Unterwegs

Miteinander der Zukunft Gottes entgegen

Predigttext: Lukas 17, 11-19
Kirche / Ort: St. Martins - Kirche / 32139 Spenge
Datum: 06.09.2015
Kirchenjahr: 14. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Brigitte Janssens

Predigttext: Lukas 17, 11-19 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

11 Und es begab sich, als er nach Jerusalem wanderte, daß er durch Samarien und Galiläa hin zog.
12 Und als er in ein Dorf kam, begegneten ihm zehn aussätzige Männer; die standen von ferne
13 und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!
14 Und als er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht hin und zeigt euch den Priestern! Und es geschah, als sie hingingen, da wurden sie rein.
15 Einer aber unter ihnen, als er sah, daß er gesund geworden war, kehrte er um und pries Gott mit lauter Stimme
16 und fiel nieder auf sein Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Und das war ein Samariter.
17 Jesus aber antwortete und sprach: Sind nicht die zehn rein geworden? Wo sind aber die neun?
18 Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder umkehrte, um Gott die Ehre zu geben, als nur dieser Fremde?
19 Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.

Exegetische und homiletische Vorüberlegungen

Nicht nur 1 kommt und braucht Hilfe, sondern 10. Nicht nur 1 sucht Heilung und Heil, sondern 10 treibt die Sehnsucht nach einem heilen Leben in einer heilen Welt. Wer hätte je gedacht, dass es so viele sind, die kommen und Hilfe suchen, die Heil brauchen. Nur wenige Kapitel zuvor, in Lukas 5, 12ff, da ist es nur einer, dazu ein Angehöriger des eigenen Volkes, den Jesus vom Aussatz heilt und ihn aus der Ausgegrenztheit zurück holt in die Gemeinschaft.
Das ist der erste Unterschied, der auffällt und zugleich neugierig macht. Das ist aber auch die erste Gemeinsamkeit, die ins Auge sticht, wenn in der Welt- und in der Kommunalpolitik, im Reden und im Handeln, die Herausforderungen bedacht werden, die sich durch die hohe Anzahl von Heil suchenden Flüchtlingen aus aller Welt ergeben.

Die Exegese der Perikope erweist, dass es durchaus diesen und viele weitere Aspekte gibt, die unsere Wirklichkeit mit dem Licht des Evangeliums ausleuchten und erhellen. Eine reizvolle Aufgabe für Predigerin und Zuhörende, die eigene Wirklichkeit und sich selbst in der alten Geschichte zu entdecken, und umgekehrt die Botschaft des Evangeliums mitzunehmen in die Gegenwart für die Zukunft, die Gott allen seinen Menschenkindern verheißt:
- Unterwegs ist Jesus nach Jerusalem. Je näher er dem Ort seines Leidens kommt, desto stärker tut sich die Kluft auf zwischen Freunden und Feinden, zwischen denen, die ihn und seine Botschaft annehmen, und denen, die sie ablehnen.
- Der Ort des Geschehens – wenn auch geografisch nur schwer nachzuvollziehen – sowie die Gruppenzusammensetzung der Aussätzigen (Juden und Nicht-Juden) sprengt die Grenzen des bisherigen inner-theologischen Konflikt zwischen Jesus und den religiösen Führen im Judentum im wahrsten Sinne des Wortes. Denn Jesu Botschaft und Wirken gilt weltweit allen Völkern und Rassen, überwindet unter der Prämisse der Einheit aller Menschen nationale und politische, kulturelle und religiöse Grenzen. „Grund und Ergebnis seines Weges in den Karfreitag und den Ostermorgen wird auch und wesentlich die Öffnung „Israels“ für alle anderen Völker sein.“ (Drewermann, a.a.O., S. 360)
- Auffällig und anders als bei der Heilung des einen Aussätzigen ist es, dass Jesus sich hier genau und betont an die Einhaltung des jüdischen Gesetzes, des Reinheitsgebotes (Lev 14, 2.3), hält. Weder mit Worten noch mit Gesten geht er gegen die Krankheit vor. Er tritt mit der eigenen Person im wahrsten Sinne zurück, um den Raum für das Gottvertrauen der Heilsuchenden zu ermöglichen. Dieser Raum ist es schließlich auch, der mit der Umkehr des Einen das Thema des 14. Sonntags nach Trinitatis zur Entfaltung kommen lässt, nämlich „die Dankbarkeit als Wesenszug des Gotteskindschaft“ (Evangelisches Gottesdienstbuch, S. 712).

