Unterscheiden, was vergeht und was bleibt
Wie wir bei allem Erlebten zuversichtlich nach vorne blicken können
Predigttext | Jesaja 51,4-6 |
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Kirche / Ort: | Stiftskirche / Lahr |
Datum: | 31.12.2024 |
Kirchenjahr: | Altjahresabend |
Autor: | Pfarrerin Friederike Bornkamm-Maaßen |
Predigttext: Jesaja 51, 4 – 6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 2017)
4 Merke auf mich, mein Volk, hört mich, meine Leute! Denn Weisung wird von mir ausgehen, und mein Recht will ich gar bald zum Licht der Völker machen. 5Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten. Die Inseln harren auf mich und warten auf meinen Arm. 6Hebt eure Augen auf gen Himmel und schaut unten auf die Erde! Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen, und die darauf wohnen, werden wie Mücken dahinsterben. Aber mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen.
Bei Jesaja geht es nicht um einen Jahresrückblick auf das vergangene Jahr. Es geht vielmehr darum, wie wir bei allem Erlebten zuversichtlich nach vorne blicken können auf das, was da kommen mag im Neuen Jahr. Und doch gehört der Rückblick auf das Gewesene dazu. Wir stecken mitten drin in dem, was uns im vergangenen Jahr begegnet ist und uns und die Welt beschäftigt hat. Das, was sich für unser Land ereignet hat, was in der Stadt wichtig war bis zu dem, was uns ganz persönlich für unser eigenes Leben ereignet und gewendet hat.
I
Wir haben in den letzten Jahren vieles im Wandel erlebt. Die Corona Jahre haben manchen Wandel schneller herbeigeführt als gedacht, wie wir jetzt nach diesen Jahren beim Wiederaufbau von kulturellen Angeboten hören und spüren. Wir merken bei manchem, dass nicht mehr alles so gut besucht ist, wo wir doch dachten, wie wichtig sie uns seien. Dabei sind wir doch sehr damit beschäftigt, unser persönliches Wohlergehen zu managen und zu verbessern, auf unsere Abschlüsse und Ziele hinzuarbeiten, so dass wir nicht genug Zeit für unsere Gemeinschaft und ihren Aufbau aufbringen. Es ist auf allen Ebenen ein Aufbau mit Menschenhilfe vonnöten, sonst gehen wichtige Errungenschaften verloren, spüren wir.
Zu Beginn des Jahres waren wir in der Zivilgesellschaft aufgerufen, die Demokratie zu wahren und zu stärken mit Aufrufen gegen rechte Strömungen, die in den Parteien immer stärker Zuspruch zu erhalten schienen. Ein großes Bündnis gegen Rechts konnte auch in Lahr sich auf dem Rathausplatz zusammenfinden. An die Fortsetzung des Krieges in der Ukraine mussten wir uns Ende Februar in einem zweiten Jahr gewöhnen. Die Meldungen über Luftschutzangriffe reißen nicht ab. Über 1 Million Flüchtlinge aus der Ukraine haben sich bei uns eingependelt. Sie treffen sich in unserer Stadt beim Café Internationonal und beim Gottesdienst der orthodoxen Gemeinde.
Ein Jahr Bürgerkrieg im Sudan und kein Ende in Sicht, wurde im April deutlich. In Mannheim kommt Ende Mai ein Polizist bei einem Messerangriff auf eine friedliche Kundgebung von „Pax Europa“ ums Leben. Islamistischer Messeranschlag auf einem Stadtfest in Solingen im August; auch Menschen aus Lahr sind in Familienfehden, die hier und in fernen Gegenden anderswo mit Gewalt geahndet wurden, verwickelt, wie uns begleitend zu den verstärkten Polizeieinsätzen vor Ort im Spätjahr erklärt wurde. Der anhaltende Konflikt im Nahen Osten in Israel mit den Palästinensern spitzte sich weiter zu und machte vor den Nachbarländern wie dem Libanon nicht halt.
Das Friedenslicht konnte aus Sicherheitsbedenken dieses Jahr nicht aus Bethlehem geholt werden, sondern war aufbewahrt in Österreich aus dem Vorjahr verbreitet worden. Der Bundestag muss eine Resolution zum Schutz jüdischen Lebens annehmen. Jüdinnen und Juden fühlen mehr Verunsicherung. Das wurde nicht zuletzt bei einem Besuch von uns Pfarrerinnen und Pfarrern, Diakonen und Religionslehrerinnen bei einem Besuch in der Synagoge uns deutlich erzählt. Zuletzt wurden am Chanukka-Fest, dem Lichterfest in der Zeit um Weihnachten herum, jüdische religiöse Symbole wie der Chanukka Leuchter in Berlin beschädigt und angegriffen. Schlimm, dass Menschen der Religion, auf der unser Christentum fußt und von daher seine Wurzeln hat, in unserem Land nicht in Ruhe und Sicherheit und der Akzeptanz ihrer religiösen Feste leben können.
