Predigt

"Und das Leben begann neu…"

Das Wort Gottes durchbricht die Mauern und führt uns heraus

PredigttextJesaja 54,7-10
Kirche / Ort:67549 Worms
Datum:30.03.2014
Kirchenjahr:Laetare (4. Sonntag der Passionszeit)
Autor:Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: Jesaja 54,7-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser. Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Einführung und Vorbemerkungen zum Predigttext Jesaja 54,7-10

(1) Der Sonntag Lätare ist das „Kleine Osterfest“ in der Passionszeit. Wegen seines Aufrufs zur Freude trägt dieser Sonntag den Namen „Klein-Ostern“ und trägt in manchen Gemeinden sogar die außergewöhnliche liturgische Farbe „rosa“. (Friedrich Kalb, Grundriss der Liturgik, München 1982, S. 66)

Es ist ein Sonntag, der uns – genau wie die anderen sechs Passionssonntage – auf den Leidensweg Jesu mitnimmt, und die verzweifelten und dunklen Seiten der Sackgasse zeigt, in die Jesus geraten ist. Aber dieser Sonntag mit dem Namen „Freut Euch“ deutet auch an, dass die Sackgassen des menschlichen Lebens nicht das Ende sind. Und dass Menschen, die den roten Faden in ihrem Leben verloren haben, nicht zwangsläufig scheitern. Einen Schimmer Licht in die Sackgasse des Leidens sendet dieser Sonntag mit dem Namen „Freut Euch“: Das einzige, was Sackgassen durchbrechen kann und uns helfen kann, den roten Faden des Lebens wieder aufzunehmen, ist allein das Wort und die Zuwendung Gottes. Und dass er es gesprochen hat und auch heute noch spricht, damit wir leben – das ist die Botschaft des „Kleinen Osterfests“.

(2) Die hier beigefügten judenfeindlichen Zitate sind auf keinen Fall für die auf der Kanzel gesprochene Predigtfassung gedacht. Sie sind für den/die Prediger/in gedacht, um den Ernst dessen zu belegen, was ich in der Predigt geschrieben habe: Martin Luther (1483–1546) fordert von der Obrigkeit: Vernichtung aller Synagogen („mit Feuer, Schwefel und Pech"), Zerstörung aller Privathäuser der Juden Entwendung aller liturgischen Bücher und der Bibel, Untersagung des Besuchs öffentlicher Gottesdienste und jeder Lehrveranstaltung der Rabbiner (ansonsten Todesstrafe), Verbot, Gottes Namen auszusprechen, Erlass, Juden nicht mehr als Händler wirken lassen, Verbot, sich frei auf der Straße zu bewegen, Verbot des Wuchers, Zwangsarbeit für alle jungen Juden beiderlei Geschlechts, Deportation nach Palästina (Predigt am 15.2.1546).

Immanuel Kant (1724–1804) nannte Juden „Vampyre der Gesellschaft“, die „durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil in den nicht unbegründeten Ruf des Betruges… gekommen“ seien. Obwohl er biblische Grundgedanken der Tora in seinem Sittengesetz vernunftgemäß entfaltete und die rabbinischen Traditionen kaum kannte, hielt er das Christentum für sittlich überlegen, grenzte es scharf gegen das Judentum ab, verlangte von Juden die Abkehr von biblischen Ritualgesetzen und ein öffentliches Bekenntnis zur ethischen Vernunftreligion. Erst dann könnten sie Anteil an allen Bürgerrechten erhalten.

Johann Gottfried Herder (1744–1803) hielt die Juden für „verdorben“, „ehrlos“ und „amoralisch“, aber durch Erziehung zu bessern. Er deutete ihre Diaspora-Situation als Unfähigkeit zu einem eigenen Staatsleben und prägte den oft zitierten Satz, Juden seien seit Jahrtausenden eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen. Er forderte die Abkehr von ihrer Religion als Voraussetzung für ihre nationale und kulturelle Integration.

(3) Wenn ich Deutero-Jesaja zu predigen habe, komme ich in der Vorbereitung immer wieder an denselben Punkt, an dem ich mich entscheiden muss, ob ich die Zuhörer/innen mit Einleitungsfragen und Einleitungserkenntnissen beglücke, oder nicht: Eigentlich müsste ich den Zuhörern/innen (wiederum) die Situation der Babylonischen Gefangenschaft schildern, damit sie begreifen, auf welchem Hintergrund der Verzweiflung, der gefühlten Gottesferne und der Heimatlosigkeit diese Worte gesprochen bzw. geschrieben worden sind. Und jedes Mal denke ich: Das weiß die Gemeinde doch alles schon. Das habe ich ihnen schon so oft erklärt – ich will sie ja nicht langweilen. Nun werde ich es in dieser Predigt einmal wieder einfließen lassen – allerdings ohne ausführlich noch einmal die Situation zu beschreiben, die zum Exil geführt haben. Hoffend, dass meine Zuhörer/innen die richtigen Assoziationen dazu im Kopf haben. Diese Gedanken stelle ich hier im Predigtforum einfach mal zur Debatte:

Liebe Kolleginnen und Kollegen auf der Kanzel, wie halten Sie es mit notwendigen Informationen aus der Einleitungswissenschaft? Bringen Sie das immer wieder? Oder können Sie voraussetzen, dass die (Kern-)Gemeinde mittlerweile über ein Grundwissen darüber verfügt? Für die, die wissen möchten, um was es dabei geht, hier kurz die Unterscheidung zwischen Proto- und Deuterojesaja, und in welchem geschichtlichen Zusammenhängen sie anzusiedeln sind (Zusammenfassung eines Einleitungstextes von Dr. Jörg Sieger):

In den Kapiteln 40-55 des Jesaja-Buches ist ein anderer Verfasser als Jesaja anzunehmen. Während Jes 1-39 die Zeit des Untergangs Samariens vor Augen hat, also im 8. Jahrhundert v. Chr. anzusiedeln ist, erwartet der Verfasser von Jes 40-55 bereits das Ende des babylonischen Reiches (Jes 43,14; 46f.) und den Aufstieg des Persers Kyrus (Jes 44,26f. u. a.). Wir befinden uns also bereits in der Endphase des babylonischen Exiles; gut zweihundert Jahre nach Jesaja also.

