Trost in der Sommerfrische
Johannistag – Kalendarisches Beziehungsgefüge
Predigttext: Jesaja 40,1-8 (Übersetzung nach Martin Luther)
Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist; denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden. Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden; denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden, und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat's geredet. Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen? Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein. Ja, Gras ist das Volk! Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.
Johannistag am 24. Juni – das sind Sonnenstrahlen und Sommerfrische, der Duft von Lavendelblüten und frisch geernteten Erdbeeren. Der Garten muss gegen die Trockenheit mit viel Wasser gesprengt werden, eine Erinnerung an die Wüste des Jesaja. Die Spargelernte ist unwiderruflich an ihr Ende gekommen. Gräser und Blumen schäumen in voller Blüte. Die Tageshelligkeit hält bis tief in die Nacht hinein, die Sonne will gar nicht untergehen am Abend. Je weiter man nach Norden kommt, desto kürzer dauern die Phasen der Dunkelheit. Sommertrunkene Menschen finden Gründe genug, die Schönheit der Natur und des Jahreslaufs mit Picknick und Johannesfeuer ausgelassen zu feiern.
In die Fülle der Sommerfarben, in die nicht enden wollenden lauen Sommerabende mischt sich leise ein Element des Geistlichen und Biblischen. Dieser Spur des kommenden Heilands will ich folgen. Sommerlich leicht sollen Musik und Weisheit, Glauben und Natur verbunden werden, um am Ende Trost im Glauben zu finden.
Der geistliche Johannistag begann vor zweitausend Jahren mit einem unsichtbaren Hüpfen, das nur Elisabeth, die Mutter Johannes des Täufers spürte. Das im schwangeren Bauch geborgene Kind hüpfte gerade in dem Moment, als die Mutter ihrer Verwandten Maria begegnet. Maria war schwanger wie Elisabeth, und die ungeborenen Babies erkannten sich ohne Worte und Sehen. Die in der Schwangerschaft begonnene Beziehung sollte anhalten. Und mit diesem Hüpfen setzen die Kalendergleichungen ein, die theologische Mathematik des Johannestags. Denn die Verkündigung des Erzengels an Maria fällt auf den 25. März.
Wenig später begegnet Maria ihrer Verwandten Elisabeth, deren Schwangerschaft schon in den sechsten Monat fortgeschritten ist. Darum muss Johannes der Täufer drei Monate später geboren werden. Der 24. Juni – genau heute. Wiederum sechs Monate nach Johannes wird Jesus geboren, am 24. Dezember. Die beiden errechneten Geburtstermine fallen zusammen mit der Sonnenwende, im Sommer wie im Winter. Ab morgen werden die Tage kürzer, nach Weihnachten werden sie wieder länger. Heilsgeschichte und Sonnenlauf verbinden sich miteinander, genau wie der Stern von Bethlehem auf Weihnachten verweist und die Sonne auf den unsichtbaren Gott. Jesus und Johannes, heiliger Abend und Johannestag – das ist aufeinander bezogen. Dafür sorgen die gemeinsamen Berechnungen von Astronomie, Theologie und Mathematik.
Es entsteht ein kalendarisches Beziehungsgefüge, ausgerichtet auf das kommende Reich Gottes. Johannes wirkt in diesem Gefüge als Vorläufer, Vorbereiter, Ankündiger, als hinweisender Prophet. Er war das hüpfende Baby, der Wüstenprophet, der mit dem Finger auf das Leben und Predigen des Jesus von Nazareth zeigte, auf die großen Taten Gottes.
Die ersten Christen erkannten diese Fingerzeige schon in den alten Worten des Propheten „Deuterojesaja“, des „zweiten Jesaja“, dessen Hoffnungsbotschaft als Predigttext zu hören war. Die gepeinigten, gedemütigten Bewohner Israels sollen getröstet werden. Der Prophet redet mit Jerusalem so freundlich wie nur möglich. Die Wüste verändert sich. Gottes Wort bricht sich Bahn. Die wartenden Menschen werden endlich Gott erkennen. Aber neben aller Freude mischt sich der Gedanke an Tod und Trauer in die Worte des Jesaja. Trotz aller blühenden Sommerblumen: Alles Fleisch ist wie verblühtes Gras. Ich komme darauf zurück.
