt die Trauer: Sie ist zunächst eine schwere Arbeit, manchmal sogar Schwerstarbeit. Und sie erscheint sinnlos. Aber sie kann wieder zur Quelle führen und stärkt unsere Kräfte. Nur indem wir uns der Trauer stellen, ihre Schwere annehmen und durchtragen, merken wir, dass sie im Laufe der Zeit leichter wird. Wir erkennen, wenn wir in Bewegung bleiben, wie die Kräfte wieder wachsen, die Dinge des Alltags selbst und allein zu tun, die früher der bzw. die andere getan hat. Das Belastende bleibt, aber die Last ist nicht mehr so schwer wie vorher, weil wir langsam wieder Kraftquellen finden.”
Der Ältere hielt inne und dachte nach. Dann sagte er lächelnd: “Es ist auch wie der Gang zum Grab. Wir holen Wasser für die Blumen, die wir dem Verstorbenen mitgebracht haben. Die Blumen brauchen das Wasser, um aufzublühen und ihre Blüten lange zu erhalten. Der Tod ist zwar etwas Endgültiges und trennt uns voneinander, aber warum sollen uns nicht die Blumen des Glaubens aufblühen? Wir Christen glauben, dass dem Verstorbenen neues, ewiges Leben geschenkt wird, also ihm neues Leben bei Christus erblüht. Warum sollen in diesem Glauben nicht auch uns, die wir zurückbleiben, neue Knospen sprießen, die uns Hoffnung und Zuversicht schenken.”< (Aus: Eine jüdische Weisheitsgeschichte, verändert nach Werner Gutheil)