Jes 40-55 enthält die Predigt(en) eines dem Namen nach unbekannten Propheten. Er führt die Theologie des Jesaja offensichtlich weiter und ist wie dieser ein großer Prophet. Da er ansonsten unbekannt bleibt, hat ihm die Forschung den Verlegenheitsnamen Deutero-Jesaja, also „zweiter Jesaja“, gegeben. Nicht nur zur Person des Propheten machen Jes 40-55 keine Angaben, auch Orts- oder Zeitangaben fehlen völlig. So kann der Raum und die Zeit des Wirkens des Deutero-Jesaja nur erschlossen werden. Als Ergebnis der Untersuchungen am Jesaja-Buch kann man mit Abstrichen folgendes festhalten:

Während Ezechiel in der Frühzeit des Exils auftrat, fällt die Tätigkeit Deutero-Jesajas in die Endphase der Exilszeit. So kann man also sagen, dass Deutero-Jesaja in Babylon wohl in der Zeit zwischen 550 v. Chr und 540 v. Chr. predigte. Das war die Zeit zwischen den ersten Siegen des Kyrus, die den Zusammenbruch des babylonischen Reiches bereits erahnen ließen, und dem Befreiungs-Edikt von 538 v. Chr., das dann die ersten Rückwanderungen der Israeliten nach Palästina erlaubte.

Deutero-Jesaja redet zu den Israeliten im Exil, dem „Rest des Hauses“ Israel (Jes 46,3). Er tritt auf in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit. Mit dem Begriff "Trostbuch" ist dann auch schon bereits das Hauptthema des Deutero-Jesaja umschrieben. Die Prophetenworte von Jes 1-39 waren im allgemeinen Drohworte, voller Anspielungen auf die Ereignisse während der Regierung des Ahas und König Hiskijas.

Die Worte von Jes 40-55 gehören in einen anderen geschichtlichen Zusammenhang: Es sind Worte des tröstenden Zuspruchs. Das Gericht hat sich durch die Zerstörung Jerusalems vollzogen, nun aber ist die Zeit der Wiederherstellung nahe. Eine völlige Erneuerung wird geschehen. Jahwe ist es, der dem Volk nun neues Heil schafft. Er nämlich bildet Licht und Finsternis, Heil und Unheil (Jes 45,7). Hier wird das Thema von Gott als Schöpfer, der Licht und Finsternis bildet, mit dem Thema von Gott als dem Retter verbunden. Diese Verbindung hebt bereits die Bedeutung dieses Gedankens hervor.

Neben dem Vergleich der Rettung mit einer neuen Schöpfung verbindet Deutero-Jesaja auch den Exodus-Gedanken mit dem zukünftigen Heil, das von Jahwe ausgeht. Gott wird sein Volk in einem neuen Exodus, wunderbarer als der erste, zu einem neuen Jerusalem führen, schöner als das erste. Die Heimkehr nach Jerusalem und der Wiederaufbau der Stadt ist das Ziel des Auszuges (Jes 49,16f.;51,3.11; 54,11ff. u. a.) und damit auch ein weiteres wichtiges Thema der Heilsbotschaft des Deutero-Jesaja. Am Ort der Herrschaft Gottes, nämlich Jerusalem, wird wieder die Wohnung seiner Gemeinde sein (vgl. Jes 52,1). Auffallend ist in diesem Zusammenhang die immer wiederkehrende Unterscheidung von zwei Zeiten. Deutero-Jesaja redet von der "vergangenen", der Unheilszeit, und der "künftigen", der Heilszeit. Von dieser künftigen Zeit spricht er in einer leidenschaftlichen Sprache von prägnanter Kürze; sie steht nämlich unmittelbar bevor. Deutero-Jesaja ist überzeugt von der drängenden Nähe des Heils.

Diese immer wieder durchbrechende Unterscheidung von vergangener Zeit und künftiger Heilszeit bei Deutero-Jesaja kennzeichnet im Übrigen bereits den Beginn der Eschatologie, jener intensiven Beschäftigung mit dem Kommenden, dem endgültigen Durchbruch des Heils, wie er dann in der Reich-Gottes-Botschaft Jesu einen Höhepunkt erfährt. Im Vergleich zum ersten Jesaja (Proto-Jesaja) liegt hier bei Deutero-Jesaja also ein theologisch viel stärker ausgearbeitetes Denken vor.

Literatur: Karl Elliger, Deuterojesaja. 1. Teilband Jesaja 40,1-45,7, BK XI/1), Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 3. Auflage 2011. - Hans-Jürgen Hermisson, Deuterojesaja. 2. Teilband Jesaja 45,8-49,13. BK XI/2, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2003. - Ders., Deuterojesaja. 3. Teilband Jesaja 49,14ff. BK XI/3, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2007ff. (bisher Fasc. 12-16 erschienen = 49,14-53,12). http://www.joerg-sieger.de/einleit/spez/04proph/spez57.htm

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