Umweg

Auf der Suche nach dem Geheimnis des Kreuzes Jesu

Predigttext: 4.Mose / Numeri 21,4-9
Kirche / Ort: Johanneskirche / Feudenheim (Hauptstr. 37, 68259 Mannheim)
Datum: 25.03.2012
Kirchenjahr: Judika (5. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrerin Dorothee Löhr

Predigttext: 4.Mose / Numeri 21,4-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege  5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, daß wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise.  6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben.  7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, daß wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, daß er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.  8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.  9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biß, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Zur Predigt

„Die Schlange an der Stange“ gehört wie der Text in der III. Reihe (Isaaks Bindung) zu den klassischen typologischen alttestamentlichen Geschichten, die in der Kunstgeschichte bildhaft  auf die Passionsgeschichte hin ausgelegt wurden. Es gibt zahllose Bilder dazu, besonders von Lukas Cranach (z.B. die berühmten Drucke zu Gesetz und Evanglium), und eine Bildbetrachtung wäre auch als Predigt in diesem Falle bestimmt sehr ergiebig. In unserem Gottesdienst werden einige Teile des 10-Gebote-Musicals erklingen. Das goldene Kalb ist also präsent, deshalb habe ich diesmal eine bildlose meditative Form gewählt und die einzelnen kurzen Meditationsgänge im Jahr der Kirchenmusik mit Passionsliedern verbunden. Den biblischen Sitz im Leben (V. 4-5) erzähle ich, bevor ich den Rest (V. 6-9 nach der neuen Züricher) vorlese. Predigtverlauf:

1. Einführung: Die Schlange an der Stange - ein Umweg in der Wüste
Lied: Holz auf Jesu Schulter (EG 97, 1-2,6)
2. Das Äskulapzeichen: Gleiches mit Gleichem heilen
Lied: Das soll und will ich mir zunutz (EG 83,6)
3. NT: Joh 3,14: Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
Lied: Das Kreuz ist aufgerichtet (EG 94,1-5)
4. AT: Paradiesbaum der Erkenntnis des Guten und Bösen
Lied: Du schöner Lebensbaum des Paradieses (EG 96,1)
5. Ausklang: Ein heilsamer Umweg der Konfirmanden über den Friedhof: erklärt nicht alles, hilft aber!
Lied: Ich grüße dich am Kreuzesstamm (EG 90)

 

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Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, sich dem Geheimnis des Kreuzes zu nähern. Die Passionslieder sind fremdartige und doch wirksame und tiefsinnige Meditationsformen, die im Jahr der Kirchenmusik besonders ins Gedächtnis gerufen werden können. Es gibt auch Bilder zum Kreuzesgeschehen, berühmte, wie der Isenheimer Altar, alte oder moderne. Der moderne Jugendkreuzweg dieses Jahres wird es uns in der Karwoche vor Augen malen: Aus seiner Sicht. Aber:  Am heutigen Sonntag Judika, mitten in der Passionszeit, sind wir zu einem Umweg eingeladen, um das Kreuz Jesu für uns zu bedenken. Wir sind eingeladen, uns in eine Geschichte hineinzudenken, die dem Volk Israel geschah, das auch die Zehn Gebote empfing. Das was „die Kinder Israels“ auf ihrer Wüsten-Wanderung erlebten, können wir mitgehen, es war eine stellvertretende Erfahrung für die ganze Welt: Diese Erfahrung ist fremd und bekannt zugleich, die Schlange an der Stange könnte die Geschichte heißen.

Die Geschichte ereignete sich auf der langen Wüstenwanderung des Volkes, dem Auszug aus Ägypten. Der Standort ist klar benannt: hinter sich die Gefangenschaft, im Gepäck die guten Lebensregeln, die Zehn Gebote Gottes, vor sich das gelobte Land. Auf dem Weg aber gab es Hindernisse und Müdigkeitserscheinungen: Sie mussten einen Umweg gehen, weil die Edomiter sie nicht auf dem direkten Weg ins gelobte Land durchziehen lassen wollten. Dann starb Aaron, der das Fest ums goldene Kalb mit ihnen gefeiert hatte, als Mose so lange auf dem Berg geblieben war. Aber jetzt? Die Mühen der Ebene und des Alltäglichen lagen vor ihnen, und plötzlich sah alles nicht mehr so einfach aus: Wie geht’s weiter? Hier und  jetzt? So fragten sie. Können wir auf die Erfüllung der Verheißungen warten? Schaffen wir es, geduldig und langmütig sein, wenn es so langsam und mühsam ist bis zum gelobten Land? Können wir den langen Atem trainieren, aber wozu? Lohnt sich das überhaupt?

