Unter Gottes liebendem Blick
Seit Gott in Jesus Christus Mensch wurde, können wir gewiss sein: Gott ist ein liebender Gott
Predigttext: Hiob 14, 1 – 6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe,
geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Doch du tust deine Augen über einem solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst.
Kann wohl ein Reiner kommen vom Unreinen? Auch nicht einer!
Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann:
So blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.
Eine junge Mutter starrt hoffnungslos an die Decke. Sie liegt sterbenskrank mit Brustkrebs auf der Palliativstation. – Ein Ehepaar nimmt sich fest in den Arm. Sie stehen mit Tränen in den Augen vor den Trümmern ihres zerstörten Hauses in New York. – Ein Kind weint in sein Kopfkissen. Seine Eltern haben ihm von ihrer bevorstehenden Trennung berichtet. – Ein alter Mann sitzt einsam in seinem Lehnstuhl. Seit dem Tod seiner Frau weiß er mit sich nichts mehr anzufangen. — Wer von uns kennt nicht Menschen, denen solche unverdienten Schicksalsschläge schon einmal getroffen haben? Vielleicht mussten auch Sie selbst schon einmal eine solche Situation durchleben. Angesichts solcher Schicksalsschläge und Leiderfahrungen fragen wir Menschen oft verzweifelt nach dem „Warum?“ Wir wollen den Grund unseres Unglücks verstehen, wir wollen wissen, wer daran schuld ist. Manche Christen haben darauf schnell eine Antwort. Sie lautet: „G o t t bestraft uns für etwas, das wir getan haben“. Vielleicht hat die junge Mutter jemanden betrogen, das Ehepaar gelogen, das Kind Schimpfworte benutzt oder der alte Mann niemals seine Liebe gezeigt. Weil Gott all das nicht ertragen kann, straft er sie dafür. Eindeutig. Der Schuldige ist gefunden: Wir selbst sind es. Jeder bekommt, was er verdient. Selbst an etwas schuld zu sein, halten wir Menschen aber nie gut aus. Es fällt uns unendlich schwer, unsere eigene Schuld anzuerkennen. Wer gibt schon gerne zu, nicht immer alles richtig gemacht zu haben? Wer hält sich nicht noch gerne ein Hintertürchen auf, um doch nicht schuld sein zu müssen. Hiob, ein von Schicksalsschlägen getroffener Mann, von dem uns das Alte Testament erzählt, dachte wohl auch so. Seine eigene Antwort auf den Grund seines Leidens, sein Hintertürchen, lautet:
(Lesung des Predigttextes)
Schon der Anfang der Hiobgeschichte bereitet mir Probleme. Hiobs Leid geht nämlich damit los, dass Gott mit dem Teufel eine Wette abschließt, um zu sehen, ob der – ursprünglich reiche, gesunde und familiär gut da stehende – Hiob immer noch so fromm und gottestreu bleibt, wenn er alles verliert. Können Sie mit so einem wettenden, menschenverachtenden Gott etwas anfangen? Ich nicht. Aber damit nicht genug. Auch das Gottesbild, das Hiob uns mit diesen Sätzen präsentiert, kann ich nicht teilen. Denn wer sagt „Du Gott hast mich doch so gemacht! Ich bin von Dir nicht so geschaffen, dass ich es gut machen könnte – wie kannst Du jetzt ins Gericht mit mir gehen?“ und der Gott darum bittet, seinen Blick abzuwenden, dass man endlich Ruhe hat, der geht doch davon aus, dass Gott ein strafender, ein richtender Gott ist, dessen Blick Leid und Schicksalsschläge mit sich bringt. So wie die beiden Eltern, die ihre Tochter mit Säure übergossen haben, weil sie sie mit einem Jungen gesehen haben. Müssen – wollen wir an so einen Gott glauben? Ist wirklich er es, der Menschen sterbenskrank macht, der Wirbelstürme über unsre Erde sendet, der Streit und Hass unter den Menschen verbreitet und uns von unsren Lebenspartnern für immer trennt? – Nein, Gott ist anders. Wir dürfen heute – nicht so wie Hiob – mit dieser Gewissheit leben! Denn Advent und Weihnachten, liebe Gemeinde, leuchten in alle traurigen und dunklen Abschnitte unseres Lebens bereits hinein. Wie könnte ein Gott, der Mensch wurde und sich nicht zu schade war, als kleines Kind in einer schäbigen Krippe zur Welt zu kommen, ein Gott, der uns hier zeigte, was es heißt, Liebe zu leben und aus Liebe sogar für uns bis in den Tod zu gehen, polternd und zürnend weit weg von uns willkürliche Wetten abschließen?