Aus den Worten des Deuterojesaja und aus dem Leben Johannes des Täufers ist zu lernen: Glaube ist Abwarten. Glaube ist Vorbereiten. Glaube ist Vorausdeutung und Hoffnung. Glaube ist der Blick weg von sich selbst auf einen anderen.
Das hat auch der Komponist Johann Sebastian Bach gewusst, der mehrere Kantaten auf den Johannistag geschrieben hat. Eine dieser Kantaten (BWV 30) trägt den schönen Titel „Freue dich, erlöste Schar“. Schon im Titel sind Freude und Trost aufgerufen, und den ersten Kantatenteil beschließt ein Choral, aus dem in Reimen und Versen die alten Worte des Propheten Deuterojesaja klingen:
„Eine Stimme lässt sich hören In der Wüste weit und breit,
Alle Menschen zu bekehren: Macht dem Herrn den Weg bereit,
Machet Gott ein ebne Bahn, Alle Welt soll heben an,
Alle Täler zu erhöhen, Dass die Berge niedrig stehen.“
Deuterojesaja spricht von der Stimme des Rufers in der Wüste. Wie die ersten Christen erkennt Bachs Librettist in dieser Stimme den kommenden Johannes den Täufer, der in die Wüste ging, um der Menschenmenge aus den Städten und Dörfern Israels Bußpredigten zu halten und sie im Jordan zu taufen. Stadt- und Dorfmenschen suchen die Abgeschiedenheit der Wüste, weil sie in ihrem Alltag nicht mehr zufrieden sind. Jerusalem zur Zeit Johannes des Täufers stand unter römischer Besatzung, was Glaubensfreiheit und Alltagsleben erheblich behinderte, zum Beispiel mit Steuerlasten beschwerte.
Der Johannestag nahm Jahrhunderte später nicht Buße und Umkehr auf, sondern die Freude über die kommende Erlösung. Die Christen besuchten den Gottesdienst am Vorabend des Tages und zündeten Johannisfeuer um abseits von Alltag und Haushalt ausgelassen zu feiern. Davon spiegelt sich etwas in einer großen bürgerlichen Oper, mit der man in einem Gottesdienst vielleicht gar nicht rechnet. Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ beginnt nach dem Vorspiel mit einer Gottesdienstszene in der Nürnberger Katharinenkirche. Die Gemeinde singt einen Choral: „Edler Täufer, Christ’s Vorläufer! (…) Nimm uns freundlich an, dort am Fluß Jordan.“
Mit der Taufe des Johannes verbindet sich die gesungene Erinnerung an Erlösung und Trost. Nach dem Gottesdienst fangen die Verwicklungen der sommerlichen Johannesnacht an, in deren Verlauf die Liebe zwischen der Meistertochter Eva (die nicht zufällig diesen Namen trägt) und dem genialen Walter von Stoltzing auf eine harte handwerkliche Probe gestellt wird. Es wird bis zum Happy End im dritten Akt und darüber hinaus dauern, bis Walter und Eva ihr gemeinsames Kind in der Katharinenkirche zur Taufe bringen können. Zuvor müssen sie den turbulenten Johannistag überstehen, den die Lehrbuben der Meister so ankündigen: „Johannistag! Johannistag! Blumen und Bänder, so viel man mag!“
Nicht jeder Opernregisseur legt große Aufmerksamkeit auf diese theologischen Details, aber wer das Libretto Richard Wagners liest, kommt nicht um die Beobachtung herum, dass die Geschichte des Täufers und der Johannistag selbst für Richard Wagner von großer Bedeutung waren. Das gilt auch für die eine Oper von Richard Strauß, die sich zentral um Leben, besser um den Tod und die Hinrichtung Johannes des Täufers dreht: „Salome“. Die verwöhnte Prinzessin Salome, Tochter des Königs Herodes, hört die Stimme des gefangenen Johannes, der aus einer Zisterne in der Erde seine Botschaft ruft:
„Es kommt ein Tag, da wird die Sonne finster werden wie ein schwarzes Tuch.