Literatur
Eugen Drewermann, Das Lukas-Evangelium, Bd. 2, Düsseldorf 2009

Lieder
"Sollt ich meinem Gott nicht singen" (EG 325), Lied v.d. Predigt
"Dich rühmt der Morgen" (Wortlaute, Liederheft z.EG, Nr. 3), n.d. Predigt

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Unterwegs – die Glaubensgemeinschaft

Sie haben sich auf den Weg gemacht. Schweren Herzens, doch voller Hoffnung. Denn Vertrautes lassen sie zurück. Ihre Wurzeln. Ihre Heimat. Ihre Familien. Die Menschen, die ihnen zuhörten, ihnen Bestätigung gaben, ihnen Vertrauen schenkten und Glauben fassten, dass er, Jesus, von Gott gesandt sei: Gottes Sohn, der Niedergeschlagene aufrichtet, der kranke Körper und Seelen heilt, Aussätzige zurückholt in die Gemeinschaft, eben das Reich Gottes in seinem Handeln und Reden schon heute sichtbar und erlebbar werden lässt – wenigstens ein Stück weit.

Doch nicht nur Freunde haben sie sich gemacht. Im lauter werden die kritischen Stimmen, immer entschiedener die religiösen und politischen Gegner Jesu, diesen Gotteslästerer und Unruhestifter zum Schweigen zu bringen, zum Tode zu verurteilen. Jerusalem, die Stadt Gottes, die Stadt des Heils, ist Ziel ihrer Wanderung. Hier wird es sich zeigen und entscheiden, ob Hoffnungen sich erfüllen oder Befürchtungen wahr werden, ob die Menschen „Hosianna“ rufen oder „Kreuzige ihn“. Und so sind sie unterwegs. Jesus und seine Jünger. Nicht auf direktem Wege, sondern auf Umwegen: weg von Galiläa, erst einmal durch das angrenzende Samaria, und dann langsam auf Jerusalem zu.

Unterwegs – die Notgemeinschaft

Sie haben sich auf den Weg gemacht – auch sie, die schon lange keinen Ort mehr haben. Vor den Toren welcher Stadt auch immer – getrennt von ihren Wurzeln, von ihrer Heimat, von ihrer Familie führen sie ein Leben, das kaum mehr diesen Namen verdient. Denn ihre Krankheit, der Aussatz, ist mehr als nur ein körperliches Gebrechen. Ausgesetzte sind sie, isoliert von jeder menschlichen Gemeinschaft, jedem Verständnis, jeder Ansprache, jeder Berührung. Und die Juden unter ihnen sind sich sogar sicher: der Aussatz ist eine Strafe Gottes, die sie dazu verurteilt, jenseits der Gemeinschaft mit ihm oder mit anderen Menschen ihr Leben zu fristen.

Lediglich mit dem Nötigsten versorgt, das ihnen unbekannte Mitleidige an einen bestimmten Ort stellen, ohne ihnen zu nahe zu kommen, ihnen Nähe zu schenken. Und selbst, wenn sie einander winken – zum Gruß oder zum Dank – dann ist es ein Abwinken: denn alle – sie selbst und die anderen – wissen: Aussätzige sind unrein. Begegnung – geschweige denn Berührung – ist strengstens verboten! Da ist es schon viel, dass sie einander begegnet sind, die 10 Aussätzigen. Und da macht es gar nichts, dass sie eine gemischte Gruppe sind, die sich Herkunft und Nationalität, Kultur und Glauben unterscheidet. Schwerer als alles andere und mehr als alle Unterschiede verbindet sie ihre Not, alles verloren zu haben und ihre Hoffnung auf Heil, heiles Leben.