Seit Gott in Jesus Christus Mensch wurde, können wir gewiss sein: Unser Gott ist ein liebender Gott. Ein Gott, der uns ganz nahe ist und mit uns durch unser Leid geht. Einer, den die Schicksalsschläge, die wir ertragen müssen, selbst schmerzen. Einer, der jetzt und hier mit uns und bei uns ist. Darum, müssen wir uns nicht vor Gott verstecken, wie es Hiob tun wollte. Wir müssen seinem Blick nicht ausweichen. Wir brauchen uns vor seinem Urteil nicht fürchten. Im Gegenteil: Wir dürfen uns vertrauensvoll unter sein Angesicht wagen. Wir dürfen seine Liebe annehmen. Wir dürfen uns seinem Schutz und Schirm anvertrauen. Wenn wir das tun, dann: findet die sterbende Mutter Hoffnung im Glauben an ein ewiges Leben – die verzweifelten Hausbesitzer Trost in ihrer Sorge – das weinende Kind Sicherheit in Gottes beständiger Begleitung – der einsame Mann Kraft zum Weiterleben. — Gott ist die Liebe. Sein ganzes Tun ist und kann nichts anderes sein als Liebe. Warum wir Menschen leiden, woher die Schicksalsschläge kommen und warum es gerade diesen und nicht jenen trifft, ist damit nicht beantwortet. Diese Frage werden wir wohl auch nie beantworten können. Aber Gott lässt uns auch nicht im Dunkeln stehen. Das Licht der Liebe, das er selbst mit seinem Kommen in diese Welt angezündet hat, bringt einen verlässlichen und immer leuchtenden Schein in unser Leid und unsren Schmerz. Jeder und jede von Ihnen weiß, wie tröstlich und wärmend selbst das kleinste Licht in dunkler Nacht sein kann. Gerade in Zeiten des Leidens und der Schicksalsschläge ist Gott für uns da, wie ein Licht, das die Dunkelheit durchbricht – oder, wie wir es in der Lesung gehört haben (Lukas 17,24): „wie der Blitz aufblitzt und leuchtet von einem Ende des Himmels bis zum andern“. Darum werden auch wir, liebe Gemeinde, immer, auch wenn Leid und Schmerz diesen Schein fast ersticken, unter Gottes liebendem Blick Hoffnung, Trost und Zuversicht finden.
Sehr ergreifend und existentiell berührend stellt Pfarrerin Hannak zuerst die Theodizee-Frage, wie Gott soviel Leid zulassen kann. Mehrere Beispiele gehen einem unter die Haut. Die Antwort der Predigerin ist ganz auf Jesus bezogen. Seit Gott durch Jesus Mensch wurde und selbst auf dieser Erde mit uns sogar den Tod durchlitt, können wir uns im Leiden mit ihm verbunden fühlen und fest auf den Auferstandenen hoffen. Wie das aussehen kann, wird an den Beispielen im Anfang gezeigt. Eine sehr bewegende und tröstliche Predigt!
Ergreifend von Anfang an.
Aber kann das “Hiobproblem” (das ich auch habe) in einer Predigt angemessen behandelt werden? –
Zum Schluß erwartet die Gemeinde Ermutigung (nicht im Wir-Stil!) – Versuch: Heute lebt ihr – noch. Freut euch darüber. Und auch darüber, dass alle Schmerzen, Leid, Mühe, Trauer in die “Feierabendfreude” einmünden werden.