Umsonst

Hitzewelle und Durst nach Leben

Predigttext: Jesaja 55,1-5
Kirche / Ort: Lübeck
Datum: 30.06.2019
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastorin Ellen Naß

Predigttext: Jesaja 55, 1-5 (Übersetzung nach Martin Luther)

2 Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch!

2 Warum zählt ihr Geld dar für das, was kein Brot ist, und euren sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.

3 Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben! Ich will mit euch einen ewigen Bund schließen, euch die beständigen Gnaden Davids zu geben.

4 Siehe, ich habe ihn den Völkern zum Zeugen bestellt, zum Fürsten für sie und zum Gebieter.

5 Siehe, du wirst Völker rufen, die du nicht kennst, und Völker, die dich nicht kennen, werden zu dir laufen um des HERRN willen, deines Gottes, und des Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.

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Jesaja 55 ist das Ende von Deuterosjesaja, dem Heilspropheten aus der Exilszeit. Es ist allerdings umstritten, ob diese Worte wirklich von Deuterojesaja stammen. Hans-Jürgen Hermisson rechnet diese Worte der Zeit nach der Eroberung Babylons um 530 v. Christus durch König Kyros zu. Damit wären sie erst nach dem Tod von Deuterojesaja entstanden. (H-J Hermisson BKAT XI/ 3, 2016)

Der Predigttext besteht aus zwei Teilen, Jesaja 55; 1-3b und 3c-5. In der alten Perikopenreihe gehörte er in die Predigtreihe 5, damals waren die Verse 3c-5 eingeklammert. Jetzt wird der ganze Abschnitt als Predigttext angegeben. Es war damals Teil der Predigtreihe 5. Damit wurde vor 6 Jahren, 2013, zum letzten Mal darüber gepredigt, ebenfalls am 2. Sonntag nach Trinitatis.

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Hitzewelle und Wassermangel

In den letzten Tagen war es sehr heiß, im letzten Sommer auch schon. Da bekommt man Durst, wenn wir in Deutschland in unserer Zeit auch nicht so sehr darunter leiden. Denn wir haben das Glück, dass es bei uns selbst in trockenen Jahren genug Wasser gibt, und dass dieses Wasser durch die moderne Technik auch noch sauber ist. Im letzten Jahr gab es zwar teilweise Engpässe in der Mineralwasserversorgung – aber das lag nicht am Wassermangel, sondern daran, dass die Pfandflaschen nicht schnell genug zurückgegeben wurden.

Natürlich haben wir manchmal Durst, wenn wir unterwegs sind, nach dem Sport. Aber so richtig in die Menschen in heißen Ländern hineinversetzen können wir uns nicht, verdursten ist bei uns schwierig. In einigen Nationalparks der USA ist man schon innerhalb eines Tages verdurstet, wenn man nichts zu trinken bei sich hat, so etwas kennen wir nicht.

Früher in Israel war es noch schlimmer. Es herrschte nicht nur Wassermangel, sondern das Wasser war auch nicht sauber. Für die Menschen dort war deshalb Wasser lebenswichtig, wahrscheinlich wurde Wasser auch auf dem Markt verkauft, weil es dann sauberer sein sollte. Es war ein kostbares Gut.

Marktschreier

Deshalb ließ es die Menschen seiner Zeit aufhorchen, als Jesaja sich hinstellte und schrie – wie ein Verkäufer auf dem Hamburger Fischmarkt: „Kommt und kauft! Kauft Wasser! Kauft Essen!“ So werden viele Verkäufer da gestanden und ihre Waren angepriesen haben. Aber Jesaja ruft noch mehr: „Kommt und kauft – umsonst! Es ist geschenkt!“

Nun hat Jesaja nicht wirklich Wasser verkauft – oder vielleicht doch, so als Probe, so, wie während eines Wahlkampfs Kugelschreiber, Luftballons und neuerdings auch Samentütchen verschenkt werden – sondern er soll Gottes Wort verkündigen, Gottes Willen und Vorhaben den Menschen begreiflich machen. Gottes Vorhaben ist es, die Menschen zu beschenken. Gott will ihren – und unseren – Lebensdurst stillen, darum geht es Jesaja hier.

