Predigt

Überwindung von Hass und Streit

Jeder Mensch hat eine Berufung

PredigttextJesaja 49,1-6
Kirche / Ort:Melanchthonkirche / Mannheim-Neckarstadt
Datum:30.09.2012
Kirchenjahr:17. Sonntag nach Trinitatis
Autor:Pfarrer Dr. Vinzenco Petracca

Predigttext: Jesaja 49,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merket auf! Der HERR hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. 2 Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt. 3 Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will. 4 Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz, wiewohl mein Recht bei dem HERRN und mein Lohn bei meinem Gott ist. 5 Und nun spricht der HERR, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, daß ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde, - darum bin ich vor dem HERRN wert geachtet, und mein Gott ist meine Stärke -, 6 er spricht: Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Heiden gemacht, daß du seist mein Heil bis an die Enden der Erde.

(Einheitsübersetzung, 1980:)

1 Hört auf mich, ihr Inseln, merkt auf, ihr Völker in der Ferne! Der Herr hat mich schon im Mutterleib berufen; als ich noch im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt. 2 Er machte meinen Mund zu einem scharfen Schwert, er verbarg mich im Schatten seiner Hand. Er machte mich zum spitzen Pfeil und steckte mich in seinen Köcher. 3 Er sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit zeigen will. 4 Ich aber sagte: Vergeblich habe ich mich bemüht, habe meine Kraft umsonst und nutzlos vertan. Aber mein Recht liegt beim Herrn und mein Lohn bei meinem Gott. 5 Jetzt aber hat der Herr gesprochen, der mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht hat, damit ich Jakob zu ihm heimführe und Israel bei ihm versammle. So wurde ich in den Augen des Herrn geehrt, und mein Gott war meine Stärke. 6 Und er sagte: Es ist zu wenig, daß du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs wieder aufzurichten und die Verschonten Israels heimzuführen. Ich mache dich zum Licht für die Völker; damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.

Exegetische und homiletische Überlegungen

Der Predigttext ist das zweite Gottesknechtlied. Umstritten ist in der Forschung, wer mit dem Gottesknecht gemeint sein könnte. Beim Gottesknecht handelt es sich m. E. um eine Einzelperson, nicht um eine kollektive Größe. Nach dem Textbestand (V. 3) müsste aber der „Gottesknecht“ und „Israel“ identisch sein. Meist wird indes angenommen, dass „Israel“ in V 3 nicht zum ursprünglichen Textbestand gehörte (fehlt in einer LXX-Handschrift) und eine spätere Einfügung ist, denn nach VV. 5f. kann der Gottesknecht nicht identisch mit Israel sein, da er eine Sendung an Israel erfüllt und dem Volk gegenüber steht. Aus dem Kontext ist vom Gottesknecht als einer Einzelgestalt auszugehen.

In der Form eines „prophetischen Selbstberichtes“ (Westermann) wird die göttliche Erwählung, Berufung und Ausrüstung des Gottesknechtes geschildert (VV. 1-3), seine Ermüdung und sein Verzagen (V. 5) sowie seine neuerliche Beauftragung (VV. 5-6). Ging seine Sendung zunächst zum Volk Israel (VV. 1-3), wird diese in den VV. 5-6 nicht aufgehoben, sondern universell erweitert. Das eschatologische Ziel der Sendung des Gottesknechtes ist Israel und allen Völkern „Recht und Weisung“ (Kraus) zu bringen und somit zum Licht für die Völker zu werden (V 6).

Bereits im Lukasevangelium bezieht Simeon im Tempel diese Jesaja-Stelle auf Jesus und deutet sie als erfüllte Prophezeiung (Lk 2,23). Das ganze lukanische Doppelwerk versteht die Sendung des Messias Jesus als Sendung zu Israel, die durch Scheitern hindurch auf alle Völker erweitert wird (programmatisch: Lk 4,16-30). Die spätere christliche Theologie ist dieser Auslegung gefolgt. Eine christliche Predigt über diesen alttestamentlichen Text kann nur auf diesem Traditionshintergrund stattfinden, sollte sich aber davor hüten, den Text christlich zu usurpieren. Insbesondere ein Verlust des Heils von Israel und statt dessen ein Übergang des Heils auf alle Völker ist aus diesem Text nicht herauszulesen. Zwar wird in einer universalen Perspektive das Heil auf alle Völker erweitert, die Erwählung Israels aber bleibt bestehen (VV. 5f.). Das Heil kommt von Israel und geht über Israel auf alle Völker über!

In der Predigt wird nicht auf das Erntedankfest eingegangen, da in der badischen Landeskirche Erntedank erst am 7. Oktober gefeiert wird. Angesichts eskalierender interreligiöser Konflikte weltweit in diesen Wochen, die in einem multikulturellen und multireligiösen Stadtteil Mannheims wie der Neckarstadt (mit einem Anteil von Muslimen von rd. 40%) von den Gemeindegliedern mit großer Sorge beobachtet werden, legt die Predigt einen Schwerpunkt auf die militärische Sprache des Predigttextes (V. 2) und die Frage eines friedlichen Miteinanders der Völker und Religionen.

Literatur

Hans-Joachim Kraus, Das Evangelium der unbekannten Propheten: Jesaja 40-66, Neukirchen-Vluyn 1990, S. 110-116. - Claus Westermann, Das Buch Jesaja Kapitel 40-66, ATD 19, Göttingen 31976, S. 166-175.

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