Predigt

Trost- und Lebensworte

Suchen - zurückbringen - verbinden - stärken

PredigttextHesekiel 34,1-2(3-9)10-16.31 (mit Exegese)
Kirche / Ort:Groß Grönau
Datum:18.04.2021
Kirchenjahr:Miserikordias Domini (2. Sonntag nach Ostern)
Autor:Pastor em. Rudolf Albrecht

Predigttext: Hesekiel 34,1-2(3-9)10-16.31 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)

1Und des HERRN Wort geschah zu mir: 2Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels, weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? (3Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. 4Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt. 5Und meine Schafe sind zerstreut, weil sie keinen Hirten haben, und sind allen wilden Tieren zum Fraß geworden und zerstreut. 6Sie irren umher auf allen Bergen und auf allen hohen Hügeln und sind über das ganze Land zerstreut, und niemand ist da, der nach ihnen fragt oder sie sucht.

7Darum hört, ihr Hirten, des HERRN Wort! 8So wahr ich lebe, spricht Gott der HERR: Weil meine Schafe zum Raub geworden sind und meine Herde zum Fraß für alle wilden Tiere, weil sie keinen Hirten hatten und meine Hirten nach meiner Herde nicht fragen, sondern die Hirten sich selbst weideten, aber meine Schafe nicht weideten, 9darum, ihr Hirten, hört des HERRN Wort!) 10So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will an die Hirten und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.

11Denn so spricht Gott der HERR: Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. 12Wie ein Hirte seine Schafe sucht, wenn sie von seiner Herde verirrt sind, so will ich meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. 13Ich will sie aus den Völkern herausführen und aus den Ländern sammeln und will sie in ihr Land bringen und will sie weiden auf den Bergen Israels, in den Tälern und wo immer sie wohnen im Lande. 14Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; da werden sie auf guten Auen lagern und fette Weide haben auf den Bergen Israels. 15Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der HERR. 16Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen und das Verwundete verbinden und das Schwache stärken und, was fett und stark ist, behüten; ich will sie weiden, wie es recht ist.

31Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der HERR.

Kurze Exegese

V.1 Der Predigttext beginnt mit der typischen prophetischen Einleitungs-Formel: „Und des HERRN Wort geschah zu mir“.Sie soll die folgenden Gottesworte als geschichtliches, objektives Ereignis und das Wirken des Propheten unter der direkten göttlichen Führung dokumentieren.

V.2 leitet den Weheruf ein: „Du Menschenkind, weissage gegen die Hirten Israels…: So spricht Gott der HERR: Wehe den Hirten Israels“ … Die regelmäßige namenlose Anrede ben-adam kennzeichnet die menschliche Schwäche im Unterschied zur Majestät Gottes.

V.3-6 folgt die harte Anklagerede gegen die schlechten Hirten.

V.7-10 Nach erneuter Rahmung (V7) werden die Vorwürfe zusammenfassend begründet (V8). Die nochmalige Aufforderung zum Hören (V9) sagt mit dem Drohwort (V10) das Ende der schlechten Hirten und die Rettung der Schafe an.Radikaler als die Propheten vor ihm klagt Hesekiel die politische Führung in Juda an. Ihre Misswirtschaft und Ausbeutung führt zu der Entfernung aus ihrem Amt und endgültigen Verwerfung.

V.11-15 Mit V.11 geht die Gerichtspredigt in Heilsverheißung über. Durch das vergeltende Einschreiten Gottes als des Eigentümers der Herde wird ein Neuanfang gesetzt: Jahwe will sich selbst seiner Herde annehmen (V11; anders 34,23ff!);er will die zerstreuten Schafe von allen Orten erretten (V12),aus den Ländern sammeln (hebr. kabaz; im Kibbuz haben sich Überlebende nach dem Holocaust gesammelt) und in ihr Land bringen (V13); er will sie auf die beste Weide führen (V14)und selbst seine Schafe weiden (V15).

V.16 In umgekehrter Reihenfolge zu V4-6 und positiver Sicht wird geschildert, dass Jahwe das Verlorene suchen, das Verirrte zurückbringen, das Verwundete verbinden, das Schwache stärken will. Auch die Fetten und Starken, die kräftigen und gesunden Tiere, der Stolz eines Hirten, will Jahwe als der rechte Hirt behüten und weiden, wie es sich gehört.

V.31 Kapitel 34 wird mit der alten Bundesformel („ihr mein Volk, ich euer Gott“) abgeschlossen. Dieser Schlussvers weistals späterer Zusatz unter dem vertrauten Bildwort Hirt/Herde auf den Anfang zurück und bindet das ganze 34. Kapitel zusammen.

Zusammenfassende und weiterführende Gedanken

Vom ersten bis zum letzten Satz redet und handelt nur Gott.Gottes Wirken durch Gericht und Neuanfang entfaltet Hesekiel durch das uralte, vertraute Bildwort von Hirt und Herde (vgl. Jer 23,1ff ). Die „Hirtenrede/Hirtenschelte“ c. 34 wird allgemein nach dem Fall Jerusalems 587 v.Chr. datiert. Sie markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Gottesvolkes: mit dem Niederbrennen des Tempels auch das Ende des Staates Juda und des Königtums, und zugleich die Wende in Gott und seinem Propheten von der Gerichts- zur Heilsansage. Das ist das Besondere unseres Predigttextes.Nach dem vernichtenden Drohwort V.10 schlägt die Gerichtspredigt gegen die Führungsschicht in Heilsverheißung für das Volk um. Gott verheißt einen Neuanfang: er will als der rechte, verantwortungsvolle Hirte sich seines Volkes selbst annehmen, es suchen und sammeln, erretten und weiden (V.11ff).