So haben auch sie sich auf den Weg gemacht – die 10 Aussätzigen, die Notgemeinschaft der Ausgesetzten. Denn sie haben gehört: Er, Jesus, hat einen Aussätzigen geheilt, ihm Reinheit und Gesundheit geschenkt, ihm eine Rückkehr in die Gemeinschaft mit den Menschen und mit Gott ermöglicht. Hier, irgendwo unterwegs zwischen Galiläa, Samarien und Jerusalem wird es sich zeigen, ob ihre Hoffnungen sich erfüllen, oder ihre Befürchtungen wahr werden: weiter draußen vor den Toren einer heilen Welt warten zu müssen auf den Tod.

Unterwegs – Die Begegnung

Und so zeigt es sich unterwegs, dass weder die Not noch die Hoffnung Grenzen kennt: nicht für die, die Gottes Wirken in der Welt erfahrbar machen, mit Leben und Heil füllen wollen, noch für die, die sich in ihrer Not zusammengefunden haben ein heiles Leben in einer heilen Welt zu suchen. Schon von Ferne nehmen beide Gruppen einander wahr, können einander sehen. Wer hätte das gedacht, dass es so viele sind, die sich voller Hoffnungen und Befürchtungen auf den Weg gemacht haben. Doch erst als sie einander begegnen – noch vor den ersten Häusern des Dorfes – , erst als sie einander schon nahe sind, können sie einander hören.

Kein Hilfeschrei erreicht Jesus und seine Jünger. Die einfache Anrede genügt: (Sie erhoben ihre Stimme und sprachen): „Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser!“ „Du, der Du von Gott kommst, lass dir unsere Not zu Herzen gehen, und mach unser Leben heil!“ Wie oft hatten sie diese Bitte schon gehört, Jesus und seine Jünger – aber es waren Einzelne, Männer und Frauen des eigenen Volkes, das ihnen vertraut waren, die um Hilfe, Wegweisung und Heilung gebeten hatten – doch hier sind es viele. Zu viele? Kann und wird sich Jesus dieser Herausforderung stellen können?

Immerhin haben sich die 10 mit ihrer Bitte an „die richtige Adresse“ gewandt, an den, der Gottes Nähe predigt und lebt, das Heil Gottes erfahrbar macht. Und dies, vor allem diese Bitte, hört Jesus in ihren Worten, sieht Jesus in ihren Augen, erkennt Jesus in ihren Herzen. Anders als in anderen Heilungsgeschichten wird hier niemandem die Hand aufgelegt. Die Krankheit wird auch nicht mit Worten gebannt, sondern alle 10, die in Not sind und ausgesetzt, werden – wie es der jüdische Glaube vorschreibt – zu den jüdischen Priestern geschickt. Und diesen obliegt es, ihre Reinheit festzustellen und zu bestätigen. Damit gehören sie wieder dazu. Damit sind sie wieder Teil der Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit Gott.

Unterwegs – Die Ankunft

Gespannt und voller Erwartung folgen die Zehn den Anweisungen Jesu, gehen – ihm voraus – den Weg nach Jerusalem, um sich den Priestern zu zeigen. Wenn ihnen ihre Heilung bestätigt wird, sind sie am Ziel: geheilt, am Beginn eines heilen Lebens und Zusammenlebens mit Gott und den Menschen. Ihre Befürchtungen sind zerstreut, ihre Hoffnungen erfüllt. Und wer Jesus für sie war – unterwegs? Eine Episode? Ein Wegweiser, der ihnen den Weg zurück in Gemeinschaft gezeigt hat? Ein Türöffner, der die Tore der Stadt für sie neu eröffnet hat? Ein Fürsprecher, bei Gott, ihrem Schöpfer und Vater? Womöglich hätte es jeder der neun auf seine eigene Weise folgerichtig beantwortet.