Unsere Bundesregierung verliert den Zusammenhalt der regierenden Parteien, Entzweiung der Parteien entlässt einen Minister, und zuletzt hat der Kanzler die Vertrauensfrage gestellt und muss vorzeitig den Weg freimachen für Neuwahlen im Februar 2025. In der eigenen Stadt – Sorgen um die Geschäftewelt in der Innenstadt . Welcher Art Geschäfte mit welchen Produkten brauchen wir vor Ort und welche nicht ? Was hält uns als Stadt zusammen ?
II
Der Wandel hat uns auf allen Ebenen in der Hand. Auch das persönliche Leben mit unseren sozialen Kompetenzen ist rasanten Wandlungen ausgesetzt, schneller als wir innerlich nachkommen Computer und Internet beschleunigen alles immer mehr: Was gestern noch ging, ist heute schon veraltet“. Nicht nur die Computerprogramme verändern sich. Wenn wir in der Software und den sozialen Medien nicht mithalten, droht es, dass wir abgehängt werden. Wovon? Oft ist es das, was wir einspeisen ins Internet, was interessiert und nicht das reale Leben. Dazu kommen die persönlichen Einschnitte im eigenen Leben. Das Älter werden von uns selbst, aber auch der nahen Menschen um uns herum mit Einschnitten wie Krankheiten oder veränderten Möglichkeiten, das eigenen Leben selbstbestimmt zu gestalten.
„Denn der Himmel wird wie ein Rauch vergehen und die Erde wie ein Kleid zerfallen“, so heißt es mit einem Mal bei Jesaja in unserem Predigttext. Gott spricht durch den Propheten aus, was heute wahrscheinlicher als je zuvor scheint. Er beschwört die Hoffnung der Inseln und die Erwartung der Völker. Er rüttelt seine Leute auf, auch uns heute Abend. „Merke auf mich Hört mich, meine Leute !“ Damit wird unsere Aufmerksamkeit herausgehoben aus dem Schlamassel, den wir am Ende eines Jahres beklagen und betrauern mögen; die vorhin beschriebenen Probleme, die wir in der Welt teilen. Aber auch die persönlichen verpassten Gelegenheiten, mit denen wir unsere Zeit verfehlt haben. Dahinein wird uns gesagt: Jetzt krümmt euch mal nicht in euch selbst wie ein Kind, das Bauchweh hat.
Es ist so, dass Vieles im Argen liegt, und es kann noch schlimmer kommen. Darum braucht man nicht herumzureden. Aber in Alledem, was wir in noch weiteren finsteren Farben ausmalen könnten, sollen wir aufmerken und unsere Wahrnehmung schulen, etwas anderes wahrzunehmen, nämlich wie Gott spricht: „Denn meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil tritt hervor, und meine Arme werden die Völker richten“. Auch wenn es noch schlimmer kommt: „Mein Heil bleibt ewiglich, und meine Gerechtigkeit wird nicht zerbrechen“.
III
Am Ende des Jahres sind wir also aufgerufen zu unterscheiden, was vergeht und was bleibt. Unsere Hoffnung, unser Leben, dürfen wir ganz ausrichten an dem, was bleibt. Wenn wir also dem, was uns aus dem zu Ende gehenden Jahr 2024 belastet, nachhängen, wo wir erkennen, dass wir falsch entschieden haben oder im Nachhinein das Gewicht auf etwas anderes hätten legen können, um unserem Lebensauftrag besser zu dienen: Wenn wir all jenem nachtrauern, und vielleicht Unwichtigem zu viel Zeit eingeräumt haben, so mögen wir das Alles heute Abend bewusst wahrnehmen, um daraus zu lernen. Doch dann lasst es uns getrost beiseitelegen als Schulden des Vergänglichen und dann auch im Vergangenen belassen.
