” … und alle Völker werden vor ihm versammelt werden …”
Gesegnetes Leben und Handeln
Predigttext: Matthäus 25,31-46 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet, und wird die Schafe zu seiner Rechten stellen und die Böcke zur Linken.
Da wird dann der König sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen. Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich als Fremden gesehen und haben dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Dann wird er auch sagen zu denen zur Linken: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nicht zu essen gegeben. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nicht zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich nicht gekleidet. Ich bin krank und im Gefängnis gewesen und ihr habt mich nicht besucht. Dann werden sie ihm auch antworten und sagen:Herr, wann haben wir dich hungrig oder durstig gesehen oder als Fremden oder nackt oder krank oder im Gefängnis und haben dir nicht gedient? Dann wird er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan. Und sie werden hingehen: diese zur ewigen Strafe, aber die Gerechten in das ewige Leben.
Dieses Evangelium spricht vom Kommen des Menschensohnes am Jüngsten Tage. Wenn es uns nicht gesagt wäre, würden wir begierig sein zu hören, was nach diesem Leben geschehen, wie es am Jüngsten Tage zugehen würde. Nun hören wir es hier und haben es vor Augen. Und zwar zuerst den Tod, dem wird niemand entlaufen. Jeder muß durch ihn hindurch. Und nach dem Tod ist es sicher, daß es so zugehen wird, wie es hier beschrieben wird: daß der Herr zum Gericht kommt, und alle Menschen, gute und böse, dort erscheinen werden. Alle werden vor den Richterstuhl Christi kommen, und ein jeder wird erhalten, was er in diesem Leben verdient hat, es sei Gutes oder Böses: “Und er wird sie voneinander scheiden, gleichwie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet [ … ] Die zur Rechten sitzen, brauchen sich nicht zu fürchten und zu erschrecken. Anders ist es mit denen zur Linken [ … ]
Nun möchte man fragen, warum der Herr hör jeweils sechs Barmherzigkeiten und Unbarmherzigkeiten nennt, um derentwillen die einen ins ewige Leben und die anderen ins ewige Verderben kommen. Denn wenn man genau zusieht, gehören sie doch alle ins 5.Gebot: “Du sollst nicht töten”, wie es Christus in der Bergpredigt selbst auslegt, wird geboten, daß man mit dem Nächsten nicht zürnen soll, das heißt, daß man ihm freundlich helfen, raten soll und daß man ihm Gutes tun soll, wo er dessen bedarf in Hunger, Durst, Blöße, Krankheit oder anderen Nöten. Das alles ist im 5.Gebot enthalten, daß wir freundlich und barmherzig gegeneinander sein sollen und besonders gegen die, die uns Anlaß zum Zorn gegeben haben. Warum urteilt er so streng über die, welche die Werke nicht getan haben [ … ] ?
[ … ] Es wird sich zeigen, daß die, die da rechte Christen sein sollten, weil sie das Evangelium gehört haben, viel ärger und unbarmherziger geworden sind als die Heiden, wie man es jetzt vor Augen erfüllt sieht. Sie gehen hin in Sicherheit, schwelgen und prassen. Jeder handelt gegen seinen Nächsten so, als halte er ihn nicht für seinen Freund (viel weniger für seinen Bruder in Christus), sondern für seinen Feind und so, als ob er nur alles gern an sich reißen wollte und keinem andern etwas gönnte. Das gehet täglich zu und nimmt ohne Unterlaß überhand, und das, obwohl sie den Tod vor Augen haben und ihnen das Gericht bestellt ist. Christus selbst zeigt es an, daß die Christen viel ärger werden, nachdem sie die Gnadenbotschaft empfangen haben. Es ist so, wie der 2.Petrusbrief sagt (2,21): “Denn es wäre ihnen besser, daß sie den Weg der Gerechtigkeit nicht erkannt hätten, als daß sie ihn erkennen und sich abkehren von dem heiligen Gebot, das ihnen gegeben ist”.
Die andere Ursache dafür, daß er diese Werke der Barmherzigkeit und Unbarmherzigkeit aus dem 5.Gebot so hervorhebt, ist die, daß die Christen Barmherzigkeit empfangen haben. Christus, unser lieber Herr, hat uns vom Zorn erlöst, vom 5.Gebot, vom ewigen Tode. Das ist geschehen, daß wir es nicht als uns allein zur Erlösung getan ansehen, sondern auch als ein Vorbild, das uns gegeben ist und dem wir folgen sollen. [ … ] Siehe zu, daß du bei denen zur Rechten seiest, so kannst du den Jüngsten Tag mit Freuden erwarten [ … ] wir sehen so viel Jammer, daß wir müde werden und rufen: Komm und befreie uns! Die hier auf Erden gedrückt sind, erwarten mit Freuden und gute, Gewissen den Jüngsten Tag. Hier werden alle die gefunden werden, die den rechten Glauben haben und die, die solche Werke tun. Denn wer glaubt, daß er durch Christus vom Zorn befreit ist, hat ein freundliche Herz auch gegen seine Feinde, hilft ihnen, wenn sie Not leiden, mit Speise und Trank, gibt gern alles, was er hat.
So blind und verstockt sind das Fleisch und die Welt. Sie sehen, daß alle Menschen sterben, und verschließen doch die Augen davor, damit sie nicht sehen, was sie sehen müßten. Sie hören, daß vor Gericht kommt und verurteilt werden soll, wer das nicht tut, was hier gefordert wird. Aber dennoch tun sie das Gegenteil [ … ] Du fragst nicht nach dem Tod noch nach dem Richtstuhl, vor dem du erscheinen sollst. Hier ist das Urteil für dich bereit: “Gehet von mir, ihr Verfluchten!” Deutschland ist in Sünden ertrunken, in Übermut und Reichtum, und Christus mit den Seinen ist verachtet. Wir wollen leben, wie es uns gefällt, und werden Gott in Kürze unsere Torheit bezahlen. Ich habe Sorge, daß meine Prophezeiung wahr ist. Die Menschen sind unbußfertig, niemand will hören. Deshalb wird Deutschland in Trümmer gehen, denn Gott kann nicht dulden, daß sein Name gelästert und sein Wort verachtet wird. Deshalb sei jeder darauf bedacht, daß er das heutige Evangelium im Herzen behalte, auf daß wir zu den Gesegneten auf der Rechten kommen und das Gericht selig erwarten.
(Predigt von Martin Luther zum Vorletzten Sonntag nach Trinitatis, aus: Luther Deutsch. Die Predigten, Bd. 8, hg. v. Kurt Aland, Stuttgart 1965, S. 428-432. Die Predigt wurde von Heinz Janssen / Redaktion Heidelberger Predigt-Forum mit Überschrift versehen, in Sinnabschnitte eingeteilt und gekürzt.)