Anscheinend hatten auch damals, obwohl das Leben viel kürzer und schwieriger war, viele Menschen schon Sehnsucht nach einem erfüllten Leben, nach einem Leben, das Sinn macht, nach einem Leben, das eine Bedeutung hat. Diese Sehnsucht kennen wir auch noch heute.

Wichtiges im Leben

Für viele Menschen ist die Familie das Wichtigste im Leben, sie schenkt Sinn und Erfüllung. Der Mann, die Frau, die Kinder, die Kinder, die Eltern, andere Verwandte, das sind – oder sollten sein – Menschen, die uns wichtig sind, denen wir wichtig sind, mit denen wir viel Zeit verbringen, viel gemeinsam unternehmen. Für sie setzen wir uns ein, für sie opfern wir uns unter Umständen auf. Familie ist wichtig und erfüllend, daran besteht kein Zweifel. Auf die Frage, was ihnen das Wichtigste im Leben ist, antworten die meisten in Umfragen mit: „Meine Familie“.

Für andere ist es ein bestimmter Sport, „Hundesport war sein Leben“ habe ich einmal in der Vereinszeitschrift über einer Todesanzeige gelesen, es kann ein Verein sein, ein Interessengebiet, schöne Urlaube. So verschieden wir Menschen sind, so unterschiedlich können die Dinge sein, die unser Leben bestimmen, die es ausfüllen.

Trotzdem reicht das vielen Menschen nicht. Familien sind manchmal nicht nur Freude, den Sport kann man vielleicht irgendwann nicht mehr ausüben, man hat das Gefühl, dass nur ein Teil von einem angesprochen wird, dass man nie ganz man selbst sein kann, dass man so viel gegeben hat, dass man ausgebrannt ist und leer. Die meisten dieser unterschiedlichen Interessen sind wichtig und gut, ich will sie gar nicht verteufeln oder auch nur schlecht machen. Unsere Welt wäre ärmer, wenn es sie nicht gäbe. Aber Menschen sind erfüllt von einer Sehnsucht, die sie kaum benennen können, sie merken, dass etwas nicht vollständig ist, dass etwas fehlt.

Mich fasziniert es immer wieder, was Menschen alles unternehmen, um diese Leere zu füllen. Gerade wurde in den USA ein Mann verurteilt, der eine Sekte gegründet hatte und Frauen als Sklavinnen hielt. Welche Sehnsucht hat diese Frauen wohl getrieben, sich ihm anzuschließen? Der Sinn wird in der Natur gesucht, heute gibt es wieder Menschen, die an Geister in Bäumen und Gewässern glauben, daran, dass sie den Sinn ihres Lebens in ihrem eigenen Inneren finden, in Achtsamkeit mit sich selbst. Ich denke, dass auch die Konzentration auf die richtige Ernährung, was heute ja viele Menschen umtreibt, damit etwas zu tun hat, dass man einen Sinn sucht.

Vieles davon ist teuer. Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, um die Kirchensteuer zu sparen, zahlen gerne Hunderte von Euro, um einen Kursus zur Selbstfindung zu besuchen, um den Sinn des Lebens zu erfahren. Da scheint oft, wenn man die Preise sieht, kaum eine Grenze nach oben zu bestehen, und die gleichen Menschen, die die Kirchensteuern sparen wollten, zahlen es gerne.

Umsonst

Da steht nun Jesaja auf diesem Markt der vielen Möglichkeiten und ruft. Er bietet Wasser des Lebens an – umsonst. Er bietet nicht nur Wasser an – er bietet etwas viel Besseres – Milch und fettes Öl. Uns ekelt ja eher vor Fett, aber wenn man dauerhaft unterernährt ist, ist es eine gute Nahrungsquelle. Jesaja bietet es im Namen Gottes kostenlos an – und anscheinend greift keiner zu.

Das erinnert mich an die Situation unserer Kirche in Deutschland. Wir haben viele Angebote, wir bieten Worte des Lebens und Wasser des Lebens – und nur wenige greifen zu. Zum Kirchentag fahren dann vielleicht alle 2 Jahre 100 000 Menschen, aber die verlaufen sich dann anschließend in den Gemeinden, und in den Nachrichten wird nur über politische Stellungnahmen auf dem Kirchentag berichtet, über unsere Meinung zur Klimaerwärmung, zu Asylbewerben, zur Inklusion. Da wurde nichts gesagt vom Wasser des Lebens.