Und der Mond wird werden wie Blut, und die Sterne des Himmels werden zur Erde fallen
wie unreife Feigen vom Feigenbaum. Es kommt ein Tag, wo die Kön’ge der Erde erzittern.“
Diese Worte hörte die Hofgesellschaft um Herodes und Salome herum selbstverständlich nicht so gerne. Wie von ferne spiegeln sich auch in diesem Monolog des Johannes die Worte des Deuterojesaja. Aber vom Trost ist wenig übriggeblieben. Dieser Johannes, der in der Oper Jochanaan heißt, verkündet Unheil. Und das wird ihn sein Leben kosten. Das Libretto der Oper von Richard Strauß stammt von Oscar Wilde, der wiederum auf die neutestamentlichen Geschichten über den Täufer zurückgriff, ihnen aber eine andere Wendung gab. Ein Pfarrer, der die Oper gesehen hatte, sagte nach einer Aufführung resigniert: Das ist alles ganz heidnisch, aber eine wunderschöne Musik. Richard Strauß sah nur die tragisch-gewalttätige Liebesgeschichte zwischen Prophet und Prinzessin. Theologisch reicht das nicht aus.
Im Neuen Testament ist Johannes der Täufer der Vorgänger, der Vorbereiter, der Prophet, der den entscheidenden Fingerzeig auf Jesus gibt. Zum berühmten Isenheimer Altar Matthias Grünewalds, der heute in Colmar im Elsass hängt, gehört auch eine Kreuzigungsszene. In sie hinein hat der Maler auch Johannes den Täufer gemalt, als Vorbereiter und Vorläufer dargestellt. Die Theologie ist dem Maler so wichtig, dass sie die Anatomie des Johannes beeinflusst: Sein Finger, der auf den Gekreuzigten deutet, ist viel größer geraten als es die Biologie eigentlich vorsieht. Über dem Zeige-Finger steht in lateinischer Sprache: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ (Joh 3,30)
Genau in diesem Hindeuten und Ankündigen wurde Johannes der Täufer zum großen Vorbild für eine bestimmte Haltung des Glaubens. Wer glaubt, der richtet sich auf Jesus Christus aus. Wer glaubt, kann abwarten und hoffen. Dieser Glaube ist weit ausgespannt. Auf der einen Seite stehen Trost, Erlösung und Heil, eingebettet in blühende Sommerfrische, strahlende Sonne und laue Sommernächten mit Johannisfeuern. Auf der anderen Seite steht das Verwelken der Blüten, das Verdorren des Grases, Verfallenheit, Fäulnis, Leid und Trauer.
Alles Fleisch ist wie Gras, sagt Deuterojesaja. Leben ist eingespannt zwischen Trauer und Freude, zwischen Verzweiflung und Fröhlichkeit. Beides gehört zum Leben dazu, Trauer und Tod lassen sich nicht herauskürzen, nicht verdrängen, nicht beiseite schieben. Darum brauchen Menschen, die gerne glauben wollen, so etwas wie Vorbereitung, Aufnahmebereitschaft und Hoffnung. Dieser Glaube ändert weder die Welt noch den Alltag. Aber er fügt beidem die hoffnungsvolle Erwartung hinzu, dass das Hin und Her zwischen Trauer und Freude irgendwann ab- und aufgelöst wird, durch den Heiland Jesus Christus. In ihm zeigt sich Gottes Wahrheit in ihrer ganzen Fülle. Er ist der Heiland, für den sich die Wege der Wüste ebnen. Für ihn lohnen sich Vorbereitung und Aufbruch.
Der Friede Gottes, welcher heller leuchtet als jedes Johannisfeuer, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Nachbemerkung:
In der Predigt werden Musikstücke und Bilder zitiert. Dazu habe ich einen Blogbeitrag zusammengestellt, auf der man alles nachhören und -sehen kann: (https://wolfgangvoegele.wordpress.com/2018/06/19/musik-zum-johannistag/).
Einen ganz großartigen Beitrag zum Johannistag hat Pfarrer Dr Vögele zusammengestellt. Er beginnt mit der schönen Natur am Johannistag und der Geburt von Johannes dem Täufer am 24. Juni , ein halbes Jahr vor Jesus. Die Müzzer sind ja Elisabeth und Maria. Dann schlägt der Prediger einen Bogen zu Deuterojesaja und Jonann Seb. Bach und zur Buße am Johannistag. Wagners Meistersinger beginnen mit Johannes und Richard Strauß verwendet ihn in Salome. Zum Schluß wird an Johannes als Vorgänger von Jesus erinnert und dazu Deuterojesaja zitiert. Welche reiche fülle von Bezügen zum Johannistag !
Vielen Dank für das Spannen dieses großen Johanni-Bogens…. eine schöne und lehrreiche Reise!