Da war keine „instant gratification“ in Sicht, sie hatten keine Lust mehr weiterzumachen wie bisher, ja es ekelte sie alles an. Sie hätten vielleicht gerne einen Kick bekommen, wie damals während des tollen Tanzes um das goldene Kalb, das war zwar im Nachhinein ziemlich peinlich gewesen, aber warum eigentlich nicht, alles Gute und Schöne zusammenschmeißen? Damit man mal wie die anderen Zeitgenossen etwas zum Anschauen und zum Anfassen hat? Etwas Glänzendes, Tolles? Im Übrigen, so schlimm wars doch auch in der Gefangenschaft gar nicht, warum die ganzen Strapazen, warum waren sie überhaupt aus Ägypten geflohen, wenn sie jetzt so lange unterwegs sein mussten, jedenfalls war am Nil das Essen besser und abwechslungsreicher gewesen, so murrten und haderten sie…Und als sie in ihren genervten Selbstgesprächen und ungeduldigen Widerreden gegenüber Mose so weit gekommen waren, entzog ihnen Gott in der Wüste für kurze Zeit seinen Schutz:

„Da sandte der Herr feurige Schlagen gegen das Volk, und sie bissen das Volk, und viel Volk aus Israel starb. Da kam das Volk zu Mose zurück, und sie sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir gegen den Herrn und gegen dich geredet haben. Bete zum Herrn, damit er uns von den Schlagen befreit. Und Mose betete für das Volk. Und der Herr sprach zu Mose: Mache dir eine Schlage und befestige sie an einer Stange. Und jeder, der gebissen wurde und sie ansieht, wird am Leben bleiben. Da machte Mose eine bronzene Schlage und befestigte sie an einer Stange. Wenn nun die Schlangen jemanden gebissen hatten, so blickte er auf zu der Bronzeschlange und blieb am Leben“.

Lassen wir uns jetzt auf der Suche nach dem Geheimnis des Kreuzes Jesu auf diesen Umweg durch die Wüste ein und singen wir nach jedem Abschnitt eines unserer  Passionslieder. Wir beginnen unseren Weg mit dem Lied „Holz auf Jesu Schulter“ (EG 97,1-2,6).

(Gemeindegesang )

Die Schlange an der Stange, viele kennen Sie als das Arztsymbol, so manche Türklinge zur Arztpraxis ist so gestaltet, es ist das Zeichen des Äskulap, ein Heilszeichen. Jedes Gift kann richtig angewendet heilsam sein – bedeutet es vielleicht. Das, was zum Tod führt, kann bei richtiger Dosis lebensrettend wirken. Das Schlangengift ist nicht nur lebensbedrohlich, es kann auch retten! In der Wüste ist es mit der Schlange an der Stange ähnlich. Die Gefahr der Schlangen rettet das Volk vor seiner Gottesferne. Sie vertrauen dem Rat Gottes, sie vertrauen auf das Zeichen des Mose, obwohl es wieder eine Schlange ist, die er ihnen macht. Es ist nicht aus Gold wie das Kalb, es richtet den Blick nicht auf alles Gute und Schöne, auf das eigene Beste, sondern auf die Not, die eigene und die fremde. Dieses Zeichen ist aus Bronze, und es sieht genauso aus, wie die Ursachen des Leidens selbst. Aber die Kinder Israels lernen in ihrer Not: Die giftigen Schlangen warnen und locken zurück in ein vertrauensvolleres und näheres Verhältnis zu Gott. Eine bronzene Schlange sieht genauso aus und ist doch Medizin. Gleiches wird mit Gleichem bekämpft. In der richtigen Dosis hilft das.

Vielleicht geht es so: Wer einmal beim  Sterben eines Menschen dabei war, weiß, wie wertvoll und kostbar unser begrenztes Leben ist, ein bisschen Todesangst macht sehr lebendig und sehr dankbar! Wer einmal in den Spiegel des Todes blickt, erkennt wie abwegig das Jammern und Hadern, das Maulen und Zanken, ist, dann ist anderes Wesentlich. Wer einmal erlebt hat, dass Gott uns in Todesnot retten kann, der wird sein Leben verändern. Die Schlange an der Stange – sie ist ein Schutzmittel gegen Streit und Abfall. Der Tod Jesu uns als Schutz gegen Streit und Unwichtiges vor Augen gestellt. So ähnlich meint es auch Paul Gerhard im Passionslied, von dem wir jetzt eine Strophe singen: „Ein Lämmlein“ (EG 83,6).