Wenn wir nachher das Abendmahl miteinander feiern, wenden wir uns dem zu, der bleibt. Gott selbst will uns ausrüsten für den Weg in die Zukunft. Wir erhalten Zugang zu dem, der sein Licht zum Heil für die Völker machen will, der gegen alle Verletzungen des Lebens das ewige Heil bereit hält; der eine Gerechtigkeit kennt, die sich nicht einfach mit den Gesetzen der Welt messen lässt und die auch nicht mit ihnen vergeht.
Lernen wir, uns aus dem Bejammern des Vergangenen zu lösen. Nehmen wir wahr, dass Gott uns ruft ; dass Gott selbst hervortritt, uns seine Gerechtigkeit und sein Heil schenken will und damit uns heil machen will. Schauen wir damit auf Gottes Tora und nehmen seine Weisung ernst. Denn sie ist uns Menschen zum Wohlergehen anvertraut, sie dient dem Leben, dass wir als Menschen aufeinander bezogen gut leben und den anderen respektieren können.
Gottes Weisung dient nicht dazu, um uns zu knechten. Richten wir uns aus auf das, was bleibt: Auf Gott, der uns die Menschen zeigt, die nicht aus eigner Kraft überleben können. Der Einsatz für die Menschen, die unmittelbar unsere Hilfe brauchen; der Einsatz für Hilfsbedürftige, für Kranke, für Kinder, die uns anvertraut sind, für Menschen, deren Kräfte im Alter nachlassen und auf Hilfe zunehmend angewiesen werden, für Menschen, die in ihrem angestammten Umfeld nicht angesehen sind oder gar verfolgt werden: Sie werden weiterhin zu unseren Aufgaben als Christinnen und Christen gehören, weil sie Christus uns selbst ans Herz gelegt hat, und weil Gott will, dass sein Heil die Grenzen überwindet, an denen wir Menschen in unserer Welt scheitern.Richten wir uns auf Gott aus, so gilt sein Heil für alle Völker und die fernen Inseln, über die er seinen Arm hält.
Gott macht hell, was im Dunkeln ist. Das tut Gott auch den fernen Inseln kund. Gott beleuchtet das Unrecht, das Menschen einander antun, etwa wenn politisch unliebsame Journalisten gefangen genommen und gefoltert oder gar getötet werden; wenn Menschen für Verbrechen anderer Menschen verantwortlich gemacht werden, nur weil sie vielleicht die gleiche Hautfarbe haben. Gottes Recht wird zum Licht für die Völker und die fernen Inseln, die ausdrücklich erwähnt werden. Denken wir bei den Inseln z.B. an die französische Inselgruppe Mayotte nahe Madagaskar, die vor Weihnachten von einem Wirbelsturm heimgesucht wurde, der hunderte Menschenleben gefordert hat, mögen sie nun ins Visier für mehr Sicherheit geraten. Oder die Cook -Inseln im fernen Pazifischen Ozean, von denen Frauen die Gebetsordnung für alle Länder in der Welt vorbereiten unddamit deren Lebensbedingungen im kommenden Frühjahr beim Weltgebetstag in den Mittelpunkt rücken.
Gottes Licht leuchtet aus, wo schwere Lebensbedingungen herrschen. Gottes Licht leuchtet aus, wo jemandem Unrecht angetan wird, und es zeigt auf, wie es in der jeweiligen Situation besser geht. Dies muss ganz konkret aus der jeweiligen Situation heraus aufgedeckt und verbessert werden. Nehmen wir für das Neue Jahr Christus als Orientierung. Wir kennen aus den Evangelien seine Zuwendung zu den Menschen.
Wir kennen Jesu Bereitschaft zur Vergebung: „70 mal 7mal“, empfiehlt Jesus dem Petrus. Wir kennen seinen Weg, der Alles von ihm abverlangt. Wir wissen um das Ziel dieses Weges: zu Gott, dem himmlischen Vater. Nehmen wir Christus im Abendmahl in uns auf, lassen wir Christus in uns wirken. Hinterfragen wir unsere Pläne und Vorsätze für das Neue Jahr, ob sie das Licht Gottes in dieser Welt heller aufscheinen lassen oder ob sie nur an dem Vergänglichen hängen.
Nehmen wir das kleine Kind in der Krippevon Bethlehem, dem „Haus des Brotes“, in uns auf – Gott in einem kleinen Stück Brot. Gott macht sich für uns klein. Bleiben wir transparent für die Liebe Gottes. Denn was von uns einmal bleibt, wird das sein, was an Gottes Weisung gemessen werden kann: die Erinnerungen an Momente, als wir für andere zu Boten und Botinnen des Heils wurden.