Unterwegs – Die Umkehr

Nur für den einen, der anders ist, ist die Heilungsbestätigung der Priester nicht das Ziel seiner Wünsche, nicht die Erfüllung seiner Hoffnungen. Denn warum hätte ihn, der sowieso nicht dazu gehört zum Volk der Juden, der Gott der Juden strafen sollen? Für ihn ist es eher der Besuch bei den Priestern, der sich wie eine Episode anfühlt, ist er doch in Jesus dem Gottessohn begegnet, dem die Not der Menschen – unabhängig von Nation und Religion – unmittelbar zu Herzen geht. Von ihm wurde er gesehen, von ihm wurde er angehört. Von ihm wurde ihm heiles Leben geschenkt. In seiner Nähe hatte er die Nähe Gottes erlebt. Und so kehrt er um, macht sich erneut auf den Weg, um Jesus zu danken.

Mit Jesus unterwegs – von der Dankbarkeit der Kinder Gottes

Und wenn uns das Evangeliums des heutigen Sonntags nahe bringen soll, was es mit der „Dankbarkeit der Kinder Gottes“ auf sich hat, dann würde er vielleicht nicht davon erzählen, wie Jesus ihn ans Ziel gebracht hat, sondern wie er ihn auf den Weg gebracht und Zukunft eröffnet hat: in die Nachfolge Jesu. Wohl führt ihn auch dieser Weg nach Jerusalem, wohl bleiben ihm Leiden und Tod nicht erspart. Auch als Geheilter lebt er in einer unheilen Welt. Aber Jerusalem wird ihm auch zum Ort einer lebendigen Hoffnung, die stärker ist als alle tödlichen Bedrohungen, als Weg zum Heil, auf dem wir alle unterwegs sind. Und wenn es dann auch viele sind, die voller Sehnsucht nach einem heilen Leben und einer heilen Welt sein Heil suchen, brauchen wir nicht verzagen. Denn er ist und bleibt dabei all unseren Wegen, auf denen wir unterwegs sind und anderen begegnen. Ganz so, wie es im Loblied „Dich rühmt der Morgen“ erklingt (T: Jörg Zink, M und Satz: Giovanni Giacomo Gastoldi):

Dich rühmt der Morgen. Leise verborgen
Singt die Schöpfung Dir, Gott, ihr Lied.
Es will erklingen in allen Dingen,
und in allem, was heut geschieht.
Du füllst mit Freude der Erden weite,
gehst zum Geleite an unsrer Seite,
bist wie der Tau um uns, wie Luft und Wind.
Sonnen erfüllen Dir Deinen Willen.
Sie gehen und preisen mit ihren Kreisen
der Weisheit Überfluss, aus dem sie sind.

Du hast das Leben allen gegeben,
gib uns heute dein gutes Wort.
So geht Dein Segen auf unseren Wegen,
bis die Sonne sinkt, mit uns fort.
Du bist der Anfang, dem wir vertrauen,
Du bist das Ende, auf das wir schauen.
Was immer kommen mag, Du bist uns nah.
Wir aber gehen von dir gesehen,
in Dir geborgen durch Nacht und Morgen
und singen ewig Dir, Halleluja.

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Ein Kommentar zu “Unterwegs

  1. Pastor Heinz Rußmann

    Drei Gruppen und dazu der Samariter sind auf der Wanderung und auf dem Weg. Durch diese Perspektive macht Pfarrerin Janssens den bekannten Predigttext mit einer Erzählpredigt lebendig und interessant. Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem mit seinem Jüngern zum großen Passah-Fest und zu Kreuz und Auferstehung. Die Feinde von Jesus sind auch unterwegs, um Jesus verurteilen zu lassen. Außerdem gibt es noch die Gruppe der Aussätzigen auf dem Weg zur Heilung durch Jesus und danach zur Bestätigung der Heilung durch die Priester. Dann ist noch ein Geheilter unterwegs zu Jesus. Sein eigentliches Ziel ist nicht nur der Dank an Jesus für die Heilung, sondern danach Jesus nachzufolgen. Der tröstliche Schlusssatz der Predigt: “Jesus ist auch mit uns unterwegs auf all`unseren Wegen” – wird noch originell bekräftigt durch ein anrührendes und nicht übliches Lied von Jörg Zink.

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