(Gemeindegesang )

Die Schlange an der Stange kommt auch im Neuen Testament vor. Der Evangelist Johannes nimmt sie auf in das nächtliche Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus: Schon Jesus bezieht sie auf sich selbst und auf sein Sterben: Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben! Die Schlange stand zwar für den Tod, aber der Tod Jesu, erhöht am Kreuz, stand für Rettung! Dadurch dass er in seinem Tod erhöht wurde, kam die Rettung für alle. Aufblicken zu Jesus am Kreuz – das hat die gleiche Wirkung wie damals in der Wüste: Wer zu ihm aufblickt, wird gerettet! Jesus wirkt als Heilmittel, als Arzenei. Die Schlange an der Stange – das ist ein typologisches Symbol dafür, dass Jesus der Heiland ist. Auf ihn Schauen, das ist Medizin zum Leben. Wir singen: „Das Kreuz ist aufgerichtet“ (EG 94,1-5).

(Gemeindegesang )

Die Schlange an der Stange bzw. am Baum, das gab es schon einmal, gleich am Anfang: im Paradies bei Adam und Eva. Die Schlange sollte eigentlich den Baum bewachen, aber sie hat das Gegenteil bewirkt: die Menschen konnten nicht widerstehen vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen. Da war die Schlange die Versucherin gewesen, der Inbegriff der Gottesferne. Aber der Baum, der den Menschen den Tod brachte, ist auch der Ort, von dem die Rettung kommt. Er steht im Paradies, und er gibt uns Erkenntnis. Erkenntnis des Guten und Bösen. So schlimm steht es mit der Welt, dass der Unschuldige verurteilt wird. So sehr liebt Gott die Welt, dass er da hineingeht. Jesus am Kreuz – der Inbegriff der Gottesferne: So hat es Gott gefallen, so gibt er sich uns allen. Das Ja erscheint im Nein, der Sieg im Unterliegen, der Segen im Versiegen, die Liebe will verborgen sein – so haben wir es eben gesungen (EG 94,4), das kann man nicht verstehen, das kann man aber  singen. Es gibt noch ein Lied, das den Baum des Lebens und das Kreuz zusammen bringen. Das Kreuz ist der Lebensbaum des Paradieses, von dem neues Leben kommt und neue Erkenntnis. Wir singen die 1.Strophe von „Du schöner Lebensbaum des Paradieses“ (EG 96,1)

(Gemeindegesang)

Die Schlange an der Stange – ein Bild, das heilsam ist, so wie Jesus am Kreuz. Auf diesen Umweg haben wir uns heute eingelassen. Manchmal muss man Umwege gehen, um weiter zu kommen. Liebe Gemeinde, ich will Ihnen noch von einem heilsamen Umweg von vorletzter Woche erzählen: Wir waren mit den Konfirmanden auf dem Mannheimer Hauptfriedhof. Wo die beiden Hauptwege der Lebenden sich kreuzen, wo die beiden Alleen aufeinandertreffen, da steht hoch aufgerichtet ein Standkreuz, es hat mich sehr berührt. Es war das Zentrum des Friedhofs, als er im 19.Jh. gegründet wurde. Bei der Kreuzung der beiden ursprünglichen Hauptwege des Friedhofs steht das Kreuz. Ein Umweg über den Friedhof lohnt sich für uns Lebende. Jetzt, wo die Bäume rund um den Kreuzes-Stamm noch kahl sind, ist es besonders sichtbar, das Kreuz. An Ostern aber werden die Bäume es grün und lebendig einfassen. Ein Baum unter vielen, und doch ein ganz besonderer. Er zeigt uns in Christus den Weg der Wahrheit. Zu ihm Aufblicken hilft. Es erklärt nicht alles, aber es hilft! „Ich grüße dich am Kreuzesstamm“, heißt es im Passionslied (EG 90,1-2), stimmen wir ein.

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Ein Kommentar zu “Umweg

  1. Pastor i.R. Heinz Rußmann

    Sehr vielseitig interpretiert Pfarrerin Löhr das Symbol der “Schlange an der Stange”. Bedingt durch den besonderen Anlass ihres Gottesdienstes verwendet sie fünf verschiedene Perspektiven des Predigttextes und trennt sie durch Passionslied-Strophen voneinander. Von der Schlange im Paradies bis zum Gespräch Jesu mit Nikodemus predigt sie überzeugend den Bezug des alttestamentlichen Symbols zum Kreuz Jesu. Eine überzeugende und lebendige Predigt! Hilfreich erscheint mir der psychologische Aspekt, den Eugen Drewermann in Tiefenpspychologie und Exegese, Bd 2 z. St., betont: Die Schlange symbolisiert die übersteigerten Ängste des Menschen. Sie lauern überall, und man kann ihnen nicht entfliehen. Sie machen krank. Wer sich mit Gottvertrauen der Angst stellt und ihr ins Auge blickt, kann erleben, dass man geheilt und befreit wird. Deswegen schauen Christen intensiv auf das Kreuz Jesu, das Zeichen der Hoffnung trotz Folter und Tod (s. meine Predigt im Heidelberger Predigtforum, 2006, z.St.).

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