Jahwes einzigartige Heiligkeit und Majestät ließ seinem untreuen Volk die Schändung seines Namens (schem) und seiner Herrlichkeit (kabod), den wiederholten Bundesbruch und Götzendienst und unmenschliches Verhalten im Alltagnicht durchgehen. Das Gericht Gottes ist in den Katastrophen Jerusalems und Judas 598 und 587 v.Chr. und den Deportationen nach Babylon geschehen (s.33,21).

Erst nach vollzogenem Gericht an den schlechten Hirten (34,2ff) und der Herde (34,17-22) schließt Gott aus Treue zu sich selbst einen neuen „Bund des Heils“ (34,25). Hes 34 ist eine Einheit. Aus zeitlichen Gründen kann eine Einbeziehung von 34,23ff (Friedensreich mit sicherem Wohnen und reichen Ernten) in der Predigt nur knapp erfolgen. Ebenso ist nur ein kurzer Hinweis auf Gottes Gabe eines neuen Herzens und Geistes (36,26; vgl. Jer 31,33) als Beispiel für Gottes neues gnädiges Handeln möglich. Hesekiels strenges Gottesbild möchte ich mit tröstlichen Gottesworten aus Deuterojesajaergänzen.

Hinführung zur Predigt

Durch die Dörfer ziehen keine Hirten mehr mit ihren Schafen, in den Schlafzimmern hängen keine Hirtenbilder mehr, das Kinderlied: „Weil ich Jesu Schäflein bin“ wird nicht mehr gesungen. Doch das alte Bildwort Hirt/Herde wird auch heute verstanden.

Der Schritt von der Hebräischen Bibel zum Neuen Testament ergibt sich am Hirtensonntag von selbst: unser guter Hirte Jesus hat uns glaubhaft zu dem gerechten, rechten Hirtengeführt. Er hat uns in seinem Gleichnis von den verlorenen Söhnen und der grenzenlosen Liebe ihres Vaters Gott als den uns vorbehaltlos liebenden Vater nahegebracht (Lk 15). Mit seiner großen Hirtenrede vom Guten Hirten (Joh 10) bekennt seine Gemeinde, dass in ihm die prophetische Weissagung erfüllt ist.

Meine Fragen: Wurde der Predigttext den ersten Hörer/innen zu einem hilfreichen, heilenden Lebenswort und Wegweiser?Wie war ihre historische Situation? Welches Gottesbild vermittelt Hesekiel? Welche Lebensworte tragen uns? Wem folgen wir?

Während der Ausarbeitung wechselte ständig die tagespolitische Situation. Darum habe ich die biblisch-theologischen Zusammenhänge stärker betont. Der Predigttext ist sehr lang und sollte für die Gemeinde vervielfältigt werden.Coronabedingt muss der Versuch unterbleiben, mit derGemeinde im Dialog Worte und Sprüche, die uns im Leben begleitet und getragen haben, zur Sprache zu bringen.

Leitgedanken

Gott will, dass wir leben; er gibt uns heilende, weiterhelfende Worte des Lebens.

Gott handelt als ‚rechter Hirt‘ in Gericht und Gnade verantwortungsbewusst an seinem Volk.

Gott tröstet sein Volk und schafft neues Leben.

Gott verheißt seinem Volk seinen Schalom, dauerhaften Frieden und heilvolle Zukunft.

Unser gute Hirte Jesus Christus hat Gott als uns liebenden Vater vorgelebt.

Literatur

W. Eichrodt, Der Prophet Hesekiel, Kapitel 19-48, ATD 22/2, Göttingen 1969. G.v.Rad, Theologie des Alten Testaments, Band II, München 1965. C. Kuhl, Israels Propheten, Dalp-TB, Band 324, 1956, S. 87ff. W. Zimmerli, Das Gesetz und die Propheten, Jeremia und Ezechiel, S. 119ff, Göttingen 1963. J. Jeremias: Der Hirte im AT und NT, Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Band VI, 1959, S. 486-495 und: Die Gemeinde als Herde im AT und NT, S. 499-501. Preisker/Schulz, Art. probaton, ThWBNT, Band VI, S. 689ff.

H-D Neef / B. Weyel, Predigtstudien III,1. 2020/21, S. 244-251; auch: Predigtstudien III,1. 1998/99, S. 257ff und 2004/05, S. 257ff. M. Lehmann-Etzelmüller, Gottesdienstpraxis III,2. 2021, S. 137-145; auch: Gottesdienstpraxis III,2 1999, S. 135ff und 2005, S. 118ff.De.wickipedia.org.: Hesekiel; auch: Babylonisches Exil; mehrMaterial im Internet.

Neuigkeiten

Aus den Quellen schöpfen

Die mit exegetischen Impulsen, Gebeten und einem Essay zu "Exegese und Homiletik" verbundenen Auslegungen wissen sich in einer weltweiten Communio, die "aus den Quellen des Heils" schöpft (Jesaja 12,3)... mehr lesen

Herzlich willkommen!

Neuauftritt Heidelberger Predigt-Forum mehr lesen

Alle Neuigkeiten lesen

Spenden

Die Nutzung des Heidelberger Predigt-Forums ist kostenlos. Das Redaktionsteam arbeitet ehrenamtlich. Kosten entstehen für Hosting sowie professionelle Websitepflege. Durch Ihren Obolus helfen Sie uns bei der Finanzierung.

Überweisung jetzt per paypal und flattr möglich.
Vielen Dank.
Heinz Janssen
Heidelberger Predigt-Forum