Vielleicht liegt es daran, dass das Angebot Jesajas, dass unser Angebot, jedenfalls größtenteils, kostenlos ist. Kostenlos wird ja oft gleichgesetzt mit wertlos. In meiner Kirchengemeinde habe ich einmal mitbekommen, dass die Organistin Probleme hatte, weil ständig Kinder zu dem verabredeten Flötenunterricht nicht erschienen. Sie hat sich Zeit genommen, und sie kamen einfach nicht. Erst als sie Geld für den Unterricht nahm, kamen die Kinder regelmäßig. Kostenlos ist nichts wert, wird anscheinend nicht so hoch geachtet.

Wenn unsere Botschaft nicht gehört wird, dann liegt es vielleicht auch daran, dass Gott zu alltäglich, zu bekannt geworden war. Exotische und unbekannte Dinge sind anziehend und machen uns neugierig, während alltägliche Sachen langweilig und bedeutungslos erscheinen. Vielleicht bietet Jesaja deshalb auch Wein und Milch ein, wesentlich teurere Getränke als nur das Wasser.

Wir als Kirche, als Christen, sind eben seit Jahrhunderten hier in Deutschland, bekannt und alltäglich, sind für wenige Kirchensteuern zu haben, ohne größere Opfer. Dabei vergessen wir selbst auch gerne nur allzu oft, dass wir das Wertvollste im Angebot haben, was es gibt, dass wir uns auf dem heutigen Markt der Möglichkeiten in unserer Gesellschaft nicht zu verstecken brauchen.

Durst und Trinken

Im Johannesevangelium sagt Jesus: „Wen dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Damit bezieht er sich auch auf diese Worte aus Jesaja, sagt, dass er dieses Wasser ist, wir durch ihn dieses Wasser empfangen, das Leben und Erfüllung schenkt. In Jesus wurden die Völker gerufen, die Gott damals noch nicht kannten.

Jesus kann Antwort geben auf die Frage nach Sinn und Erfüllung, er ist Sinn und Erfüllung. Auf ihn können wir vertrauen. Wenn wir am Ende sind und zu ihm kommen, dann füllt er uns mit neuer Kraft. Wenn wir Durst haben nach Leben, dann schenkt er uns Aufgaben, die ausfüllen und Sinn machen. Er gibt uns Menschen, die wir lieben können und die uns lieben, die uns helfen und denen wir helfen können. So, wie wir in der Hitze Wasser zum Leben brauchen, so brauchen wir Gott zum Leben. Er will sich uns schenken, unser Leben erfüllen – umsonst. Wir müssen nur zugreifen.

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Ein Kommentar zu “Umsonst

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Auch im heißen Sommer gibt es bei uns genügend Trinkwasser. Damals zur Zeit des Deuterojesaja gab es oft Wassermangel in Israel. Wasser war oft schmutzig und man mußte es auf dem Markt teuer kaufen. Wahrsheinlich hat Jesaja dort marktschreierisch Wasser verschenkt auf dem Markt als Motto seiner Botschaft: Gott will unsere Sehnsucht nach wahrem Leben stillen. Die Familie ist heute für viele das Wichtigste oder Sport und Ernährung oder Selbstfindung oder Reichtum. Aber alle Gottlosigkeit fördert die Einsamkeit der heutigen Menschen. Nach der Presse ein Problem für 30 Prozent auch der mittleren Altergruppen. Für viele ist Gott zu bekannt und wird übergangen. Jesaja bietet auch heute das wahre , nicht einsame Leben mit Gott als Lösung an. Nach dem Johannes-Evangelium sagt Jesus: Wen da dürstet der komme zu mir! Jesus als Freund und Bruder kann unseren Lebenshunger stillen. Wir sind dadurch nie einsam, finden erfreuliche Aufgaben und Menschen, die wir lieben. Wir brauhen nur Gottes Geschenk zu ergreifen. – Eine prägnant formulierte, anschauliche Predigt. Als Prediger überfällt einen leicht der Wunsch, sie für diesen Sonntag zu übernehmen.

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